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Gericht: Bundesfinanzhof
Beschluss verkündet am 05.08.2004
Aktenzeichen: II B 26/04
Rechtsgebiete: AO 1977


Vorschriften:

AO 1977 § 170 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

I. Mit notariellem Vertrag vom ... Mai 1998 haben sich in der Hand der Antragstellerin und Beschwerdeführerin (Antragstellerin), einer GmbH mit Sitz der Geschäftsleitung in A, alle Anteile an der K-GmbH vereinigt. Der der K-GmbH gehörende Grundbesitz befindet sich u.a. im Bezirk des Antragsgegners und Beschwerdegegners (Finanzamt --FA--).

Die Antragstellerin zeigte die Anteilsvereinigung nicht an; das Veranlagungs-FA erhielt hiervon erst nach einer Betriebsprüfung am ... Juni 2000 Kenntnis. Es stellte die Besteuerungsgrundlagen für die Grunderwerbsteuer durch Bescheid vom ... Dezember 2002 unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gesondert fest und bat das beklagte FA um Feststellung der Grundstückswerte für die in seinem Bezirk gelegenen Grundstücke. Dieses forderte die Antragstellerin durch Schreiben vom ... Februar 2003 zur Abgabe der Feststellungserklärung auf. Am ... Mai 2003 legte die Antragstellerin die Feststellungserklärung vor. Zum Nachweis eines niedrigeren gemeinen Werts verwies sie auf ein Sachverständigengutachten, welches den Wert der Grundstücke auf den ... April 2002 mit xxx € angibt.

Das FA folgte dem nicht, sondern stellte durch Bescheid vom ... November 2003 auf der Grundlage der durchschnittlichen Nettokaltmieten der letzten drei Jahre vor dem Besteuerungszeitpunkt den Grundbesitzwert auf xxx € fest.

Mit dem Einspruch machte die Antragstellerin geltend, die Feststellungsfrist sei mit Ablauf des Jahres 2002 abgelaufen. Diese habe mit Ablauf des Jahres 1998 begonnen und betrage vier Jahre. Die Voraussetzungen des § 170 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO 1977), wonach bei Verstoß gegen Anzeigepflichten der Beginn der Frist bis maximal drei Jahre hinausgeschoben werde, lägen nicht vor, da die Anzeigepflicht nur gegenüber dem Veranlagungs-FA, nicht jedoch gegenüber dem beklagten FA bestanden habe.

Gleichzeitig mit dem Einspruch beantragte die Antragstellerin, die Vollziehung des Feststellungsbescheids auszusetzen. Diesen Antrag lehnte das FA ab. Daraufhin beantragte die Antragstellerin beim Finanzgericht (FG) die Aussetzung der Vollziehung. Auch das FG lehnte den Antrag ab und führte zur Begründung aus, die Feststellungsfrist sei entgegen der Auffassung der Antragstellerin nicht abgelaufen. Denn im Streitfall habe der Feststellungsbescheid des Veranlagungs-FA vom ... Dezember 2002, der insoweit für den angefochtenen Feststellungsbescheid betreffend den Grundbesitzwert als Grundlagenbescheid anzusehen sei, nach § 171 Abs. 10 AO 1977 bewirkt, dass die Feststellungsfrist für den vom beklagten FA erlassenen Feststellungsbescheid (Grundbesitzwertfeststellung) hinausgeschoben worden sei.

Das FG hat die Beschwerde zugelassen. Mit dieser macht die Antragstellerin weiterhin geltend, die Feststellung sei rechtswidrig, weil die Feststellungsfrist abgelaufen sei.

Die Antragstellerin beantragt, den Beschluss des Thüringer FG vom 4. Februar 2004 aufzuheben und die Vollziehung des angefochtenen Bescheids über die gesonderte Feststellung des Grundbesitzwerts auf den ... Mai 1998 vom ... November 2003 auszusetzen.

Das FA beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.

II. Die vom FG zugelassene (§ 128 Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung --FGO--) und auch im Übrigen zulässige Beschwerde der Antragstellerin ist nicht begründet. Das FG ist im Ergebnis zutreffend zu der Erkenntnis gelangt, dass ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Feststellungsbescheids nicht bestehen, insbesondere dass Feststellungsverjährung nicht eingetreten ist.

