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Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 17.05.2000
Aktenzeichen: II R 2/98
Rechtsgebiete: BewG, EStG, HGb, GenG
Vorschriften:
BewG § 95 Abs. 1 | |
BewG § 103 | |
BewG § 106 Abs. 2 | |
BewG § 106 Abs. 4 | |
BewG § 109a | |
EStG § 15 Abs. 1 | |
EStG § 15 Abs. 2 | |
HGB § 337 Abs. 1 Satz 1 | |
GenG § 65 ff. |
Geschäftsguthaben von Mitgliedern einer eingetragenen Genossenschaft, deren Mitgliedschaft durch Kündigung, bei Tod oder infolge Ausschlusses "zum Schluss eines Geschäftsjahres" (31. Dezember) endet, sind bei der auf den 1. Januar des Folgejahres durchzuführenden Feststellung des Einheitswerts des Betriebsvermögens der Genossenschaft als Schuldposten zu berücksichtigen.
BewG § 95 Abs. 1, § 103, § 106 Abs. 2, Abs. 4, § 109a EStG § 15 Abs. 1 und 2 HGB § 337 Abs. 1 Satz 1 GenG § 65 ff.
Urteil vom 17. Mai 2000 - II R 2/98 -
Vorinstanz: FG Münster (EFG 1998, 349)
Gründe
I.
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist eine eingetragene Genossenschaft. In ihrer Steuerbilanz zum 31. Dezember 1993 bildete sie passive Bilanzposten in Höhe von 6 859,15 DM und 5 406,99 DM für Geschäftsguthaben von Mitgliedern, die durch Aufkündigung i.S. von § 65 des Genossenschaftsgesetzes (GenG) oder infolge Tod oder Ausschließung satzungsgemäß zum "Schluss des Geschäftsjahres" 1993 ausgeschieden waren. In ihrer auf den Abschlusstag (31. Dezember 1993) gefertigten Vermögensaufstellung erfasste die Klägerin die Geschäftsguthaben der zum Jahresschluss ausgeschiedenen Mitglieder als Schuldposten.
Dem folgte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) zunächst bei der --unter Vorbehalt der Nachprüfung stehenden-- Feststellung des Einheitswerts des Betriebsvermögens der Klägerin auf den 1. Januar 1994. Mit einem --weiterhin unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehenden-- Änderungsbescheid vom 4. Mai 1995 stellte das FA den Einheitswert des Betriebsvermögens der Klägerin auf 10 625 000 DM fest und ließ dabei die Geschäftsguthaben der zum Jahresschluss 1993 ausgeschiedenen Mitglieder nicht mehr als Schuldposten zum Abzug vom Rohbetriebsvermögen zu, weil es sich insoweit ertragsteuerrechtlich um Eigenkapital der Klägerin handele.
Einspruch und Klage, mit denen die Klägerin geltend machte, es handele sich bei den fraglichen Geschäftsguthaben nicht um Eigenkapital, blieben ohne Erfolg. Das Finanzgericht (FG), dessen Urteil in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1998, 349 veröffentlicht ist, vertrat die Auffassung, die Geschäftsguthaben der zum Schluss des Geschäftsjahres ausscheidenden Mitglieder hätten im maßgeblichen Abschlusszeitpunkt noch Eigenkapitalcharakter. Der Auffassung des Bundesfinanzhofs (BFH) in seinem Urteil vom 9. Januar 1959 III 89/58 U (BFHE 68, 394, BStBl III 1959, 152), die Geschäftsguthaben seien als Schuldposten zu berücksichtigen, selbst wenn sie ihren Eigenkapitalcharakter erst mit dem Beginn des darauf folgenden Geschäftsjahres verloren hätten, könne nicht gefolgt werden, weil dem die klare gesetzliche Regelung in § 106 Abs. 4 des Bewertungsgesetzes (BewG) entgegenstehe.
Mit der Revision rügt die Klägerin Verletzung von § 106 Abs. 2 und 4 sowie § 109 BewG. Das FG habe rechtsfehlerhaft das Ausscheiden der Genossen dem Feststellungszeitpunkt (1. Januar 1994) zugeordnet. Tatsächlich sei eine Schuld gegenüber den ausscheidenden Genossen bereits im Abschlusszeitpunkt entstanden.
Die Klägerin beantragt sinngemäß, das Urteil des FG Münster vom 18. September 1997 3 K 3756/95 EW, den Feststellungsbescheid betreffend den Einheitswert des Betriebsvermögens auf den 1. Januar 1994 vom 4. Mai 1995 und die Einspruchsentscheidung vom 21. Juli 1995 aufzuheben.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
II.
