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Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 29.06.2005
Aktenzeichen: II R 21/04
Rechtsgebiete: GrEStG, VermG, AO 1977, FGO


Vorschriften:

GrEStG § 1 Abs. 1 Nr. 1
VermG § 34 Abs. 3
AO 1977 § 362 Abs. 2 Satz 2
AO 1977 § 110 Abs. 3
AO 1977 § 362 Abs. 1
AO 1977 § 362 Abs. 2
AO 1977 § 80 Abs. 1 Satz 1
AO 1977 § 80 Abs. 1 Satz 2
FGO § 118 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts, deren Gesellschafter der Notar A und ein weiterer Notar sowie deren Ehefrauen sind. Die Klägerin erwarb mit Vertrag vom 22. Oktober 1991 einen Anspruch nach dem Vermögensgesetz (VermG) auf Rückübertragung eines Grundbesitzes; der Kaufpreis betrug 1 500 000 DM. Das Grundstück wurde am 6. April 1993 auf die Gesellschafter der Klägerin zu Gesamthandseigentum umgeschrieben.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) beurteilte den Vertrag vom 22. Oktober 1991 als Erwerbsvorgang nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 des Grunderwerbsteuergesetzes (GrEStG) und setzte gegen die Klägerin durch Bescheid vom 3. Juni 1993 Grunderwerbsteuer in Höhe von 30 000 DM fest. Mit dem durch den hierzu bevollmächtigten A eingelegten Einspruch machte die Klägerin Steuerbefreiung nach § 34 Abs. 3 VermG geltend.

Mit Schreiben vom 21. August 1996 wies das FA die Klägerin darauf hin, dass der Bundesfinanzhof (BFH) durch Urteil vom 8. November 1995 II R 93/94 (BFHE 179, 174, BStBl II 1996, 27) die Grunderwerbsteuerpflicht "von Abtretungen sowie Kaufverträgen von Ansprüchen" nach dem VermG "eindeutig bejaht" und entschieden habe, dass die Befreiung nach § 34 Abs. 3 VermG nicht für einen Weiterveräußerungsvertrag gelte, der der Verwertung der Rechtsposition des früheren Grundstückseigentümers diene. Mit einem beim FA am 30. August 1996 eingegangenen Schreiben nahm A den Einspruch für die Klägerin zurück.

Mit Schreiben vom 6. März 1998 machten die übrigen Gesellschafter gegenüber dem FA geltend, A sei nicht zur Rücknahme des Einspruchs bevollmächtigt gewesen. Mit Schreiben vom 11. März 1998 beantragte A Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, weil er durch die unzutreffenden Ausführungen in dem Schreiben des FA vom 21. August 1996 zur Einspruchsrücknahme verleitet worden sei. Das FA behandelte das Begehren der Klägerin als Einspruch gegen den Grunderwerbsteuerbescheid und verwarf den Einspruch als unzulässig.

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage als unbegründet ab. Die von der Klägerin erklärte Rücknahme des Einspruchs sei durch die unzutreffende Belehrung des FA in seinem Schreiben vom 21. August 1998 veranlasst worden und damit unwirksam. Die Klägerin habe jedoch die Unwirksamkeit der Einspruchsrücknahme nicht rechtzeitig geltend gemacht, da die Frist des § 362 Abs. 2 Satz 2 der Abgabenordnung (AO 1977) vom Datum der Einspruchsrücknahme an zu berechnen sei.

Mit der Revision rügt die Klägerin einen Verstoß gegen § 362 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. § 110 Abs. 3 AO 1977.

Die Klägerin beantragt, die Vorentscheidung und den Grunderwerbsteuerbescheid des FA vom 3. Juni 1993 aufzuheben.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

II. Die Revision der Klägerin ist unbegründet. Zwar ergeben die Entscheidungsgründe der Vorentscheidung eine Verletzung des bestehenden Rechts, die Entscheidung selbst stellt sich aber aus anderen Gründen als richtig dar (§ 126 Abs. 4 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).

1. Das FG hat die Voraussetzungen, unter denen die Rücknahme eines Einspruchs als unwirksam zu behandeln ist, verkannt.

Nach § 362 Abs. 1 AO 1977 kann der Einspruch bis zur Bekanntgabe der Entscheidung über den Einspruch zurückgenommen werden. Die Rücknahme hat gemäß § 362 Abs. 2 AO 1977 den Verlust des eingelegten Einspruchs zur Folge. Diese Rechtsfolge tritt nicht ein, wenn die Rücknahme unwirksam war.

a) Die Rücknahme eines Einspruchs ist unwirksam, wenn sie durch bewusste Täuschung, Drohung, bewusst falsche Auskunft oder mittels rechtlich offensichtlich unzutreffender Erwägungen --insbesondere gegenüber rechtsunkundigen Steuerpflichtigen-- veranlasst worden ist (BFH-Urteile vom 26. September 1968 IV 118/64, BFHE 93, 536, BStBl II 1969, 52; vom 31. März 1982 II R 148/80, nicht veröffentlicht; vom 1. September 1988 V R 139/83, BFH/NV 1989, 206). Damit kommt die Unwirksamkeit der Rücknahme eines Einspruchs nur in krassen Fällen unzulässiger Einwirkung auf die Willensbildung des Steuerpflichtigen in Betracht. Ob eine vom FA erteilte Auskunft oder Belehrung offensichtlich unzutreffend ist, beurteilt sich nach den Gegebenheiten im Zeitpunkt ihrer Abgabe (BFH-Urteile vom 19. Dezember 1958 III 35/58 U, BFHE 68, 296, BStBl III 1959, 116; vom 13. Mai 1959 IV 159/58 U, BFHE 69, 88, BStBl III 1959, 294; vom 17. August 1961 IV 176/59 S, BFHE 74, 284, BStBl III 1962, 107).

