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Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 10.12.2003
Aktenzeichen: II R 28/03
Rechtsgebiete: VZOG, GrEStG, GG


Vorschriften:

VZOG § 7 Abs. 5
VZOG § 7 Abs. 5 Satz 1
GrEStG § 1 Abs. 1 Nr. 3
GrEStG § 4 Nr. 4
GrEStG § 4 Nr. 4 Satz 1
GrEStG § 4 Nr. 4 Satz 1 3. Alternative
GrEStG § 4 Nr. 4 Satz 1 2. Alternative
GG Art. 106 Abs. 2 Nr. 4
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

I. Durch Vermögenszuordnungsbescheid nach dem Vermögenszuordnungsgesetz (VZOG) vom 9. Januar 1995 hatte der Präsident der Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben (BvS) festgestellt, dass zwei in X (Beitrittsgebiet) belegene Grundstücke in das Eigentum der Bundesrepublik Deutschland --Bundesfinanzvermögen gemäß Art. 22 Abs. 1 des Einigungsvertrages-- übergegangen waren. Dieser Vermögenszuordnungsbescheid wurde durch Bescheid vom 18. Februar 1998 (berichtigt durch Bescheid vom 9. April 1998) dahin gehend geändert, dass die Zuordnung der Grundstücke nunmehr zugunsten der seinerzeit als "Liegenschaftsgesellschaft mbH" firmierenden Klägerin und Revisionsbeklagten (Klägerin) --einer Kapitalgesellschaft, deren sämtliche Geschäftsanteile sich unmittelbar in der Hand des Bundes befinden-- erfolge. Dieser geänderte Vermögenszuordnungsbescheid erging offenbar in Inaussichtnahme einer am 31. März 1998 zwischen der Klägerin und der BvS auf der Grundlage der § 2 Abs. 1 Satz 6 und § 7 Abs. 4 Satz 2 und Abs. 5 VZOG im Wege der gütlichen Einigung getroffenen Vereinbarung zur Übertragung von Liegenschaften aus dem Finanzvermögen in Treuhandverwaltung des Bundes. Hiernach waren die BvS und die Klägerin darüber einig, dass das Eigentum u.a. an den fraglichen beiden Grundstücken durch Vermögenszuordnungsbescheid auf die Klägerin übertragen wird; für die Vermögensübertragung hatte die Klägerin der BvS einen finanziellen Ausgleich zu zahlen.

Wegen dieses Grunderwerbs setzte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) durch Bescheid vom 15. August 2000 gegen die Klägerin Grunderwerbsteuer in Höhe von ... DM nach einer aus dem von der Klägerin zu erbringenden anteiligen finanziellen Ausgleich errechneten Bemessungsgrundlage von ... DM fest. Der hiergegen erhobene Einspruch, mit dem die Klägerin die Grunderwerbsteuerbefreiung gemäß § 4 Nr. 4 des Grunderwerbsteuergesetzes (GrEStG) geltend machte, hatte keinen Erfolg.

Das Finanzgericht (FG) hat der Klage mit seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2003, 1115 veröffentlichten Urteil stattgegeben. Der Erwerb der Klägerin sei gemäß § 4 Nr. 4 Satz 1 (3. Alternative) GrEStG steuerbefreit, da die Grundstücke vor dem 1. Januar 1999 im Wege der Vermögenszuordnung nach dem VZOG auf die Klägerin übergegangen seien.

Hiergegen richtet sich die vom FG zugelassene Revision, mit der das FA fehlerhafte Anwendung des § 4 Nr. 4 GrEStG rügt und geltend macht, dass sich der Anwendungsbereich dieser Vorschrift auf eine Vermögenszuordnung im Zusammenhang mit der Umstrukturierung der Treuhandanstalt beschränke.

Das FA beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.

II. Die Revision ist unbegründet; sie war daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Das FG hat zutreffend die Befreiungsvoraussetzungen des § 4 Nr. 4 GrEStG bejaht.

1. Die Übertragung eines Grundstücks auf eine Kapitalgesellschaft durch Vermögenszuordnungsbescheid nach § 2 Abs. 1 Satz 6 i.V.m. § 7 Abs. 5 VZOG (in der hier maßgeblichen Fassung des Gesetzes vom 17. Juli 1997, BGBl I, 1823) ist gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 3 GrEStG steuerbar. Ein solcher Vermögenszuordnungsbescheid bestätigt nicht lediglich einen gesetzlichen Eigentumsübergang, sondern bewirkt mit konstitutiver Wirkung die Übertragung des Eigentums (§ 1 Abs. 1 Nr. 3 Satz 1 GrEStG) im Zeitpunkt seiner Bestandskraft (Hofmann, Grunderwerbsteuergesetz, Kommentar, 7. Aufl., § 4 Rn. 12). Diese Voraussetzungen sind aufgrund der übertragenden Zuordnung der fraglichen Grundstücke zugunsten der Klägerin durch den Änderungsbescheid vom 18. Februar 1998 in der Fassung des Berichtigungsbescheids vom 9. April 1998 erfüllt.

