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Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 02.06.2004
Aktenzeichen: II R 51/01
Rechtsgebiete: BewG


Vorschriften:

BewG § 88 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist Eigentümerin eines ca. 181 400 qm großen Grundstücks, welches sie am streitigen Stichtag 1. Januar 1997 für eigene betriebliche Zwecke nutzte. Auf dem Grundstück befinden sich zahlreiche Gebäude, darunter Produktionshallen, Büro-, Verwaltungs-, Schulungs- und Sozialgebäude sowie Gebäude mit Lager- und Werkstatträumen. Die Geschossfläche der bis zu fünfgeschossigen Betriebsgebäude beträgt ca. 169 000 qm. Die Gebäude sind unterschiedlichen Alters; die ältesten Gebäude wurden gegen Ende des 19. Jahrhunderts, die jüngsten 1982 errichtet.

In Ausführung eines Beschlusses des Vorstandes der Klägerin von Ende 1994/Anfang 1995 wurde der auf dem Grundstück befindliche Produktionsbetrieb sukzessive zurückgeführt, im Jahre 2000 endgültig eingestellt und an andere Betriebsstandorte verlagert. Die Bemühungen der Klägerin, das Grundstück zu veräußern oder einem anderen Nutzungskonzept zuzuführen, erwiesen sich als schwierig. Die von der Klägerin eingeschalteten Immobilienunternehmen sahen mehr oder weniger keine oder schlechte Nutzer- und Käuferperspektiven.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) hatte zuletzt den Einheitswert für das Grundstück der Klägerin im Wege der Wertfortschreibung auf den 1. Januar 1993 auf xxx DM festgestellt.

Mit Schreiben vom 1. Dezember 1997 beantragte die Klägerin, den Einheitswert auf den 1. Januar 1997 fortzuschreiben und dabei den Sachwert für alle Gebäude auf ihrem Grundstück --mit Ausnahme derjenigen, die unter Denkmalschutz stehen-- wegen wirtschaftlicher Überalterung nach § 88 Abs. 2 des Bewertungsgesetzes (BewG) zu ermäßigen. Sie verwies darauf, dass die Gebäude mit Schadstoffen kontaminiert seien und für andere Zwecke nicht benutzt werden dürften. Nach der von ihr geplanten Betriebseinstellung werde eine Industriebrachfläche entstehen.

Durch Bescheid vom ... April 1998 lehnte das FA den Antrag der Klägerin ab. Einspruch und Klage der Klägerin blieben ohne Erfolg. Im Klageverfahren hat die Klägerin für jedes einzelne Gebäude mitgeteilt, woraus sich die von ihr behaupteten Nutzungseinschränkungen ergeben (z.B. Stockwerksbau, geringe Deckentragfähigkeit, geringe Raumhöhe, enger Stützenabstand, geringe Gebäudebreite etc.) und ferner Gutachten betreffend Boden- und Grundwasseruntersuchungen sowie Standortanalysen vorgelegt.

Das Finanzgericht (FG) führte in seinem klageabweisenden Urteil aus, das Gericht habe nicht die Überzeugung gewinnen können, dass die Gebäude am Bewertungsstichtag 1. Januar 1997 aus objektiv zwingenden Gründen nicht bis zum Ende der technischen Lebensdauer wirtschaftlich nutzbar gewesen seien. Die tatsächliche Nutzung der Gebäude durch die Klägerin spreche indiziell dafür, dass diese noch wirtschaftlich bedeutsam gewesen seien. Das Gericht habe nicht den Eindruck gewinnen können, dass die beabsichtigte Werksschließung unabänderlich festgestanden habe und die technische Nutzungsdauer nicht mehr erreicht werde. Unabhängig davon komme ein Abschlag nach § 88 Abs. 2 BewG auch deshalb nicht in Betracht, weil die Betriebsaufgabe durch die Klägerin auf betriebswirtschaftlichen Gründen beruhe, die in keinem Zusammenhang mit dem bewerteten Grundstück und der Nutzbarkeit der darauf befindlichen Gebäude stehe.

