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Gericht: Bundesfinanzhof
Beschluss verkündet am 06.11.2006
Aktenzeichen: II B 45/05
Rechtsgebiete: FGO


Vorschriften:

FGO § 5 Abs. 3
FGO § 6 Abs. 1
FGO § 6 Abs. 3
FGO § 6 Abs. 3 Satz 1
FGO § 6 Abs. 4
FGO § 6 Abs. 4 Satz 1
FGO § 116 Abs. 6
FGO § 119
FGO § 119 Nr. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

I. Auf die von den Klägern und Beschwerdeführern (Kläger) erhobene Klage übertrug der zuständige Senat des Finanzgerichts (FG) den Rechtsstreit durch Beschluss vom 11. August 2004 auf den Einzelrichter. Dieser unterrichtete die Beteiligten durch Mitteilung vom 10. September 2004 von seiner Absicht, den Rechtsstreit an den Senat zurück zu übertragen. Durch Urteil vom 17. Februar 2005 wies der Senat des FG die Klage als unbegründet ab. Ein vorheriger Beschluss des Einzelrichters über die Zurückübertragung auf den Senat war nicht ergangen.

Mit ihrer Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision machen die Kläger als Verfahrensmangel (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung --FGO--) nicht vorschriftsmäßige Besetzung des Gerichts geltend.

II. Die Beschwerde ist begründet. Sie führt, da die Vorentscheidung auf einem Verfahrensmangel (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO) beruht, zur Aufhebung des finanzgerichtlichen Urteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das FG gemäß § 116 Abs. 6 FGO.

1. Die Rüge unvorschriftsmäßiger Besetzung des Gerichts (§ 119 Nr. 1 FGO) ist zu Recht erhoben.

Ein Verfahrensmangel i.S. des § 119 Nr. 1 FGO liegt vor, wenn die unrichtige Anwendung einer Vorschrift über die Besetzung des erkennenden Gerichts zugleich eine Verletzung des in Art. 101 Abs. 1 Satz 2 des Grundgesetzes (GG) niedergelegten Gebots des gesetzlichen Richters darstellt (Entscheidungen des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 20. April 2001 IV R 32/00, BFHE 194, 346, BStBl II 2001, 651; vom 22. Dezember 2004 II B 166/03, BFH/NV 2005, 705; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 119 Rz. 4, m.w.N.). Diese Voraussetzungen sind im Streitfall erfüllt. Über die Klage hat der Senat des FG entschieden, obgleich anstelle des Senats der Einzelrichter als gesetzlicher Richter zur Entscheidung berufen war.

a) Nach § 6 Abs. 1 FGO kann der Senat --wie im Streitfall durch Beschluss vom 11. August 2004 geschehen-- den Rechtsstreit unter näheren Voraussetzungen einem seiner Mitglieder als Einzelrichter zur Entscheidung übertragen. Mit der Übertragung der Streitsache auf den Einzelrichter geht der Rechtsstreit im vollen Umfang auf den Einzelrichter über und ist dem Kollegium entzogen. Der Einzelrichter wird anstelle des Senats der gesetzliche Richter i.S. des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG (BFH-Beschlüsse vom 28. April 1998 VII R 102/97, BFHE 186, 5, BStBl II 1998, 544; vom 26. Oktober 1998 I R 22/98, BFHE 187, 206, BStBl II 1999, 60; vom 28. Dezember 1998 V R 33/98, BFH/NV 1999, 815; Beermann in Beermann/Gosch, FGO, § 119 Rz. 15.2 und 35).

b) In die Senatszuständigkeit kann die Streitsache nur nach Maßgabe des § 6 Abs. 3 Satz 1 FGO zurückgelangen. Nach dieser Vorschrift kann der Einzelrichter, dem der Rechtsstreit gemäß § 6 Abs. 1 FGO zur Entscheidung übertragen worden ist, den Rechtsstreit nach Anhörung der Beteiligten unter näheren Voraussetzungen auf den Senat zurückübertragen. Die Zurückübertragung durch den Einzelrichter erfolgt, wie sich aus § 6 Abs. 4 Satz 1 FGO ergibt, durch Beschluss (Gräber/Koch, a.a.O., § 6 Rz. 31). Ein solcher Beschluss des Einzelrichters ist im Streitfall nicht ergangen.

