Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 10.05.2006
Aktenzeichen: II R 17/05
Rechtsgebiete: FGO, GrEStG


Vorschriften:

FGO § 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1
GrEStG § 7 Abs. 2 Satz 1
GrEStG § 2
GrEStG § 2 Abs. 3 Satz 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

I. An der S-GbR (GbR) waren bis 31. Dezember 1992 Frau S mit 70 v.H. und deren vier Kinder, u.a. die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin), mit jeweils 7,5 v.H. beteiligt. Die GbR hatte auf Grund einer ihr 1997 erteilten Baugenehmigung auf einem aus mehreren Grundstücken bestehenden Areal ein städtebaulich zusammenhängendes Wohnquartier nach einheitlichem Konzept mit Wohnhäusern, Kindertagesstätte, Tiefgarage, Kiosk zur Nahversorgung sowie zwei Spielplätzen errichtet. Zwei der drei baulich voneinander getrennten Gebäude sind um einen gemeinsamen Innenhof gruppiert. Das Wohnquartier wird durch eine nicht öffentliche Straße erschlossen, die neben der Zugänglichkeit zu den einzelnen Wohnungen auch dem Sonderverkehr (Müllabfuhr, Feuerwehr, Umzugswagen) dient. Die Hauseingänge sind durch Stichwege verbunden. Um die die Anlage begrenzenden Grünflächen ist ein einheitlicher Zaun errichtet.

Mit notariell beurkundetem Vertrag vom 23. Dezember 2002 trat S im Wege der vorweggenommenen Erbfolge ihren GbR-Anteil zu jeweils 17,5 v.H. mit Wirkung zum 31. Dezember 2002 an die übrigen Gesellschafter --u.a. die Klägerin-- ab, die nunmehr zu jeweils 25 v.H. an der GbR beteiligt waren. In derselben Urkunde wurde eine Realteilung des Grundbesitzes der GbR vereinbart. Dieser wurde in wertmäßig gleiche Einheiten aufgeteilt und den Gesellschaftern zu Alleineigentum übertragen. Die Klägerin erhielt im Zuge dieser Realteilung das Alleineigentum an den Flurstücken 364 (F-Straße 111, 113 und 115) und 366 (F-Straße 99).

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) setzte gegen die Klägerin für die ihr übertragenen Grundstücke durch --hinsichtlich der Bemessungsgrundlage (Grundstückswerte) vorläufigen-- Bescheid vom 12. Juni 2003 Grunderwerbsteuer in Höhe von 63 049 € fest. Die Steuer blieb gemäß § 3 Nr. 6 und § 6 Abs. 2 des Grunderwerbsteuergesetzes (GrEStG) in Höhe von 25 v.H. unerhoben. Der Einspruch, mit dem die Klägerin wegen der Realteilung eines einheitlichen Grundstücks die Anwendung des § 7 Abs. 2 GrEStG begehrte, hatte keinen Erfolg.

Das Finanzgericht (FG) gab der Klage mit seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte 2005, 1638 veröffentlichten Urteil statt. Der Erwerb der Klägerin sei gemäß § 7 Abs. 2 GrEStG von der Steuer befreit. Die Wohnanlage sei bei einer Gesamtbetrachtung als wirtschaftliche Einheit zu beurteilen, weil sie auf Grund einheitlicher Planung als städtebaulich zusammenhängendes Quartier errichtet worden sei und bereits nach außen hin einen geschlossenen Eindruck ähnlich einer Hofanlage vermittle. Dem baurechtlich vorgesehenen einheitlichen Funktionszusammenhang, der durch die miteinander verbundenen Ver- und Entsorgungseinrichtungen sowie durch die gemeinschaftliche Tiefgarage bestätigt werde, entspreche die tatsächliche wirtschaftliche Nutzung durch Vermietung der einzelnen Wohnungen.

Mit der Revision rügt das FA Verletzung materiellen Rechts. Das FG habe mit seiner Annahme einer wirtschaftlichen Einheit die Grundsätze des Urteils des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 3. August 2004 X R 40/03 (BFHE 207, 213, BStBl II 2005, 35) nicht beachtet.

Das FA beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.

II. Die Revision ist begründet. Die Vorentscheidung ist aufzuheben und die Klage abzuweisen (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Zu Unrecht hat das FG die Wohnanlage als wirtschaftliche Einheit behandelt.

