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Gericht: Bundesfinanzhof
Beschluss verkündet am 07.08.2006
Aktenzeichen: II B 127/05
Rechtsgebiete: AO 1977, FGO, ZPO


Vorschriften:

AO 1977 § 173 Abs. 1 Nr. 1
FGO § 82
FGO § 94
FGO § 96 Abs. 1
FGO § 115 Abs. 2 Nr. 3
FGO § 116 Abs. 6
FGO § 128 Abs. 1
FGO § 128 Abs. 2
FGO § 155
ZPO § 164
ZPO § 165
ZPO § 415
ZPO § 418
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

I. Die Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) sind Eheleute. Der Kläger heißt mit Vornamen A-B, unterschreibt jedoch mit dem Rufnamen A. Der inzwischen verstorbene Vater hieß mit Vornamen C-A. Auf die Stichtage 1. Januar 1989 und 1992 bis 1995 waren Vermögensteuerbescheide ergangen, denen erklärungsgemäß ein Kapitalvermögen von 102 000 DM bis 225 000 DM zugrunde lag. Nach im Mai 1999 eingeleiteten steuerstrafrechtlichen Ermittlungen erließ der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) am 9. August 2001 gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) geänderte Vermögensteuerbescheide gegen die Kläger, und zwar auf den 1. Januar 1989, 1993 und 1995 im Wege der Hauptveranlagung sowie auf den 1. Januar 1992 und 1994 durch Neuveranlagungen. Zugrunde lag --dem Bericht der Steuerfahndung folgend-- ein Kapitalvermögen ansteigend von über 2 Mio. DM auf den 1. Januar 1989 bis 3,9 Mio. DM auf den 1. Januar 1995, das überwiegend bei der X-Bank in der Schweiz angelegt gewesen sein soll.

Die Steuerfahndung hatte festgestellt:

1. Ein Schreiben vom 4. Juni 1998, das ein Anwalt des Vaters an den Kläger gerichtet hatte und in dem der Vater unter Hinweis auf ein gemeinsames Wertpapierdepot in der Schweiz darum bat, ihm, dem Vater, von seinen Papieren im Wert von über 400 000 DM einen Teil auszuhändigen.

2. Am 31. Dezember 1987 wies ein Konto des Klägers bei einer Raiffeisenbank in Deutschland ein Guthaben von 1 023 851 DM auf. Davon wurden im Mai 1988 830 000 DM bar abgehoben.

3. Mit Sendungsbegleitschreiben vom 8. September 1992 transferierte die Filiale der X-Bank in N

a) Zerobonds im Wert von 1 300 000 DM und

b) Investmentpapiere im Wert von 975 000 DM

über das bei der X-Bank in F geführte Konto 510 000 000 auf die X-Bank in der Schweiz unter Angabe der AVIS-Nr. 1111.

4. Am 5. Februar 1993 hob der Kläger einen Betrag von 549 000 DM von seinem Konto bei der X-Bank in N bar ab. Am gleichen Tag wurde ein Betrag in dieser Höhe bei derselben Bank auf das Konto 600 100 000 bei der X-Bank F --bestimmt für die X-Bank in der Schweiz-- eingezahlt und dabei als Verwendungszweck die AVIS-Nr. 1111 angegeben.

5. Mit Sendungsbegleitschreiben vom 6. Oktober 1992 transferierte die Filiale der X-Bank in N A-Fonds-Anteile im Wert von 800 000 DM über das Konto 510 000 000 bei der X-Bank in F auf die X-Bank in der Schweiz unter Angabe der AVIS-Nr. 1222.

6. Am 30. Dezember 1992 hob der Kläger einen Betrag von 109 000 DM von seinem Konto bei der X-Bank in N bar ab. Noch im Dezember 1992 wurde ein Betrag von 89 000 DM bei derselben Bank auf das Konto 600 100 000 bei der X-Bank in F --bestimmt für die X-Bank in der Schweiz-- unter Angabe der AVIS-Nr. 1222 eingezahlt.