2. Der Erwerb der Klägerin ist jedoch gemäß § 4 Nr. 4 Satz 1 GrEStG von der Besteuerung ausgenommen. Die Klägerin, deren sämtliche Geschäftsanteile sich unmittelbar in der Hand des Bundes befinden, ist eine Kapitalgesellschaft i.S. des § 4 Nr. 4 Satz 1 GrEStG i.V.m. § 7 Abs. 5 Satz 1 VZOG. Auf sie sind die Grundstücke im Wege der Vermögenszuordnung nach dem VZOG übergegangen. Damit sind die Befreiungsvoraussetzungen des § 4 Nr. 4 Satz 1 (3. Alternative) GrEStG erfüllt.

a) Der Anwendung des § 4 Nr. 4 Satz 1 (3. Alternative) GrEStG steht nicht entgegen, dass die Zuordnung eines Vermögenswerts durch Vermögenszuordnungsbescheid auf eine Kapitalgesellschaft, deren sämtliche Geschäftsanteile sich --wie im Fall der Klägerin-- unmittelbar in der Hand einer Gebietskörperschaft befinden, erst aufgrund der Änderung des § 7 Abs. 5 Satz 1 VZOG durch das Gesetz vom 17. Juli 1997 (BGBl I, 1823) und damit zeitlich erst nach der letztmaligen Änderung des § 4 Nr. 4 GrEStG (durch Gesetz zur Neuregelung der steuerrechtlichen Wohneigentumsförderung vom 15. Dezember 1995, BGBl I, 1783) zulässig geworden ist. Die tatbestandliche Anknüpfung des § 4 Nr. 4 (3. Alternative) GrEStG an eine "Vermögenszuordnung nach dem Vermögenszuordnungsgesetz" bezieht sich im Sinne einer dynamischen Verweisung auf das VZOG in seiner jeweils geltenden Fassung. Damit konnten Änderungen des VZOG ggf. auch Veränderungen im sachlichen Anwendungsbereich des § 4 Nr. 4 GrEStG nach sich ziehen. Verfassungsrechtliche Bedenken hiergegen im Hinblick auf das Bestimmtheitsgebot oder eine etwaige Verlagerung von Gesetzgebungskompetenzen bestehen nicht, weil die Bestimmtheitsanforderungen an eine Steuervergünstigungsvorschrift --wie bei § 4 Nr. 4 GrEStG der Fall-- geringer sind als bei Eingriffsermächtigungen (Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 9. März 1993 VII R 87/92, BFHE 171, 84, BStBl II 1993, 468, m.w.N.) und bei einer dynamischen Verweisung des (bundesgesetzlichen) GrEStG auf das ebenfalls vom Bundesgesetzgeber erlassene VZOG eine verdeckte Verlagerung von Gesetzgebungsbefugnissen nicht eintreten kann (vgl. auch Beschluss des Bundesverfassungsgerichts --BVerfG-- vom 15. Juli 1969 2 BvF 1/64, BVerfGE 26, 338, 366). Der Umstand, dass die Ausweitung eines grunderwerbsteuerlichen Befreiungstatbestands durch eine anderweitige bundesgesetzliche Regelung das den Ländern gemäß Art. 106 Abs. 2 Nr. 4 des Grundgesetzes (GG) zufließende Aufkommen der Grunderwerbsteuer mindert, berührt die verfassungsrechtliche Zulässigkeit der dynamischen Verweisung nicht.

b) Die Befreiungsvoraussetzungen des § 4 Nr. 4 Satz 1 (3. Alternative) GrEStG sind auch dann erfüllt, wenn sich --wie das FA meint-- der Anwendungsbereich dieser Vorschrift ausschließlich auf Grundstückserwerbe "im Zusammenhang mit der Umstrukturierung der Treuhandanstalt" (§ 4 Nr. 4 Satz 1, 2. Alternative GrEStG) beschränkte. Denn der Grundstückserwerb der Klägerin weist unter Berücksichtigung von Regelungszweck und Entstehungsgeschichte des § 4 Nr. 4 Satz 1 GrEStG einen solchen Zusammenhang auf.

