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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 15.06.2005
Aktenzeichen: II R 67/04
Rechtsgebiete: BewG, ArbStättV


Vorschriften:

BewG § 68 Abs. 1 Nr. 1
BewG § 68 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2
ArbStättV § 15 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3
Einem Bauwerk fehlt die Eigenschaft, einen mehr als nur vorübergehenden Aufenthalt von Menschen zu gestatten, nicht schon deshalb, weil in ihm ein Lärmpegel herrscht, der den Grenzwert nach § 15 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 ArbStättV überschreitet (Klarstellung zum BFH-Urteil vom 30. Januar 1991 II R 48/88, BFHE 163, 236, BStBl II 1991, 618).
Gründe:

I.

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) betreibt auf eigenem Grund in einem Konglomerat aus mehreren Bauwerken eine Zementfabrikation. Hinsichtlich einiger dieser Bauwerke --nämlich derjenigen, die die Kohlen-, Roh- und Zementmühlen sowie die Trockner- und Brecheranlagen umschließen-- beantragte die Klägerin auf den 1. Januar 1998 eine fehlerbeseitigende Wertfortschreibung dahin gehend, diese Bauwerke nicht mehr als Gebäude zu erfassen, da es sich nach den Grundsätzen des Urteils des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 30. Januar 1991 II R 48/88 (BFHE 163, 236, BStBl II 1991, 618) um Betriebsvorrichtungen handele. In den Bauwerken werde nämlich die arbeitsschutzrechtliche Höchstgrenze für den Schallpegel gemäß § 15 Abs. 1 Nr. 3 der Verordnung über Arbeitsstätten (ArbStättV) vom 20. März 1975 (BGBl I, 729) überschritten.

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) lehnte die beantragte Wertfortschreibung durch Verfügung vom 22. September 1998 ab, da in den Bauwerken anwesende Menschen sich mit einem Gehörschutz gegen den Lärm ausreichend abschirmen könnten und solch ein Gehörschutz die Funktion einer Schutzkleidung im Sinne der Gebäuderechtsprechung des BFH erfülle.

Der nach erfolglosem Einspruch erhobenen Klage gab das Finanzgericht (FG) im Wesentlichen statt. Lediglich das die Kohlenmühlen umschließende Bauwerk sah es als Gebäude an. Alle anderen Bauwerke beurteilte es als Betriebsvorrichtungen. Zur Begründung berief es sich ebenfalls auf § 15 Abs. 1 Nr. 3 ArbStättV, wonach ständige Arbeitsplätze, auf denen eine nicht überwiegend geistige oder Bürotätigkeit auszuüben ist, bei einem Lärmpegel von mehr als 85 dB(A) --in Sonderfällen 90 dB(A)-- unzulässig sind, und stellte dazu fest, dass diese Obergrenze mit Ausnahme der Kohlenmühle in allen Bauwerken überschritten wird. Weitere Störfaktoren für den Aufenthalt von Menschen brauchen nach Ansicht des FG nicht hinzuzukommen. Soweit das BFH-Urteil in BFHE 163, 236, BStBl II 1991, 618 zusätzlich auf niedrige Temperaturen abgestellt habe, sei dies einzelfallbedingt gewesen. Im Übrigen kämen im Streitfall starke Vibrationen hinzu.

Mit der Revision rügt das FA eine fehlerhafte Anwendung des § 68 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2 Nr. 2 des Bewertungsgesetzes (BewG), die sich daraus ergebe, dass das FG § 15 Abs. 1 Nr. 3 ArbStättV als alleinigen Maßstab für die Möglichkeit eines nicht nur vorübergehenden Aufenthalts von Menschen herangezogen habe. Dabei werde verkannt, dass es für die Gebäudeeigenschaft ausreiche, wenn das Bauwerk einen mehr als nur vorübergehenden Aufenthalt von Menschen lediglich mit Schutzkleidung zulasse, und dass es nicht zum Aufenthalt von Menschen bestimmt sein müsse. Mit Urteil vom 14. November 1975 III R 150/74 (BFHE 117, 492, BStBl II 1976, 198) habe der BFH entschieden, bereits die abstrakte Möglichkeit, sich mit Schutzkleidung in einem Bauwerk nicht nur vorübergehend aufzuhalten, reiche aus, um die Gebäudeeigenschaft zu bejahen. Im Übrigen belegten auch die berufsgenossenschaftlichen Vorschriften für Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit, dass es Arbeitsplätze gebe, auf denen die Grenzwerte nach der ArbStättV überschritten würden. Die Klägerin habe selbst vorgetragen, ihre Mitarbeiter würden sich in den lärmrelevanten Einhausungen zu stündlichen Kontrollgängen aufhalten und dabei die zulässigen Wirkzeiten deutlich überschreiten. Sie seien deshalb gehalten, Gehörschutzmittel zu tragen. Unabhängig von der Höhe des Lärmpegels sei auch zu prüfen, ob betriebsfreie Zeiten, die den Aufenthalt von Menschen ermöglichen, von nicht nur untergeordneter Bedeutung seien.