1. Wird ein Grundstück, das einer Gesamthand gehört, von den an der Gesamthand beteiligten Personen flächenweise geteilt, so wird gemäß § 7 Abs. 2 Satz 1 GrEStG die Steuer nicht erhoben, soweit der Wert des Teilgrundstücks, das der einzelne Erwerber erhält, dem Anteil entspricht, zu dem er am Vermögen der Gesamthand beteiligt ist. Diese Befreiungsvorschrift bezieht sich auf das einzelne Grundstück i.S. des § 2 GrEStG und nicht auf alle Grundstücke einer Gesamthand (BFH-Entscheidungen vom 23. Januar 1985 II R 35/82, BFHE 143, 152, BStBl II 1985, 336; vom 27. Juli 2001 II B 20/01, BFH/NV 2002, 70). Werden mehrere Grundstücke einer Gesamthand dergestalt auf die einzelnen Gesellschafter übertragen, dass jeder Gesellschafter ein ganzes Grundstück erhält, kann dies nur dann wie die flächenweise Teilung eines einzigen Grundstücks behandelt werden, wenn diese Grundstücke im Gesellschaftsvermögen der Personengesellschaft zu einer wirtschaftlichen Einheit (§ 2 Abs. 3 Satz 1 GrEStG) zusammengefasst waren.

2. Die "wirtschaftliche Einheit" i.S. des § 2 Abs. 3 Satz 1 GrEStG ist ein Typusbegriff, der sich nach grunderwerbsteuerrechtlichen, nicht nach bewertungsrechtlichen Gesichtspunkten bestimmt und der im Rahmen der Grunderwerbsteuerveranlagung selbständig zu prüfen ist (BFH-Entscheidungen vom 10. Dezember 1968 II B 24/68, BFHE 94, 291, und in BFHE 143, 152, BStBl II 1985, 336). Für die Zuordnung des jeweiligen Sachverhalts zum Typus der wirtschaftlichen Einheit sind jedoch auch im Grunderwerbsteuerrecht die örtliche Gewohnheit, die tatsächliche Übung, die Zweckbestimmung und die wirtschaftliche Zugehörigkeit (§ 2 Abs. 1 Satz 3 des Bewertungsgesetzes) maßgebend, wobei den objektiven Merkmalen ggf. der Vorrang einzuräumen ist (BFH-Urteile vom 15. Juni 1983 III R 40/82, BFHE 139, 201, BStBl II 1983, 752, und in BFHE 143, 152, BStBl II 1985, 336).

a) Mehrere Grundstücke gehören zu einer wirtschaftlichen Einheit, wenn sie zu einem einheitlichen Zweck zusammengefasst sind, der sich äußerlich in einer entsprechenden einheitlichen Ausgestaltung niederschlägt, durch welche die selbständige Funktion des einzelnen Grundstücks nach der Verkehrsauffassung aufgehoben wird. Dabei hat der subjektive Wille eine wesentliche Bedeutung, der allerdings nicht im Widerspruch zu den objektiven äußeren Merkmalen stehen darf (BFH-Urteile in BFHE 139, 201, BStBl II 1983, 752, und in BFHE 143, 152, BStBl II 1985, 336).

b) Die Aneinanderreihung von Wohnblöcken in großstädtischer Lage allein reicht für das Bestehen einer wirtschaftlichen Einheit nicht aus. Dies gilt auch dann, wenn deren Ver- und Entsorgungseinrichtungen vielfältig miteinander verbunden sind, der Grundstückskomplex gemeinschaftlich verwaltet wird und für alle Mieter eine gemeinschaftliche Tiefgarage vorhanden ist. Bei Mietwohngrundstücken spricht grundsätzlich, sofern die mehreren Grundstücke nicht als eine Einheit bebaut worden sind, die selbständige Nutzbarkeit der einzelnen Grundstücke gegen das Vorliegen einer wirtschaftlichen Einheit (BFH in BFHE 143, 152, BStBl II 1985, 336).

