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Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 26.10.2006
Aktenzeichen: II R 16/05
Rechtsgebiete: AO 1977, ErbStG
Vorschriften:
AO 1977 § 47 | |
AO 1977 § 170 Abs. 1 | |
AO 1977 § 170 Abs. 1 1. Alt. | |
AO 1977 § 170 Abs. 2 Nr. 1 | |
AO 1977 § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 | |
AO 1977 § 191 Abs. 3 Satz 3 | |
AO 1977 § 170 Abs. 5 | |
AO 1977 § 170 Abs. 5 Nr. 2 2. Alt. | |
ErbStG § 9 Abs. 1 Nr. 2 | |
ErbStG § 34 | |
ErbStG § 34 Abs. 2 Nr. 3 |
Gründe:
I. Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) schenkte ihrem Sohn (S) mit Urkunde vom 12. Februar 1997 zwei Grundstücke. Zugleich wurde die Auflassung erklärt und die Eintragungsbewilligung erteilt. Der beurkundende Notar zeigte den Erwerb im Februar 1997 an. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) forderte S 1998 auf, eine Schenkungsteuererklärung abzugeben; diese ging am 17. September 1998 beim FA ein. Am 27. November 2001 setzte das FA gegen S Schenkungsteuer fest; der Bescheid wurde bestandskräftig. Nachdem S dem FA mitgeteilt hatte, auf Grund eines Insolvenzverfahrens die festgesetzte Steuer nicht zahlen zu können, erließ das FA am 26. Februar 2002 gegenüber der Klägerin einen inhaltsgleichen Schenkungsteuerbescheid.
Der hiergegen eingelegte Einspruch blieb erfolglos. Während des Klageverfahrens setzte das FA mit Änderungsbescheid vom 17. November 2003 die Steuer auf 13 452 DM (6 877,90 €) herab. Die Klage hatte Erfolg. Das Finanzgericht (FG) ging davon aus, dass der Steueranspruch gegen die Klägerin verjährt sei. Die Festsetzungsfrist habe mit Ablauf des Jahres 1997 begonnen, da das FA auf Grund der Anzeige des Notars in diesem Jahr Kenntnis über die Beteiligten und den Rechtsgrund der Schenkung erhalten habe (§ 170 Abs. 5 Nr. 2 2. Alt. der Abgabenordnung --AO 1977--).
Mit der Revision macht das FA geltend, das FG habe das Verhältnis von § 170 Abs. 5 AO 1977 zu Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 der Vorschrift verkannt und gehe zu Unrecht davon aus, dass die Anlaufhemmung nach Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 der Vorschrift nicht mehr eintrete, wenn das FA bereits Kenntnis vom Erwerb habe. Das FA nimmt ferner an, die gegenüber S erfolgte Aufforderung zur Erklärungsabgabe habe auch gegenüber der Klägerin den Anlauf der Festsetzungsfrist hinausgeschoben.
Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage als unbegründet abzuweisen.
Die Klägerin ist der Revision entgegengetreten und beantragt, diese zurückzuweisen.
II. Die Revision ist unbegründet. Die Entscheidungsgründe der Vorentscheidung ergeben zwar eine Verletzung des bestehenden Rechts; die Entscheidung selbst stellt sich aber aus anderen Gründen als richtig dar (§ 126 Abs. 4 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).
1. Das FG hat verkannt, dass der Anlauf der Festsetzungsfrist sich bei Aufforderung zur Abgabe einer Schenkungsteuererklärung auch dann nach § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO 1977 richtet, wenn das FA bereits vor einer Aufforderung zur Erklärungsabgabe Kenntnis von dem Erwerb --sei es auch durch eine Anzeige nach § 34 Abs. 2 Nr. 3 des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes (ErbStG)-- erlangt hat.
a) Nach § 47 AO 1977 erlöschen Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis u.a. durch Verjährung. Eine Steuerfestsetzung sowie ihre Aufhebung oder Änderung sind nicht mehr zulässig, wenn die Festsetzungsfrist abgelaufen ist (§ 169 Abs. 1 Satz 1 AO 1977). Die Festsetzungsfrist beträgt für die Erbschaftsteuer regelmäßig vier Jahre (§ 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO 1977). Sie beginnt grundsätzlich mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuer entstanden ist (§ 170 Abs. 1 1. Alt. AO 1977). Bei einer Schenkung unter Lebenden entsteht die Erbschaftsteuer (Schenkungsteuer) mit dem Zeitpunkt der Ausführung der Zuwendung (§ 9 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG). Im Streitfall war die Grundstücksschenkung im Jahr 1997 ausgeführt (dazu Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 26. September 1990 II R 150/88, BFHE 163, 214, BStBl II 1991, 320).
b) Ist auf Verlangen des FA eine Schenkungsteuererklärung abzugeben (§ 31 Abs. 1 Satz 1 ErbStG), beginnt die Festsetzungsfrist jedoch nicht bereits mit Ablauf des Jahres, in dem die Steuer entstanden ist, sondern abweichend von dieser Grundregel gemäß § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO 1977 erst mit Ablauf des Jahres, in dem die Steuererklärung eingereicht wurde, jedoch spätestens mit Ablauf des dritten Kalenderjahres nach dem Jahr der Steuerentstehung.
c) Entgegen der Ansicht des FG vermag daran die Erfüllung der Anzeigepflicht gemäß § 34 ErbStG durch Gerichte, Behörden, Beamte und Notare nichts zu ändern.
