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Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 19.07.2006
Aktenzeichen: II R 1/05
Rechtsgebiete: ErbStG, BGB


Vorschriften:

ErbStG § 3 Abs. 1 Nr. 1
ErbStG § 9 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b
ErbStG § 10 Abs. 5 Nr. 2
ErbStG § 13 Abs. 1 Nr. 11
BGB § 2303
Die zur Entstehung der Erbschaftsteuer führende Geltendmachung des Pflichtteilsanspruchs setzt nicht die Bezifferung des Anspruchs voraus.
Gründe:

I.

Da sich der Kläger und Revisionskläger (Kläger) mit der Alleinerbin (E) seines im Juni 1995 verstorbenen Vaters nicht über die ihm zustehenden Pflichtteilsansprüche geeinigt hatte, beauftragte er Rechtsanwälte mit der Verfolgung seiner Interessen. Diese führten in ihrem an E gerichteten Schreiben vom 13. Dezember 1995 aus, sie hätten namens und im Auftrage ihres Mandanten "hiermit dessen Pflichtteilsansprüche hinsichtlich des Nachlasses des Verstorbenen geltend zu machen", und erläuterten das Wesen und die Berechnung dieser Ansprüche. Um den dem Kläger zustehenden Geldbetrag ermitteln zu können, forderten die Anwälte E in dem Schreiben unter Fristsetzung auf, nach § 2314 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) im Einzelnen bezeichnete Auskünfte zu erteilen, und kündigten für den Fall eines Verstreichenlassens der Frist weitere Schritte einschließlich der Erhebung einer Klage an. Im Jahr 1998 einigten sich der Kläger und E über das Bestehen eines Pflichtteilsanspruchs von 400 000 DM.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) nahm an, der Kläger habe den Pflichtteilsanspruch im Jahr 1995 i.S. von § 3 Abs. 1 Nr. 1 des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes (ErbStG) geltend gemacht. Deshalb sei die Erbschaftsteuer nach § 9 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b ErbStG in diesem Jahr entstanden und lediglich der seinerzeit geltende Freibetrag von 90 000 DM (§ 16 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG a.F.) zu berücksichtigen.

Einspruch und Klage, mit denen der Kläger den Ansatz des durch § 16 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 37 Abs. 1 ErbStG i.d.F. des Jahressteuergesetzes (JStG) 1997 vom 20. Dezember 1996 (BGBl I, 2049) auf 400 000 DM erhöhten Freibetrags und demgemäß die Aufhebung des Erbschaftsteuerbescheids begehrt hatte, blieben erfolglos. Das Finanzgericht (FG) vertrat in dem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2005, 1137 veröffentlichten Urteil die Ansicht, der Kläger habe seinen Pflichtteilsanspruch spätestens mit dem Schreiben vom 13. Dezember 1995 geltend gemacht. Er habe sich nicht auf ein bloßes Auskunftsbegehren beschränkt, sondern ernstlich die Erfüllung seines Anspruchs verlangt. Die fehlende Bezifferung des Anspruchs sei ohne Bedeutung.

Mit der Revision rügt der Kläger Verletzung des § 3 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG. Er habe seinen Pflichtteilsanspruch im Schreiben vom 13. Dezember 1995 nicht beziffert und somit im Jahr 1995 noch nicht im Sinne dieser Vorschrift geltend gemacht. Eine Bezifferung sei damals wegen der ausstehenden Bewertung des zum Nachlass gehörenden landwirtschaftlichen Hofes nicht möglich gewesen. Das hätte das FG aufklären müssen.

Der Kläger beantragt, die Vorentscheidung und den angefochtenen Erbschaftsteuerbescheid in Gestalt der Einspruchsentscheidung aufzuheben.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

II.

Die Revision ist unbegründet und war daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Das FG hat zutreffend entschieden, dass der Kläger seinen Pflichtteilsanspruch im Jahr 1995 geltend gemacht hat, die Erbschaftsteuer deshalb in diesem Jahr entstanden ist und daher der dem Kläger zustehende persönliche Freibetrag nur 90 000 DM beträgt.