c) Die vom Senat in seinem Urteil in BFHE 143, 152, BStBl II 1985, 336 offen gelassene Frage, ob eine Reihe von Wohnblöcken schon deshalb als wirtschaftliche Einheit zu beurteilen ist, weil sie nach einem einheitlichen Plan errichtet wurde, ist grundsätzlich zu verneinen. Weder die Einheitlichkeit der Planung und architektonischen Gestaltung der Gesamtanlage noch deren gleichzeitige Errichtung begründet, da das dadurch bewirkte einheitliche Erscheinungsbild der Wohnanlage auch Folge der öffentlichen Bauleitplanung sein kann, für sich allein das Vorliegen einer wirtschaftlichen Einheit (BFH-Urteil in BFHE 207, 213, BStBl II 2005, 35). Eine andere Beurteilung ist nur gerechtfertigt, wenn mehrere Wohnblöcke in einem objektiven Funktionszusammenhang stehen, der eine gemeinsame Nutzung gebietet oder doch als sinnvoll erscheinen lässt (BFH-Entscheidungen vom 28. April 1993 II S 6/93, BFH/NV 1993, 642; vom 30. November 1993 II R 27/90, BFH/NV 1994, 504). Ein solcher objektiver Funktionszusammenhang ist allerdings nicht bereits dann gegeben, wenn ein Eigentümer eine Mehrheit von Wirtschaftsgütern für einen gemeinsamen Zweck einsetzt (Gürsching/ Stenger, BewG und VStG, § 2 BewG Anm. 51.4). Bei einer nach einheitlichem Plan errichteten Wohnanlage liegt daher eine wirtschaftliche Einheit nur vor, wenn die gesamte Wohnanlage zu einem einheitlichen Zweck zusammengefasst ist, der sich nicht nur äußerlich in einer entsprechenden einheitlichen Ausgestaltung niederschlägt, sondern der auch die selbständige Funktion des einzelnen Grundstücks nach der Verkehrsauffassung aufhebt.

3. Diese für das Vorliegen einer wirtschaftlichen Einheit i.S. des § 2 Abs. 3 Satz 1 GrEStG maßgebenden Abgrenzungsmerkmale hat das FG verkannt, so dass die Vorentscheidung aufzuheben war. Der streitgegenständliche Gebäudekomplex ist nicht schon deshalb eine wirtschaftliche Einheit, weil er auf Grund einheitlicher Planung als geschlossenes Wohnquartier konzipiert und errichtet wurde. Eine andere Beurteilung rechtfertigt sich auch nicht auf Grund der vom FG festgestellten tatsächlichen Gegebenheiten der Wohnanlage (einheitliches äußeres Erscheinungsbild mit gemeinsamem Innenhof und die Gesamtanlage umschließender einheitlicher Zaun, miteinander verbundene Ver- und Entsorgungseinrichtungen, Tiefgarage, der Wohnanlage zugeordnete Kinderspielplätze und Kindertagesstätte). Diese (städte-)baulichen Gegebenheiten lassen zwar einen wirtschaftlichen Zusammenhang mit gemeinsamer Zweckbestimmung erkennen. Sie begründen jedoch, anders als das FG meint, wegen der für die einzelnen Wohnblöcke vorhandenen jeweils eigenen Hauseingänge sowie der an den einzelnen rechtlich selbständigen Grundstücken ausgerichteten Anordnung der Baukörper keinen objektiven Funktionszusammenhang der gesamten Wohnanlage. Die selbständige Funktion und Nutzbarkeit der einzelnen Grundstücke ist nicht aufgehoben. Der gemeinschaftlichen Vermietung der gesamten Wohnanlage kommt für das Vorliegen einer wirtschaftlichen Einheit ohnehin kein entscheidendes Gewicht zu (BFH in BFHE 143, 152, BStBl II 1985, 336).

Dem FG kann auch nicht darin gefolgt werden, dass im Rahmen einer Gesamtbetrachtung der einheitliche Funktionszusammenhang der gesamten Wohnanlage bestätigt werde. Das FG ist selbst zutreffend davon ausgegangen, dass den von ihm herausgestellten Abgrenzungsmerkmalen keine ausschlaggebende Bedeutung für das Vorliegen einer wirtschaftlichen Einheit zukommen kann. In einem solchen Fall kann auch eine "Gesamtbetrachtung" zu keinem anderen Ergebnis führen.

4. Die Sache ist spruchreif. Die Klage ist abzuweisen. Der angegriffene Bescheid, mit dem das FA zutreffend den Erwerb von zwei Grundstücken durch die Klägerin der Grunderwerbsteuer unterworfen und die flächenweise Teilung eines Grundstücks i.S. des § 7 Abs. 2 GrEStG verneint hat, verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten.



Ende der Entscheidung

Zurück