Nach § 69 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 FGO soll das Gericht der Hauptsache die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsaktes ganz oder teilweise aussetzen, wenn ernstliche Zweifel an dessen Rechtmäßigkeit bestehen. Derartige Zweifel sind zu bejahen, wenn bei summarischer Prüfung des angefochtenen Steuerbescheids neben für seine Rechtmäßigkeit sprechende Umstände gewichtige Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung von Rechtsfragen oder Unklarheiten in der Beurteilung von Tatfragen bewirken (vgl. Beschlüsse des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 10. Februar 1967 III B 9/66, BFHE 87, 447, BStBl III 1967, 182; vom 19. März 1998 VIII B 85/95, BFH/NV 1998, 969). Solche Zweifel sind im Streitfall bei der in diesem Verfahren gebotenen und ausreichenden summarischen Prüfung nicht gegeben.

Der Bescheid des FA über die Feststellung des Grundbesitzwerts vom ... November 2003 ist nicht wegen Ablaufs der Feststellungsverjährung rechtswidrig. Die Feststellungsfrist begann nämlich nicht --wie die Antragstellerin meint-- bereits mit Ablauf des Jahres 1998, sondern erst mit Ablauf des Jahres 2000.

Die AO 1977 sieht für den Erlass von Feststellungsbescheiden eine eigenständige Feststellungsfrist vor (vgl. § 181 Abs. 3 Satz 1 AO 1977), die unabhängig von der Festsetzungsverjährung der Folgesteuern zu ermitteln ist (vgl. BFH-Urteil vom 4. April 1989 VIII R 265/84, BFHE 156, 371, BStBl II 1989, 593; Ruban in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 171 AO 1977 Tz. 101). Für die gesonderte Feststellung gelten die Vorschriften über die Durchführung der Besteuerung sinngemäß (§ 181 Abs. 1 Satz 1 AO 1977). Entsprechend anzuwenden sind somit auch, soweit nicht die Absätze 3 bis 5 des § 181 AO 1977 Sonderregelungen enthalten, die Vorschriften über die Festsetzungsverjährung gemäß §§ 169 ff. AO 1977 und damit auch die Regelung in § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO 1977 (BFH-Urteil vom 27. April 1993 VIII R 27/92, BFHE 171, 392, BStBl II 1994, 3). Danach beginnt abweichend von § 170 Abs. 1 AO 1977 die Festsetzungsfrist und damit auch die Feststellungsfrist in den Fällen, in denen eine Anzeige zu erstatten ist, erst mit Ablauf des Kalenderjahrs, in dem die Anzeige eingereicht wird, spätestens jedoch mit Ablauf des dritten Kalenderjahrs, das auf das Kalenderjahr folgt, in dem die Steuer entstanden ist. Zweck der Bestimmung ist es zu vermeiden, dass die Festsetzungs-/Feststellungsfrist schon beginnt, bevor die Finanzbehörde etwas vom Entstehen des Steueranspruchs erfahren hat. Der Steuerpflichtige soll nicht durch einen Verstoß gegen seine Anzeigepflicht die der Finanzbehörde zur Verfügung stehende Zeit zur Prüfung des Steuerfalls verkürzen können (Klein/Rüsken, Abgabenordnung, 8. Aufl. 2003, § 170 Rz. 5; vgl. auch BFH-Beschluss vom 7. Dezember 1999 II B 79/99, BFHE 190, 220, BStBl II 2000, 233). Der Anzeige steht das tatsächliche Kenntniserlangen des FA gleich, soweit der o.g. Sicherungszweck des § 170 Abs. 2 Nr. 1 AO 1977 kein weiteres Hinausschieben des Beginns der Festsetzungsfrist erfordert (BFH-Urteile vom 4. August 1976 II R 20/71, BFHE 119, 387, BStBl II 1977, 123, und vom 30. Oktober 1996 II R 70/94, BFHE 181, 274, BStBl II 1997, 11).

Im Streitfall war die Antragstellerin nach § 19 Abs. 1 Nr. 5 des Grunderwerbsteuergesetzes (GrEStG) i.V.m. § 13 Nr. 5 GrEStG als "Erwerberin" und damit Steuerschuldnerin verpflichtet, die Anteilsvereinigung anzuzeigen. Dieser Anzeigepflicht ist sie nicht nachgekommen.