7. Laut Wertpapierauftrag vom 3. Dezember 1992 hat der Vater des Klägers ein Wertpapierdepot unter Angabe der AVIS-Nr. 1222 von der X-Bank N auf die X-Bank in der Schweiz übertragen. Das Formular für die Ausführungsüberwachung war in Teilen maschinell ausgefüllt. Als Begünstigter war der Vater des Klägers maschinell eingesetzt. Teile des Formulars sind handschriftlich ausgefüllt. Dazu gehören die Depotnummer der Schweizer X-Bank bei der X-Bank in F, die AVIS-Nummer, die Ergänzung der Begünstigten-Angabe C um den Zusatz X-Bank Schweiz sowie die Streichung des Vornamens "C" und dessen Ersetzung durch den Vornamen "A". Hinsichtlich eines Teils der Papiere hatte der Kläger ebenfalls am 3. Dezember 1992 die Übertragung auf den Vater veranlasst.

Die Steuerfahndung und ihr folgend das FA waren der Ansicht, die AVIS-Nummern seien dem Kläger zum Zweck der Verschlüsselung zugeteilt worden, so dass er Begünstigter der unter Angabe dieser Nummer vorgenommenen Transfers sei. Die nach vergeblichem Einspruch gegen die Änderungsbescheide erhobene Klage hatte nur zu 2/5 Erfolg. Das Finanzgericht (FG) bestätigte eine Schätzungsbefugnis des FA. Dabei bezog es sich zunächst auf das Anwaltsschreiben vom 4. Juni 1998 sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung, wonach der Prozessbevollmächtigte der Kläger erklärt hatte, der Kläger habe am 1. Januar 1989 ein Bankvermögen von 1 Mio. DM besessen. Beides zeige, dass die Vermögensteuererklärungen der Kläger auf den 1. Januar 1989 und 1992 bis 1995 nicht zutreffen können. Weiter ergäben die festgestellten Vermögenstransfers in die Schweiz, dass der Kläger dort Kapitalvermögen angelegt gehabt habe. Die als Zeugen vernommenen Fahndungsbeamten hätten bestätigt, dass die AVIS-Nummern dem Kläger zuzuordnen seien. Allerdings sei die konkrete Höhe des zu den jeweiligen Stichtagen vorhandenen Kapitalvermögens nicht zu ermitteln. Daher sei die Höhe zu schätzen. Dabei nahm das FG die zum Teilerfolg der Klage führenden Korrekturen vor. Festsetzungsverjährung sei bei Einleitung des Ermittlungsverfahrens noch nicht eingetreten gewesen, weil die Steuern auf das nicht erklärte Vermögen hinterzogen worden seien.

Mit der Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision machen die Kläger als "Verfahrensmängel" geltend:

1. Das Protokoll der mündlichen Verhandlung gebe die Erklärung des Prozessbevollmächtigten fehlerhaft wieder. Er, der Kläger, habe nicht am 1. Januar 1989, sondern am 1. Januar 1988 ein Bankvermögen von 1 Mio. DM besessen. Dies habe der Bevollmächtigte auch so erklärt. Zu Unrecht habe das FG aber einen entsprechenden Antrag auf Protokollberichtigung mit Beschluss vom 24. Oktober 2005 abgelehnt. Bezogen auf den Stichtag 1. Januar 1989 widerspreche die Erklärung dem gesamten vorherigen Verfahren und damit den Denkgesetzen. Auf diese falsch wiedergegebene, zumindest aber inhaltlich falsche Erklärung habe das FG die von ihm angenommene Schätzungsbefugnis des FA maßgeblich gestützt.

2. Zu Unrecht habe es das FG mit Beschluss vom 25. August 2005 abgelehnt, die mündliche Verhandlung wieder zu eröffnen, nachdem der als Zeuge vernommene Bankangestellte einzelne seiner Aussagen nachträglich mit Schreiben vom 22. August 2005 richtiggestellt habe. Hätte das FG diese Korrekturen aufgenommen, hätte es die AVIS-Nummern nicht --wie geschehen-- ihm, dem Kläger, zuordnen können.

3. Diese Verknüpfung der AVIS-Nummern mit dem Kläger beruhe auf unrichtigen und unvollständigen Feststellungen, und zwar:

a) Die Konten 510 000 000 und 600 100 000 bei der X-Bank in F seien Sammelkonten der X-Bank in der Schweiz und nicht Konten des Klägers.

b) Die Abhebung und Einzahlung von 549 000 DM im Februar 1993 "rechtfertigen keinen Zusammenhang mit einer ganz fremden AVIS-Nummer".

c) Die Abhebung der 109 000 DM und Bareinzahlung der 89 000 DM im Dezember 1992 seien zu Unrecht zu einem Vorgang zusammengefasst worden. Nach den Buchungsnummern sei die Einzahlung vor der Abhebung erfolgt, und zwar vom Vater des Klägers.

