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Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 05.05.1999
Aktenzeichen: II R 96/97
Rechtsgebiete: ErbStG, AO 1977, FGO


Vorschriften:

ErbStG § 30 Abs. 3
ErbStG § 31
ErbStG § 9 Abs. 1 Nr. 1
AO 1977 § 169 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1
AO 1977 § 169 Abs. 2 Nr. 2
AO 1977 § 170 Abs. 2 Nr. 1
AO 1977 § 259
FGO § 126 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe

I. Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) ist neben Mutter und Schwester testamentarischer Miterbe seines 1991 verstorbenen Vaters. Das Nachlaßgericht übersandte dem Beklagten und Revisionskläger (Finanzamt --FA--) noch im selben Jahr eine Abschrift des eröffneten Testaments. Im März 1993 forderte das FA die Mutter zur Abgabe einer Erbschaftsteuererklärung auf. Die Erklärung ging im Mai 1993 ein. Sie war nur von der Mutter unterzeichnet, enthielt aber auch Angaben zu den weiteren Erben und deren Vorschenkungen.

Mit Bescheiden vom 28. Dezember 1995 veranlagte das FA den Kläger und seine Schwester zur Erbschaftsteuer. Nach den Absendevermerken in den Steuerakten sind die Verfügungen am Tag der Bescheide zur Post gegeben worden. Sie sind den Empfängern jedoch nach deren Angaben nicht zugegangen. Die Beweisaufnahme des Finanzgerichts (FG) über die Aufgabe der Schriftstücke zur Post durch Vernehmung des Sachbearbeiters der Erbschaftsteuerstelle als Zeugen hat ergeben, daß dieser die Verfügungen um einen Tag vordatiert und am Ende des 27. Dezember in den Postausgangskasten der Außenstelle, in der sich die räumlich ausgegliederte Erbschaftsteuerstelle befindet, gelegt hat. Von dort wird die Post am nächsten Tag zu Dienstbeginn abgeholt, zur Poststelle im Hauptgebäude verbracht, zugeklebt, frankiert und zur Post geschafft.

Nachdem der Kläger auf eine Mahnung des FA hin mitgeteilt hatte, keinen Steuerbescheid erhalten zu haben, übersandte das FA unter dem Datum des 5. März 1996 erneut einen Erbschaftsteuerbescheid, gegen den der Kläger wegen Ablaufs der Festsetzungsfrist und aus materiellen Gründen Einspruch einlegte. Die materiellen Einwände führten dazu, daß die Erbschaftsteuer durch Einspruchsentscheidung vom 24. Juni 1996 auf ... DM herabgesetzt wurde.

Auf die Klage hob das FG die Steuerfestsetzung wegen Festsetzungsverjährung vollständig auf. Das Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte 1998, 81 veröffentlicht. Nach Ansicht des FG ist der Beginn der Festsetzungsfrist gegenüber dem Kläger nicht gehemmt gewesen, weil für ihn gemäß § 30 Abs. 3 des Erbschaftsteuergesetzes (ErbStG) 1974 keine Anzeigepflicht bestanden habe und er auch nicht zur Abgabe einer Steuererklärung aufgefordert worden sei. Deshalb sei der Bescheid vom 5. März 1996 verspätet ergangen. Hinsichtlich des Bescheides vom 28. Dezember 1995 könne auf sich beruhen, ob die Festsetzungsfrist gemäß § 169 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) auch dann gewahrt sei, wenn der vor Ablauf der Frist aus dem FA hinausgelangte Bescheid dem Steuerpflichtigen nicht zugegangen ist. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme sei es nämlich nicht davon überzeugt, daß am 28. Dezember 1995 noch vor Ablauf der Frist ein Bescheid gegen den Kläger zur Post gegeben worden sei. Der Zeuge habe dies nicht bestätigen, sondern nur den normalen Verfahrensablauf des Postversands schildern können. Da neben dem eigentlichen Transport zur Post auch noch ein Transport von der Außen- zur Hauptstelle des Amtes habe erfolgen müssen, lasse der Absendevermerk des Zeugen keinen sicheren Schluß darauf zu, daß der Bescheid tatsächlich am angegebenen Tag das FA verlassen hat.

