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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 14.07.1999
Aktenzeichen: II R 1/97
Rechtsgebiete: GrEStG 1983


Vorschriften:

GrEStG 1983 § 16 Abs. 1 und 4
BUNDESFINANZHOF

Das die Aufhebung oder Änderung einer Steuerfestsetzung nach § 16 Abs. 1 GrEStG 1983 begründende Ereignis, dessen Eintritt den Lauf der Festsetzungsfrist nach § 16 Abs. 4 GrEStG 1983 hemmt, umfaßt die rechtliche und tatsächliche Rückgängigmachung des Erwerbsvorgangs.

GrEStG 1983 § 16 Abs. 1 und 4

Urteil vom 14. Juli 1999 - II R 1/97 -

Vorinstanz: Niedersächsisches FG (EFG 1997, 296)


Gründe

I.

Durch notariell beurkundeten Vertrag vom 29. Juli 1988 verkaufte die Stadt A (Stadt) ihr gehörende (noch zu bildende) Grundstücke an die B-GmbH (GmbH). Der Kaufpreis betrug --vorbehaltlich geringfügiger Abweichungen aufgrund des Ergebnisses der noch ausstehenden Vermessung-- 930 000 DM. In dem Vertrag verpflichtete sich die GmbH zu einer bestimmten Bebauung und Nutzung der Grundstücke. Für den Fall, daß die GmbH gegen diese Verpflichtungen verstieß oder den Baubeginn grundlos verzögerte, stand der Stadt ein Wiederkaufsrecht gegen die GmbH zu. Die GmbH verpflichtete sich, die übernommenen Verpflichtungen im Falle der Weiterveräußerung des Grundbesitzes auf den künftigen Erwerber zu übertragen. Der vereinbarte Kaufpreis wurde von der GmbH an die Stadt entrichtet und der Besitz an den Grundstücken von der Stadt auf die GmbH übertragen. Das Eigentum an den Grundstücken ging nicht auf die GmbH über.

Am 23. Dezember 1988 schloß die GmbH einen notariell beurkundeten Vertrag mit der Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), den die Vertragsbeteiligten als Grundstückskaufvertrag bezeichneten. Nach § 1 dieses Vertrages "verkaufte" die GmbH den durch Vertrag vom 29. Juli 1988 von der Stadt erworbenen Grundbesitz an die Klägerin. Der Kaufpreis sollte 1 Mio. DM betragen. Nach § 3 des Vertrages waren sich die Vertragsschließenden darüber einig, daß die Klägerin als Käuferin in sämtliche Rechte und Pflichten aus dem Kaufvertrag vom 29. Juli 1988 vorbehaltlich der Zustimmung der Stadt eintritt. Die Klägerin verpflichtete sich, die sich für die GmbH aus dem Vertrag vom 29. Juli 1988 ergebenden noch nicht erfüllten Pflichten zu erfüllen; die GmbH als Verkäuferin blieb verpflichtet, bei der Erfüllung und Abwicklung des Kaufvertrags mit der Stadt vom 29. Juli 1988 mitzuwirken. Der Besitz an den Grundstücken wurde von der GmbH auf die Klägerin übertragen.

Mit Schreiben vom 26. April 1990 übte die Stadt gegenüber der Klägerin unter Hinweis auf von dieser nicht erfüllte vertragliche Verpflichtungen ihr Wiederkaufsrecht aus. Über die Wirksamkeit der Ausübung des Wiederkaufsrechts wurde zwischen der Stadt und der Klägerin ein Zivilrechtsstreit geführt, der am 21. Oktober 1993 durch einen vor dem Oberlandesgericht geschlossenen Vergleich beendet wurde. Nach diesem Vergleich waren die Beteiligten des Rechtsstreits darüber einig, daß die Stadt das Wiederkaufsrecht mit Zugang des Schreibens vom 26. April 1990 bei der Klägerin wirksam ausgeübt habe und demzufolge die Verpflichtung der Stadt zur Eigentumsverschaffung an den Grundstücken erloschen sei. Die Klägerin verpflichtete sich, der Stadt den Besitz an den Grundstücken mit Ablauf des 1. Januar 1994 zurückzuübertragen; die Stadt verpflichtete sich, der Klägerin den (von der GmbH erhaltenen) Kaufpreis in Höhe von 930 000 DM nebst 9,8 % Zinsen ab Zahlung der Kaufpreisraten "zurückzuzahlen". Der Vergleich wurde erfüllt; die Zahlung an die Klägerin erfolgte im Jahr 1994.

