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Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 21.04.1999
Aktenzeichen: II R 5/97
Rechtsgebiete: GrStG
Vorschriften:
GrStG § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 | |
GrStG § 5 |
Wohnungen sind auch dann nicht von der Grundsteuer befreit, wenn sie einer gemeinnützigen Körperschaft gehören und von dieser zu steuerbegünstigten Zwecken verwendet werden. Räume, die objektiv als Wohnung zu beurteilen sind, verlieren diese Eigenschaft nicht dadurch, daß ihre Überlassung zu Wohnzwecken im Rahmen einer pflegerischen und therapeutischen Gesamtkonzeption erfolgt.
GrStG § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, § 5
Urteil vom 21. April 1999 - II R 5/97 -
Vorinstanz: Niedersächsisches FG (EFG 1997, 558)
Gründe
I.
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist eine Körperschaft des öffentlichen Rechts, die --nach vorläufigem Bescheid des Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt --FA--) vom 10. August 1992-- zu den nach § 5 Abs. 1 Nr. 9 des Körperschaftsteuergesetzes begünstigten Körperschaften zählt. Der Kläger betreibt ein Wohnheim, in dem seelisch Behinderte Aufnahme und Pflege finden. Das FA hat (vorläufig) anerkannt, daß dieses Wohnheim ausschließlich und unmittelbar steuerbegünstigten mildtätigen Zwecken i.S. der §§ 51 ff. der Abgabenordnung (AO 1977) dient. In dem Wohnheim können seelisch behinderte Patienten ohne zeitliche Begrenzung leben, wenn dies medizinisch erforderlich ist. Angestrebt wird allerdings, daß die Patienten als Folge der Therapiemaßnahmen nach einiger Zeit das Wohnheim wieder verlassen und selbständig leben können.
Das Gebäude ist wie folgt gestaltet:
Durch die Haustür gelangt man in einen Eingangsbereich. Von hier führt eine Reihe von Türen zu verschiedenen Gemeinschaftseinrichtungen, z.B. zu einem Gemeinschaftsraum, einem Freizeitbeschäftigungsraum und ähnlichem. Rechts und links des Eingangsbereichs führt jeweils eine Türe zu einem Flur. Von jedem Flur gehen vier Zimmer ab, die von je einem Patienten bewohnt werden. Am Ende der Flure befinden sich jeweils zwei Duschen mit WC, ein Hauswirtschaftsraum und eine Wohnküche. Von dem Eingangsbereich führt eine Treppe in das obere Stockwerk. Dort mündet die Treppe in einen Flurbereich, der ebenfalls auf seiner rechten und linken Seite eine Türe aufweist, hinter denen sich die Wohnbereiche für acht weitere Patienten befinden. Insgesamt besitzt das Wohnheim damit 16 Zimmer für Patienten, die auf vier Bereiche --jeweils zwei im Erdgeschoß und im Obergeschoß-- aufgeteilt sind. Diese vier Wohnbereiche sind in ihrer Gestaltung, Größe und Anordnung identisch.
Durch Einheitswertbescheid vom 2. Dezember 1991, geändert durch Bescheid vom 10. Februar 1993, bewertete das beklagte FA das Grundstück, auf dem sich das Wohnheim befindet, auf den 1. Januar 1992 als Mietwohngrundstück. Es stellte den Einheitswert auf 196 800 DM fest. Dabei ging das FA davon aus, daß das Wohnheim vier Wohnungen enthalte mit jeweils vier Patientenzimmern, einem Flur, zwei Duschen mit WC, einer Küche und einem Abstellraum. Die übrigen Flächen des Wohnheims berücksichtigte das FA bei der Ermittlung des Einheitswerts nicht. Mit dem dagegen eingelegten Einspruch wurde die Aufhebung des Bescheids begehrt. Dieser sei für die Besteuerung nicht von Bedeutung. Als einzige einheitswertabhängige Steuer komme die Grundsteuer in Betracht. Da das Wohnheim eine gemeinnützige Einrichtung sei und keine Wohnungen, sondern nur Wohnräume enthalte, unterliege es jedoch nicht der Grundsteuer, mit der Folge, daß gemäß § 19 Abs. 4 des Bewertungsgesetzes (BewG) kein Einheitswert festzustellen sei. Mit Schreiben vom 11. Februar 1993 beantragte der Kläger ferner, die Festsetzung des Einheitswerts auf den Stichtag 1. Januar 1993 aufzuheben. Das FA wies den Einspruch als unbegründet zurück und lehnte den Antrag ab.
