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Gericht: Bundesfinanzhof
Beschluss verkündet am 22.07.2004
Aktenzeichen: II B 26/03
Rechtsgebiete: GrEStG, FGO


Vorschriften:

GrEStG § 1 Abs. 1 Nr. 1
GrEStG § 1 Abs. 1 Nr. 5
GrEStG § 5 Abs. 2
FGO § 76
FGO § 96 Abs. 1 Satz 1
FGO § 116 Abs. 6
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

I. Die Grundstücke 26 und 27 sowie 1 bis 3 waren zusammen im Abstand von wenigen Wochen Gegenstand zweier Verträge. Zunächst veräußerte die X-Gesellschaft bürgerlichen Rechts (X-GbR) am 12. April 1995 die Grundstücke für 7 Mio. DM an einen der beiden Gesellschafter der Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin), ebenfalls eine GbR. In ein und derselben notariellen Urkunde vom 8. Juni 1995 hoben die Vertragspartner den Kaufvertrag wieder auf, und veräußerte sodann die X-GbR die Grundstücke zu im Wesentlichen gleichen Bedingungen an die Klägerin. Zu diesen Bedingungen gehörte, dass die X-GbR die Zahlung der Grunderwerbsteuer übernommen hatte.

Diese zweite Veräußerung veranlasste den Beklagten und Beschwerdegegner (Finanzamt --FA--) nacheinander zu folgenden Bescheiden:

1. Am 27. November 1996 setzte er eine Grunderwerbsteuer von 140 000 DM gegen die X-GbR fest.

2. Am 10. Juli 1997 setzte er eine Grunderwerbsteuer von 63 000 DM gegen die Klägerin fest. Dabei ging er davon aus, dass es sich bei dem Vorgang vom 8. Juni 1995 nicht um einen Neuabschluss des Grundstückskaufvertrags gehandelt habe, sondern um eine Vertragsübernahme durch die Klägerin, die gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 5 des Grunderwerbsteuergesetzes (GrEStG) zu besteuern, aber gemäß § 5 Abs. 2 des Gesetzes teilweise steuerfrei sei.

3. Am 23. Juli 1997 hob er den Bescheid vom 27. November 1996 gegen die X-GbR --ausgehend von der Vorstellung einer Vertragsübernahme-- auf. Die Aufhebung wurde bestandskräftig.

4. Am 6. August 1999 setzte er ein weiteres Mal gegen die Klägerin --diesmal auf der Grundlage des § 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG-- eine Grunderwerbsteuer fest, und zwar in der vollen Höhe von 140 000 DM. Zwischenzeitlich war es nämlich zu einem Rechtsstreit über den Bescheid vom 10. Juli 1997 gekommen, in dem sich die spätere Entscheidung des Finanzgerichts (FG) vom 8. Juni 2000 abgezeichnet hatte, den Bescheid vom 10. Juli 1997 aufzuheben. Das FG war der Ansicht, ein Erwerbsvorgang nach § 1 Abs. 1 Nr. 5 GrEStG liege nicht vor, weil die Vereinbarungen vom 8. Juni 1995 einen Neuabschluss zwischen der X-GbR und der Klägerin darstellten.

Einspruch und Klage, mit denen sich die Klägerin gegen ihre Inanspruchnahme vom 6. August 1999 wandte, da sie als Gesamtschuldnerin nicht mehr hätte herangezogen werden dürfen, blieben erfolglos. Das FG meinte, da die X-GbR wegen der bestandskräftigen Aufhebung des gegen sie gerichteten Bescheides vom 27. November 1996 nicht mehr habe besteuert werden können, sei es ermessensfehlerfrei gewesen, die Klägerin in Anspruch zu nehmen.

