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Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 30.06.1999
Aktenzeichen: II R 5/98
Rechtsgebiete: BewG, VStG, BGB


Vorschriften:

BewG § 110 Abs. 1
BewG § 114 bis 120
BewG § 110 Abs. 1 Nr. 1
BewG § 114 Abs. 1
VStG § 4 Abs. 1 Nr. 1
BGB § 847 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe

I. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist seit einem Unfall schwerstpflegebedürftig. Das wegen der Gesundheitsverletzung erhaltene Schmerzensgeld legte er in verzinslichen Wertpapieren an. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) setzte mit Bescheid vom 19. Juni 1992 auf den Hauptveranlagungszeitpunkt 1. Januar 1989 Vermögensteuer unter Berücksichtigung der Wertpapiere gegen den Kläger fest. Einspruch und Klage blieben ohne Erfolg. Das Finanzgericht (FG) war der Auffassung, daß das FA die mit dem Schmerzensgeld erworbenen Wertpapiere zu Recht als sonstiges Vermögen i.S. des § 110 Abs. 1 des Bewertungsgesetzes (BewG) erfaßt hat. Das Urteil des FG ist in Entscheidungen der Finanzgerichte 1998, 426 veröffentlicht.

Mit der Revision macht der Kläger Verletzung materiellen Rechts geltend. Zur Zukunftssicherung angelegte Schmerzensgelder dürften aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht der Vermögensteuer unterworfen werden. Der Kläger beantragt, das Urteil des FG sowie den Vermögensteuerbescheid auf den 1. Januar 1989 vom 19. Juni 1992 und die Einspruchsentscheidung vom 10. November 1992 aufzuheben.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

II. Die Revision ist unbegründet. Das FG hat zutreffend entschieden, daß die Wertpapiere des Klägers, die dieser mit Mitteln erworben hat, die ihm als Schmerzensgeld für schwere Gesundheitsverletzungen gezahlt wurden, nicht von der Besteuerung des Vermögens freigestellt sind.

Nach § 4 Abs. 1 Nr. 1 des Vermögensteuergesetzes (VStG) unterliegt der Steuerpflichtige mit seinem Gesamtvermögen (§§ 114 bis 120 BewG) der Vermögensteuer. Die dem Kläger gehörenden Wertpapiere verbriefen Kapitalforderungen und rechnen daher bewertungsrechtlich zum sonstigen Vermögen i.S. des § 110 Abs. 1 Nr. 1 BewG. Die Einbeziehung der Wertpapiere in das zu versteuernde Gesamtvermögen (vgl. § 114 Abs. 1 BewG) wird nicht dadurch ausgeschlossen, daß der Kläger die Wertpapiere mit Mitteln erworben hat, die ihm als Schmerzensgeld für schwere Gesundheitsverletzungen gezahlt wurden. Nach § 114 Abs. 2 BewG gehören nur die Wirtschaftsgüter nicht zum Gesamtvermögen, die nach den Vorschriften des VStG oder anderer Gesetze (z.B. des BewG) von der Vermögensteuer befreit sind.

a) Eine Vorschrift, wonach die Wertpapiere des Klägers von der Vermögensteuer befreit sind, ist nicht vorhanden. Wie der Senat bereits mit Urteil vom 6. Dezember 1995 II R 36/92 (BFH/NV 1996, 517) ausgeführt hat, kann insbesondere aus § 111 Nr. 7b bzw. Nr. 8 BewG nicht der allgemeine Grundsatz abgeleitet werden, Schadensersatzleistungen einschließlich der mit diesen Mitteln angeschafften Wirtschaftsgüter seien bei der Vermögensteuer nicht zu berücksichtigen. Der Besteuerung solcher Schadensersatzleistungen steht danach auch der Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) nicht entgegen. Art. 3 Abs. 1 GG gebietet nicht, zwar behinderte, aber leistungsfähige Bürger von der Steuerpflicht auszunehmen. Die Steuerpflicht ist eine Grundpflicht (Gemeinschaftspflicht) aller finanziell leistungsfähigen Bürger (vgl. Tipke, Die Steuerrechtsordnung, 1993, Bd. 1, S. 4 ff., m.w.N.). Aus Art. 3 Abs. 1 GG folgt für das Steuerrecht, daß jeder Steuerpflichtige nach seiner finanziellen Leistungsfähigkeit gleichmäßig zur Finanzierung der allgemeinen Staatsaufgaben herangezogen wird (Beschluß des Bundesverfassungsgerichts --BVerfG-- vom 22. Juni 1995 2 BvL 37/91, BVerfGE 93, 121, 135). Die Leistungsfähigkeit eines Steuerpflichtigen stellt sich --unabhängig vom Einkommen und der Nachfragekraft-- auch in dessen Vermögen dar (vgl. BVerfG-Beschluß in BVerfGE 93, 121, 134). Diese objektive Grundlage der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit wird nicht dadurch aufgehoben, daß das Vermögen oder ein Teil davon aufgrund einer Schadensersatzleistung erworben wurde. Denn auch insoweit repräsentiert das Vermögen die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Geschädigten (Bundesfinanzhof --BFH-- in BFH/NV 1996, 517, 519). Das BVerfG hat die Verfassungsbeschwerde gegen das Urteil vom 6. Dezember 1995 II R 36/92 durch Beschluß vom 22. Juli 1996 1 BvR 400/96 (Steuer-Eildienst 1996, 576) nicht zur Entscheidung angenommen.