§ 4 Nr. 4 GrEStG in seiner ursprünglichen, zum 1. Januar 1991 in Kraft getretenen Fassung stellte Grundstückserwerbe durch eine Kapitalgesellschaft von der Grunderwerbsteuer frei, wenn das Grundstück aufgrund der Spaltung von der Treuhandanstalt verwalteter Unternehmen vor dem 1. Januar 1993 auf die Kapitalgesellschaft überging. Durch diese Steuerbefreiung sollte eine steuerliche Behinderung solcher Privatisierungsmaßnahmen vermieden werden, die durch die Herstellung der deutschen Einheit erforderlich geworden waren (BTDrucks 12/402 S. 15). Diese Zielrichtung wurde aufgrund der in § 4 Nr. 4 Satz 1 GrEStG durch das Jahressteuergesetz 1996 vom 11. Oktober 1995 (BGBl I, 1250) eingefügten 2. und 3. Alternative auf grunderwerbsteuerliche Erwerbsvorgänge ausgedehnt, die im Rahmen der Umstrukturierung der Treuhandanstalt verwirklicht wurden. Dadurch sollte eine grunderwerbsteuerrechtliche Belastung der Erwerbsvorgänge bei Unternehmen vermieden werden, die bisher noch nicht privatisiert werden konnten und bei denen die Besteuerung die Privatisierungschancen weiter verschlechtern würde (BTDrucks 13/901 S. 159). Durch die Verlängerung der Frist in § 4 Nr. 4 GrEStG auf Grundstückserwerbe bis Ende 1998 aufgrund des Gesetzes zur Neuregelung der steuerrechtlichen Wohneigentumsförderung vom 15. Dezember 1995 (BGBl I, 1783) hat der Gesetzgeber schließlich dem Umstand Rechnung getragen, dass die endgültige Zuordnung des ehemals volkseigenen Vermögens im Zusammenhang mit der Umstrukturierung der vormaligen Treuhandanstalt (bzw. BvS) weitere Zeit benötigte. In der Gesetzesbegründung wurde ausdrücklich auf die Notwendigkeit der Zuordnung von Liegenschaften der BvS auf die Liegenschaftsgesellschaft mbH, weiterer Vermögensübertragungen auf die Nachfolgegesellschaften der Treuhandanstalt sowie auf nicht auszuschließende weitere Umstrukturierungserfordernisse hingewiesen (BTDrucks 13/2784 S. 43).

Hiernach entspricht die Grunderwerbsteuerbefreiung des Erwerbs der Klägerin der mit § 4 Nr. 4 GrEStG verfolgten Zielsetzung. Denn die der Klägerin übertragenen Grundstücke unterstanden zuvor der Verwaltung und Verwertung der Treuhandanstalt/BvS und wurden der Klägerin im Zusammenhang mit der in § 4 Nr. 4 Satz 1 GrEStG vorausgesetzten Umstrukturierung der Treuhandanstalt übertragen. Die Auffassung des FA, dass die in § 4 Nr. 4 Satz 1 (2. Alternative) GrEStG angesprochene Umstrukturierung der Treuhandanstalt bereits mit der Übertragung ihrer Aufgaben auf neue Maßnahmenträger abgeschlossen gewesen sei, geht fehl. Wortlaut und grunderwerbsteuerrechtlicher Regelungszusammenhang des § 4 Nr. 4 Satz 1 (2. Alternative) GrEStG sind vielmehr darauf ausgerichtet, mit der Umstrukturierung der Treuhandanstalt zusammenhängende Grundstücksübertragungen von der Grunderwerbsteuer freizustellen.

3. Die vom FA für eine einschränkende Anwendung des § 4 Nr. 4 GrEStG angeführte Erwägung, die Bundesländer hätten einer Steuerbefreiung für die Übertragung von im Eigentum der BvS stehenden Grundstücken durch Vermögenszuordnungsbescheid schon aus fiskalischen Gründen nie zugestimmt, ist unbeachtlich. Allgemeine finanzpolitische Bedenken gegen eine Steuervergünstigung können im Rahmen der Gesetzesauslegung nur Bedeutung erlangen, soweit sie im Gesetz selbst einen Ausdruck gefunden haben (BFH-Urteil vom 29. Juli 1992 I R 114/91, BFHE 169, 76, BStBl II 1993, 180). Dies ist vorliegend aus den unter Abschn. 2 dargelegten Gründen nicht der Fall. Ebenso rechtfertigt die vom Gesetzgeber mit der Schaffung des am 1. Januar 1983 in Kraft getretenen GrEStG 1983 verfolgte Zielsetzung, zugunsten eines niedrigen Steuersatzes nur wenige Ausnahmen von der Besteuerung zuzulassen, keine einschränkende Auslegung des § 4 Nr. 4 GrEStG. Denn diese Zielsetzung hat der Gesetzgeber mit der nachträglichen Einfügung des § 4 Nr. 4 GrEStG zugunsten einer Berücksichtigung "der besonderen und einmaligen Lage im Gebiet der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik" (BTDrucks 12/402 S. 15) bewusst zurückgestellt.

Ende der Entscheidung

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