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Gericht: Bundesfinanzhof
Beschluss verkündet am 14.07.2003
Aktenzeichen: II B 121/01
Rechtsgebiete: GrEStG 1983, AO 1977, FGO


Vorschriften:

GrEStG 1983 § 17
AO 1977 § 165
AO 1977 § 165 Abs. 2
AO 1977 §§ 172 ff.
FGO § 68
FGO § 76 Abs. 2
FGO § 96 Abs. 1 Satz 2
FGO § 96 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) erwarb durch notarielle Vereinbarung vom 15. August 1990 Anteile an verschiedenen Kapitalgesellschaften mit inländischem Grundbesitz. Durch den Anteilserwerb kam es bei diesen Gesellschaften zur Vereinigung aller Anteile in der Hand des Klägers.

Eine Abschrift des Vertrages wurde dem Beklagten und Beschwerdegegner (Finanzamt --FA--) am 15. Oktober 1990 übersandt. Erst am 3. Januar 1993 wurde dem FA bekannt, dass die von der Anteilsübertragung betroffenen Gesellschaften über Grundbesitz verfügten und dieser im örtlichen Zuständigkeitsbereich verschiedener Finanzämter lag.

Durch Bescheid vom 28. Dezember 1994 stellte das FA gegenüber dem Kläger die Besteuerungsgrundlagen gemäß § 17 des Grunderwerbsteuergesetzes (GrEStG 1983) gesondert fest. Der Bescheid erging "in vollem Umfang vorläufig gem. § 165 AO, weil wegen der Höhe der Einheitswerte noch Ermittlungen erforderlich" seien. Der Bescheid wurde der A-GmbH für den Kläger bekannt gegeben. Den von der A-GmbH für den Kläger erhobenen Einspruch gegen den Bescheid nahm die A-GmbH später zurück.

Am 28. Dezember 1995 erließ das FA einen geänderten Feststellungsbescheid gegen den Kläger. Dieser wurde wiederum der A-GmbH bekannt gegeben und erging "in vollem Umfang vorläufig gem. § 165 AO, weil wegen der Höhe der Einheitswerte noch Ermittlungen erforderlich" seien. Ferner erließ das FA einen auf dem Feststellungsbescheid beruhenden Grunderwerbsteuerbescheid. Die Bescheide wurden von der A-GmbH an die B-GmbH am 12. Januar 1996 weitergegeben. Die B-GmbH legte gegen die Bescheide für den Kläger Einspruch ein und rügte die fehlerhafte Bekanntgabe an die A-GmbH. Diese habe keine Empfangsvollmacht des Klägers gehabt.

Das FA hat den Einspruch als unbegründet zurückgewiesen und die Einspruchsentscheidung der B-GmbH bekannt gegeben.

Mit seiner Klage machte der Kläger geltend, der geänderte Feststellungsbescheid vom 28. Dezember 1995 sei der B-GmbH erst nach Ablauf der Feststellungsfrist wirksam bekannt gegeben worden. Ferner seien die Feststellungsbescheide zu Unrecht vorläufig ergangen, weil keine Ungewissheit über die Besteuerungsgrundlagen i.S. von § 165 der Abgabenordnung (AO 1977) bestanden habe.

Das FA hat während des Klageverfahrens durch Bescheid vom 18. April 2001 den Feststellungsbescheid vom 28. Dezember 1995 geändert und den Bescheid für endgültig erklärt.

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab und führte in seinem Urteil aus, es könne offen bleiben, ob der Feststellungsbescheid vom 28. Dezember 1995 zu Recht als vorläufig ergangen sei. Denn nach § 68 der Finanzgerichtsordnung (FGO) sei Gegenstand des Verfahrens nunmehr der geänderte, für endgültig erklärte Feststellungsbescheid vom 18. April 2001. Der ursprünglich angefochtene Feststellungsbescheid vom 28. Dezember 1995 sei nicht nichtig gewesen. Denn dieser gebe den Grund und den Umfang der Vorläufigkeit hinreichend bestimmt an. Die Feststellungsfrist sei im Zeitpunkt der geänderten Feststellung am 28. Dezember 1995 noch nicht abgelaufen gewesen. Denn wegen Verletzung der Anzeigepflichten habe diese erst mit Ablauf des dritten Kalenderjahres, das auf das Kalenderjahr folgt, in dem die Steuer entstanden ist, begonnen. Die gerügten Bekanntgabemängel hätten keine Bedeutung, weil diese durch die fehlerfreie Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung geheilt worden seien.