1. Als Erwerb von Todes wegen gilt gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG u.a. der Erwerb aufgrund eines geltend gemachten Pflichtteilsanspruchs (§§ 2303 ff. BGB). Die Steuer dafür entsteht nach § 9 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b ErbStG mit dem Zeitpunkt der Geltendmachung des Anspruchs. Dem bloßen Entstehen des Anspruchs mit dem Erbfall (§ 2317 Abs. 1 BGB) kommt erbschaftsteuerrechtlich noch keine Bedeutung zu. Dieses zeitliche Hinausschieben der erbschaftsteuerrechtlichen Folgen eines Pflichtteilsanspruchs ist im Interesse des Berechtigten geschehen und soll ausschließen, dass bei ihm auch dann Erbschaftsteuer anfällt, wenn er seinen Anspruch zunächst oder dauerhaft nicht erhebt (Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 7. Oktober 1998 II R 52/96, BFHE 187, 50, BStBl II 1999, 23). Damit korrespondierend kann der Erbe gemäß § 10 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. Abs. 5 Nr. 2 ErbStG vom Wert des gesamten Vermögensanfalls ebenfalls nur die Verbindlichkeiten aus geltend gemachten Pflichtteilen abziehen. Das bloße Bestehen von Pflichtteilsverbindlichkeiten ist auch insoweit ohne steuerrechtliche Bedeutung (BFH-Urteil in BFHE 187, 50, BStBl II 1999, 23).

Die "Geltendmachung" des Pflichtteilsanspruchs besteht in dem ernstlichen Verlangen auf Erfüllung des Anspruchs gegenüber dem Erben. Der Berechtigte muss seinen Entschluss, die Erfüllung des Anspruchs zu verlangen, in geeigneter Weise bekunden (BFH-Urteil vom 30. April 2003 II R 6/01, BFH/NV 2004, 341, unter Hinweis auf das Urteil des Reichsfinanzhofs vom 19. April 1929 V A 908/28, RFHE 25, 121), die Höhe des Anspruchs aber nicht beziffern (Urteile des FG Rheinland-Pfalz vom 10. Dezember 2001 4 K 2203/00, Zeitschrift für die Steuer- und Erbrechtspraxis --ZErb-- 2002, 196, Deutsches Steuerrecht/Entscheidungsdienst --DStRE-- 2002, 459, und des FG München vom 16. Oktober 2002 4 K 5391/00, EFG 2003, 248; ebenso bereits Urteil des FG Hamburg vom 17. April 1978 V 234/77, EFG 1978, 555; Gebel in Troll/Gebel/Jülicher, ErbStG, § 3 Tz. 226; Kapp/Ebeling, § 3 ErbStG Rz. 212, 213 und 213.2; Hübner in Viskorf/Glier/Hübner/ Knobel/Schuck, Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz, Bewertungsgesetz, 2. Aufl., § 3 ErbStG Rdn. 140; Schuck in diesem Kommentar, § 9 ErbStG Rdn. 30; a.A. Meincke, Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz, Kommentar, 14. Aufl., § 9 Anm. 32, sowie in ZErb 2004, 1; Moench, Erbschaft- und Schenkungsteuer, § 3 Rz. 119a; Viskorf, Finanz-Rundschau 1999, 664, 666). Eine solche Bezifferung ist dem Pflichtteilsberechtigten, der nicht Erbe ist, regelmäßig erst nach Erteilung der in § 2314 Abs. 1 Satz 1 BGB vorgesehenen Auskunft durch den Erben möglich.