Dagegen wendet sich das FA mit der vom FG zugelassenen Revision. Es rügt fehlerhafte Anwendung des § 169 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 2 und des § 170 Abs. 2 Nr. 1 AO 1977 sowie des § 31 ErbStG 1974. Der Beginn der Festsetzungsfrist sei gemäß § 170 Abs. 2 Nr. 1 AO 1977 gehemmt gewesen. Dafür reiche aus, daß nach § 31 ErbStG 1974 eine gesetzliche Verpflichtung zur Abgabe einer Erbschaftsteuererklärung bestehe. Nicht erforderlich sei, daß der Steuerpflichtige zur Abgabe einer Erklärung aufgefordert werde. Die Behörde habe somit sieben Jahre Zeit, eine Erklärung anzufordern und/oder die Steuer festzusetzen. Verlange man für die Anlaufhemmung eine Aufforderung an den konkreten Erben, eine Steuererklärung abzugeben, ließe sich der Eintritt der Festsetzungsverjährung in vielen Fällen wegen praktischer Schwierigkeiten nicht verhindern. Im übrigen liege im Streitfall eine Aufforderung zur Erklärungsabgabe, die sich auch auf den Kläger ausgewirkt habe, vor. Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs --BFH-- (Urteil vom 17. Februar 1993 II R 83/90, BFHE 170, 305, BStBl II 1993, 580) sei anzunehmen, daß die Aufforderung an die Mutter, eine Erklärung abzugeben, den Beginn der Festsetzungsfrist gegenüber allen Miterben gehemmt habe. Unabhängig davon sei in der 1996 erfolgten Mahnung die Anforderung einer Steuererklärung zu sehen, falls der Mahnung tatsächlich kein Steuerbescheid vorausgegangen sein sollte, wie der Kläger behaupte.

Das FA beantragt, unter Aufhebung der Vorentscheidung die Klage abzuweisen.

Der Kläger ist der Revision entgegengetreten.

II. Die Revision ist unbegründet. Sie war daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Das FG hat den Bescheid vom 5. März 1996 in Gestalt der Einspruchsentscheidung zu Recht wegen Ablaufs der Festsetzungsfrist aufgehoben. Der Eintritt der Festsetzungsverjährung ist weder gemäß § 170 Abs. 2 Nr. 1 AO 1977 hinausgeschoben, noch gemäß § 169 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 AO 1977 durch eine Steuerfestsetzung vom 28. Dezember 1995 verhindert worden.

1. Die vierjährige Festsetzungsfrist des § 169 Abs. 2 Nr. 2 AO 1977 begann gemäß § 170 Abs. 1 und Abs. 5 Nr. 1 des Gesetzes mit Ablauf des Jahres 1991, weil die Erbschaftsteuer nach § 9 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG 1974 mit dem Tod des Erblassers in diesem Jahr entstanden ist und der Kläger durch die Testamentseröffnung noch im selben Jahr von seinem Erwerb erfahren hat. Sie endete infolgedessen mit Ablauf des Jahres 1995. Zu einer Anlaufhemmung der Frist gemäß § 170 Abs. 2 Nr. 1 AO 1977 und einem dadurch bedingten späteren Ablauf ist es nicht gekommen.

a) Gemäß § 170 Abs. 2 Nr. 1 AO 1977 i.d.F. des Gesetzes zur Bekämpfung des Mißbrauchs und zur Bereinigung des Steuerrechts --StMBG-- vom 21. Dezember 1993 (BGBl I, 2310) beginnt die Festsetzungsfrist --soweit hier maßgebend-- dann, wenn eine Steuererklärung einzureichen oder eine Anzeige zu erstatten ist, mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Erklärung oder die Anzeige eingereicht wird, spätestens jedoch mit Ablauf des dritten auf die Steuerentstehung folgenden Jahres.

aa) Eine Anzeige nach § 30 Abs. 1 ErbStG 1974 hatte der Kläger im Streitfall gemäß Abs. 3 der Vorschrift nicht zu erstatten, weil sein Erwerb auf dem vom Amtsgericht eröffneten Testament beruht und dieses Testament das FA in die Lage versetzt hat zu prüfen, ob beim Kläger ein erbschaftsteuerbarer Vorgang vorliegt und bezüglich seiner Person in ein Besteuerungsverfahren einzutreten ist (vgl. dazu BFH-Urteil vom 16. Oktober 1996 II R 43/96, BFHE 181, 351, BStBl II 1997, 73).

bb) Entgegen der Ansicht des FA hatte der Kläger auch keine Steuererklärung einzureichen, weil er dazu nicht eigens aufgefordert worden war. Gemäß § 31 Abs. 1 ErbStG 1974 hat der Erbe nur auf Verlangen der Behörde eine Erbschaftsteuererklärung abzugeben. Nichts anderes besagen die Urteile des erkennenden Senats in BFHE 170, 305, BStBl II 1993, 580 sowie vom 5. November 1992 II R 25/89 (BFH/NV 1994, 213), auf die sich das FA bezieht. Sie enthalten keine Aussage, daß der Erbe oder ein Zuwendungsempfänger auch ohne Aufforderung i.S. des § 170 Abs. 2 Nr. 1 AO 1977 zur Abgabe einer Steuererklärung verpflichtet ist; die Notwendigkeit einer Aufforderung wird vielmehr angesichts des eindeutigen Wortlauts des § 31 Abs. 1 ErbStG 1974 ohne weiteres vorausgesetzt. Sie befassen sich lediglich mit der seit der Neufassung des § 170 Abs. 2 Nr. 1 AO 1977 durch das StMBG überholten Frage, ob ungeachtet dessen, daß das Gesetz den Kreis der zur Abgabe einer Steuererklärung verpflichteten Personen nur generell umschreibt und es zum Entstehen der Erklärungspflicht noch einer Konkretisierungshandlung der Behörde bedarf, von einer Erklärungspflicht aufgrund gesetzlicher Vorschrift gesprochen werden kann, wie es die ursprüngliche Fassung der Vorschrift verlangte (so auch Moench, Erbschaft-steuer- und Schenkungsteuergesetz, Kommentar, § 31 Anm. 2; mißverständlich Meincke, Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz, Kommentar, 11. Aufl. 1997, § 31 Anm. 2).