Das FG hat die Revision nicht zugelassen. Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Klägers, der neben Verfahrensmängeln auch geltend macht, die Fortbildung des Rechts sowie die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderten eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH). Denn die Frage, ob das FA den vorläufigen Feststellungsbescheid noch habe ändern und für endgültig erklären können, sei höchstrichterlich noch nicht geklärt. Nach der Rechtsprechung des BFH (Urteile vom 26. September 1990 II R 99/88, BFHE 161, 489, BStBl II 1990, 1043; vom 10. August 1994 II R 103/93, BFHE 175, 288, BStBl II 1994, 951, und vom 25. Oktober 1989 X R 109/87, BFHE 159, 128, BStBl II 1990, 278) sei im Klageverfahren bei Fehlerhaftigkeit des Vorläufigkeitsvermerks der Bescheid in vollem Umfang aufzuheben. Dieser Grundsatz müsse auch für das FA gelten. Insoweit bestehe auch eine Divergenz des FG-Urteils zu den BFH-Entscheidungen.

Das FA beantragt, die Beschwerde als unbegründet zurückzuweisen.

II. Die Beschwerde ist unbegründet.

1. Hinsichtlich der vom Kläger aufgeworfenen Rechtsfrage, ob das FA im finanzgerichtlichen Verfahren den angefochtenen Feststellungsbescheid noch ändern und für endgültig erklären durfte, ist eine Entscheidung des BFH zur Fortbildung des Rechts nicht erforderlich. Denn die Antwort auf diese Frage ergibt sich unmittelbar aus dem Gesetz.

Das FA ist grundsätzlich zu einer Änderung eines mit der Klage angefochtenen Bescheides, mit der dem Klagebegehren ganz oder teilweise abgeholfen wird, in dem durch § 96 Abs. 1 Satz 2 FGO begrenzten Rahmen berechtigt und nach dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung auch verpflichtet. Dies ergibt sich aus §§ 132 und 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a letzte Alternative AO 1977. Die Frage, ob und in welchem Umfang ein mit einem Rechtsbehelf angefochtener Bescheid korrigiert werden darf (oder muss), richtet sich im Einspruchs- bzw. Klageverfahren allein nach seiner Übereinstimmung mit den einschlägigen Rechtsvorschriften (von Groll in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 10. Aufl., Stand August 2002, Vor § 172 bis 177 AO 1977, Rdnr. 66). Stellt das FA im laufenden Klageverfahren fest, dass der angefochtene Bescheid ganz oder teilweise rechtswidrig ist, kann und muss es einen entsprechenden Änderungsbescheid erlassen. Dies gilt auch, soweit das FA erkennt, dass die gesetzlichen Voraussetzungen für die Beifügung eines Vorläufigkeitsvermerks nicht bestehen. Das FA ist auch in diesem Fall in dem durch § 96 Abs. 1 Satz 2 FGO begrenzten Rahmen berechtigt und verpflichtet, einen dem Gesetz entsprechenden (Änderungs-)Bescheid zu erlassen und den Vorläufigkeitsvermerk durch die Erklärung, dass der Bescheid endgültig ist, zu ersetzen.

Eine diese Befugnis (bzw. Verpflichtung) einschränkende Norm gibt es nicht. Die §§ 172 ff. AO 1977 sind hier nicht anwendbar, weil der mit der Klage angefochtene Feststellungsbescheid vom 28. Dezember 1995 durch die Klageerhebung noch nicht bestandskräftig wurde. Ob das FA zur Änderung des Bescheids auch nach § 165 Abs. 2 AO 1977 befugt war, kann hier offen bleiben; jedenfalls schlösse diese Änderungsbefugnis eine Änderung nach den allgemeinen Vorschriften nicht aus.