Mit der Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision rügt die Klägerin, gestützt auf § 76 der Finanzgerichtsordnung (FGO), das FG habe als entscheidungserheblichen Bestandteil der Akten unberücksichtigt gelassen, dass die X-GbR die mit Bescheid vom 27. November 1996 gegen sie festgesetzte Steuer von 140 000 DM --und nicht wie im Tatbestand der Vorentscheidung fälschlich angegeben 63 000 DM-- gezahlt hatte, das FA diese Steuer aber aufgrund der Aufhebungsverfügung vom 23. Juli 1997 ohne Zutun der X-GbR auf eine gegen diese für den ursprünglichen Erwerbsvorgang vom 12. April 1995 festgesetzte Steuer umgebucht habe. Dieser Vorgang ergebe sich zwar aus den Grunderwerbsteuerakten zu einem anderen Aktenzeichen; die Akten hätten dem FG jedoch vorgelegen, wie sich darin zeige, dass es aus ihnen zitiere.

Unter Berücksichtigung dieser vom FG übergangenen Tatsachen ergäben sich die Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung, ob durch Umbuchung der auch zu ihren, der Klägerin, Gunsten wirkenden Zahlung seitens der X-GbR, die zu einem Erlöschen der Gesamtschuld geführt habe, die Schuld wieder aufgelebt sei und/oder ob das FA durch diesen Vorgang das Recht verwirkt habe, sie, die Klägerin, als weiteren Gesamtschuldner in Anspruch zu nehmen.

Das FG ist der Beschwerde entgegengetreten.

II. Die Beschwerde ist begründet. Die Verfahrensrüge der Klägerin (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO) greift durch; die grundsätzliche Bedeutung der aufgeworfenen Rechtsfragen kann daher auf sich beruhen.

Das Nichtberücksichtigen entscheidungserheblicher Umstände kann verfahrensfehlerhaft sein, wenn das FG seiner Sachaufklärungspflicht (§ 76 Abs. 1 FGO) nicht nachgekommen ist oder nicht das Gesamtergebnis des Verfahrens berücksichtigt, insbesondere nach Aktenlage feststehende Tatsachen unberücksichtigt gelassen hat (§ 96 Abs. 1 Satz 1 FGO). Zur schlüssigen Darlegung eines derartigen Verfahrensfehlers ist vorzutragen, dass die Vorentscheidung unter Beachtung der ihr zugrunde liegenden materiell-rechtlichen Auffassung möglicherweise anders ausgefallen wäre, wenn dem FG der gerügte Verfahrensfehler nicht unterlaufen wäre (vgl. Beschlüsse des Bundesfinanzhofs vom 18. Mai 2000 VII B 36/99, BFH/NV 2000, 1355, sowie vom 19. Mai 2000 X B 75/99, BFH/NV 2000, 1458).

Diesen Anforderungen hat die Klägerin im Hinblick auf eine Verletzung des § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO genügt. Dass sie dabei nur auf § 76 FGO verwiesen hat, ist unschädlich. Sinngemäß macht die Klägerin geltend, der Vorentscheidung liege inzidenter die materielle Rechtsauffassung des FG zugrunde, dass die Grunderwerbsteuerschuld der Klägerin am 6. August 1999 noch bestanden habe, und dass das FG diesen Standpunkt möglicherweise nicht eingenommen hätte, wenn es die Zahlung der Steuer durch die X-GbR sowie die Umbuchung zur Kenntnis genommen hätte. Außerdem trägt sie vor, bei Kenntnis dieser Tatsachen sei eine andere Entscheidung des FG möglich gewesen. Letzteres ist nicht von vornherein ausgeschlossen (vgl. Hübschmann/Hepp/Spitaler, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 44 AO 1977 Anm. 30; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 44 AO 1977 Anm. 22; Beermann, Steuerliches Verfahrensrecht, § 44 AO 1977 Anm. 61).

Der Senat hält es für sachgerecht, die Vorentscheidung gemäß § 116 Abs. 6 FGO aufzuheben und den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.

Ende der Entscheidung

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