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Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 09.12.1998
Aktenzeichen: II R 9/96
Rechtsgebiete: AO 1977


Vorschriften:

AO 1977 § 165 Abs. 1
AO 1977 § 165 Abs. 2
AO 1977 § 129
AO 1977 § 129 Abs. 1
AO 1977 § 173 Abs. 1 Nr. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe

I. Durch notariellen Schenkungs- und Übertragungsvertrag vom ... Mai 1988 wurde dem Kläger und Revisionskläger (Kläger) und seinem Bruder jeweils u.a. ein Anteil an der X-KG (KG) übertragen. Schenker war ein weiterer Bruder des Klägers. In dem notariellen Vertrag, der dem Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt --FA--) am ... Mai 1988 eingereicht wurde, heißt es:

"Herr A - nachstehend Schenker genannt - schenkt

1. an seinen Bruder Herrn B,

2. an seinen Bruder Herrn C

jeweils ... ."

Der Kläger gab im November 1988 eine Schenkungsteuererklärung ab, in der er den Wert des Erwerbs mit 208 475 DM erklärte. Die Erklärung enthält keine Angaben zum Verwandtschaftsverhältnis zwischen dem Kläger und dem Schenker. Das FA setzte daraufhin mit Bescheid vom März 1989 die Schenkungsteuer nach § 165 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) vorläufig in Höhe von 5 328 DM fest. Die Vorläufigkeit des Bescheids bezog sich laut einer entsprechenden Erläuterung auf den Wert des Betriebsvermögens, da dieser derzeit noch nicht feststellbar sei. In dem Bescheid zog das FA unter "1. Berechnung des steuerpflichtigen Erwerbs" vom Erwerb einen Freibetrag von 90 000 DM ab. Unter "2. Steuerfestsetzung" wurde bei der Steuerklasse "I 2." und beim Steuersatz "4,5 %" eingetragen. Der Bescheid wurde nicht angefochten.

Mit Schreiben vom Februar 1989 richtete das FA ein Prüfungsersuchen an die Betriebsprüfungsstelle des FA I und bat um Überprüfung des Werts der Zuwendung anläßlich der nächsten Betriebsprüfung bei der KG. Zur Erläuterung heißt es in diesem Schreiben u.a.: "A übertrug den Söhnen am ... Mai 1988 Anteile am Betriebsvermögen." Im Anschluß an die im Jahr 1990 durchgeführte Betriebsprüfung teilte das Betriebsprüfungs-FA dem beklagten FA mit, der Wert der Zuwendung betrage 239 597 DM. Zugleich wurde das FA darauf hingewiesen, daß es um Schenkungen an die Brüder des Schenkers gehe. Das FA erhöhte daraufhin gemäß § 165 Abs. 2 AO 1977 die Schenkungsteuer mit Änderungsbescheid vom 22. November 1990 auf 45 900 DM. Dabei ging es --entsprechend den Feststellungen der Betriebsprüfung-- von dem höheren Wert des Erwerbs aus. Außerdem legte das FA einen Freibetrag von 10 000 DM zugrunde und erhob die Steuer nach Steuerklasse III und einem Steuersatz von 20 %. Einspruch und Klage, mit denen sich der Kläger (lediglich) gegen den niedrigeren Freibetrag, die Anwendung der Steuerklasse III und den höheren Steuersatz wandte, blieben ohne Erfolg. Das Finanzgericht (FG) hat in seiner Entscheidung u.a. ausgeführt, die angefochtene Änderung könne zwar nicht auf § 165 Abs. 2 AO 1977, aber auf § 129 AO 1977 gestützt werden. Das Urteil des FG ist in Entscheidungen der Finanzgerichte 1996, 304 veröffentlicht.

Mit der Revision rügt der Kläger die Versagung rechtlichen Gehörs und einen Verstoß gegen die Grundsätze der Beweiserhebung. Materiell-rechtlich macht er geltend, das FG habe zu Unrecht die Voraussetzungen des § 129 AO 1977 bejaht.

Der Kläger beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und den Schenkungsteuerbescheid vom 22. November 1990 in Gestalt der Einspruchsentscheidung dahin zu ändern, daß die Schenkungsteuer auf 7 475 DM festgesetzt wird.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

II. Die Revision ist begründet.

Die Besteuerung der Schenkung nach Steuerklasse I anstatt nach Steuerklasse III stellte keine ähnliche offenbare Unrichtigkeit i.S. des § 129 Satz 1 AO 1977 dar. Es besteht die nicht nur theoretische Möglichkeit, daß das FA bei Erlaß des ursprünglichen Bescheides Überlegungen zum Verwandtschaftsverhältnis der an der Schenkung beteiligten Personen angestellt hat, die zur Annahme eines falschen Sachverhalts geführt haben und die einer Berichtigung entgegenstünden. Da das FG dies verkannt hat, war die Vorentscheidung aufzuheben.

