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Gericht: Bundesfinanzhof
Beschluss verkündet am 24.02.2006
Aktenzeichen: II B 97/05
Rechtsgebiete: FGO


Vorschriften:

FGO § 65
FGO § 65 Abs. 1
FGO § 79b
FGO § 116 Abs. 6
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

I. Im Jahr 2002 wurde ein 5 110 qm großes Grundstück in den neuen Bundesländern auf den Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) rückübertragen. Auf dem Grundstück war Anfang der 70er Jahre ein Einfamilienhaus errichtet worden, das sich weiterhin im Eigentum des seinerzeitigen Nutzungsberechtigten befindet.

Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) stellte mit dem angefochtenen Bescheid den Einheitswert für das Grundstück im Wege der Nachfeststellung auf den 1. Januar 2003 auf 1 585 € und die Grundstücksart als unbebautes Grundstück fest. Das FA ermittelte den Einheitswert auf der Grundlage der Wertverhältnisse zum 1. Januar 1935 und setzte für Vorderland 1 DM/qm und für Hinterland 0,50 DM/qm an.

Der Einspruch des Klägers, mit dem er die Auffassung vertrat, die Bewertung sei verfassungswidrig, weil der Bodenwert auf der Grundlage von "Schleuderpreisen" ermittelt worden sei, blieb ohne Erfolg.

In der Klageschrift beantragte der Kläger, den angefochtenen Bescheid und die Einspruchsentscheidung aufzuheben. Gleichzeitig reichte er die Einspruchsentscheidung ein, aus der der Sachverhalt und das bisherige Vorbringen des Klägers vollständig hervorging. Das Finanzgericht (FG) setzte dem Kläger zunächst eine Frist zur Angabe der Tatsachen, durch deren Berücksichtigung oder Nichtberücksichtigung er sich beschwert fühle. Innerhalb dieser Frist trug der Kläger vor, die Verwaltungspraxis der Einheitsbewertung in dem Bundesland, in dem das Grundstück belegen sei, verstoße gegen den Gleichheitssatz und das Rechtsstaatsprinzip. Auch könne er aus dem Grundstück weder Erträge erzielen noch es als Bauland nutzen.

Anschließend setzte das FG dem Kläger eine Ausschlussfrist zur Bezeichnung des Gegenstandes des Klagebegehrens. Innerhalb dieser Frist trug der Kläger vor, Gegenstand des Verfahrens sei die Verfassungswidrigkeit der Anwendung unterschiedlicher Wertmaßstäbe bei der Einheitsbewertung in den neuen Bundesländern einerseits und den alten Bundesländern andererseits. Außerdem weiche die vom FA vorgenommene Aufteilung in Vorder- und Hinterland von der Aufteilung durch die Baubehörde ab. In der mündlichen Verhandlung vor dem FG erklärte er darüber hinaus, ein Interesse an einer möglichst hohen Einheitswertfeststellung zu haben, weil sich die Entschädigung für die Übertragung des Grundstücks an den Nutzungsberechtigten nach dem Einheitswert bemesse.

Das FG verwarf die Klage als unzulässig. Es vertrat die Auffassung, der Kläger habe den Gegenstand seines Klagebegehrens nicht innerhalb der ihm gesetzten Frist bezeichnet. Jedenfalls seien seine Ausführungen widersprüchlich.

Mit seiner Beschwerde rügt der Kläger, das FG habe seinen Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs verletzt.

Das FA hält die Beschwerde für unzulässig.

II. Die Beschwerde ist begründet. Es liegt ein vom Kläger geltend gemachter Verfahrensmangel vor, auf dem die angefochtene Entscheidung des FG beruhen kann (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).

1. Nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung stellt es einen Verfahrensmangel dar, wenn über eine zulässige Klage nicht in der Sache, sondern durch Prozessurteil entschieden wird (Beschlüsse des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 13. März 2003 VII B 196/02, BFHE 201, 425, BStBl II 2003, 609, unter II. 3., und vom 5. Oktober 2004 II B 140/03, BFH/NV 2005, 237, jeweils m.w.N.). Dies ist hier der Fall. Das FG hätte die Klage nicht als unzulässig verwerfen dürfen, weil der Kläger sein Klagebegehren innerhalb der ihm gesetzten Ausschlussfrist hinreichend bezeichnet hat. Damit hat es dem Kläger zugleich das rechtliche Gehör versagt.