c) Entscheidet der Senat des FG als Kollegialgericht nach § 5 Abs. 3 FGO, obgleich der Rechtsstreit einem Einzelrichter nach § 6 Abs. 1 FGO zur Entscheidung übertragen ist, fehlt es an einer vorschriftsmäßigen Besetzung des Gerichts i.S. des § 119 Nr. 1 FGO (Beermann in Beermann/Gosch, FGO, § 119 Rz. 35.1; Brandis in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 6 FGO Tz. 16 f.). Der die Entscheidungszuständigkeit des Senats des FG allein begründende Beschluss des Einzelrichters über die Rückübertragung gemäß § 6 Abs. 3 FGO kann insbesondere nicht dadurch ersetzt werden, dass der Einzelrichter --wie vorliegend der Fall-- an der Sachentscheidung des Senats mitwirkt (Sunder-Plassmann in Hübschmann/Hepp/Spitaler (HHSp), § 6 FGO Rz. 82; Buciek in Beermann/Gosch, FGO, § 6 Rz. 152). Erst recht begründet das hier von den Beteiligten im finanzgerichtlichen Verfahren erklärte Einverständnis mit einer Rückübertragung des Rechtsstreits auf den Senat nicht dessen Zuständigkeit zur Entscheidung.

d) Einer Verletzung des Rechts auf den gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG, § 119 Nr. 1 FGO) steht § 6 Abs. 4 FGO nicht entgegen. Nach Satz 1 dieser Vorschrift sind Beschlüsse nach § 6 Abs. 1 und 3 unanfechtbar. Nach Satz 2 der Vorschrift kann auf eine unterlassene Übertragung die Revision nicht gestützt werden. Mit diesen Vorschriften soll --lediglich-- eine Überprüfung der materiellen Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen betreffend die Übertragung des Rechtsstreits und des insoweit auszuübenden Ermessens ausgeschlossen sein (BFH-Urteil vom 21. Oktober 1999 VII R 15/99, BFHE 190, 47, BStBl II 2000, 88). Hingegen obliegt es der uneingeschränkten Überprüfung durch den BFH, ob das für die Übertragung vorgesehene Verfahren eingehalten worden und eine wirksame Übertragung bzw. Rückübertragung des Rechtsstreits erfolgt ist (BFH in BFHE 190, 47, BStBl II 2000, 88; Sunder-Plassmann in HHSp, § 6 FGO Rz. 97; Buciek in Beermann/Gosch, FGO, § 6 Rz. 177). Insbesondere ist ein Besetzungsmangel i.S. des § 119 Nr. 1 FGO bei "greifbar gesetzwidriger" Übertragung eines Rechtsstreits auf einen Einzelrichter, so etwa bei dessen formell nicht ordnungsgemäßer Berufung, gegeben (z.B. BFH-Beschlüsse vom 29. Mai 1996 IV R 26/95, BFH/NV 1996, 908; vom 28. Dezember 1998 V R 33/98, BFH/NV 1999, 815; vom 28. Januar 2003 VI B 75/02, BFH/NV 2003, 926; vgl. auch Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 15. Oktober 2001 8 B 104/01, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 2002, 658). Dies muss entsprechend auch für den Fall einer formell fehlerhaften bzw. --wie im Streitfall-- gänzlich fehlenden Rückübertragung des Rechtsstreits auf den Senat gelten.

2. Es bedarf keiner Prüfung, ob das Urteil des FG auf dem Verfahrensverstoß beruht. Bei einem der in § 119 FGO aufgeführten Verfahrensverstöße stellt das Gesetz die unwiderlegliche Vermutung der Ursächlichkeit des Verfahrensmangels auf (Gräber/ Ruban, a.a.O., § 115 Rz. 97, § 119 Rz. 1).

3. Es ist sachgerecht, die Sache gemäß § 116 Abs. 6 FGO zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen. Im zweiten Rechtsgang ist die Zuständigkeit des Einzelrichters gegeben, sofern dieser den Rechtsstreit nicht durch Beschluss gemäß § 6 Abs. 3 FGO auf den Senat zurückübertragen sollte.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 143 Abs. 2 FGO.

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