Das FA hat die aus den Akten hervorgehende und damit feststehende Tatsache, daß die Schenkung zwischen Geschwistern stattgefunden hat, nicht beachtet. Das Nichtberücksichtigen feststehender Tatsachen ist dann eine offenbare Unrichtigkeit, wenn es seinen Grund in einer Unachtsamkeit hat und offen zutage liegt (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 29. März 1985 VI R 140/81, BFHE 144, 118, 120, BStBl II 1985, 569). Nur dann handelt es sich um einen mechanischen Fehler im Sinne der Berichtigungsvorschrift. Dagegen scheidet eine offenbare Unrichtigkeit aus, wenn auch nur die ernsthafte Möglichkeit besteht, daß die Nichtbeachtung der feststehenden Tatsache in einer fehlerhaften Tatsachenwürdigung oder in einem sonstigen sachverhaltsbezogenen Denk- und Überlegungsfehler begründet ist oder aber auf mangelnder Sachaufklärung beruht (so BFH-Urteile vom 25. Februar 1972 VIII R 141/71, BFHE 105, 234, BStBl II 1972, 550; vom 13. Februar 1979 VIII R 53/77, BFHE 127, 302, BStBl II 1979, 458, sowie vom 17. Februar 1993 X R 47/91, BFH/NV 1993, 638). Die Möglichkeit eines derartigen Überlegungsfehlers ist im Streitfall gegeben und nicht nur theoretischer Natur.

Wie es zur Annahme des falschen Verwandtschaftsverhältnisses gekommen ist, ist nicht mehr aufklärbar. Allerdings weist der Streitfall die Besonderheit auf, daß sich die Schenkungsteuer nicht festsetzen läßt, ohne eine bestimmte Steuerklasse zugrunde zu legen. Enthält nämlich die Steuererklärung, wie die des Klägers, keine Angaben zum Verwandtschaftsverhältnis der Vertragsparteien und nimmt der Sachbearbeiter die in der Schenkungsurkunde enthaltene Angabe, daß es sich um eine Schenkung unter Geschwistern handelt, aus welchen Gründen auch immer nicht zur Kenntnis, sieht er sich einer Sachverhaltslücke gegenüber, ohne deren Schließung er die Steuerfestsetzung nicht durchführen kann. Vorliegend ist die Lücke durch die Überlegung geschlossen geworden, daß es sich um eine Schenkung vom Vater auf die Söhne handelt.

Stand diese Überlegung am Anfang und führte sie --wie der Kläger meint-- dazu, daß der Sachbearbeiter die Vertragsurkunde nicht eingesehen oder zumindest nicht auf Angaben zum Verwandtschaftsverhältnis überprüft hat, handelte es sich um einen Überlegungsfehler und in dessen Folge um eine mangelnde Sachaufklärung, die der Annahme einer offenbaren Unrichtigkeit entgegenstünde. Wurde dagegen die Überlegung erst angestellt, nachdem der Sachbearbeiter die Schenkungsurkunde eingesehen und dabei die Angaben zum Verwandtschaftsverhältnis überlesen hatte, ist denkbar, daß am Anfang der Entwicklung, die zur Besteuerung nach der falschen Steuerklasse geführt hat, eine bloße Unachtsamkeit gestanden hat. Allerdings könnte von einer bloßen Unachtsamkeit dann nicht mehr gesprochen werden, wenn das Überlesen seinen Grund darin hatte, daß der Sachbearbeiter an die Urkunde mit dem Vorverständnis herangegangen ist, es handele sich um eine Vermögensübertragung im Wege vorweggenommener Erbfolge, und deshalb auf Angaben zum Verwandtschaftsverhältnis nicht geachtet hat. Auch dann stünde nämlich am Anfang der fehlerhaften Steuerfestsetzung wieder eine falsche Überlegung.

Angesichts der beiden aufgezeigten Möglichkeiten für das Zustandekommen des Fehlers, die nicht mehr als offenbare Unrichtigkeiten i.S. des § 129 Satz 1 AO 1977 zu beurteilen wären, scheidet eine Berichtigung nach dieser Vorschrift aus. Beide Möglichkeiten kommen ernsthaft in Betracht. Die Voraussetzungen für eine Änderung nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 liegen nicht vor, weil das zutreffende Verwandtschaftsverhältnis aus den Akten hervorgeht und der Akteninhalt der zuständigen Dienststelle als bekannt gilt (BFH-Urteil vom 13. Juli 1990 VI R 109/86, BFHE 161, 11, BStBl II 1990, 1047, 1048).

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