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Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 22.09.1999
Aktenzeichen: II R 42/98
Rechtsgebiete: AO 1977, FGO, BGB


Vorschriften:

AO 1977 § 164 Abs. 1
AO 1977 § 164 Abs. 2
AO 1977 §§ 172 ff.
AO 1977 § 173 Abs. 1 Nr. 2
AO 1977 § 360 Abs. 3
FGO § 60 Abs. 3
FGO § 48 Abs. 1 Nr. 5
BGB § 133
BGB § 157
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe

I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) betreibt die Schiffahrt mit einem Motorschiff. Gesellschafter sind neben zwei Komplementären eine Reihe von Kommanditisten. Einer der Kommanditisten ist die A-GmbH (GmbH).

Im November 1989 erließ der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) zunächst unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gemäß § 164 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) auf den 1. Januar 1989 einen Bescheid über den Einheitswert des Betriebsvermögens sowie den Wert des begünstigten Betriebsvermögens und teilte die Werte auf die Gesellschafter auf. Nach einer Außenprüfung bei der Klägerin, die sich auch auf die Einheitsbewertung des Betriebsvermögens auf den 1. Januar 1989 bezog, erließ das FA am 24. Oktober 1990 einen gemäß § 164 Abs. 2 AO 1977 geänderten Bescheid über den Einheitswert des Betriebsvermögens sowie den Wert des begünstigten Betriebsvermögens, wobei es die Werte wiederum auf die Gesellschafter aufteilte. Den Vorbehalt der Nachprüfung hob es auf.

Gegen den Bescheid legte die Klägerin mit Schriftsatz vom 2. November 1990 Einspruch ein. Dabei wandte sie sich zunächst nur dagegen, daß im Vorgriff auf die noch nicht vorliegenden Seeschiffs-Bewertungsrichtlinien 1989 ein Abschlag beim Teilwert des Schiffes unterblieben sei. Zugleich erklärte sie sich damit einverstanden, das Verfahren bis zur Veröffentlichung der Richtlinien ruhen zu lassen. Mit Schreiben vom 10. Dezember 1990 beantragte die Klägerin (ohne ausdrückliche Bezugnahme auf das Einspruchsverfahren), noch Sonderbetriebsschulden der GmbH von ... DM zu berücksichtigen.

Mit Schreiben vom 14. Februar 1991 teilte die Klägerin dem FA mit, sie nehme den Einspruch vom 2. November 1990 zurück. Der Einspruch habe sich durch die nunmehr bekannt gemachten Seeschiffs-Bewertungsrichtlinien 1989 erledigt. In der Folgezeit entspann sich zwischen den Beteiligten ein Meinungsstreit darüber, ob eine Berücksichtigung der Sonderbetriebsschulden noch möglich sei. Durch Verfügung vom 28. August 1991 lehnte das FA die Berücksichtigung dieser (im übrigen unstreitigen) Sonderbetriebsschulden ab, da der Einspruch in vollem Umfang zurückgenommen und der Bescheid über den Einheitswert des Betriebsvermögens auf den 1. Januar 1989 damit bestandskräftig geworden sei. Gegen diese Ablehnungsverfügung legte die Klägerin wiederum Einspruch ein. Außerdem machte sie geltend, ihrer Ansicht nach sei der Einspruch vom 2. November 1990 gegen den Einheitswertbescheid noch anhängig.

Mit einer Einspruchsentscheidung vom 16. September 1991 verwarf das FA den Einspruch gegen den Einheitswertbescheid als unzulässig, weil er wirksam zurückgenommen worden sei. Ferner wies es den Einspruch gegen die Ablehnungsverfügung als unbegründet zurück, da keine der Änderungsvorschriften der §§ 172 ff. AO 1977 eingreife. Daraufhin erhob die Klägerin Klage mit dem Begehren, die Sonderbetriebsschulden der GmbH zu berücksichtigen. Die Klage blieb erfolglos. Nach Ansicht des Finanzgerichts (FG) ist der Bescheid über den Einheitswert des Betriebsvermögens auf den 1. Januar 1989 durch die Rücknahme des gegen diesen eingelegten Einspruchs bestandskräftig geworden. Einer Änderung nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO 1977 stehe die Änderungssperre des Abs. 2 der Vorschrift entgegen, weil der Einheitswertbescheid aufgrund einer Betriebsprüfung ergangen sei.

Mit der Revision rügt die Klägerin Verletzung des § 60 Abs. 3, § 48 Abs. 1 Nr. 5 der Finanzgerichtsordnung (FGO), sowie der §§ 133, 157 des Bürgerlichen Gesetzbuches. Das Unterlassen der Beiladung stelle einen Verfahrensmangel dar. Das Schreiben vom 14. Februar 1991 über die Rücknahme des Einspruchs sei in Anbetracht der dafür gegebenen Begründung mehrdeutig und daher auslegungsbedürftig gewesen. Die Auslegung ergebe, daß der Rechtsbehelf nicht vollen Umfangs habe zurückgenommen werden sollen.