Das FA beantragt, unter Aufhebung der Vorentscheidung die Klage abzuweisen.

Die Klägerin ist der Revision entgegengetreten.

II.

Die Revision ist begründet. Sie führt zur teilweisen Aufhebung der Vorentscheidung und zur vollständigen Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Bei den noch streitbefangenen Bauwerken handelt es sich um Gebäude. Dem steht nicht entgegen, dass der in ihnen herrschende Schallpegel die nach § 15 Abs. 1 Nr. 3 ArbStättV zulässige Obergrenze überschreitet.

1. Gemäß § 68 Abs. 1 BewG gehören zum Grundvermögen außer dem Grund und Boden auch die Gebäude, die sonstigen Bestandteile und das Zubehör. Nicht in das Grundvermögen einzubeziehen sind nach § 68 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BewG Maschinen und sonstige Vorrichtungen aller Art, die zu einer Betriebsanlage gehören (Betriebsvorrichtungen), auch wenn sie wesentliche Bestandteile sind. Bei der Abgrenzung der Gebäude von den Betriebsvorrichtungen ist vom Gebäudebegriff auszugehen, weil Gebäude grundsätzlich zum Grundvermögen gehören und demgemäß ein Bauwerk, das als Gebäude zu betrachten ist, nicht Betriebsvorrichtung sein kann (Urteile des BFH vom 13. Juni 1969 III 17/65, BFHE 96, 57, BStBl II 1969, 517; vom 25. März 1977 III R 5/75, BFHE 122, 150, BStBl II 1977, 594, sowie vom 28. Mai 2003 II R 41/01, BFHE 202, 376, BStBl II 2003, 693). Als Gebäude ist ein Bauwerk anzusehen, das durch räumliche Umschließung Schutz gegen äußere Einflüsse gewährt, den nicht nur vorübergehenden Aufenthalt von Menschen gestattet, fest mit dem Grund und Boden verbunden sowie von einiger Beständigkeit und standfest ist (BFH-Urteile in BFHE 96, 57, BStBl II 1969, 517, sowie in BFHE 202, 376, BStBl II 2003, 693). Alle Bauwerke, die sämtliche dieser Begriffsmerkmale aufweisen, sind ausnahmslos als Gebäude zu behandeln (BFH-Urteile in BFHE 96, 57, BStBl II 1969, 517, sowie vom 13. Juni 1969 III R 132/67, BFHE 96, 365, BStBl II 1969, 612, 614).

Nicht erforderlich ist, dass ein Bauwerk zum Aufenthalt von Menschen bestimmt ist. Ist der Aufenthalt von Menschen in dem Bauwerk aber nur möglich, wenn ein automatisch laufender Betriebsvorgang abgeschaltet ist, handelt es sich nicht um ein Gebäude (BFH-Urteil vom 18. März 1987 II R 222/84, BFHE 150, 62, BStBl II 1987, 551). Andererseits steht es der Gebäudeeigenschaft nicht entgegen, wenn sich Menschen nur in entsprechender Schutzkleidung darin aufhalten können, um sich gegen gesundheitliche Schäden zu schützen (BFH-Urteile in BFHE 117, 492, BStBl II 1976, 198, sowie in BFHE 163, 236, BStBl II 1991, 618). Sofern wegen extremer Bedingungen während des automatisch gesteuerten stetig laufenden Betriebsvorgangs der Aufenthalt von Menschen in einem Bauwerk auch in Schutzkleidung nur vorübergehend während weniger Minuten möglich ist, gestattet das Bauwerk nicht einen mehr als nur vorübergehenden Aufenthalt von Menschen. Das gilt nach dem BFH-Urteil in BFHE 163, 236, BStBl II 1991, 618 auch, wenn während des stetigen Betriebsablaufs wegen des Lärmpegels der Aufenthalt von Menschen in dem Bauwerk höchstens während weniger Minuten möglich ist. Der BFH hat zwar in diesem Urteil nicht allein auf den arbeitsschutzrechtlich zulässigen Schallpegel für Arbeitsplätze in Arbeitsräumen gemäß § 15 Abs. 1 Nr. 3 ArbStättV abgehoben, sondern zusätzlich auf die unter dem Gefrierpunkt liegende Temperatur und damit auf ein Zusammenwirken mehrerer Faktoren; unklar bleibt aber, ob den Höchstwerten gemäß § 15 Abs. 1 Nr. 3 ArbStättV unabhängig von der Möglichkeit eines Gehörschutzes Bedeutung zukommen soll (vgl. dazu die Urteile des FG Berlin vom 27. November 1996 II 396/91, Entscheidungen der Finanzgerichte --EFG-- 1997, 595; des FG des Landes Brandenburg vom 15. März 2001 2 K 355/99 BG, EFG 2001, 671, sowie des FG Düsseldorf vom 7. November 2002 11 K 4981/99 BG). Dies bedarf der nachfolgenden Klarstellung.