Auch wirft die vom Kläger in Bezug genommene Rechtsprechung (Urteile in BFHE 161, 489, BStBl II 1990, 1043; in BFHE 175, 288, BStBl II 1994, 951, und in BFHE 159, 128, BStBl II 1990, 278) in diesem Zusammenhang keine klärungsbedürftigen Rechtsfragen auf. Danach kann zwar das FG in den Fällen, in denen sich im Klageverfahren die Fehlerhaftigkeit der Vorläufigkeitsanordnung ergibt, den Bescheid nur in vollem Umfang aufheben. Der maßgebliche Grund hierfür liegt aber allein darin, dass die isolierte Beseitigung des Vorläufigkeitsvermerks durch das FG zu einer inhaltlichen Umgestaltung (Veränderung) des Bescheids führte und damit einen der rechtsprechenden Gewalt prinzipiell verwehrten Eingriff in Verwaltungskompetenzen darstellte. Daraus folgt aber umgekehrt, dass das FA seinerseits jederzeit den Bescheid für endgültig erklären darf und nicht darauf beschränkt ist, den Bescheid insgesamt (ersatzlos) aufzuheben.

2. Aus den Ausführungen in II. 1. ergibt sich zugleich, dass die vom Kläger geltend gemachte Divergenz des angefochtenen finanzgerichtlichen Urteils mit den BFH-Urteilen in BFHE 161, 489, BStBl II 1990, 1043, in BFHE 175, 288, BStBl II 1994, 951 und in BFHE 159, 128, BStBl II 1990, 278 nicht besteht. Die angesprochenen BFH-Entscheidungen betreffen ausschließlich die Frage, welche Entscheidung das FG treffen darf, wenn sich im finanzgerichtlichen Verfahren die Fehlerhaftigkeit der Vorläufigkeitsanordnung ergibt. Die Entscheidungen enthalten aber keine (zum FG-Urteil divergierende) Aussage dazu, dass auch das FA auf die Aufhebung des Bescheids beschränkt ist.

3. Eine Divergenz des FG-Urteils zu den BFH-Entscheidungen vom 12. März 1991 IX R 282/87 (BFH/NV 1991, 506) und vom 30. Juni 1994 V R 106/91 (BFH/NV 1995, 466) ist ebenfalls nicht gegeben. Die vom Kläger vorgenommene Gleichsetzung der Vorläufigkeitserklärung "in vollem Umfang" einerseits mit einer Vorläufigkeitserklärung ohne jede Angabe des Umfangs der Vorläufigkeit andererseits ist unzulässig. Denn in den Fällen der Vorläufigkeit "in vollem Umfang" liegt gerade hierin die Bestimmung des Umfangs der Vorläufigkeit. Würde man der Auffassung des Klägers folgen, hätte das FA niemals die Möglichkeit, einen Bescheid insgesamt für vorläufig zu erklären.

4. Die vom Kläger geltend gemachten Verfahrensmängel sind nicht schlüssig dargelegt:

a) Soweit der Kläger rügt, das FG habe eine Überraschungsentscheidung getroffen und damit sein Recht auf Gehör verletzt, wird von ihm verkannt, dass sich mit dem Erlass des Änderungsbescheides vom 18. April 2001 nach § 68 FGO der Gegenstand des Klageverfahrens und damit die der gerichtlichen Verfügung vom 12. April 2001 zugrunde liegende Ausgangslage geändert hatte. Nicht das Gericht hat überraschend seine Rechtsauffassung geändert, sondern es ist --auch für den Klägervertreter erkennbar-- eine Änderung derjenigen Umstände eingetreten, unter denen das FG das Klagebegehren zu prüfen hatte. Auf diese geänderte Prozesslage hatte sich der Prozessbevollmächtigte des Klägers auch bereits eingestellt; denn er hat sich nach dem Inhalt des Terminsprotokolls zu der Frage der Zulässigkeit des Erlasses des Änderungsbescheides vom 18. April 2001 geäußert und die Rechtsauffassung vertreten, das FA sei nur berechtigt gewesen, den vorläufigen Feststellungsbescheid insgesamt aufzuheben. Eine Hinweis- oder Aufklärungspflicht des FG kann im Übrigen auch deshalb nicht verletzt worden sein, weil das FA im Streitfall mit der Endgültigkeitserklärung einem Klagebegehren des Klägers, der ausdrücklich die Rechtswidrigkeit des Vorläufigkeitsvermerks gerügt hatte, entsprochen hat.