Durch Bescheid vom 4. Januar 1989 hatte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) den Vertrag vom 23. Dezember 1988, der dem FA am 28. Dezember 1988 angezeigt worden war, der Grunderwerbsteuer unterworfen und gegen die Klägerin Grunderwerbsteuer aus einer Bemessungsgrundlage von 1 Mio DM festgesetzt. Mit Schreiben vom 5. Dezember 1994 beantragte die Klägerin die Aufhebung dieses Grunderwerbsteuerbescheids, weil der Erwerbsvorgang aufgrund der Ausübung des Wiederkaufsrechts seitens der Stadt vollständig rückgängig gemacht worden sei. Das FA lehnte den Antrag ab. Einspruch und Klage hiergegen hatten keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) war der Auffassung, es könne offenbleiben, ob ein Anspruch der Klägerin aus § 16 Abs. 1 des Grunderwerbsteuergesetzes (GrEStG 1983) materiell-rechtlich entstanden sei, denn jedenfalls habe die Klägerin den Antrag erst nach Ablauf der Festsetzungsfrist gestellt. Dabei ging das FG davon aus, der Begriff des Ereignisses i.S. des § 16 Abs. 4 GrEStG 1983, das die Aufhebung oder Änderung einer Steuerfestsetzung gemäß Abs. 1 der Vorschrift begründet und dessen Eintritt eine Ablaufhemmung von einem Jahr auslöst, knüpfe (nur) an die rechtliche Beseitigung des Anspruchs des Erwerbers gegen den Veräußerer auf Eigentumsverschaffung am Grundstück an. Das Urteil des FG ist in Entscheidungen der Finanzgerichte 1997, 296 veröffentlicht.

Mit der Revision rügt die Klägerin fehlerhafte Anwendung des § 16 Abs. 4 GrEStG 1983 und beantragt, unter Aufhebung der Vorentscheidung und der Verwaltungsentscheidungen das FA zu verpflichten, den Grunderwerbsteuerbescheid vom 4. Januar 1989 aufzuheben.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

II.

Die Revision ist zurückzuweisen. Zwar ergeben die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils eine Verletzung des § 16 Abs. 4 GrEStG 1983. Die Entscheidung selbst stellt sich jedoch aus anderen Gründen als richtig dar (§ 126 Abs. 4 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).

1. Entgegen der Auffassung des FG war der Anspruch aus § 16 Abs. 1 Nr. 2 GrEStG 1983 noch nicht verjährt. Für den Beginn der Ablaufhemmung nach § 16 Abs. 4 GrEStG 1983 ist nicht --wie das FG meint-- (ausschließlich) auf den Zeitpunkt der rechtlichen Rückgängigmachung des Erwerbsvorgangs abzustellen, sondern auf den Zeitpunkt, in dem der Erwerbsvorgang sowohl rechtlich als auch tatsächlich rückgängig gemacht ist, denn das die Aufhebung oder Änderung einer Steuerfestsetzung nach § 16 Abs. 1 GrEStG 1983 begründende Ereignis, dessen Eintritt den Lauf der Festsetzungsfrist nach § 16 Abs. 4 GrEStG 1983 hemmt, umfaßt die rechtliche und tatsächliche Rückgängigmachung des Erwerbsvorgangs.

Nach § 16 Abs. 4 GrEStG 1983 ist der Ablauf der Festsetzungsfrist gehemmt, wenn ein Ereignis eintritt, das nach den Abs. 1 bis 3 der Vorschrift die Aufhebung oder Änderung einer Steuerfestsetzung begründet. Nach dem Wortlaut der Vorschrift ist mithin Ereignis jeder Sachverhalt, der unter Erfüllung eines der Tatbestände des § 16 Abs. 1 bis 3 GrEStG 1983 einen Anspruch des Steuerpflichtigen auf Aufhebung oder Änderung einer Steuerfestsetzung begründet. Ereignis i.S. des § 16 Abs. 1 GrEStG 1983 ist die Rückgängigmachung des Erwerbsvorgangs. Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) verlangt dieser Begriff nicht nur die zivilrechtlich wirksame Aufhebung der Verpflichtung zur Übereignung des Grundstücks, sondern auch die tatsächliche Rückgängigmachung des Erwerbsvorgangs (vgl. Urteil des BFH vom 9. März 1994 II R 86/90, BFHE 173, 568, BStBl II 1994, 413, m.w.N.). Nur wenn beide Voraussetzungen vorliegen, entsteht der Anspruch auf Nichtfestsetzung der Steuer oder Aufhebung der Steuerfestsetzung; erst dann kann die Hemmung der Festsetzungsfrist eintreten. Die gegenteilige Auffassung des FG widerspricht auch dem Sinn und Zweck der Vorschrift. Sie hätte --wie der Streitfall zeigt-- zur Folge, daß vor der tatsächlichen Rückgängigmachung des Erwerbsvorgangs dem Steuerpflichtigen die Berufung auf § 16 Abs. 1 GrEStG 1983 mangels vollständiger Verwirklichung des Begünstigungstatbestands verwehrt wäre und nach erfolgter tatsächlicher Rückgängigmachung eine Begünstigung wegen Ablaufs der Festsetzungsfrist ausgeschlossen sein könnte.