Die Pflicht des Erwerbers, auf Verlangen des FA eine Steuererklärung abzugeben (§ 31 Abs. 1 Satz 1 ErbStG), wird durch die Anzeigen der genannten Stellen und Personen nicht berührt (so BFH-Urteil vom 10. November 2004 II R 1/03, BFHE 208, 33, BStBl II 2005, 244). Deren Anzeigepflicht lässt lediglich die des Erwerbers selbst entfallen (§ 30 Abs. 3 Satz 2 ErbStG) mit der Folge, dass ohne eine Aufforderung zur Abgabe einer Steuererklärung (§ 31 Abs. 1 ErbStG) die Festsetzungsfrist nach der Grundregel mit Ablauf des Kalenderjahres beginnt, in dem die Steuer entstanden ist (§ 170 Abs. 1 1. Alt. AO 1977; vgl. BFH-Beschluss vom 9. Juni 1999 II B 101/98, BFHE 188, 440, BStBl II 1999, 529). Eine Anzeige nach § 34 ErbStG hat gemäß § 170 Abs. 2 Nr. 1 AO 1977 keinen Einfluss auf den Anlauf der Festsetzungsfrist. Der Anlauf der Frist wird --bei bestehender Anzeigepflicht-- nur durch die Anzeige des Steuerpflichtigen selbst, eines Vertreters oder einer für ihn handelnden Person ausgelöst (vgl. BFH-Beschluss vom 7. Dezember 1999 II B 79/99, BFHE 190, 220, BStBl II 2000, 233).
Der Wortlaut des § 170 Abs. 2 Nr. 1 AO 1977 bedarf für den Fall einer alleinigen Anzeigepflicht --wie im Streitfall-- auch keiner an seinem Sicherungszweck ausgerichteten einschränkenden Auslegung. Eine solche ist nur in Fällen geboten, in denen der Rechtsvorgang dem FA durch einen von mehreren Anzeigepflichtigen ordnungsgemäß angezeigt worden ist (vgl. BFH-Urteil vom 6. Juli 2005 II R 9/04, BFHE 210, 65, BStBl II 2005, 780, m.w.N.).
Das FG kann sich für seine Rechtsauffassung nicht auf die von ihm angezogenen Entscheidungen des BFH in BFHE 188, 440, BStBl II 1999, 529 und vom 30. Oktober 1996 II R 70/94 (BFHE 181, 274, BStBl II 1997, 11) berufen. Mit der Frage, wie sich bei alleiniger Anzeigepflicht nach § 34 ErbStG die Anforderung einer Schenkungsteuererklärung auf die Festsetzungsverjährung auswirkt, brauchte sich der BFH in keiner der beiden Entscheidungen zu befassen.
Aus § 170 Abs. 5 Nr. 2 2. Alt. AO 1977 folgt --entgegen der Rechtsauffassung des FG-- nichts anderes. Danach beginnt die Festsetzungsfrist nach den Absätzen 1 oder 2 dieser Vorschrift nicht vor Ablauf des Kalenderjahres, in dem das FA Kenntnis von der vollzogenen Schenkung erlangt hat. Der Fristbeginn wird nach dem eindeutigen Wortlaut der Vorschrift durch den Zeitpunkt der Kenntniserlangung nicht vorverlegt, sondern verschiebt sich allenfalls auf einen späteren Zeitpunkt (vgl. BFH-Urteil vom 5. Februar 2003 II R 22/01, BFHE 201, 403, BStBl II 2003, 502).
2. Die Entscheidung des FG entspricht nicht den vorgenannten Grundsätzen. Gleichwohl ist sie im Ergebnis zutreffend. Denn im Streitfall ist der Anlauf der Festsetzungsfrist nicht nach § 170 Abs. 2 Nr. 1 AO 1977 gehemmt worden. Die fehlende Anwendbarkeit der Vorschrift beruht aber entgegen der Annahme des FG nicht darauf, dass das FA durch die Anzeige des Notars schon im Jahre 1997 Kenntnis von dem Erwerb erlangt hat, sondern darauf, dass die Aufforderung des S zur Erklärungsabgabe den Anlauf der Festsetzungsfrist gegenüber der Klägerin nicht beeinflusst hat. Gegenüber der Klägerin ist es beim Fristanlauf nach § 170 Abs. 1 AO 1977 geblieben.
Für jeden Gesamtschuldner läuft eine besondere Festsetzungsfrist (§ 44 Abs. 2 Satz 3 AO 1977). Gemäß § 170 Abs. 1 1. Alt. AO 1977 i.V.m. § 9 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG begann die Festsetzungsfrist gegenüber der Klägerin mit Ablauf des Kalenderjahres 1997 und endete am 31. Dezember 2001 (§ 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO 1977). Der Anlauf der Festsetzungsfrist war nicht gemäß § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO 1977 gehemmt. Darauf, dass die Klägerin zur Abgabe einer Steuererklärung aufgefordert worden sei, geben weder die tatsächlichen Feststellungen des FG noch die zeitliche Abfolge der Vorgänge in der vom FG in Bezug genommenen Schenkungsteuerakte einen Hinweis. Das FA beruft sich lediglich auf eine an S gerichtete Aufforderung.
Der Anlauf der Festsetzungsfrist war auch nicht in entsprechender Anwendung des § 191 Abs. 3 Satz 3 AO 1977 dergestalt gehemmt, dass die Verjährung mit der Zahlungsunfähigkeit des S begann. Die Vorschrift ist auf das Verhältnis Steuerschuldner - Haftungsschuldner zugeschnitten und schon deshalb nicht auf das Verhältnis zweier Steuerschuldner übertragbar (vgl. dazu Klein/Rüsken, Abgabenordnung, 9. Aufl. 2006, § 191 Rz. 95, m.w.N.).
Ende der Entscheidung
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