d) Es sei ungeklärt, wer bei der Depotübertragung im Dezember 1993 den Empfängernamen von C in A geändert habe. Er, der Kläger, sei jedenfalls nicht Empfänger der Übertragung.

e) Die X-Bank in der Schweiz sei keine Filiale der deutschen X-Bank, sondern eine selbständige Tochtergesellschaft.

f) Das FG habe es unterlassen, seinem, des Klägers, Vorbringen nachzugehen, wie er die im Mai 1988 abgehobenen 830 000 DM ausgegeben haben will, und den angebotenen Beweis über den Kauf eines BMW übergangen.

4. Das FG habe das Schreiben des Anwalts des Vaters vom 4. Juni 1998 fehlerhaft gewürdigt. Die darin enthaltene Behauptung, Vater und Sohn hätten ein gemeinsames Wertpapierdepot, sei unsubstantiiert gewesen. Dazu hätten sie, die Kläger, Beweis durch Vernehmung des Anwalts, den der Kläger als Erbe von der Schweigepflicht entbunden habe, angeboten.

5. Es hätte von Amts wegen Sachverständigenbeweis über die Bedeutung der AVIS-Nummern erhoben werden müssen.

II. Die Beschwerde ist begründet.

Dem Vortrag der Kläger, die in der Niederschrift über die mündliche Verhandlung wiedergegebene Erklärung ihres Prozessbevollmächtigten, am 1. Januar 1989 sei ein Kapitalvermögen von 1 Mio. DM vorhanden gewesen, sei so nicht abgegeben worden, zumindest aber inhaltlich falsch, weil es richtig 1988 hätte heißen müssen, ist im Hinblick auf den behaupteten inhaltlichen Fehler der Erklärung die zulässige Rüge eines Verfahrensfehlers nach § 96 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zu entnehmen. Gemäß dieser Vorschrift hat das Gericht nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung zu entscheiden. Dies hat das FG --wie von den Klägern zutreffend gerügt-- nicht getan, indem es die Erklärung, das Vermögen sei am 1. Januar 1989 vorhanden gewesen, isoliert von dem gesamten bisherigen Verlauf des steuerstrafrechtlichen Ermittlungsverfahrens, des Steuerfestsetzungsverfahrens und des finanzgerichtlichen Verfahrens (ohne erkennbare Nachfrage) als richtig gewertet hat, obwohl zuvor stets lediglich von einem derartigen Vermögen zum 1. Januar 1988 die Rede war. Der gerügte Verfahrensmangel ist auch rechtserheblich, da die Vorentscheidung maßgeblich auf dem Vorhandensein eines Bankvermögens von 1 Mio. DM am 1. Januar 1989 beruht. Der Rüge stehen auch die Vorschriften über eine Protokollberichtigung oder über die Beweiskraft öffentlicher Urkunden nicht entgegen.

1. Die Kläger haben die in der Niederschrift über die mündliche Verhandlung wiedergegebene Erklärung des Prozessbevollmächtigten, er, der Kläger, habe am 1. Januar 1989 ein Bankvermögen von 1 Mio. DM besessen, auf zweierlei Weise angegriffen. Sie haben einmal behauptet, die Erklärung sei so wie protokolliert nicht abgegeben worden; vielmehr sei erklärt worden, das Bankvermögen habe zum 1. Januar 1988 vorgelegen. Träfe diese Behauptung zu, wäre das Protokoll bezüglich der Jahreszahl unrichtig. Sie haben ferner behauptet, die Erklärung sei zwar richtig protokolliert, aber inhaltlich falsch; das Bankvermögen habe nicht am 1. Januar 1989, sondern am 1. Januar 1988 vorgelegen.