Hiergegen richtet sich die Klage. Mit dieser wurde begehrt, unter Aufhebung des Einheitswertbescheids auf den 1. Januar 1992 das FA zu verpflichten, ab 1. Januar 1993 die Festsetzung eines Einheitswerts für das betreffende Grundstück aufzuheben. Der Kläger sei nach § 3 Abs. 1 Nr. 3 des Grundsteuergesetzes (GrStG) von der Grundsteuer befreit. Die Voraussetzungen des § 5 Abs. 2 GrStG lägen nicht vor. Das Wohnheim enthalte keine Wohnungen, sondern allenfalls Wohnräume. Das ergebe sich sowohl aus der räumlichen Gestaltung der Wohnbereiche als auch aus dem Unterbringungszweck. Die Patientenzimmer seien mit Krankenzimmern in einem Krankenhaus vergleichbar.
Das Finanzgericht (FG) hat die Klage als unbegründet abgewiesen. Zwar lägen die Voraussetzungen für eine Steuerbefreiung nach § 3 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. a GrStG grundsätzlich vor. Nach § 5 Abs. 2 GrStG sei die Steuerbefreiung für Wohnungen jedoch ausgeschlossen. Das Wohnheim enthalte vier Wohnungen, in denen die Führung eines selbständigen Haushalts auf Dauer möglich sei.
Hiergegen richtet sich die Revision des Klägers. Er macht Verletzung materiellen Rechts geltend. Die von den beteiligten Sozialhilfeträgern und den jeweiligen Sozialhilfeeinrichtungen gebrauchten und vom FG übernommenen Formulierungen "Wohnheim" bzw. "Langzeitwohnheim" seien mißverständlich. In jeder Unterbringungseinheit seien zwei Badezimmer vorhanden. Bei der vorliegenden Nutzung handelte es sich gerade nicht um eine Wohnnutzung, sondern um eine mit hohen Pflegesätzen (101,40 bzw. 118,16 DM täglich) abzugeltende Leistung. Das "Wohnen" finde im Rahmen einer Therapie statt. Das FG stelle zu Unrecht darauf ab, daß die untergebrachten Personen nicht "bettlägerig" seien. Der Begriff der Wohnung i.S. des § 5 Abs. 2 GrStG sei im übrigen aus der Sicht des konkreten Nutzers zu fassen. Von einer Wohnung könne danach nur gesprochen werden, wenn der dem Nutzer überlassene Raum diesem objektiv die Möglichkeit gewähre, sich mittels einer Raumtrennung (z.B. durch eine Türe) gegen unerwünschte Personen abzusondern und im übrigen alle Mindestfunktionen einer Wohnung (Sanitär- und Kochgelegenheit) aufweise. Im Streitfall sei daher auf die den einzelnen Patienten persönlich zugewiesenen Wohnräume abzustellen, die den Wohnungsbegriff aber nicht erfüllten.
Der Kläger beantragt, die Vorentscheidung, die Einheitswertfeststellung auf den 1. Januar 1992 mit der zugehörigen Einspruchsentscheidung vom 27. Oktober 1994 sowie die Ablehnungsverfügung vom 23. Februar 1993 samt Einspruchsentscheidung vom 27. Oktober 1994 aufzuheben und das FA zu verpflichten, ab 1. Januar 1993 die Festsetzung eines Einheitswerts für das Wohnheim aufzuheben.
Das beklagte FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
II.
Die Revision des Klägers ist unbegründet. Zutreffend hat das FG die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids bejaht.
1. Das klägerische Begehren wäre nur dann berechtigt, wenn das betreffende Grundstück (auch) von der Grundsteuer befreit und die Feststellung eines Einheitswerts deswegen für keine Steuer von Bedeutung wäre (§ 19 Abs. 4 BewG). Dies ist jedoch nicht der Fall. Eine (vollständige) Befreiung des Grundstücks von der Grundsteuer nach § 3 GrStG scheitert daran, daß das auf dem Grundstück befindliche Gebäude auch Wohnungen enthält, die nach § 5 Abs. 2 GrStG stets steuerpflichtig sind.
