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Gericht: Bundesfinanzhof
Beschluss verkündet am 16.12.2005
Aktenzeichen: III B 200/04
Rechtsgebiete: FGO, AO 1977


Vorschriften:

FGO § 76 Abs. 2
FGO § 115 Abs. 2 Nr. 2 Halbsatz 2
FGO § 115 Abs. 2 Nr. 3
AO 1977 §§ 268 ff.
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) wurde für die Streitjahre 1993 bis 1995 zunächst mit seiner damaligen Ehefrau, der Beigeladenen, erklärungsgemäß zusammenveranlagt. Nach Bekanntwerden, dass für die Beigeladene zu Unrecht Werbungskosten berücksichtigt worden waren, änderte der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) die Einkommensteuerbescheide 1993 bis 1995. Innerhalb der Einspruchsfrist beantragte der Kläger für die Jahre 1993 bis 1995 getrennte Veranlagungen. Das FA führte daraufhin getrennte Veranlagungen durch. Für den Kläger ergaben sich Nachzahlungen, für die Beigeladene Steuererstattungen, die das FA auszahlte.

Im Einspruchsverfahren machte der Kläger geltend, bei dem Antrag auf getrennte Veranlagungen habe es sich um einen Formulierungsfehler gehandelt. Er habe nur eine Aufteilung der Gesamtschuld gewollt. Das FA wies den Einspruch zurück.

Im Klageverfahren erklärte das Finanzgericht (FG) der Beigeladenen auf ihre Anfrage nach den Auswirkungen der unterschiedlichen Veranlagungsarten, wegen der Möglichkeit Aufteilung zu beantragen, müsse sie nicht befürchten, bei einer Zusammenveranlagung für Steuerschulden aus den Einkünften des Klägers in Anspruch genommen zu werden. Die Beigeladene stimmte anschließend der Zusammenveranlagung zu.

Nach Hinweis des FA teilte das FG der Beigeladenen mit, bei Zusammenveranlagungen müsse sie einen Teil der bereits erhaltenen Erstattungen zurückzahlen. Daraufhin zog die Beigeladene ihre Zustimmung zur Zusammenveranlagung für die Streitjahre zurück.

Das FG wies die Klage des Klägers auf Aufhebung der getrennten Veranlagungen ab, weil für erneute Zusammenveranlagungen die Zustimmung der Beigeladenen erforderlich sei.

Der Kläger hält die Zulassung der Revision zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung für geboten, weil die Entscheidung im Hinblick auf die angefochtene und damit nichtige Erklärung zur getrennten Veranlagung Bedenken begegne und rügt, das FG habe durch unzutreffende Hinweise die Zustimmung der Beigeladenen zur Zusammenveranlagung verhindert und damit gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens verstoßen.

II. Die Beschwerde ist unbegründet.

1. Ein Verfahrensfehler i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) liegt nicht vor. Die vom Kläger beanstandeten Hinweise des FG an die Beigeladene verletzen den aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 des Grundgesetzes herzuleitenden Verfassungsgrundsatz des "fairen Verfahrens" nicht.

Der richterliche Hinweis nach § 76 Abs. 2 FGO dient vielmehr gerade der Gewährleistung eines fairen Verfahrens. Er soll zur Wahrung des Anspruchs auf rechtliches Gehör und zur Vermeidung von Überraschungsentscheidungen Schutz und Hilfestellung für alle Beteiligten geben, ohne dass deren Eigenverantwortlichkeit dadurch eingeschränkt oder beseitigt wird.

Der Vorsitzende oder der Berichterstatter hat im Rahmen seiner richterlichen Prozessförderungs- und Fürsorgepflichten u.a. darauf hinzuweisen, dass Formfehler beseitigt und sachdienliche Anträge gestellt werden. Die Rechtsunerfahrenheit eines Beteiligten soll sich nicht für ihn nachteilig auf den Ausgang eines Klageverfahrens auswirken. Inhalt und Umfang der aus § 76 Abs. 2 FGO folgenden Hinweispflichten sind von der Sach- und Rechtslage des einzelnen Falles abhängig, von der Mitwirkung der Beteiligten und von deren individuellen Möglichkeiten (vgl. Senatsbeschluss vom 28. November 2003 III B 7/03, BFH/NV 2004, 645, m.w.N.).