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung, des angefochtenen Änderungsbecheides sowie der Einspruchsentscheidung (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).
Der erkennende Senat folgt nicht der Auffassung des FG, dass bei der Ermittlung des Einheitswerts des Betriebsvermögens der Klägerin auf den 1. Januar 1994 die Geschäftsguthaben der zum Ende des Jahres 1993 gekündigten Mitgliedschaften bzw. der zu diesem Zeitpunkt ausscheidenden Genossen nicht als Schulden i.S. von § 103 BewG anzusetzen sind, weil diese noch dem Eigenkapital der Klägerin zuzurechnen seien und deswegen nicht als Schuldposten berücksichtigt werden dürften.
Bei der Einheitsbewertung des Betriebsvermögens sind Schulden und sonstige Abzüge zu berücksichtigen und vom Rohbetriebsvermögen abzusetzen (§ 98a BewG). Nach § 103 BewG ist hierfür jedoch Voraussetzung, dass die Schulden und sonstigen Abzüge nach § 95 Abs. 1 BewG zum Betriebsvermögen gehören und mit der Gesamtheit oder einzelnen Teilen des Betriebsvermögens in wirtschaftlichem Zusammenhang stehen.
Das Betriebsvermögen umfasst gemäß § 95 Abs. 1 BewG in der ab dem 1. Januar 1993 geltenden Fassung "alle Teile eines Gewerbebetriebs im Sinne des § 15 Abs. 1 und 2 des Einkommensteuergesetzes, die bei der steuerlichen Gewinnermittlung zum Betriebsvermögen gehören". Der Umfang des Betriebsvermögens richtet sich demnach weitgehend danach, was ertragsteuerrechtlich dem Betriebsvermögen zugerechnet wird (Entscheidungen des BFH vom 27. Januar 1999 II B 7/98, BFHE 187, 332, BStBl II 1999, 206, und vom 16. Juni 1999 II R 24/98, BFH/NV 2000, 10). Zum Betriebsvermögen zählen daher grundsätzlich alle Wirtschaftsgüter und sonstigen aktiven Ansätze sowie Schulden und sonstigen Abzüge, die bei der steuerlichen Gewinnermittlung zum Betriebsvermögen gehören, soweit das Gesetz nicht ausdrücklich etwas anderes vorschreibt oder zulässt (vgl. auch Abschn. 27 Abs. 1 der Vermögensteuer-Richtlinien 1993). Bei bilanzierenden Steuerpflichtigen rechnen hierzu u.a. alle Schulden und sonstigen Abzüge, die in der Steuerbilanz ausgewiesen sind. Dies gilt für sämtliche auf der Passivseite ausgewiesenen Schulden und sonstigen passiven Ansätze, jedoch u.a. nicht für solche Bilanzposten, die als Eigenkapital einer Kapitalgesellschaft anzusprechen sind und keine Schuld der Gesellschaft gegenüber Dritten darstellen. Dasselbe gilt für solche Beträge, die auf den Geschäftsanteil an einer eingetragenen Genossenschaft eingezahlt wurden (Geschäftsguthaben der Genossen) und wie Eigenkapital der Genossenschaft zu behandeln sind (vgl. § 337 Abs. 1 Satz 1 des Handelsgesetzbuches --HGB--). Diese dürfen deshalb nicht als Schuld vom Rohbetriebsvermögen abgezogen werden.
Die Geschäftsguthaben der zum Jahresschluss 1993 gekündigten Mitgliedschaften bzw. der zu diesem Zeitpunkt ausscheidenden Genossen sind in dem nach § 106 Abs. 2 BewG maßgeblichen Abschlusszeitpunkt 31. Dezember 1993 nicht als Eigenkapital der Klägerin, sondern als Schuld der Klägerin gegenüber den zum Jahresschluss 1993 ausgeschiedenen Genossen anzusehen. Denn die Zugehörigkeit der Geschäftsguthaben der ausscheidenden Genossen zum Vermögen (Eigenkapital) der Genossenschaft war zeitlich beschränkt auf die Dauer der Mitgliedschaft dieser Genossen. Diese endete noch im Jahre 1993. Damit haben die Geschäftsguthaben dieser Mitglieder noch im Jahre 1993 ihren Eigenkapitalcharakter verloren und sich in schuldrechtliche Ansprüche auf eine Auseinandersetzungsforderung gegen die Klägerin, also in eine nach § 103 Abs. 1 BewG abziehbare Betriebsschuld umgewandelt (BFH-Urteil in BFHE 68, 394, BStBl III 1959, 152; hierzu auch Hunger in Hofbauer/Kupsch, Bonner Handbuch der Rechnungslegung, § 337 HGB Rdnr. 8).
