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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 18.10.2000
Aktenzeichen: II R 8/99
Rechtsgebiete: BewG, KSchG


Vorschriften:

BewG § 111 Nr. 1
BewG § 110 Abs. 1
KSchG § 10
KSchG § 9
KSchG § 10 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe

I. Der am 29. Mai 1929 geborene Kläger, Revisionskläger und Anschlussrevisionsbeklagte (Kläger) war Vorstandsmitglied einer AG. Nach dem mit der AG abgeschlossenen Dienstvertrag sollte seine Anstellung mit Ablauf des 30. Juni 1994 enden. 1992 teilte die AG dem Kläger mit, sein Vorstandsmandat solle im Zuge von Umstrukturierungsmaßnahmen zum Jahresende entfallen. Der Kläger und die AG einigten sich daraufhin durch schriftlichen Vertrag vom 10. November 1992 auf die Beendigung des Dienstvertrages "zum 31. Dezember 1992". "Zum Ausgleich der wirtschaftlichen Nachteile, die durch die vorzeitige Beendigung seines Dienstvertrages zum 31. Dezember 1992 entstehen", sollte der Kläger von der AG eine Abfindung von 1 035 000 DM erhalten. Der Betrag sollte nach Abzug der Lohnsteuer am 15. Januar 1993 zur Zahlung fällig sein. Daneben wurde klargestellt, dass der --auf einem früher abgeschlossenen Pensionsvertrag beruhende-- Anspruch des Klägers auf ein betriebliches Ruhegehalt, welches ab 1. Juli 1994 von der AG zu zahlen ist, 312 000 DM/p.a. betragen solle. Die Auszahlung des Ruhegehaltes sollte im Übrigen nach den Bestimmungen und Bedingungen des Pensionsvertrages erfolgen.

Durch (Hauptveranlagungs-)Bescheid vom 21. September 1994 setzte der Beklagte, Revisionsbeklagte und Anschlussrevisionskläger (das Finanzamt --FA--) gegen den Kläger ausgehend von einem steuerpflichtigen Vermögen von 1 590 000 DM Vermögensteuer für 1993 und 1994 in Höhe von jeweils 7 950 DM fest. Hierbei erfasste das FA die vereinbarte Abfindung als Kapitalforderung mit ihrem Nennwert.

Die nach erfolglos gebliebenem Einspruch erhobene Klage hatte teilweise Erfolg. Das Finanzgericht (FG) ermäßigte das steuerpflichtige Vermögen des Klägers um 468 000 DM und setzte die Vermögensteuer für 1993 auf 5 610 DM herab. Hierzu vertrat es die Auffassung, dass die vereinbarte Abfindung für die (vorzeitige) Beendigung des Dienstvertrages in Höhe eines Teilbetrages von 468 000 DM nach § 111 Nr. 1 des Bewertungsgesetzes in der damals geltenden Fassung (BewG) nicht zum sonstigen Vermögen i.S. von § 110 Abs. 1 BewG gehöre, denn auch Übergangsgelder und Kapitalabfindungen, die den Charakter betrieblicher Versorgungsbezüge hätten, seien durch § 111 Nr. 1 BewG begünstigt. Versorgungscharakter habe die dem Kläger gewährte Abfindung jedoch nur in Höhe von 468 000 DM. Dies ergebe sich aus den ab dem 1. Juli 1994 geltenden pensionsvertraglichen Vereinbarungen, wonach dem Kläger ein Ruhegehalt in Höhe von 312 000 DM jährlich zustehe. Der Versorgung bis zum Beginn der Pensionszahlungen (18 Monate) habe somit ein Betrag von 468 000 DM gedient, der "überschießende Betrag" habe bloßen Entschädigungscharakter.

Die Entscheidung des FG ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1999, 319 veröffentlicht.

Mit der Revision rügt der Kläger fehlerhafte Anwendung der §§ 110 und 111 Nr. 1 BewG. Die Abfindungsvereinbarung vom 10. November 1992 habe zum maßgeblichen Stichtag noch zu keiner Vermögensveränderung bei ihm geführt. Die Abfindungsforderung sei am Stichtag noch nicht unbedingt entstanden gewesen. Die Abfindung falle in vollem Umfang unter die Begünstigung nach § 111 Nr. 1 BewG.

