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Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 17.06.1998
Aktenzeichen: II R 29/97
Rechtsgebiete: ErbStG, FGO
Vorschriften:
ErbStG § 3 Abs. 1 Nr. 4 | |
ErbStG § 10 Abs. 5 Nr. 1 | |
ErbStG § 10 Abs. 3 | |
FGO § 56 Abs. 2 Satz 1 und 2 | |
FGO § 96 Abs. 2 | |
FGO § 119 Nr. 3 | |
FGO § 120 Abs. 1 Satz 1 | |
FGO § 126 Abs. 3 Nr. 2 |
Gründe
I. Der geschiedene Ehemann der Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) verstarb im Oktober 1982. Er wurde von seinen Kindern beerbt. Am 1. Juli 1966 hatte der Erblasser einen Kapitallebensversicherungsvertrag abgeschlossen; im April 1975 setzte er die Klägerin als Bezugsberechtigte ein. Am 27. Januar 1983 ging beim Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt --FA--) die Anzeige der Versicherung über die Auszahlung eines Betrags von 300 162 DM aus dem Versicherungsvertrag an die Klägerin ein.
Das FA setzte durch Bescheid vom 9. Dezember 1987 Erbschaftsteuer gegen die Klägerin in Höhe von 125 304 DM fest. Dabei ging es von einem steuerpflichtigen Erwerb in Höhe von 300 162 DM aus. Während des Einspruchsverfahrens änderte das FA den Steuerbescheid und setzte nunmehr --unter Beibehaltung eines steuerpflichtigen Erwerbs in Höhe von 300 162 DM-- Erbschaftsteuer in Höhe von 99 420 DM fest.
Die dagegen erhobene Klage hat das Finanzgericht (FG) als unbegründet abgewiesen. Der steuerpflichtige Erwerb der Klägerin nach § 3 Abs. 1 Nr. 4 des Erbschaftsteuergesetzes (ErbStG) sei nicht durch die von dieser geltend gemachten Verbindlichkeiten des Erblassers gemindert. Für etwaige Nachlaßverbindlichkeiten des Erblassers hafteten dessen Erben. Da die Klägerin nicht Erbin geworden sei, hafte sie auch nicht für diese Nachlaßverbindlichkeiten. Sie könne sich deshalb weder auf § 10 Abs. 5 Nr. 1 noch auf § 10 Abs. 3 ErbStG berufen. Es könne auch nicht eine den Vermögensvorteil und damit eine die Bereicherung der Klägerin mindernde Erfüllung einer bestehenden Verbindlichkeit des Erblassers dergestalt angenommen werden, daß der Klägerin die Leistung aus dem Kapitallebensversicherungsvertrag zum Zwecke der Tilgung bestehender Verbindlichkeiten zugewendet werden sollte. Ein Vermögensvorteil und damit eine objektive Bereicherung der Klägerin könne nur entfallen, wenn und soweit im Valutaverhältnis zum Erblasser eindeutig ein vermögensrechtlicher Leistungsaustausch vorliege. Ein solcher vermögensrechtlicher Leistungsaustausch könne jedoch nicht festgestellt werden. Die Feststellungslast für einen den Vermögensvorteil mindernden Umstand treffe die Klägerin.
Nach dem Protokoll über die dem Urteil vorangegangene mündliche Verhandlung wurden in dieser Originale bzw. Kopien von Sparbüchern übergeben, aus denen sich bestimmte Geldabhebungen ergaben. Das FG beschloß, die Klägerin zu den streitigen Tatfragen als Beteiligte zu vernehmen. Ihre Aussage wurde protokolliert. Beweisanträge wurden laut Protokoll nicht mehr gestellt.
Durch Beschluß vom 29. Januar 1997 hat der erkennende Senat die Revision zugelassen.
Der Zulassungsbeschluß wurde dem Prozeßbevollmächtigten der Klägerin am 26. Februar 1997 zugestellt. Mit beim FG am 14. April 1997 eingegangenem Schriftsatz legten die Prozeßbevollmächtigten der Klägerin Revision ein, begründeten diese und stellten gleichzeitig Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Revisionsfrist.
Zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrags trugen sie vor, daß die Fristversäumnis allein auf dem Fehler der --ansonsten zuverlässigen-- Bürokraft beruhe, die mit der Führung des Fristenbuchs betraut sei. Zur Glaubhaftmachung wurden eidesstattliche Versicherungen der Anwaltsgehilfin und des Prozeßbevollmächtigten vorgelegt.
