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Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 21.02.2002
Aktenzeichen: II R 18/00
Rechtsgebiete: BewG
Vorschriften:
BewG § 22 Abs. 1 Nr. 1 | |
BewG § 22 Abs. 3 Satz 1 | |
BewG § 22 Abs. 4 Satz 2 |
Gründe:
I.
Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) sind in ungeteilter Erbengemeinschaft Eigentümer eines mit einem Zweifamilienhaus bebauten Grundstücks. Das Gebäude war in den Jahren 1969/1970 errichtet worden. Die in dem Haus befindlichen Wohnungen wurden als grundsteuerbegünstigt anerkannt. Der Einheitswert wurde erstmals auf den 1. Januar 1974 auf 67 100 DM festgestellt (Bescheid vom 23. August 1974).
Nach dem Wegfall der Grundsteuerbegünstigung stellte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) den Einheitswert auf den 1. Januar 1981 auf 59 600 DM fest (Bescheid vom 5. April 1982). Bei der Berechnung dieses Einheitswertes berücksichtigte das FA eine geminderte Jahresrohmiete. Diese hatte das FA entsprechend der damaligen Verwaltungspraxis (vgl. z.B. Oberfinanzdirektion --OFD-- Hannover, Bewertungskartei 1965, Karte 14 a zu § 79 des Bewertungsgesetzes --BewG--) ausgehend von der üblichen Miete für grundsteuerbegünstigten Wohnraum ermittelt, indem es den Zuschlag von 12 v.H. wegen der Grundsteuerbegünstigung entfallen ließ und den sich danach ergebenden Wert für die Wohnung im Erdgeschoss ansetzte. Für die Wohnung im Untergeschoss nahm das FA von dem sich ergebenden Wert zunächst einen weiteren Abzug vor, um dann anschließend eine Erhöhung um pauschal 2 v.H. vorzunehmen.
Nachdem das Grundstück --mit unverändertem Einheitswert-- den Klägern zugerechnet worden war (Zurechnungsfortschreibung auf den 1. Januar 1993, Bescheid vom 12. Oktober 1995), erhöhte das FA mit Bescheid vom 26. Oktober 1995 zum Stichtag 1. Januar 1995 im Wege der fehlerbeseitigenden Fortschreibung den Einheitswert auf 69 100 DM. Im Hinblick auf das Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 15. Oktober 1986 II R 230/81 (BFHE 148, 174, BStBl II 1987, 201), wonach bei der Schätzung der Jahresrohmiete vorrangig von der üblichen Marktmiete für nicht grundsteuerbegünstigte Wohnungen auszugehen ist, legte es nunmehr Jahresrohmieten zugrunde, die es seinem Mietspiegel für frei finanzierte Wohnungen entnahm.
Nach erfolglosem Einspruch erhoben die Kläger Klage mit dem Antrag, den Einheitswert auf den 1. Januar 1995 auf 67 100 DM festzustellen. Sie vertraten die Auffassung, die fehlerbeseitigende Wertfortschreibung auf einen Einheitswert von 69 100 DM sei nicht zulässig. Eine fehlerbeseitigende Wertfortschreibung auf diesen Wert sei nur möglich, wenn die Grenzen des § 22 Abs. 1 Nr. 1 BewG im Vergleich zum letzten rechtmäßig festgestellten Einheitswert (67 100 DM) überschritten seien. Da dies nicht der Fall sei, könne im Rahmen der Beseitigung des Fehlers, der bei der Feststellung des Einheitswertes auf 59 600 DM erfolgt sei, nur der letzte rechtmäßige Einheitswert festgestellt werden.
Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt (Urteil vom 8. Februar 2000 3 K 27/96, Entscheidungen der Finanzgerichte --EFG-- 2000, 476) und stellte den Einheitswert auf den 1. Januar 1995 auf 67 100 DM fest. Es vertrat die Ansicht, die durch den Bescheid vom 5. April 1982 vorgenommene fehlerhafte Einheitswertfeststellung könne nur in der Weise beseitigt werden, dass der Einheitswert auf denjenigen Wert fortgeschrieben werde, der im streitigen Feststellungszeitpunkt ohne den unterlaufenen Fehler wirksam wäre.