Der Kläger beantragt, das Urteil des FG Köln vom 16. Dezember 1998 10 K 7382/96 aufzuheben und den Vermögensteuerbescheid auf den 1. Januar 1993 vom 21. September 1994 dahin gehend abzuändern, dass das steuerpflichtige Vermögen vor Abzug der Freibeträge von 190 000 DM anderweitig auf 745 000 DM (1 780 000 DM ./. 1 035 000 DM) festgesetzt wird.

Das FA, das sich der Revision des Klägers angeschlossen hat, beantragt, unter Zurückweisung der Revision des Klägers das Urteil des FG Köln vom 16. Dezember 1998 10 K 7382/96 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Es handele sich um eine am Stichtag unbedingt entstandene Kapitalforderung, die zum vollen Nennwert anzusetzen sei. § 111 Nr. 1 BewG sei hier nicht einschlägig, weil danach nur solche wiederkehrenden Einnahmen begünstigt seien, die auf Grund des Erreichens einer Altersgrenze in Bezug auf ein ehemaliges Arbeitsverhältnis geleistet würden. Im Übrigen müsse im Rahmen der vom FG vorgenommenen Angemessenheitsprüfung auch die zugesagte Betriebsrente berücksichtigt werden.

Der Kläger ist der Anschlussrevision des FA entgegengetreten und beantragt, die Anschlussrevision zurückzuweisen.

II. Die Revision des Klägers ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Die Anschlussrevision des FA ist als unbegründet zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 FGO).

1. Das FG ist zutreffend davon ausgegangen, dass der Abfindungsanspruch des Klägers gegen die AG (noch) im Jahre 1992 unbedingt entstanden ist und damit am maßgeblichen Stichtag (1. Januar 1993, 0 Uhr) rechtlichen Bestand hatte. Eine ausdrückliche Regelung darüber, dass der Abfindungsanspruch --wie der Kläger vorträgt-- aufschiebend bedingt entstehen sollte, ergibt sich aus der schriftlichen Vereinbarung vom 10. November 1992 nicht. Die Vereinbarung, dass der Betrag "am 15. Januar 1993 zur Zahlung fällig" sein sollte, betrifft lediglich die Fälligkeit, nicht jedoch die Entstehung des Anspruchs. Selbst wenn man zu Gunsten des Klägers annehmen würde, ihm habe die Abfindung erst zustehen sollen, wenn die sich aus der vorzeitigen Auflösung des Dienstverhältnisses ergebenden wirtschaftlichen Nachteile, zu deren Ausgleich die Abfindung gezahlt werden sollte, auch tatsächlich eingetreten sind, wäre der Anspruch auf die Abfindung noch 1992 entstanden. Denn nach der Vereinbarung zwischen dem Kläger und der AG sollte das Dienstverhältnis "zum 31. Dezember 1992" enden. Danach hat der Kläger sein Vorstandsmandat, wenn auch möglicherweise in der denkbar letzten Zeiteinheit dieses Tages (31. Dezember 1992; vgl. hierzu: Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 22. September 1999 II R 33/97, BFHE 189, 533, BStBl II 2000, 2), jedenfalls aber nicht erst am folgenden Tag verloren. Daraus folgt, dass auch die übrigen Vertragsfolgen (noch) im Jahre 1992 eingetreten sind und der dem Kläger für diesen Fall zugesagte Abfindungsanspruch am maßgeblichen Veranlagungszeitpunkt (§ 5 Abs. 1 des Vermögensteuergesetzes --VStG--), dem Beginn des Kalenderjahres 1993 (1. Januar 0 Uhr) unbedingt bestand.

2. Das FG hat im Übrigen jedoch § 111 Nr. 1 BewG fehlerhaft angewendet. Der vom FG --am Maßstab der Betriebsrente-- vorgenommenen Aufteilung der Abfindung in einen nach § 111 Nr. 1 BewG begünstigten Versorgungs- und einen nicht begünstigten Entschädigungsteil kann nicht gefolgt werden.