Mit der Revision rügt die Klägerin Verletzung von § 88 Abs. 2 BewG, einen Verstoß gegen Denkgesetze sowie Verletzung der Sachaufklärungspflicht durch das FG.

Die Klägerin beantragt, das Urteil des Niedersächsischen FG vom 10. Juli 2001 1 K 89/99, die Einspruchsentscheidung vom ... Januar 1999 sowie den Ablehnungsbescheid des FA vom ... April 1998 aufzuheben und das FA zu verpflichten, den Einheitswertbescheid für das streitige Grundstück auf den 1. Januar 1997 fortzuschreiben und den Sachwert für die darauf befindlichen Gebäude, ausgenommen die denkmalgeschützten Gebäude 1, 2, 44, 45, 51a, wegen wirtschaftlicher Überalterung nach Maßgabe der gleichlautenden Erlasse der obersten Finanzbehörden der Länder vom 8. Oktober 1982 (BStBl I 1982, 771) zu mindern.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur weiteren Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).

1. Das FG hat zwar den Inhalt des Begriffs der wirtschaftlichen Überalterung i.S. von § 88 Abs. 2 BewG zutreffend ermittelt, diesen aber rechtsfehlerhaft auf den von ihm festgestellten Sachverhalt übertragen.

a) Gemäß § 88 Abs. 2 BewG kommt eine Ermäßigung des Gebäudesachwertes insbesondere dann in Betracht, wenn das Gebäude wegen wirtschaftlicher Überalterung in seinem Wert gemindert ist. Eine Wertminderung wegen wirtschaftlicher Überalterung ist allerdings nicht allein deshalb gerechtfertigt, weil das Gebäude im Feststellungszeitpunkt schon ein bestimmtes Alter erreicht hat. Der Wertunterschied zwischen einem alten und einem neuen Gebäude wird grundsätzlich durch die Wertminderung nach § 86 BewG wegen des Alters des Gebäudes ausreichend berücksichtigt. Die Ermäßigung wegen wirtschaftlicher Überalterung kommt nur dann in Betracht, wenn feststeht, dass die tatsächliche Nutzungsdauer eines Gebäudes aus objektiven, wirtschaftlich zwingenden Gründen gegenüber der gewöhnlichen (technischen) Nutzungsdauer, d.h. der Zeitraum der tatsächlichen Verwendung des Gebäudes gegenüber der gewöhnlichen Lebensdauer für jeden Eigentümer verkürzt (vgl. Urteile des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 11. März 1977 III R 11/75, BFHE 123, 360, BStBl II 1978, 3, und vom 27. April 1978 III R 6/77, BFHE 125, 290, BStBl II 1978, 523) und damit zu rechnen ist, dass das Gebäude vorzeitig abgebrochen oder dem Verfall preisgegeben wird (BFH-Urteil vom 3. Juli 1981 III R 108/78, BFHE 133, 443, BStBl II 1981, 646). Ob und gegebenenfalls in welchem Ausmaß eine wirtschaftliche Überalterung vorliegt, kann deshalb nicht aus der Sicht des Steuerpflichtigen oder eines gedachten Erwerbers des gewerblichen Betriebs beurteilt werden, zu dessen Betriebsvermögen das Gebäude gehört; es muss vielmehr darauf abgestellt werden, ob das Gebäude losgelöst von dem konkreten Betrieb bei jeder nach der Bauart möglichen Nutzung wirtschaftlich als überaltert anzusehen ist (vgl. auch Urteile des Reichsfinanzhofs vom 16. November 1939 III 236/39, RStBl 1940, 492, und vom 25. Juli 1940 III 134/39, RStBl 1940, 852).