a) Soweit das Protokoll auf die erste Weise angegriffen worden ist, muss --wovon die Kläger auch erfolglos Gebrauch gemacht haben-- eine Protokollberichtigung gemäß § 94 FGO i.V.m. § 164 der Zivilprozessordnung (ZPO) beantragt werden und scheidet ein mit der Nichtzulassungsbeschwerde verfolgbarer Verfahrensfehler i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO aus. Letzteres ergibt sich aus denselben Gründen, aus denen gegen die Ablehnung des Berichtigungsantrags trotz des § 128 Abs. 1 und Abs. 2 FGO eine Beschwerde nicht statthaft war (zur Statthaftigkeit einer Beschwerde gegen die Ablehnung einer Protokollberichtigung vgl. Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 3. August 2001 IV B 49/01, BFH/NV 2002, 43). Dem Gericht, das über die Nichtzulassungsbeschwerde zu entscheiden hat, ist es nämlich ebenso wie dem Beschwerdegericht nach § 128 Abs. 1 FGO nicht möglich, die Begründetheit der Rüge einer fehlerhaften Protokollierung zu beurteilen. Dazu sind nur diejenigen Personen in der Lage, die an der mündlichen Verhandlung teilgenommen haben. Eine Vernehmung des Erstrichters und des Protokollführers durch das Beschwerdegericht kommt insoweit nicht in Betracht (Stöcker in Beermann/Gosch, Steuerliches Verfahrensrecht, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 94 AO 1977 Anm. 83).

b) Soweit die Kläger die Sitzungsniederschrift wegen sachlicher Unrichtigkeit der zu Protokoll abgegebenen Erklärung angegriffen haben, kann dies im Rahmen einer Verfahrensrüge nur geltend gemacht werden, wenn dem nicht die Beweiskraft des Protokolls als öffentlicher Urkunde entgegensteht. Dies ist jedoch vorliegend nicht der Fall. Zwar ist insoweit, als es darum geht, ob die für die mündliche Verhandlung vorgeschriebenen Förmlichkeiten gewahrt sind, gegen den Inhalt des Protokolls gemäß § 94 FGO i.V.m. § 165 ZPO nur der Nachweis der Fälschung zulässig; darum geht es aber bei der behaupteten sachlichen Unrichtigkeit der protokollierten Jahreszahl nicht. Ansonsten ist das Protokoll eine öffentliche Urkunde, deren Beweiskraft über die einer jeden Urkunde nur insoweit hinausgeht, wie dies gesetzlich vorgeschrieben ist. Derartige Normen stellen für den Zivilprozess die §§ 415 und 418 ZPO dar. Die Vorschriften werden jedoch durch § 82 FGO nicht in Bezug genommen. Ihnen soll daher nach dem Urteil des BFH vom 7. März 1969 I R 68/67 (BFHE 95, 395, BStBl II 1969, 444) auch nicht über § 155 FGO Geltung für den Finanzprozess zukommen. Vielmehr habe der Gesetzgeber die richterliche Beweiswürdigung im finanzgerichtlichen Verfahren bewusst nicht einengen wollen (für eine Anwendung des Rechtsgedankens des § 418 ZPO auch im finanzgerichtlichen Verfahren: BFH-Urteil vom 17. Oktober 1972 VIII R 36-37/69, BFHE 108, 141, BStBl II 1973, 271). Im Streitfall kann dahingestellt bleiben, ob die §§ 415 und 418 ZPO oder ein diesen Vorschriften zugrunde liegender Rechtsgedanke auch im Finanzrechtsstreit anwendbar ist. Denn die Frage, ob das Bankvermögen von 1 Mio. DM am 1. Januar 1988 oder am 1. Januar 1989 vorgelegen hat, ist eine Frage der inhaltlichen Richtigkeit der Erklärung. Als solche fällt sie weder unter die Regelung in § 415 ZPO (vgl. Baumbach/ Lauterbach/Albers/Hartmann, Zivilprozessordnung, Kommentar, 64. Aufl. 2006, § 415 Anm. 8), noch betrifft sie bezeugte Tatsachen i.S. des § 418 ZPO, da es sich dabei nicht um eine eigene Wahrnehmung des protokollierenden Richters bzw. Urkundsbeamten handelt (vgl. Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, a.a.O., § 418 Anm. 6). Die inhaltliche Unrichtigkeit der Erklärung des Prozessbevollmächtigten unterliegt daher der freien Beweiswürdigung des FG nach § 96 Abs. 1 FGO. Infolgedessen hätte sie eingebettet in das Gesamtergebnis des Verfahrens gewürdigt werden müssen. Dies ist nicht geschehen.

2. Der Senat hält es für sachgerecht, gemäß § 116 Abs. 6 FGO die Vorentscheidung wegen dieses Verfahrensfehlers aufzuheben und den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen. Zur Klarstellung sei darauf hingewiesen, dass eine dem § 96 Abs. 1 FGO entsprechende Überzeugungsbildung zum selben Ergebnis führen kann wie im 1. Rechtszug.

Ende der Entscheidung

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