Nach der Satzung der Klägerin, die insoweit den §§ 65 ff. GenG entspricht, endet die Mitgliedschaft der durch Kündigung, bei Tod oder infolge Ausschlusses ausscheidenden Genossen "zum Schluss eines Geschäftsjahres". Diese Formulierung spricht objektiv dafür, dass das Ausscheiden der Genossen am Ende des Geschäftsjahres (Ende des maßgeblichen Abschlusstages; 31. Dezember), d.h. in der denkbar letzten Zeiteinheit dieses Tages bzw. (Geschäfts-)Jahres und nicht erst am folgenden Tag bzw. im nachfolgenden (Geschäfts-)Jahr erfolgen soll. Denn die Wortwahl "zum Schluss eines Geschäftsjahres" kann nicht gleichgesetzt werden mit der Aussage "nach Ablauf des Geschäftsjahres". Während nämlich letztere den maßgeblichen Vorgang eindeutig dem Zeitraum nach Ablauf des Geschäftsjahres, d.h. dem dem Abschlusstag folgenden Tag zuweist, spricht erstere einen früheren, nicht dem Folgetag (Folgejahr) zuzurechnenden Zeitraum an. Da das zum Ende gelangte Geschäftsjahr sofort und ohne Unterbrechung in das nächste Geschäftsjahr übergeht, es demnach zwischen den beiden Jahren keine denkbare Zeiteinheit gibt, die, gelegentlich als "Schnittpunkt der Tage (oder Jahre)" bezeichnet, weder dem einen noch dem anderen Jahr zugeordnet werden kann, kann mit der Formulierung "zum Schluss eines Geschäftsjahres" nur ein Zeitpunkt angesprochen sein, der (noch) dem ablaufenden Geschäftsjahr zuzuordnen ist, oder --wie es das Reichsgericht in seiner Entscheidung vom 11. Januar 1904 I.127/03 (RGZ 56, 425, 429) für diese Formulierung ausdrückt-- der "letzte messbare Zeitpunkt, ... in welchem alle Ereignisse des eben abgelaufenen, und noch keines des neu beginnenden Jahres ihre Wirkung ausüben" (vgl. auch BFH-Urteile vom 3. März 1978 III R 126/75, BFHE 124, 548, BStBl II 1978, 366, und vom 22. September 1999 II R 33/97, BFHE 189, 533, BStBl II 2000, 2; offengelassen: BFH-Urteil in BFHE 68, 394, BStBl III 1959, 152).
Handelt es sich demnach bei dem Ausscheiden der Genossen zum Schluss des Geschäftsjahres 1993 um ein zeitlich (noch) in dieses Geschäftsjahr fallendes Ereignis, sind dessen Folgen gemäß § 106 Abs. 4 BewG bei der auf den folgenden 1. Januar 1994 durchzuführenden Feststellung des Einheitswerts des Betriebsvermögens der Klägerin zu berücksichtigen (vgl. BFH-Urteile vom 27. Januar 1993 II R 55/89, BFHE 170, 462, BStBl II 1993, 322; vom 2. März 1988 II R 153/85, BFHE 153, 56, BStBl II 1988, 573, und vom 21. Dezember 1978 III R 41/76, BFHE 127, 50, BStBl II 1979, 294).
Da die Klägerin in ihrer Steuerbilanz auf den 31. Dezember 1993 die Geschäftsguthaben der zum Jahresschluss 1993 ausgeschiedenen Mitglieder als Passivposten ausgewiesen hat und es sich --wie oben dargelegt-- insoweit nicht um Eigenkapital, sondern um eine Schuld der Klägerin handelt, liegt i.S. von § 95 Abs. 1 BewG ertragsteuerrechtlich (negatives) Betriebsvermögen vor, welches im Hinblick auf die vom Gesetzgeber angeordnete Bestandsidentität zwischen Steuerbilanz und Vermögensaufstellung (§ 95 Abs. 1, § 109a BewG) bei der Feststellung des Einheitswerts zu berücksichtigen ist, da auch das weitere Erfordernis des wirtschaftlichen Zusammenhangs dieser Schulden mit dem Betriebsvermögen der Klägerin gegeben ist. Denn die Entstehung der Schuld beruht ursächlich und unmittelbar auf Vorgängen, die das Betriebsvermögen der Klägerin betreffen (BFH-Urteile vom 28. Januar 1972 III R 108/70, BFHE 104, 563, BStBl II 1972, 414, und vom 18. Dezember 1990 VIII R 1/88, BFHE 163, 444, BStBl II 1991, 911).
Ende der Entscheidung
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