Mit der vom FG zugelassenen Revision macht das FA die Verletzung von § 22 Abs. 3 Satz 1 und Abs. 1 Nr. 1 BewG geltend. Eine fehlerbeseitigende Wertfortschreibung nach § 22 Abs. 3 Satz 1 BewG setze voraus, dass die vorangegangene Einheitswertfeststellung einen Fehler enthalte, der sich auf deren Ergebnis ausgewirkt habe, und dass die Grenzen des § 22 Abs. 1 Nr. 1 BewG überschritten seien. Die Ansicht, im Rahmen der Fehlerbeseitigung dürfe nicht über den Einheitswert hinausgegangen werden, der zuletzt vor der fehlerhaften Feststellung rechtmäßig festgestellt worden sei, wenn im Vergleich zu dieser Feststellung die Wertgrenzen nicht überschritten seien, könne weder aus dem Wortlaut des § 22 Abs. 1 BewG noch aus dem Sinn und Zweck des § 22 Abs. 3 BewG abgeleitet werden.
Das FA beantragt, unter Aufhebung der Vorentscheidung die Klage abzuweisen.
Die Kläger haben sich zu der Revision nicht geäußert.
II.
Die Revision des FA ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).
Die Vorentscheidung ist aufzuheben. Das Urteil des FG beruht auf einer Verletzung von § 22 Abs. 4 Satz 2 BewG. Das FG hat zu Unrecht angenommen, der Einheitswert zum 1. Januar 1995 dürfe im Wege der fehlerbeseitigenden Wertfortschreibung höchstens bis zur Höhe des zum 1. Januar 1974 festgestellten Einheitswertes fortgeschrieben werden.
a) Nach § 22 Abs. 3 Satz 1, § 22 Abs. 1 Nr. 1 BewG findet beim Grundbesitz zur Beseitigung eines Fehlers der letzten Feststellung u.a. dann eine Wertfortschreibung statt, wenn der nach § 30 BewG abgerundete Wert, der sich für den Beginn eines Kalenderjahres ergibt, vom Einheitswert des letzten Feststellungszeitpunktes nach oben um mehr als den zehnten Teil, mindestens aber um 5 000 DM, oder um mehr als 100 000 DM abweicht. Das Vorliegen dieser Voraussetzungen hat das FG zu Recht bejaht.
aa) Fehler i.S. von § 22 Abs. 3 Satz 1 BewG ist jede objektive --materielle-- Unrichtigkeit, wobei es nicht darauf ankommt, ob diese klarliegend, leicht feststellbar bzw. unmittelbar einsichtig ist. Entscheidend ist allein, dass die getroffene Regelung geltendem Recht widerspricht. Somit rechtfertigt jeder Fehler im Sinne einer objektiven Unrichtigkeit die Fortschreibung des Einheitswerts zum Zwecke der Fehlerbeseitigung (BFH-Urteil vom 29. November 1989 II R 53/87, BFHE 159, 215, BStBl II 1990, 149).
Unter den Fehlerbegriff fällt deshalb auch die Korrektur der aufgrund des BFH-Urteils in BFHE 148, 174, BStBl II 1987, 201 als falsch erkannten Ableitung der Jahresrohmiete für frei finanzierten Wohnraum aus der üblichen Miete für grundsteuerbegünstigten Wohnraum (BFH-Urteil vom 17. Februar 1999 II R 48/97, BFH/NV 1999, 1452). Nach Korrektur dieses Fehlers ergibt sich ein Einheitswert von 69 100 DM.
bb) Die Wertgrenzen des § 22 Abs. 1 Nr. 1 BewG sind überschritten. Denn der nach § 30 BewG abgerundete Wert, der sich zum Feststellungszeitpunkt 1. Januar 1995 ergibt (69 100 DM) weicht vom Einheitswert des letzten Feststellungszeitpunktes (59 600 DM auf den 1. Januar 1981) um mehr als den zehnten Teil und um mindestens 5 000 DM nach oben ab.
b) Die fehlerbeseitigende Wertfortschreibung hat entgegen der Auffassung des FG auf den zum im Streit befindlichen Feststellungszeitpunkt ermittelten, nach § 30 BewG abgerundeten Wert zu erfolgen und nicht auf einen zu einem früheren Zeitpunkt festgestellten (rechtmäßigen) Einheitswert, auch wenn im Vergleich zu diesem Wert die Grenzen des § 22 Abs. 1 Nr. 1 BewG nicht überschritten sind.
aa) Nach § 22 Abs. 4 Satz 2 BewG werden der Fortschreibung vorbehaltlich des § 27 BewG die Verhältnisse im Fortschreibungszeitpunkt zugrunde gelegt. Bei der hier gegebenen fehlerbeseitigenden Wertfortschreibung, die zu einem höheren Einheitswert führt, ist nach § 22 Abs. 4 Satz 3 Nr. 2 BewG Fortschreibungszeitpunkt frühestens der Beginn des Kalenderjahres, in dem der Feststellungsbescheid erteilt wird. Das FA hat davon ausgehend in seinem Bescheid vom 26. Oktober 1996 zutreffend den Fortschreibungszeitpunkt 1. Januar 1995 angenommen.
bb) Indem das FG den Einheitswert auf 67 100 DM fortgeschrieben hat, hat es § 22 Abs. 4 Satz 2 BewG nicht beachtet.