cc) Die dem Kläger übersandte Mahnung gemäß § 259 AO 1977 stellt keine Aufforderung zur Abgabe einer Steuererklärung gemäß § 31 ErbStG 1974 dar. Abgesehen davon, daß die Mahnung erst nach Ablauf der Festsetzungsfrist erfolgte, ist sie lediglich eine Zahlungsaufforderung (vgl. BFH-Urteil vom 18. Oktober 1994 VII R 20/94, BFHE 175, 519, BStBl II 1995, 42, unter II. 1.).

b) Die an die Mutter gerichtete Aufforderung zur Abgabe einer Steuererklärung hatte keinen Einfluß auf den Beginn der Festsetzungsfrist gegenüber dem Kläger, wie sich bereits daraus ergibt, daß bei mehreren Erwerbern jeder nur hinsichtlich seines Erwerbs erklärungspflichtig ist (vgl. Moench, a.a.O., § 31 Anm. 3; Meincke, a.a.O., § 31 Anm. 3). Greift die Behörde aus dem allgemein umschriebenen Kreis der nach § 31 ErbStG 1974 zur Abgabe einer Erklärung verpflichteten Personen einen bestimmten Erwerber heraus, entsteht die Erklärungspflicht nur in dessen Person (vgl. Kapp/Ebeling, Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz, Kommentar, § 31 Anm. 13). Dabei bleibt es auch dann, wenn dieser Erwerber anschließend eine so umfassende Erklärung abgibt, daß sich auf ihrer Grundlage die Erbschaftsteuer auch gegen die anderen Erwerber festsetzen läßt. Wer durch die Aufforderung zur Erklärungsabgabe angesprochen sein soll, kann sich nicht nach dem Inhalt der nachfolgenden Erklärung bestimmen.

2. Die somit im März 1996 bereits abgelaufene Festsetzungsfrist ist nicht durch den gleichlautenden Bescheid vom 28. Dezember 1995 gewahrt worden, dessen Zugang der Kläger bestreitet und das FA nicht nachzuweisen vermag. Dabei kann auf sich beruhen, ob ein fristgemäß den Bereich der Behörde verlassender Bescheid die Festsetzungsfrist auch dann wahrt, wenn er dem Steuerpflichtigen nicht oder nicht auf dem vorgesehenen Weg zugeht (so BFH-Urteile vom 31. Oktober 1989 VIII R 60/88, BFHE 160, 7, BStBl II 1990, 518; vom 19. März 1998 IV R 64/96, BFHE 186, 94, BStBl II 1998, 556 sowie vom 18. Juni 1998 V R 24/97, BFH/NV 1999, 281). Die rechtzeitige Absendung des Bescheides ist nämlich ebenfalls nicht feststellbar. Die dazu durchgeführte Beweisaufnahme des FG hat ergeben, daß der Absendevermerk um einen Tag vordatiert war und von einem Bediensteten stammte, der die Aufgabe zur Post nicht persönlich vornahm, ihren Vollzug nicht kontrollierte und daher lediglich glaubte, den Tag der Aufgabe zur Post voraussagen zu können (vgl. dazu BFH-Urteil vom 19. Dezember 1984 I R 7/82, BFHE 143, 200, BStBl II 1985, 485). Weiter stellte sich heraus, daß der bereits mit dem Absendevermerk versehene Bescheid nach der Ablage durch den Veranlagungsbeamten und vor dem eigentlichen Postabsendeverfahren noch von einer Nebenstelle des FA in das Hauptgebäude verbracht werden mußte. Daraus hat das FG gefolgert, ein atypischer Geschehensablauf dergestalt, daß der Bescheid vom 28. Dezember 1995 nicht --wie vom Sachbearbeiter erwartet-- an diesem Tag das FA verlassen hat (§ 169 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 AO 1977), sei nicht auszuschließen. Ob diese Beweiswürdigung zwingend ist, bedarf keiner Entscheidung (vgl. BFH-Urteil vom 23. Februar 1994 X R 27/92, BFH/NV 1994, 768). Es reicht aus, daß sie weder den Denkgesetzen noch allgemeinen Erfahrungssätzen widerspricht. Beide stehen der Annahme, eine Abweichung vom gewöhnlichen Ablauf des Versendungsverfahrens komme ernsthaft in Betracht, angesichts der Tatsache, daß nicht nur der Tag des Zugangs des Bescheides vom 28. Dezember 1995 nicht feststeht, sondern der Zugang überhaupt, nicht entgegen (vgl. BFH-Urteil vom 26. April 1989 I R 86/88, BFHE 157, 19, BStBl II 1989, 695).

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