Nach § 111 Nr. 1 BewG gehören Ansprüche an Witwen-, Waisen- und Pensionskassen sowie Ansprüche auf Renten und ähnliche Bezüge, die auf ein früheres Arbeits- oder Dienstverhältnis zurückzuführen sind, nicht zum sonstigen Vermögen. Durch diese Regelung soll eine gewisse Gleichstellung der betrieblichen Versorgungsansprüche mit den Ansprüchen aus der Sozialversicherung (Nr. 2), Ansprüchen aus Rentenversicherungen (Nr. 3) und den Ansprüchen auf gesetzliche Versorgungsbezüge (Nr. 4) erreicht werden (vgl. Urteil des BFH vom 28. Januar 1977 III R 29/75, BFHE 121, 497, BStBl II 1977, 450). Steuerbegünstigt sind somit nach § 111 Nr. 1 BewG nur solche Ansprüche auf betriebliche Leistungen, die der (Alters-)Versorgung bzw. der sozialen Absicherung eines Arbeitnehmers oder sonstigen Dienstverpflichteten und seiner Familie dienen. Es muss sich nicht notwendigerweise um wiederkehrende (Renten-)Bezüge handeln; auch eine Einmalzahlung kann als (renten-)ähnlicher Bezug begünstigt sein (Rössler/Troll, Bewertungsgesetz und Vermögensteuergesetz, 17. Aufl., § 111 BewG Rdnr. 4). Das FG ist deshalb zutreffend davon ausgegangen, dass unter § 111 Nr. 1 BewG auch Entschädigungs- bzw. Abfindungsansprüche im Zusammenhang mit der Auflösung eines Dienstverhältnisses fallen, soweit sie im Sinne einer Übergangszahlung Versorgungscharakter haben (Gürsching/ Stenger, Kommentar zum Bewertungsgesetz und Vermögensteuergesetz, § 111 BewG Rdnr. 23).

Abfindungszahlungen bei der Beendigung eines Arbeits- oder Dienstverhältnisses haben regelmäßig Versorgungscharakter, wenn sie sich betragsmäßig an den in § 10 des Kündigungsschutzgesetzes (KSchG) für den Fall der Auflösung des Arbeitsverhältnisses durch Gerichtsurteil (§ 9 KSchG) gesteckten Rahmen halten. Das gilt auch dann, wenn --wie im Streitfall (siehe § 14 Abs. 1 Nr. 1 KSchG)-- die Vorschrift des § 10 KSchG nicht anwendbar ist. Die vom Gericht für den Fall der (sozial ungerechtfertigten) Beendigung des Arbeitsverhältnisses festzusetzende Abfindung wird als Entschädigung für den Verlust des sozialen Besitzstandes (vgl. Schaub, Arbeitsrechtshandbuch, 9. Aufl., § 141 Rdnr. 27, S. 1479, m.w.N.) gezahlt; d.h. sie wird für die wirtschaftlichen Nachteile gewährt, die durch die (vorzeitige) Beendigung des Arbeitsverhältnisses und die dadurch bedingte Erwerbslosigkeit eintreten. Soweit deren Folgen durch einen solchen Anspruch wirtschaftlich ausgeglichen werden, liegt eine Übergangszahlung mit Versorgungscharakter und damit --entgegen der Auffassung des FG-- insgesamt ein unter § 111 Nr. 1 BewG fallender rentenähnlicher Bezug vor.

In dem durch § 10 KSchG vorgezeichneten Umfang ist eine solche Abfindung auch "auf ein früheres Arbeits- oder Dienstverhältnis zurückzuführen" und beruht nicht auf anderen rechtlichen oder persönlichen Beziehungen der Beteiligten (vgl. hierzu das Urteil des Reichsfinanzhofs --RFH-- vom 24. Februar 1938 III 245/37, RStBl 1938, 550). Denn bei der Bemessung der Abfindung nach den §§ 9, 10 KSchG sind u.a. die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter des Arbeitnehmers, seine Chancen, eine neue Stelle zu finden sowie das gezahlte Monatseinkommen (vgl. Schaub, a.a.O., § 141 Rdnr. 27, 29, S. 1479), also Merkmale zu berücksichtigen, die sich aus dem aufgelösten Arbeitsverhältnis ergeben.