Sind nach dieser Vorschrift die Verhältnisse im Fortschreibungszeitpunkt maßgeblich, so kann eine fehlerbeseitigende Wertfortschreibung nur auf den Einheitswert vorgenommen werden, der sich nach den maßgeblichen Vorschriften des BewG zum Fortschreibungszeitpunkt ergibt. Die fehlerbeseitigende Wertfortschreibung unterliegt insoweit keinen anderen Grundsätzen als die Wertfortschreibung aufgrund einer Änderung der tatsächlichen Verhältnisse. Die fehlerbeseitigende Fortschreibung nach § 22 Abs. 3 BewG ist --neben der Wert- (§ 22 Abs. 1 BewG), Art- (§ 22 Abs. 2 BewG) und Zurechnungsfortschreibung (§ 22 Abs. 2 BewG)-- keine weitere Fortschreibungsart, die eigenen (besonderen) Regeln unterworfen wäre. Denn die Einfügung des § 22 Abs. 3 BewG durch das Gesetz zur Änderung des Bewertungsgesetzes vom 13. August 1965 --BewGÄndG 1965-- (BGBl I 1965, 851, BStBl I 1965, 375) sollte nur klarstellend eine gesetzliche Grundlage für fehlerbeseitigende Fortschreibungen schaffen, die nach ständiger Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs (RFH) und des BFH zuvor schon im Rahmen der vorhandenen Fortschreibungsarten zulässig waren (vgl. BTDrucks IV/1488, S. 37; Bericht des Finanzausschusses zu BTDrucks IV/3508, S. 5; Rössler/Troll, Bewertungsgesetz, 18. Aufl., § 22 Rn. 3). Eine neue selbständige Fortschreibungsart sollte mit § 22 Abs. 3 BewG nicht eingeführt werden. So spricht auch die Kommentarliteratur folgerichtig einhellig nur von drei Fortschreibungsarten (vgl. z.B. Gürsching/Stenger, Kommentar zum Bewertungs- und Vermögensteuergesetz, 9. Aufl., § 22 BewG, Überschrift vor Anm. 93; Rössler/Troll, a.a.O., § 22 Rn. 49).
c) Diesem Ergebnis stehen auch keine verfassungsrechtlichen Bedenken entgegen.
aa) Das Bundesverfassungsgericht hat bereits zur Rechtsprechung des RFH und BFH, die vor der Einführung des § 22 Abs. 3 BewG durch das BewGÄndG 1965 die fehlerbeseitigende Fortschreibung für zulässig erachtete, entschieden, das Rechtsstaatsprinzip werde nicht verletzt (Beschluss vom 12. Februar 1969 1 BvR 687/62, BVerfGE 25, 216 [228], BStBl II 1969, 364). Durch Fortschreibungen zum Zwecke der Fehlerberichtigung wird die Bestandskraft der vorangegangenen Einheitswertbescheide nicht berührt. Denn sie ändern nicht rückwirkend die ursprüngliche Feststellung, sondern stellen den Wert vom Fortschreibungszeitpunkt an fest; der Fortschreibungsbescheid tritt also nicht an die Stelle des ursprünglichen Bescheids, sondern neben ihn. An dieser Rechtslage hat sich durch die Einführung des § 22 Abs. 3 BewG nichts geändert (vgl. Viskorf/Glier/Knobel, Bewertungsgesetz, Kommentar, 4. Aufl., § 22 Rdn. 3; Gürsching/Stenger, a.a.O., § 22 BewG Anm. 33; Rössler/Troll, a.a.O., § 22 Rn. 11).
bb) Eine im Hinblick auf das Rechtsstaatsprinzip bedenkliche Manipulation der Finanzverwaltung dergestalt, dass sie mit dem Ziel der Feststellung eines höheren Einheitswertes den bisherigen Einheitswert zunächst auf einen Stichtag bewusst rechtswidrig niedriger feststellt, damit dann beim folgenden Stichtag die Fortschreibungsgrenzen nach § 22 Abs. 1 BewG überschritten sind, scheidet im Streitfall aus. Sollte eine Steuerbehörde in dieser Weise verfahren, stünde der Fortschreibung des Einheitswertes über den ursprünglichen Einheitswert hinaus der Grundsatz von Treu und Glauben entgegen.
Ende der Entscheidung
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