Es entsprach pflichtgemäßer Verfahrensförderung, dass das FG die nicht vertretene Beigeladene zunächst über die Möglichkeit der Aufteilung der Steuerschuld nach § 268 ff. der Abgabenordnung (AO 1977) auch im Falle der Zusammenveranlagung informiert. Gleichzeitig hat es seine Fürsorge für den Kläger wahrgenommen, indem es der Beigeladenen anheim gegeben hat, Antrag auf Zusammenveranlagung zu stellen. Als sich im weiteren Verfahren aus der detaillierten Berechnung des FA ergab, dass sich eine Zusammenveranlagung zu Lasten der Beigeladenen auswirken würde, durfte sich das FG nicht damit begnügen, diesen Schriftsatz des FA der Beigeladenen unkommentiert zur Kenntnis zu geben. Gerade wegen des vorher erteilten --objektiv den Interessen der Beigeladenen widersprechenden-- Rates entsprach es pflichtgemäßem Handeln des Gerichts, die Klägerin auf die Möglichkeit der erneuten Ausübung ihres Wahlrechts mit dem Ziel der Beibehaltung der getrennten Veranlagung hinzuweisen.

Die Entscheidung, der Zusammenveranlagung zuzustimmen, oblag allein der Beigeladenen. Mit dem Widerruf ihrer Zustimmung war die Klage entscheidungsreif. Ob sich bei einer getrennten Veranlagung insgesamt eine höhere Steuerbelastung ergibt als bei einer Zusammenveranlagung, ist ohne Bedeutung für die steuerliche Beurteilung, welche Veranlagung aufgrund der von den beiden früheren Ehegatten abgegebenen Erklärungen durchzuführen ist. Ebenfalls unerheblich ist, ob zwischen den früheren Eheleuten zivilrechtlich durchsetzbare Ansprüche einerseits auf Zustimmung zur Zusammenveranlagung und andererseits auf Ausgleich der Belastung bestehen, die sich durch die Rückforderung der Erstattungen des FA ergibt.

2. Die Zulassung der Revision zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 Halbsatz 2 FGO scheitert bereits daran, dass der Kläger nicht dargetan hat, welche divergierenden Auffassungen in Rechtsprechung und Literatur einer Vereinheitlichung bedürfen.

Er wendet sich lediglich dagegen, dass das FG seiner --des Klägers-- Rechtsauffassung nicht gefolgt sei, nach der die ursprüngliche Zusammenveranlagung wieder aufgelebt sei, nachdem er seinen Antrag auf getrennte Veranlagung angefochten habe.

Im Übrigen trifft diese Rechtsauffassung auch nicht zu. Das Veranlagungswahlrecht kann bis zur Bestandskraft des Einkommensteuerbescheids ausgeübt und eine einmal getroffene Wahl geändert werden. Die Wahl der getrennten Veranlagung steht jedem Ehegatten --von hier nicht einschlägigen Ausnahmen abgesehen (vgl. Senatsurteil vom 3. März 2005 III R 60/03 BFHE 209, 308, BStBl II 2005, 564)-- aus Gründen der Gleichbehandlung mit nicht miteinander verheirateten Steuerpflichtigen zu und zieht die gleichartige Veranlagung des anderen Ehegatten nach sich (vgl. Senatsurteil vom 3. März 2005 III R 22/02, BFHE 209, 454, BStBl II 2005, 690). Da die Beigeladene ihre Zustimmung zur Zusammenveranlagung widerrufen hat und an den getrennten Veranlagungen festhalten will, können die ursprünglichen Zusammenveranlagungen unabhängig von den Erklärungen des Klägers nicht wieder aufleben.

Ende der Entscheidung

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