b) Eine rechtlich offensichtlich unzutreffende Auskunft oder Belehrung des FA kann die Unwirksamkeit der Rücknahme des Einspruchs nur begründen, sofern die Rücknahmeerklärung durch die Finanzbehörde veranlasst worden ist (BFH-Entscheidungen in BFHE 74, 284, BStBl III 1962, 107; vom 19. Januar 1972 II B 26/69, BFHE 104, 291, BStBl II 1972, 352). Dabei sind jeweils im Einzelfall die individuellen Erkenntnismöglichkeiten des Erklärenden zu berücksichtigen. Bei rechtsunkundigen oder unerfahrenen Personen trägt die Finanzbehörde eine erhöhte Verantwortung und Sorgfaltspflicht für die Richtigkeit ihrer Erklärungen (BFH-Urteil in BFHE 69, 88, BStBl III 1959, 294). Wurde die Rücknahme hingegen durch einen rechtskundigen oder sachkundigen Bevollmächtigten erklärt, hat eine vorausgegangene objektiv unrichtige Auskunft oder Beurteilung der Rechtslage durch das FA auf die Wirksamkeit der Rücknahme keinen Einfluss (BFH in BFHE 93, 536, BStBl II 1969, 52). Eine unzulässige Einwirkung des FA auf die Entschließungsfreiheit des Einspruchsführers scheidet in diesem Fall aufgrund der eigenen Sachkunde des Erklärenden bzw. seines steuerlichen Beraters aus. Dies gilt --entgegen der Ansicht des FG-- auch dann, wenn ein Rechtskundiger die Rücknahmeerklärung in einer ihn nur persönlich --etwa im Rahmen seiner eigenen Vermögensverwaltung-- betreffenden Angelegenheit abgibt.

2. Die Revision ist in Anwendung dieser Grundsätze schon deshalb unbegründet, weil die Rücknahme des Einspruchs durch den hierzu gemäß § 80 Abs. 1 Satz 1 und 2 AO 1977 bevollmächtigten A wirksam erklärt und der Grunderwerbsteuerbescheid unanfechtbar geworden ist. Die Würdigung des FG, A sei durch die unzutreffende Belehrung des FA zu seiner Erklärung veranlasst worden, ist nach den vom FG getroffenen tatsächlichen Feststellungen nicht nachvollziehbar und führt daher nicht gemäß § 118 Abs. 2 FGO zu einer Bindung des BFH (BFH-Urteil vom 8. September 1994 IV R 6/93, BFH/NV 1995, 573; Lange in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 118 FGO Rz. 151).

Die Mitteilung des FA vom 21. August 1996 war zwar (objektiv) unrichtig. Die dort geäußerte Annahme, der BFH habe in seiner Entscheidung in BFHE 179, 174, BStBl II 1996, 27 die Grunderwerbsteuerpflicht für den Erwerber von Ansprüchen bejaht, trifft --ebenso wie die in dem angegriffenen Grunderwerbsteuerbescheid angenommene Steuerbarkeit des Vertrags vom 22. Oktober 1991 nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG-- nicht zu. Vielmehr hat der BFH erstmals in seinem Urteil vom 10. Dezember 1997 II R 27/97 (BFHE 185, 63, BStBl II 1998, 159) entschieden, dass die Abtretung eines Anspruchs nach dem VermG auf Rückübertragung des Eigentums an einem Grundstück nicht der Grunderwerbsteuer unterliegt.

Der Bevollmächtigte der Klägerin ist aber --entgegen der Auffassung des FG-- nicht aufgrund einer unzulässigen Willensbeeinflussung durch das FA zur Rücknahme des Einspruchs veranlasst worden. Da A selbst rechtskundig war, konnte seine Entschließungsfreiheit nicht durch die bloße Unrichtigkeit der vom FA mitgeteilten Rechtsauffassung beeinträchtigt werden. Im Streitfall ging die Rücknahme des Einspruchs auch nicht auf das FA zurück, weil A im Schreiben des FA vom 21. August 1996 ausdrücklich "in Anbetracht der ergangenen Entscheidung" gebeten wurde, "ggf. die Rücknahme des Einspruchs in Erwägung zu ziehen". Daher war A im Rahmen seiner Mitwirkungspflicht gehalten, die Erfolgsaussichten des Einspruchs in eigener Verantwortung --ggf. unter Heranziehung eines Angehörigen der steuerberatenden Berufe oder des im Kreis der Mitgesellschafter vorhandenen steuerlichen Sachverstands-- zu prüfen. Hiernach traf die Gesellschafter der Klägerin das Risiko, den Einspruch zurückzunehmen, ohne zuvor die Rechtslage selbst oder durch steuerliche Berater überprüft zu haben.



Ende der Entscheidung

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