b) Soweit der Kläger geltend macht, das FG sei verpflichtet gewesen, seinem Antrag auf Vertagung und Gewährung einer Schriftsatzfrist für eine Stellungnahme zum Ergebnis der Beweisaufnahme und zu der geänderten Prozesslage zu entsprechen, ergibt sich hieraus ebenfalls keine Verletzung seines Rechts auf Gehör. Denn der Prozessbevollmächtigte des Klägers hatte in der mündlichen Verhandlung Gelegenheit, sich i.S. von § 96 Abs. 2 FGO zu dem Ergebnis der Beweisaufnahme zu äußern. Dass er diese Gelegenheit --wie sich aus dem Protokoll der mündlichen Verhandlung ergibt-- hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme ausdrücklich nicht wahrgenommen hat, geht zu Lasten des Klägers.

Warum die Gelegenheit zur Äußerung in der mündlichen Verhandlung nach den konkreten Umständen des Streitfalls nicht ausreichend war, hat der Kläger nicht konkret dargelegt. Er hat lediglich unsubstantiiert behauptet, eine Schriftsatzfrist sei erforderlich gewesen, "um noch einmal umfassend ... Stellung nehmen zu können". Es sind keine Gründe ersichtlich, warum der Prozessvertreter des Klägers nicht sofort im Anschluss an die Zeugeneinvernahme hätte Stellung nehmen können. Denn es ging lediglich um die einfache und überschaubare Frage, ob dem FA --entgegen dem konkreten Inhalt der Steuerakte-- zu einem früheren Zeitpunkt eine ordnungsgemäße und vollständige Anzeige des Erwerbsvorgangs seitens des Notars vorgelegen hat. Dies haben die beiden Zeugen verneint.

Zu dem veränderten Verfahrensstand nach dem Erlass des Änderungsbescheides hat sich der Prozessvertreter des Klägers im Übrigen geäußert und ausweislich des Protokolls der mündlichen Verhandlung geltend gemacht, das FA sei nicht berechtigt gewesen, die Nebenbestimmung ("vorläufig") isoliert aufzuheben. Was diesbezüglich darüber hinaus noch hätte vorgetragen werden sollen, wird in der Beschwerdebegründung nicht mitgeteilt.

c) Entgegen der Auffassung des Klägers liegt auch kein Verstoß gegen § 76 Abs. 2 FGO vor, soweit die Berichterstatterin das FA in einer schriftlichen, beiden Prozessbeteiligten vor der mündlichen Verhandlung übermittelten Verfügung darauf hingewiesen hat, dass nach ihrer Auffassung die Feststellung nicht hätte vorläufig erfolgen dürfen und deshalb der Feststellungsbescheid vom FG insgesamt aufgehoben werden müsste. Vielmehr entspricht dieser Hinweis den allgemeinen Hinweis- und Aufklärungspflichten des FG. Es hat dem FA damit die Möglichkeit gegeben, den Kläger, der u.a. die Rechtswidrigkeit des Vorläufigkeitsvermerks geltend gemacht hatte, insoweit klaglos zu stellen. Anhaltspunkte dafür, dass das FG "sich damit einseitig auf die Seite des FA stellen" und diesem "ein Unterliegen ersparen" wollte, sind nicht erkennbar.

Ende der Entscheidung

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