Die Klägerin beantragt sinngemäß, unter Aufhebung der Vorentscheidung sowie der Ablehnungsverfügung vom 28. August 1991 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 16. September 1991 den Bescheid über die Einheitsbewertung des Betriebsvermögens auf den 1. Januar 1989 vom 24. Oktober 1990 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 16. September 1991 mit der Maßgabe zu ändern, daß zusätzlich Sonderbetriebsschulden der GmbH von 5 669 250 DM berücksichtigt werden.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das FG (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO), da das FG die notwendige Beiladung der GmbH unterlassen hat.

Gemäß § 60 Abs. 3 Satz 1 FGO sind Dritte notwendig beizuladen, die an dem streitigen Rechtsverhältnis derart beteiligt sind, daß die Entscheidung auch ihnen gegenüber nur einheitlich ergehen kann. Dies gilt gemäß Satz 2 der Vorschrift jedoch nicht für Mitberechtigte, die nach § 48 FGO nicht klagebefugt sind. Betrifft das streitige Rechtsverhältnis die Frage, ob bei der Feststellung des Einheitswerts des Betriebsvermögens einer Personengesellschaft Sonderbetriebsschulden eines Gesellschafters zu berücksichtigen sind, ist dieser Gesellschafter i.S. des § 60 Abs. 3 Satz 1 FGO an dem Rechtsverhältnis beteiligt. Er war gemäß § 48 Abs. 1 Nr. 2 FGO in der bis zum Ende 1995 geltenden Fassung (FGO a.F., nunmehr § 48 Abs. 1 Nr. 5 FGO i.d.F. des Grenzpendlergesetzes vom 24. Juni 1994, BGBl I, 1395) auch klagebefugt (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 10. November 1993 II R 2/93, BFH/NV 1994, 223). Das Unterlassen einer notwendigen Beiladung stellt einen Verstoß gegen die Grundordnung des Verfahrens dar, von dem anzunehmen ist, daß die Vorentscheidung auf ihm beruht (vgl. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 4. Aufl. 1997, § 115 Anm. 34). Das FG hat insoweit keinen Ermessensspielraum, in dessen Rahmen es Zweckmäßigkeitserwägungen anstellen dürfte (BFH-Urteil vom 9. Mai 1979 I R 100/77, BFHE 128, 142, BStBl II 1979, 632). Insbesondere kann eine an sich notwendige Beiladung nicht vom Erfolg des Rechtsmittels abhängig gemacht werden (BFH-Beschluß vom 19. Mai 1987 VIII R 382/83, BFH/NV 1988, 161). Lediglich dann, wenn die Klage offensichtlich unzulässig oder über die streitige Rechtsfrage in einem (anderen) Grundlagenbescheid bestandskräftig entschieden worden ist, kann ausnahmsweise von der Beiladung abgesehen werden (vgl. BFH-Beschluß vom 22. März 1995 IV B 66/94, BFH/NV 1995, 996).

Im Streitfall geht die zwischen den Beteiligten streitige Frage, ob der angefochtene Bescheid über die Einheitsbewertung des Betriebsvermögens auf den 1. Januar 1989 bereits bestandskräftig und damit eine Berücksichtigung der Sonderbetriebsschulden der GmbH nicht mehr möglich ist, die GmbH i.S. des § 48 Abs. 1 Nr. 2 FGO a.F. persönlich an, weil ihr bei der Aufteilung des Einheitswerts des Betriebsvermögens ihre Sonderbetriebsschulden vorab zuzurechnen sind. Infolgedessen war die GmbH gemäß § 48 Abs. 1 Nr. 2 FGO a.F. klagebefugt und im Falle der Klage eines ebenfalls klagebefugten Dritten zu dessen Klage gemäß § 60 Abs. 3 Satz 1 FGO notwendig beizuladen. Die Voraussetzungen, unter denen ausnahmsweise von einer Beiladung abgesehen werden darf, liegen nicht vor. Die Klage ist insbesondere nicht offensichtlich unzulässig. Das Unterlassen der notwendigen Beiladung führt ohne weitere Sachprüfung zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (vgl. BFH-Urteil vom 19. Juli 1994 VIII R 59/93, BFH/NV 1995, 684). Die versäumte Beiladung der GmbH ist durch das FG nachzuholen. Damit ist die ebenfalls fehlende notwendige Hinzuziehung der GmbH zum Vorverfahren nach § 360 Abs. 3 AO 1977 geheilt (vgl. BFH-Urteile vom 22. November 1988 VIII R 62/85, BFHE 155, 322, BStBl II 1989, 359, 360, sowie in BFH/NV 1995, 684).

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