§ 15 Abs. 1 Nr. 3 ArbStättV kann nicht zum Maßstab für die Möglichkeit eines nicht nur vorübergehenden Aufenthalts von Menschen gemacht werden (zweifelnd auch Halaczinsky in Rössler/ Troll, Bewertungsgesetz, Kommentar, Stand Januar 2005, § 68 Anm. 75). Die Vorschrift des § 15 Abs. 1 Nr. 3 ArbStättV betrifft den Schutz gegen Lärm an Arbeitsplätzen, die den ganzen Arbeitstag über besetzt sind (vgl. amtliche Begründung zu § 15 ArbStättV, abgedruckt bei Ast, Verordnung über Arbeitsstätten, 13. Aufl., 1995, S. 22). Ihr könnte daher nur dann entscheidungserhebliche Bedeutung zukommen, wenn unter einem nicht nur vorübergehenden Aufenthalt von Menschen ein Aufenthalt über einen ganzen Arbeitstag hin zu verstehen wäre. Das aber ist mit diesem Gebäudemerkmal nicht gemeint.

Abgesehen davon stellt die ArbStättV auf den Schallpegel in Arbeitsräumen ab, wie er auf das menschliche Ohr einwirkt und ggf. durch Maßnahmen an der Schallquelle oder durch bauliche und organisatorische Maßnahmen beeinflussbar ist (vgl. die amtliche Begründung zu § 15 ArbStättV, a.a.O.). Zu Recht hat daher das FA aus der Rechtsprechung, wonach das Erfordernis einer Schutzkleidung der Möglichkeit eines mehr als nur vorübergehenden Aufenthalts von Menschen nicht entgegensteht, gefolgert, dass dann, wenn die Verwendung von Gehörschutzstöpseln oder Kapselgehörschützern geeignet ist, die Schalleinwirkungen auf das menschliche Ohr unter die zulässige Höchstgrenze nach der ArbStättV zu drücken, der hohe Lärmpegel als solcher nicht entscheidendes Hindernis für die Gebäudeeigenschaft eines Bauwerks sein kann. Denn von der Funktion her kommt ein derartiger Gehörschutz einer Schutzkleidung gleich. Deshalb wird, soweit der Entscheidung des BFH in BFHE 163, 236, BStBl II 1991, 618 etwas anderes entnommen werden kann, daran nicht mehr festgehalten.

2. Für den Streitfall folgt daraus, dass den noch streitbefangenen Bauwerken die Gebäudeeigenschaft nicht wegen des in ihnen herrschenden Lärmpegels abgesprochen werden kann. Dem hohen Lärmpegel kann nämlich durch entsprechenden Gehörschutz entgegengewirkt werden.

Auch die vom FG erwähnten Vibrationen schließen die Möglichkeit eines mehr als nur vorübergehenden Aufenthalts von Menschen in den Bauwerken nicht aus. Die Klägerin hat vor dem FG mit Schriftsatz vom 21. November 2002 selbst vorgetragen, dass sich Mitarbeiter in den Bauwerken zur "Kontrolle und Überwachung des laufenden Produktionsablaufs" sowie zu Reparaturen aufhalten. Die in der Vergangenheit bereits erfolgte Beurteilung der Bauwerke als Gebäude ist von der Klägerin auch nicht wegen der Vibrationen angegriffen worden, sondern wegen des Lärmpegels.

Ende der Entscheidung

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