Mit der Revision werden Verfahrensmängel und Verstöße gegen materielles Recht geltend gemacht. Das FG habe im angefochtenen Urteil seine Sachaufklärungspflicht verletzt, weil es von der Klägerin angebotene Beweismittel nicht ausgeschöpft habe. Das angefochtene Urteil sei im übrigen eine Überraschungsentscheidung, denn das FG habe es auf rechtliche Gesichtspunkte gestützt, mit denen die Klägerin nach dem Verlauf der mündlichen Verhandlung nicht habe rechnen können und müssen.
Die Klägerin beantragt, unter Aufhebung der Vorentscheidung den Erbschaftsteuerbescheid in Gestalt der Einspruchsentscheidung aufzuheben.
Das beklagte FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
II. 1. Die Revision ist zulässig.
Zwar ist die Revision der Klägerin erst nach Ablauf der nach § 120 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) vorgeschriebenen Frist eingelegt worden; der Klägerin ist jedoch auf ihren Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 56 FGO zu gewähren.
Der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin hat dargetan und glaubhaft gemacht, daß die Fristversäumnis auf einem von ihm nicht zu vertretenden Büroversehen beruhte. Der Prozeßbevollmächtigte --und mit ihm die Klägerin-- war danach ohne Verschulden verhindert, die Revisionsfrist einzuhalten. Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wurde rechtzeitig i.S. von § 56 Abs. 2 Satz 1 FGO gestellt. Die versäumte Rechtshandlung (Einlegung der Revision) wurde innerhalb der Antragsfrist nachgeholt (§ 56 Abs. 2 Satz 2 FGO).
2. Die Revision der Klägerin ist auch begründet. Die Entscheidung des FG verstößt gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs (§ 96 Abs. 2 FGO). Da nach § 119 Nr. 3 FGO ein Urteil stets als auf der Verletzung von Bundesrecht beruhend anzusehen ist, wenn einem Beteiligten das rechtliche Gehör versagt war, ist die Vorentscheidung aufzuheben. Die Sache ist an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO).
Nach § 96 Abs. 2 FGO darf ein Urteil nur auf Tatsachen und Beweisergebnissen gestützt werden, zu denen die Beteiligten sich äußern konnten. Der Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes) schützt die Beteiligten aber auch in rechtlicher Hinsicht vor Überraschungen (vgl. Urteile des Bundesfinanzhofs vom 28. Februar 1989 VIII R 303/84, BFHE 157, 51, BStBl II 1989, 711, und vom 19. September 1990 X R 79/88, BFHE 162, 199, BStBl II 1991, 100). Diesen Anspruch hat das FG im Streitfall verletzt.
Die Klägerin hatte mit der Klage vorgetragen, daß ihre Bezugsberechtigung aus dem Lebensversicherungsvertrag zum einen in Hinblick auf dem Erblasser gewährte Darlehen, zum anderen zur Sicherung der Verbindlichkeiten des Erblassers aus der mit ihr geschlossenen Vereinbarung vom 11. August 1979 erfolgt sei.
Nach dem Verlauf der mündlichen Verhandlung, der Beweisaufnahme und deren Ergebnis konnte der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin berechtigterweise den Eindruck haben, daß das Gericht seiner Auffassung folge, bereits das Bestehen von Forderungen der Klägerin gegen den Erblasser müsse der Klage zum Erfolg verhelfen. Die in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Urkunden bezogen sich nur auf das Vorhandensein von Forderungen der Klägerin gegen den Erblasser. Laut Protokoll wurde die Klägerin auch nur zu dieser Frage vernommen. Danach war es für die Klägerin überraschend, daß das Gericht sein klageabweisendes Urteil --rechtlich zutreffend-- darauf stützte, daß allein das Bestehen von Forderungen der Klägerin gegen den Erblasser für den Streitfall unerheblich ist. Nach dem Verlauf der mündlichen Verhandlung hatte der Prozeßbevollmächtigte auch keinen Anlaß, auf eine Vernehmung der Klägerin über den Grund ihrer Einsetzung in den Lebensversicherungsvertrag und einen etwaigen rechtlichen Zusammenhang mit ihr gegenüber bestehenden Verbindlichkeiten des Erblassers zu beantragen.
Ende der Entscheidung
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