b) Die Tatsache, daß der Kläger sein Wertpapiervermögen aus Mitteln finanziert hat, die er aufgrund eines Schadensersatzanspruchs für eine ihm zugefügte Körperverletzung (Schmerzens- geld, § 847 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs --BGB--) erlangt hatte, führt zu keiner anderen Beurteilung. Die Besteuerung der Wertpapiere verstößt weder gegen das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit gemäß Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG noch gegen das Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG. Der Vermögensteuer unterliegen gemäß § 4 Abs. 1 Nr. 1 VStG i.V.m. § 114 BewG die das Gesamtvermögen bildenden Wirtschaftsgüter als solche. Auf die Art und Weise, wie das Vermögen gebildet worden ist, kommt es nicht an. Von Gesetzes wegen ist nicht danach zu unterscheiden, womit die einzelnen Wirtschaftsgüter angeschafft worden sind und auf welcher Rechtsgrundlage der Steuerpflichtige die zur Anschaffung erforderlichen Geldmittel erhalten hat. Wegen der Unerheblichkeit der Art der Vermögensbildung wird das Recht auf körperliche Unversehrtheit des Steuerpflichtigen deshalb nicht berührt, wenn die Anschaffung der Wirtschaftsgüter mit einem Schmerzensgeld finanziert worden ist, das der Steuerpflichtige gemäß § 847 Abs. 1 BGB wegen einer Verletzung seines Körpers oder seiner Gesundheit erhalten hat. Die Erfassung der Wirtschaftsgüter im Gesamtvermögen stellt auch keinen indirekten Eingriff in die körperliche Unversehrtheit dar. In den Wirtschaftsgütern materialisiert sich nicht die verlorene körperliche Unversehrtheit.

Etwas anderes läßt sich auch nicht aus dem Sozialstaatsprinzip herleiten. Mit der Anknüpfung an eine objektiv gegebene Leistungsfähigkeit wird nicht gegen einen Verfassungsauftrag zur Fürsorge für Hilfsbedürftige sowie zur Schaffung einer gerechten Sozialordnung im allgemeinen und zum Schutz der sozialen Existenz gegen die Wechselfälle des Lebens (vgl. BVerfG-Beschluß vom 27. Mai 1970 1 BvL 22/63 und 27/64, BVerfGE 28, 324, 348) im besonderen verstoßen. Auch dem vom Kläger zitierten Urteil des Bundessozialgerichts vom 20. Februar 1991 11 RAr 109/89 (BSGE 68, 148) liegt kein für den Streitfall maßgeblicher Rechtsgedanke zugrunde. Das Urteil befaßt sich mit der Anrechenbarkeit von Schadensersatzleistungen in Gestalt von Rentenzahlungen oder Kapitalabfindungen und aus letzteren fließenden Zinsen auf die Arbeitslosenhilfe und beurteilt die Anrechenbarkeit danach, ob die Renten oder Zinsen nach dem Grundgedanken der jeweiligen Schadensersatzregelungen für die allgemeine Lebensführung zur Verfügung stehen und ob die Verwendung einer Kapitalabfindung für die allgemeine Lebensführung zumutbar ist. Auf beide Gesichtspunkte kommt es im Streitfall nicht an.

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