b) Das FG hat zwar unter Ziff. I. 1. der Entscheidungsgründe diese Rechtsprechungsgrundsätze im Wesentlichen zutreffend dargelegt, insbesondere auch darauf hingewiesen, dass eine Ermäßigung des Gebäudesachwertes nur aus wirtschaftlich zwingenden objektiven Gründen in Betracht komme. Bei seiner Überzeugungsbildung hat sich das FG unter Ziff. I. 2. der Entscheidungsgründe aber gerade nicht auf wirtschaftlich zwingende objektive Gründe, wie z.B. diejenigen von der Klägerin im Einzelnen dargelegten, sondern ausschließlich auf Gründe gestützt, die den konkreten Betrieb der Klägerin, insbesondere die tatsächliche Nutzung des Grundstücks durch die Klägerin am Bewertungsstichtag sowie die Gründe der späteren Betriebsaufgabe durch die Klägerin betreffen. Mit diesen Gesichtspunkten kann weder eine wirtschaftliche Überalterung begründet, noch die Überzeugung belegt werden, eine solche liege nicht vor. Objektive Gründe können vielmehr nur solche sein, die --losgelöst von dem konkreten Betrieb-- zu einer Verkürzung der gewöhnlichen Lebensdauer für jeden Eigentümer führen.

Es handelt sich nicht um einen Fehler des FG bei der Tatsachenfeststellung bzw. -würdigung, der nur unter den besonderen Voraussetzungen des § 118 Abs. 2 FGO beachtlich wäre, sondern um einen Rechtsanwendungsfehler. Denn das FG ist, obwohl es zuvor in seinem Urteil die zutreffenden Rechtssätze aufgestellt hat, bei der Anwendung derselben auf den konkreten Sachverhalt von anderen, dem Recht nicht entsprechenden Grundsätzen ausgegangen. Dies gilt insbesondere für den Hinweis, die tatsächliche Nutzung der Gebäude durch die Klägerin sei ein Indiz dafür, dass das Grundstück für die Klägerin noch wirtschaftlich bedeutsam gewesen sei.

Sollte hingegen das FG-Urteil so zu verstehen sein, dass die Gebäude für die Klägerin bis zum Ende der technischen Lebensdauer wirtschaftlich sinnvoll nutzbar waren, fehlt es an den für diese Überzeugungsbildung notwendigen Tatsachenfeststellungen, insbesondere auch der Würdigung der von der Klägerin genannten objektiven Gründe für eine wirtschaftliche Überalterung der Gebäude. Auf die Unabänderlichkeit des Betriebseinstellungsbeschlusses der Klägerin sowie auf die (betriebswirtschaftlichen) Gründe, die die Klägerin zu dem Beschluss veranlasst haben, käme es insoweit nicht an.

2. Die Sache ist nicht spruchreif. Die vom FG getroffenen Feststellungen reichen nicht aus, um abschließend prüfen zu können, ob im Streitfall wirtschaftlich zwingende objektive Gründe für die Annahme vorliegen, die --losgelöst von dem konkreten Betrieb der Klägerin-- zu einer Verkürzung der gewöhnlichen Lebensdauer für jeden Eigentümer führen.

Im zweiten Rechtsgang wird das FG deshalb insbesondere der Behauptung der Klägerin nachzugehen haben, dass für die Gebäude, für die die Klägerin eine Ermäßigung des Gebäudesachwertes begehrt, bereits am Bewertungsstichtag eine wirtschaftlich vernünftige Nutzer- oder Verwertungsperspektive für die gesamte noch bestehende Zeit der technischen Nutzungsdauer nicht mehr erkennbar gewesen sei. Hierzu ist gegebenenfalls ein Sachverständigengutachten einzuholen. Zu beachten hat das FG dabei auch, dass allein die tatsächliche Nutzung der Gebäude durch die Klägerin am maßgeblichen Bewertungsstichtag das Vorliegen wirtschaftlich zwingender objektiver Gründe zu diesem Zeitpunkt nicht ausschließt. Vielmehr hat das FG die Möglichkeit in Betracht zu ziehen, dass bereits zum 1. Januar 1997 objektive Umstände vorlagen, die die Annahme einer Verkürzung der gewöhnlichen (technischen) Nutzungsdauer objektiv rechtfertigen.



Ende der Entscheidung

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