Zu Recht hat das FG angenommen, daß das Wohnheim, in das der Kläger seelisch Behinderte aufnimmt und pflegt, vier Wohnungen i.S. von § 5 Abs. 2 GrStG enthält. Das GrStG definiert den Begriff der Wohnung ebensowenig wie das BewG. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) zum Bewertungsrecht ist unter einer Wohnung die Zusammenfassung einer Mehrheit von Räumen zu verstehen, die in ihrer Gesamtheit so beschaffen sein müssen, daß sie die Führung eines selbständigen Haushalts auf Dauer ermöglichen. Dazu ist es u.a. erforderlich, daß die abgeschlossene Wohneinheit eine bestimmte Fläche nicht unterschreitet. Darüber hinaus ist es grundsätzlich erforderlich, daß die für die Führung eines selbständigen Haushalts notwendigen Einrichtungen wie Küche, Bad oder Dusche und Toilette vorhanden sind (vgl. BFH-Urteil vom 5. Oktober 1984 III R 192/83, BFHE 142, 505, BStBl II 1985, 151). Für Bewertungsstichtage ab 1. Januar 1974 ist es auch erforderlich, daß die als Wohnung in Betracht kommenden Räumlichkeiten eine von anderen Wohnungen oder Räumen baulich getrennte, in sich abgeschlossene Wohneinheit bilden. Diese für den Begriff der Wohnung von der Rechtsprechung entwickelte typologische Umschreibung gilt entsprechend auch für den Wohnungsbegriff i.S. des § 5 Abs. 2 GrStG (vgl. BFH-Urteil vom 22. September 1993 II R 63/91, BFHE 173, 558, BStBl II 1994, 415, m.w.N.).
Diese Voraussetzungen für das Vorliegen einer Wohnung sind nach den Feststellungen des FG im Streitfall erfüllt. Jede der vier Raumeinheiten ist dabei für sich zu beurteilen. Jede der Raumeinheiten ist insgesamt groß genug, um als Wohnung angesehen werden zu können. Die zur Führung eines selbständigen Haushalts notwendigen Einrichtungen (Küche, Dusche und WC) sind vorhanden. Objektiv ist jede Raumeinheit gegenüber den anderen Räumlichkeiten des Gebäudes baulich abgegrenzt und in sich abgeschlossen. Hierzu reicht das Vorhandensein der Türen aus, mit denen die Raumeinheiten zum Flur abgeschlossen werden können. Diese auf die objektive bauliche Gestaltung abhebende Abgrenzung schließt es aus, den Begriff der Wohnung, wie der Kläger aber meint, subjektiv, aus der Sicht des einzelnen Nutzers zu fassen, und darauf abzustellen, ob diesem ein alle Voraussetzungen des Wohnungsbegriffs erfüllender Raum ausschließlich zur Verfügung stehe, im Streitfall also auf den dem einzelnen Patienten persönlich zugewiesenen Wohnraum.
Die Raumeinheiten dienen --entgegen der Auffassung des Klägers-- (auch) Wohnzwecken. Dies wurde vom FG in revisionsgerichtlich nicht zu beanstandender Weise festgestellt. Insbesondere ist die tatsächliche Nutzung schon deswegen mit derjenigen eines Krankenhauses nicht vergleichbar, da die darin aufgenommenen betreuten Personen nicht einer ständigen ärztlichen Betreuung bedürfen. Ein möglichst eigenständiges Wohnen ist --nach dem Vortrag des Klägers-- gerade Mittel und Ziel der angebotenen Therapie.