Der vom FG (am Maßstab der vereinbarten Betriebsrente) vorgenommenen Aufteilung der Abfindung in einen Versorgungs- und einen Entschädigungsteil kann nicht gefolgt werden. Das FG hat insoweit verkannt, dass die Abfindung insgesamt --jedenfalls soweit sie sich der Höhe nach im Rahmen des § 10 KSchG hält-- dem Ausgleich der durch den Verlust des Arbeitsplatzes eintretenden sozialen und wirtschaftlichen Nachteile des Arbeitnehmers dient und damit Versorgungscharakter hat. Aus dem selben Grunde ist auch der Hinweis der Anschlussrevision unerheblich, es handele sich bei der Abfindung um eine nicht durch § 111 Nr. 1 BewG begünstigte "Entschädigung für entgehende Einnahmen".

Dem Versorgungscharakter des Abfindungsanspruchs widerspricht im Streitfall entgegen den Ausführungen des FA in seiner Anschlussrevisionsbegründung auch nicht der Umstand, dass die AG dem Kläger neben der streitigen Abfindung für die Zeit nach Eintritt in das Rentenalter einen Anspruch auf ein betriebliches Ruhegehalt zugesagt hat. Beide Leistungen der früheren Arbeitgeberin des Klägers (Abfindung und Betriebsrente) stehen selbständig nebeneinander. Die Abfindung betrifft den Zeitraum bis zum Eintritt des Klägers in das Rentenalter, der erst am 1. Juli 1994 entstandene Anspruch auf die Betriebsrente diente der Altersversorgung ab diesem Zeitpunkt. Eine Doppelversorgung durch Rente und Abfindung liegt nicht vor.

3. Die Sache ist nicht spruchreif.

Die Feststellungen des FG reichen nicht aus, um abschließend zu entscheiden, ob der dem Kläger eingeräumte Anspruch auf Zahlung einer Abfindung in Höhe von 1 035 000 DM in vollem Umfang als rentenähnlicher Bezug i.S. von § 111 Nr. 1 BewG nicht zum sonstigen Vermögen gehört.

Zwar handelt es sich bei der im Zuge der vorzeitigen Auflösung des Arbeitsverhältnisses vereinbarten Abfindung dem Grunde nach um einen (renten-)ähnlichen Bezug nach § 111 Nr. 1 BewG, der jedoch nur insoweit begünstigt ist, wie er "auf ein früheres Arbeits- oder Dienstverhältnis zurückzuführen ist". Dies ist --wie unter II. 2. ausgeführt-- der Fall, wenn der Abfindungsbetrag der Höhe nach den in § 10 KSchG für den Fall der Auflösung des Arbeitsverhältnisses durch Gerichtsurteil (§ 9 KSchG) gesteckten Rahmen nicht überschreitet.

Für die Prüfung, ob der Rahmen des § 10 KSchG eingehalten wurde, sind jedoch im Streitfall noch Feststellungen hinsichtlich der Dauer der Betriebszugehörigkeit und des Monatseinkommens erforderlich. Auf die Regelung in § 10 Abs. 2 KSchG, wonach als Abfindung bei 20-jähriger Betriebszugehörigkeit eines über 55-jährigen Arbeitnehmers bis zu 18 Monatsverdienste festgesetzt werden können, wird hingewiesen. Zum Monatsverdienst gehören neben dem Festgehalt auch für einen längeren Zeitraum geleistete Zuwendungen (z.B. Tantiemen), auf die der Arbeitnehmer einen Rechtsanspruch hat (vgl. Schaub, a.a.O., § 141 Rdnr. 29, m.w.N.). Auch hierzu wird das FG weitere Feststellungen zu treffen haben.



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