Hat der Berechtigte den Pflichtteilsanspruch geltend gemacht und ist dadurch die Erbschaftsteuer entstanden, ist der Erwerb aus steuerrechtlicher Sicht vollendet. Gegenstand des Erwerbs ist der dem Berechtigten gegen den Erben zustehende Geldanspruch, soweit ihn der Berechtigte geltend gemacht hat. Nach der Entstehung des Steueranspruchs zwischen dem Erben und dem Pflichtteilsberechtigten getroffene Erfüllungsabreden können den einmal entstandenen Steueranspruch daher weder aufheben noch verändern (BFH-Urteil in BFHE 187, 50, BStBl II 1999, 23). Auch ein nachträglicher (teilweiser) Verzicht des Berechtigten auf seinen Anspruch wirkt sich grundsätzlich nicht auf die Steuer aus (Urteil des FG München vom 24. August 2005 4 K 4361/03, EFG 2005, 1887, mit zustimmender Anmerkung Loose). Eine Ausnahme hiervon gilt lediglich dann, wenn sich der Berechtigte nach ernstlichem Streit über die Höhe seines Pflichtteils vergleichsweise mit weniger zufrieden gibt als er beansprucht hat und ihm zusteht; in diesem Fall kann er nur aus diesem niedrigeren Wert besteuert werden (BFH-Urteil vom 18. Juli 1973 II R 34/69, BFHE 110, 196, BStBl II 1973, 798).

Nachträglich eingetretene Umstände der genannten Art, die sich auf die Besteuerung des Pflichtteilsberechtigten nicht auswirken, lassen die Abziehbarkeit des (ursprünglich) geltend gemachten Anspruchs vom Wert des gesamten Vermögensanfalls beim Erben ebenfalls unberührt. Die Abzugsfähigkeit einer Pflichtteilsverbindlichkeit nach § 10 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. Abs. 5 Nr. 2 ErbStG setzt lediglich die Geltendmachung des Pflichtteils und nicht die Erfüllung dieser Geldschuld voraus (BFH-Urteile in BFHE 187, 50, BStBl II 1999, 23, und in BFH/NV 2004, 341). Die Korrespondenz zwischen der Besteuerung des Erwerbs des Pflichtteilsberechtigten und der Abziehbarkeit einer entsprechenden Nachlassverbindlichkeit beim Erben ist somit gewahrt.

Der Verzicht auf einen geltend gemachten Pflichtteilsanspruch ist anders als ein Anspruchsverzicht vor Geltendmachung (§ 13 Abs. 1 Nr. 11 ErbStG) nicht steuerfrei, sondern stellt eine schenkungsteuerpflichtige Zuwendung des Pflichtteilsberechtigten an den Erben dar (§ 1 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG).

Diese je nach den Umständen für den Pflichtteilsberechtigten oder Erben ungünstigen Regelungen können nicht dazu führen, dass unter Geltendmachung des Pflichtteils abweichend von der bisherigen Rechtsprechung nur die Erhebung eines bezifferten Anspruchs verstanden werden kann. Eine solche Auslegung wäre mit dem Gesetzeswortlaut nicht vereinbar und ist auch zur Wahrung der berechtigten Interessen der Beteiligten nicht erforderlich. Der Berechtigte kann sich nämlich darauf beschränken, vom Erben zunächst nur Auskunft gemäß § 2314 BGB zu verlangen, und sich die Geltendmachung des Pflichtteils vorbehalten (vgl. von Oertzen/Cornelius, Erbschaftsteuerberater --ErbStB-- 2006, 49). Die Erbschaftsteuer entsteht dann zunächst noch nicht.