a) Der Gegenstand des Klagebegehrens ist i.S. des § 65 Abs. 1 FGO bezeichnet, wenn der Streitpunkt in allgemeiner Form so umrissen wird, dass er konkretisiert und von anderen denkbaren Streitpunkten abgrenzbar ist. Anders als in den Fällen des § 79b FGO ist nicht die Angabe sämtlicher Tatsachen erforderlich, durch die der Kläger sich beschwert fühlt (BFH-Urteil vom 13. Juni 1996 III R 93/95, BFHE 180, 247, BStBl II 1996, 483, unter 2.). § 65 FGO ist so auszulegen, dass der Anspruch des Bürgers auf eine möglichst wirksame Kontrolle der Akte der öffentlichen Gewalt durch die Gerichte (Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes) nicht unnötig erschwert wird (BFH-Urteil vom 27. Juni 1996 IV R 61/95, BFH/NV 1997, 232, m.w.N. auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts --BVerfG--). Daher kann bereits die Bezugnahme auf die Einspruchsentscheidung zur hinreichenden Bezeichnung des Gegenstands des Klagebegehrens ausreichen, weil damit deutlich wird, dass der Kläger alle Streitpunkte aus dem Einspruchsverfahren weiterverfolgen will (BFH-Beschluss vom 30. Dezember 2003 IV B 21/01, BFHE 204, 44, BStBl II 2004, 239, unter 1. c). Selbst ein bestimmter Klageantrag kann auch beim Fehlen weiterer Angaben ausreichend sein, wenn der Sachverhalt in groben Zügen aus der Einspruchsentscheidung erkennbar ist (BFH-Urteil vom 11. Februar 2003 VII R 18/02, BFHE 201, 409, BStBl II 2003, 606, unter II. 2. a). Dies gilt auch dann, wenn der Klageantrag lediglich auf die Aufhebung des angefochtenen Bescheids gerichtet ist, sofern der Kläger damit deutlich macht, dass er sich gegen die Rechtmäßigkeit des Bescheids dem Grunde nach wendet (BFH-Entscheidungen vom 24. Juli 1997 V R 65/96, BFH/NV 1998, 324, und vom 17. Januar 2002 VI B 114/01, BFHE 198, 1, BStBl II 2002, 306).

b) Nach diesen Maßstäben hat der Kläger sein Klagebegehren rechtzeitig in einer den Anforderungen des § 65 Abs. 1 FGO genügenden Weise bezeichnet. Er hat in der Klageschrift einen Antrag auf Aufhebung des angefochtenen Einheitswertbescheids gestellt. Aus der ausführlichen Darstellung des Sach- und Streitstands in der --der Klageschrift beigefügten-- Einspruchsentscheidung wurde deutlich, dass der Kläger die Verfassungswidrigkeit der Einheitsbewertung rügen und sich zur Begründung darauf beziehen wollte, dass er die zugrunde gelegten Werte auf den 1. Januar 1935 für unrealistisch niedrig halte. Im weiteren Verlauf des Klageverfahrens hat er den Gleichheitssatz und das Rechtsstaatsprinzip als Prüfungsmaßstab benannt. Innerhalb der ihm gesetzten Ausschlussfrist hat er nochmals ausgeführt, mit der Klage werde die Verfassungswidrigkeit der Anwendung unterschiedlicher Wertmaßstäbe in den alten und neuen Bundesländern gerügt.

Aus dem gesamten Vorbringen des Klägers wurde von Anfang an hinreichend und widerspruchsfrei deutlich, dass der Kläger die vollständige Aufhebung des angefochtenen Bescheids begehrte und dieses Begehren auf verfassungsrechtliche Bedenken gegen die für die Einheitsbewertung in den neuen Bundesländern geltenden Sonderregelungen stützen wollte. Die Grenze der Entscheidungsbefugnis des FG war damit klar umrissen.

Angesichts dessen stellten sich die weiteren --innerhalb der gesetzten Ausschlussfrist vorgebrachten-- Erwägungen des Klägers zur Richtigkeit der Aufteilung in Vorder- und Hinterland lediglich als rechtliches Hilfsvorbringen für den Fall dar, dass das FG seiner Auffassung zur Verfassungswidrigkeit der Einheitsbewertung nicht folgen sollte. Rechtliches Hilfsvorbringen, das in einem erkennbaren Stufenverhältnis zum Hauptvorbringen steht, macht einen Klageantrag aber entgegen der Auffassung des FG nicht in dem Sinne widersprüchlich, dass damit die bereits vorgenommene hinreichende Bezeichnung des Gegenstandes des Klagebegehrens nachträglich wieder in Frage gestellt würde.

Auf das weitere Vorbringen des Klägers in der mündlichen Verhandlung vor dem FG, er sei an der Feststellung eines höheren Einheitswerts interessiert, kommt es schon deshalb nicht an, weil zu diesem Zeitpunkt die für die Bezeichnung des Gegenstands des Klagebegehrens gesetzte Ausschlussfrist bereits abgelaufen war und dieses Vorbringen in dem vom Kläger in der mündlichen Verhandlung gestellten Antrag --der weiterhin auf die Aufhebung des angefochtenen Bescheids gerichtet war-- keinen Niederschlag gefunden hat.

2. Der Senat hält es für angezeigt, nach § 116 Abs. 6 FGO zu verfahren, das angefochtene Urteil aufzuheben und den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.

Für das weitere Verfahren weist der Senat zur Frage der Rechtfertigung der Unterschiede zwischen der Einheitsbewertung in den alten und neuen Bundesländern auf seine Urteile vom 16. Dezember 1998 II R 50/97 (BFHE 187, 116, BStBl II 1999, 79, unter II. 3. b) und vom 8. November 2000 II R 37/98 (BFH/NV 2001, 659; Verfassungsbeschwerde durch Beschluss des BVerfG vom 19. Juni 2001 1 BvR 230/01 nicht zur Entscheidung angenommen) hin. Zur Frage der Verfassungsmäßigkeit des Unterbleibens einer neuen Hauptfeststellung wird auf die Entscheidungen vom 2. Februar 2005 II R 36/03 (BFHE 209, 138, BStBl II 2005, 428) und vom 12. Oktober 2005 II B 106/04 (BFH/NV 2006, 253) hingewiesen.

Ende der Entscheidung

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