Der Umstand, dass die Anzeige an das für die Besteuerung bzw. das für die Feststellung der Besteuerungsgrundlagen zuständige FA, somit an das Veranlagungs-FA und nicht an das beklagte FA zu richten gewesen wäre, steht weder der Annahme eines Pflichtverstoßes noch der sich hieraus nach § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO 1977 ergebenden Rechtsfolge bezüglich der Feststellungsfrist entgegen. Denn nach Sinn und Zweck dieser Vorschrift, der Finanzbehörde eine ausreichende Bearbeitungszeit zu sichern, kann es nicht darauf ankommen, bei welcher von mehreren am Besteuerungsverfahren beteiligten Behörden die Anzeige zu erstatten ist (vgl. BFH-Urteil vom 26. November 1991 VII R 38/90, BFHE 167, 179, BStBl II 1992, 440 zur Kraftfahrzeugsteuer), sondern allein darauf, ob durch den Verstoß gegen die Anzeigepflicht die dem FA regelmäßig eingeräumte Bearbeitungsfrist von vier Jahren verkürzt wurde.

Im Streitfall ist als Folge des Verstoßes gegen die Anzeigepflicht eine derartige Verkürzung der Bearbeitungszeit nicht nur beim Veranlagungs-FA, sondern auch beim beklagten FA eingetreten. Denn dieses konnte mangels Anzeige der Anteilsvereinigung durch die Klägerin, die nach § 20 Abs. 1 Nrn. 2 und 3 GrEStG u.a. auch genaue Angaben zu den hiervon betroffenen Grundstücken zu machen hatte, erst verspätet vom Veranlagungs-FA gebeten werden, den Grundbesitzwert festzustellen. Das Veranlagungs-FA war nicht in der Lage zu erkennen und zu prüfen, ob "Bedarf" i.S. von § 138 Abs. 5 Satz 1 des Bewertungsgesetzes (BewG) zur Feststellung des Grundbesitzwerts durch das beklagte FA bestand. Der Verstoß gegen die Anzeigepflicht hatte somit nicht nur Auswirkungen auf das beim Veranlagungs-FA geführte Besteuerungs- bzw. Feststellungsverfahren, sondern auch auf das auf die Feststellung des Grundbesitzwerts gerichtete Verfahren beim beklagten FA. Für die Feststellung des Grundbesitzwerts stünde nicht mehr die volle vierjährige Bearbeitungszeit zur Verfügung, wenn man der Auffassung der Antragstellerin folgte und die Anlaufhemmung der Feststellungsfrist verneinte.

Die Sondervorschriften in § 181 Abs. 3 bis 5 AO 1977 hinsichtlich der Feststellungsfrist bei der gesonderten Feststellung von Einheitswerten, die für die Feststellung der Grundbesitzwerte nach § 138 Abs. 5 Satz 3 BewG sinngemäß gelten, stehen dieser Beurteilung nicht entgegen. Diese regeln nämlich lediglich die Frage, welche Rechtsfolgen sich bei verspäteter Abgabe einer Feststellungserklärung ergeben, nicht jedoch, welche Rechtsfolgen eintreten, wenn ein Verstoß gegen Anzeigepflichten gegeben ist. Diesbezüglich liegen keine Spezialregelungen vor, die die über § 181 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 in Bezug genommene Regelung bezüglich der Rechtsfolgen bei einem Verstoß gegen Anzeigepflichten in § 170 Abs. 2 AO 1977 verdrängen könnten.

Im Streitfall begann danach die Feststellungsfrist erst mit Ablauf des Jahres 2000, weil das Veranlagungs-FA erst im Juni 2000 Kenntnis von der Anteilsvereinigung erlangt hat und erst danach die hieraus sich ergebenden Folgerungen ziehen konnte.

Unter diesen Umständen kann offen bleiben, ob der erkennende Senat der Sichtweise des FG folgen könnte, dass die Feststellungsfrist nach § 171 Abs. 10 AO 1977 hinausgeschoben sei, weil der Feststellungsbescheid des Veranlagungs-FA vom ... Dezember 2002 für den angefochtenen Feststellungsbescheid betreffend den Grundbesitzwert als Grundlagenbescheid gelte. Ferner bedarf es keiner weiteren Erörterung der Frage, ob die Wertfeststellung auch unter dem Gesichtspunkt des § 181 Abs. 5 AO 1977 möglich gewesen wäre, zumal das FA dem Bescheid einen entsprechenden Hinweis nach § 181 Abs. 5 Satz 2 AO 1977 nicht beigefügt hat und weil nach der hier vertretenen Auffassung der Feststellungsbescheid innerhalb noch offener Feststellungsfrist erging.



Ende der Entscheidung

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