Der Eigenschaft als Wohnung steht es nicht entgegen, daß die Raumeinheiten baulich nicht auf die typischen Bedürfnisse einer Familie zugeschnitten sind. Der Wohnungsbegriff verlangt, daß die abgeschlossene Raumeinheit die Führung eines selbständigen Haushalts erlaubt, nicht aber ist es erforderlich, daß die in der Raumeinheit wohnenden Personen zusammen einen gemeinsamen Haushalt führen. Dementsprechend verlangt der Wohnungsbegriff auch nicht, daß ein gemeinsames Wohnzimmer vorhanden sein muß (vgl. für Studentenappartements BFH-Urteil vom 21. Juli 1993 II R 75/92, BFH/NV 1994, 410). Dem Vorliegen einer Wohnung steht es im Streitfall auch nicht entgegen, daß die Türen der Raumeinheiten zum Flur nicht abgeschlossen werden, um dem Pflegepersonal den Zutritt zu ermöglichen (vgl. für Altenheime BFH-Urteil vom 30. April 1982 III R 33/80, BFHE 136, 293, BStBl II 1982, 671). Die Raumeinheiten ermöglichen die Führung eines selbständigen Haushalts auch auf Dauer. Dem steht es nicht entgegen, daß es Ziel der Betreuung der in die Wohnungen aufgenommenen Personen ist, diesen wieder eine Selbständigkeit zu verschaffen, die ihnen ein Leben ohne medizinische, psychologische und organisatorische Hilfe ermöglicht. Der Aufenthalt der Patienten ist zumindest auf eine gewisse --wenn auch unbestimmte-- Dauer ausgerichtet und erfüllt auch insofern die Voraussetzung des "Wohnens".
Dem Entscheidungsergebnis steht es auch nicht entgegen, daß die Überlassung der Räume zu Wohnzwecken nur Teil der im Rahmen einer pflegerischen und therapeutischen Gesamtkonzeption vom Kläger erbrachten Leistungen ist und diese Leistungen gerade der Verwirklichung der vom Kläger verfolgten mildtätigen bzw. gemeinnützigen Zielsetzung dient. Dies ergibt sich aus der insoweit eindeutigen Entscheidung des Gesetzgebers. Nach § 5 Abs. 1 Nr. 3 GrStG gilt zwar die Grundsteuerbefreiung auch für Wohnräume, wenn der steuerbegünstigte Zweck nur durch ihre Überlassung erreicht werden kann. Nach § 5 Abs. 2 GrStG sind jedoch Wohnungen stets steuerpflichtig, auch wenn die Voraussetzungen des Abs. 1 der Vorschrift vorliegen. Aus dieser gesetzlichen Regelung ergibt sich zunächst, daß das Vorliegen von Wohnräumen oder Wohnungen nicht dadurch ausgeschlossen wird, daß deren Überlassung nicht Selbstzweck ist, sondern (zugleich) in Erfüllung anderer (steuerbegünstigter) Zwecke erfolgt. Zum anderen folgt daraus weiter, daß Wohnungen auch dann von der Steuerbefreiung ausgenommen sein sollen, wenn ihre Überlassung in Erfüllung mildtätiger oder gemeinnütziger Zwecke erfolgt. Der Gesetzgeber hat damit eine Entscheidung dahin getroffen, daß bei einer Mehrheit von Räumen, die den Begriff der Wohnung erfüllt, stets das Überwiegen des Wohnzweckes anzunehmen und Grundsteuerpflicht gegeben ist. Diese Regelung verbietet es, gemeinnützigen Körperschaften eine Grundsteuerbefreiung dann und insoweit zu gewähren, als sie Wohnungen in Verfolgung und in Verwirklichung eines gemeinnützigen oder mildtätigen Zwecks Dritten überlassen. Ob eine Grundsteuerbefreiung in diesen Fällen sozialpolitisch wünschenswert wäre, unterliegt nicht der Beurteilung durch den Senat (BFH-Urteil in BFHE 136, 293, 296, BStBl II 1982, 679). Die Grundsatzentscheidung des Gesetzgebers, nach welcher der Wohnzweck kein steuerbegünstigter Zweck i.S. des GrStG ist, verstößt nicht gegen das Grundgesetz (Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 4. April 1984 1 BvR 1139/82, 1347, 1348/83, Steuerrechtsprechung in Karteiform, Grundsteuergesetz, § 5, Rechtsspruch 2).
Hinsichtlich der vom FG zutreffend als Wohnungen qualifizierten Räume ist der Kläger nicht von der Grundsteuer befreit. Das FA mußte daher nicht nach § 19 Abs. 4 BewG von der Feststellung eines Einheitswerts absehen.
Ende der Entscheidung
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