2. Die Vorentscheidung ist jedoch im Ergebnis richtig. Die Klage ist unbegründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Aufhebung des Grunderwerbsteuerbescheids vom 4. Januar 1989. Dieser Anspruch könnte sich allenfalls aus § 16 Abs. 1 Nr. 2 GrEStG 1983 ergeben. Wird ein Erwerbsvorgang rückgängig gemacht, bevor das Eigentum am Grundstück auf den Erwerber übergegangen ist, so wird nach dieser Vorschrift auf Antrag die Steuerfestsetzung aufgehoben, wenn die Vertragsbedingungen nicht erfüllt werden und der Erwerbsvorgang deshalb aufgrund eines Rechtsanspruchs rückgängig gemacht wird. Diese Voraussetzungen sind im Streitfall nicht gegeben. Es fehlt bereits an der rechtlichen Rückgängigmachung des durch den Grunderwerbsteuerbescheid vom 4. Januar 1989, dessen Aufhebung die Klägerin begehrt, als Erwerbsvorgang erfaßten, zwischen der GmbH und der Klägerin geschlossenen Vertrages vom 23. Dezember 1988. Zwar kann auch die Ausübung eines dem Grundstücksveräußerer zustehenden Rückkaufsrechts zur Rückgängigmachung eines Vertrages führen, wenn hierdurch u.a. die durch den Grundstückskaufvertrag begründeten gegenseitigen Ansprüche beseitigt werden. Hiervon kann aber im hier allein maßgeblichen Verhältnis zwischen der Klägerin und der GmbH keine Rede sein. Denn die Ausübung des der Stadt nach dem Vertrag vom 29. Juli 1988 zustehenden Wiederkaufsrechts konnte nur auf das Vertragsverhältnis zwischen der Stadt und der GmbH bzw. die sich hieraus ergebenden Ansprüche rechtlichen Einfluß haben, insbesondere zum Erlöschen der Übereignungsverpflichtung der Stadt und zum Anspruch auf Rückgewähr in diesem Verhältnis erbrachter Leistungen (z.B. Kaufpreis) führen. Hingegen blieb der Vertrag zwischen der Klägerin und der GmbH vom 23. Dezember 1988 hiervon unberührt. Es gibt keinen Anhaltspunkt für die Annahme, daß durch die Ausübung des Rückkaufsrechts seitens der Stadt der Rechtsgrund für die von der GmbH bzw. der Klägerin aufgrund des (vollerfüllten) Vertrages vom 23. Dezember 1988 erbrachten gegenseitigen Leistungen berührt worden wäre und die Vertragsbeteiligten zur Rückgewähr dieser Leistungen verpflichtet wären. Insbesondere ist --entgegen der Auffassung der Klägerin-- eine die Rechtsfolge des § 16 Abs. 1 Nr. 2 GrEStG 1983 auslösende Aufhebung des Vertrags vom 23. Dezember 1988 nicht durch den Vergleich vom 21. Oktober 1993 erfolgt. Hierfür spricht bereits, daß die GmbH an diesem Vergleich nicht beteiligt war. Darüber hinaus würde eine bloße Vertragsaufhebung noch nicht den Tatbestand des § 16 Abs. 1 Nr. 2 GrEStG erfüllen; die Vorschrift setzt vielmehr eine Rückgängigmachung des Vertrags wegen Nichterfüllung von Vertragsbedingungen dieses Vertrags voraus. Derartiges ist weder vom FG festgestellt noch hat die Klägerin entsprechende Revisionsrügen erhoben (§ 118 Abs. 2 FGO).

Eine andere Beurteilung folgt auch nicht aus dem Urteil des BFH vom 20. Oktober 1982 II R 6/81 (BFHE 137, 92, BStBl II 1983, 140). Auch nach dieser Entscheidung ist bei einer Aufeinanderfolge mehrerer Erwerbsvorgänge das Vorliegen der Voraussetzungen des § 16 GrEStG 1983 für jeden Vorgang getrennt, d.h. auf jeder Vertragsstufe selbständig zu untersuchen. Falls es, wie nach dem dieser Entscheidung zugrundeliegenden Sachverhalt, zu einer direkten Rückübertragung eines Grundstücks von einem Dritterwerber auf den Erstveräußerer kommt, steht dies einer Rückgängigmachung auch des Weiterveräußerungsvorgangs dann nicht entgegen, wenn und soweit die Rückübertragung auch den Zwischenerwerbern zugerechnet werden kann. Insoweit liegt lediglich ein abgekürzter Leistungsweg vor. Dies läßt jedoch den Grundsatz unangetastet, daß notwendige Voraussetzung für die Anwendung des § 16 GrEStG 1983 die Aufhebung der zivilrechtlichen Wirksamkeit des jeweils in Frage stehenden Erwerbsvorgangs bleibt. Daran fehlt es --wie oben dargelegt-- im Streitfall.



Ende der Entscheidung

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