Entgegen der Ansicht von Meincke (ZErb 2004, 1/3) und Moench (a.a.O.) setzt das Entstehen der Erbschaftsteuer für den Pflichtteil die Bezifferung des darauf gerichteten Anspruchs auch nicht im Hinblick darauf voraus, dass eine Steuer nicht entstehen könne, solange der Umfang des Anspruchs und der Steuer noch offen sei. Eine Steuer entsteht nach § 38 der Abgabenordnung (AO 1977), sobald der Tatbestand verwirklicht ist, an den das Gesetz die Leistungspflicht knüpft. Die Bemessungsgrundlagen und somit auch die Höhe der festzusetzenden Steuer sind in diesem Zeitpunkt häufig noch offen. Dies gilt zum Beispiel für die Erbschaftsteuer, die für den Erben regelmäßig mit dem Tode des Erblassers entsteht (§ 9 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG) und deren Höhe u.a. von den nach § 10 Abs. 5 Nr. 3 ErbStG abziehbaren Bestattungs- und Nachlassabwicklungskosten sowie der etwaigen Geltendmachung von Pflichtteilen und Erbersatzansprüchen (§ 10 Abs. 5 Nr. 2 ErbStG) abhängt, sowie für die nach § 36 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) regelmäßig mit Ablauf des Veranlagungszeitraums entstehende Einkommensteuer, deren Höhe u.a. durch die danach mögliche Ausübung von zahlreichen Antrags- und Wahlrechten auch hinsichtlich der Bilanzierung maßgebend beeinflusst werden kann. Die Höhe eines wie im Streitfall ohne Einschränkung geltend gemachten Pflichtteilsrechts ergibt sich --auch wenn noch nicht bezifferbar-- aus § 2303 Abs. 1 Satz 2 BGB, wonach der Pflichtteil in der Hälfte des Wertes des gesetzlichen Erbteils besteht, sowie aus den Regelungen der §§ 2311 ff. BGB, und steht somit auch ohne Bezifferung durch den Berechtigten als Bemessungsgrundlage für die Erbschaftsteuer im Grundsatz fest.

2. Die vom FG vorgenommene Auslegung, nach der sich der Kläger mit dem Schreiben vom 13. Dezember 1995 nicht auf ein bloßes Auskunftsbegehren beschränkt, sondern ernstlich die Erfüllung seines Anspruchs verlangt und somit seinen Pflichtteil i.S. von § 3 Abs. 1 Nr. 1 und § 9 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b ErbStG geltend gemacht hat, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Die Auslegung des Schreibens ist als tatsächliche Feststellung nach § 118 Abs. 2 FGO für den BFH bindend, da das FG weder gegen gesetzliche Auslegungsregeln (§ 133 BGB) noch gegen Denkgesetze (Gesetze der Logik) oder Erfahrungssätze verstoßen hat (vgl. BFH-Urteil vom 30. Juni 2005 IV R 63/04, BFH/NV 2005, 1997 m.w.N.). Der Kläger macht insoweit selbst keine Rechtsverletzung geltend. Auf die fehlende Bezifferung des Anspruchs kommt es unter diesen Umständen nicht an.

3. Da die Erbschaftsteuer somit noch im Jahr 1995 entstanden ist, steht dem Kläger nur der persönliche Freibetrag in Höhe von 90 000 DM nach § 16 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG in der seinerzeit geltenden Fassung zu. Die Erhöhung des Freibetrags auf 400 000 DM (§ 16 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG i.d.F. des JStG 1997) betrifft gemäß § 37 Abs. 1 ErbStG i.d.F. des JStG 1997 nur Erwerbe, für die die Steuer nach dem 31. Dezember 1995 entstanden ist.

4. Die vom Kläger erhobene Rüge, das FG hätte den Sachverhalt weiter aufklären müssen, entspricht nicht den Anforderungen des § 120 Abs. 3 Nr. 2 Buchst. b FGO. Soweit die Revision darauf gestützt wird, dass das Gesetz in Bezug auf das Verfahren verletzt sei, muss die Revisionsbegründung nach dieser Vorschrift die Bezeichnung der Tatsachen enthalten, die den Mangel ergeben. Daran fehlt es (vgl. zu den Anforderungen an eine Aufklärungsrüge z.B. BFH-Urteil vom 6. Juni 2000 VII R 72/99, BFHE 192, 390, 393 f.). Von einer weiteren Begründung sieht der Senat insoweit nach § 126 Abs. 6 Satz 1 FGO ab.

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