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Gericht: Bundesfinanzhof
Beschluss verkündet am 30.10.2006
Aktenzeichen: III B 54/06
Rechtsgebiete: EStG, AO 1977, FGO, BVerfGG


Vorschriften:

EStG § 32 Abs. 4 Satz 2
EStG § 70 Abs. 4
AO 1977 § 155
AO 1977 § 163
AO 1977 § 173 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2
FGO § 115 Abs. 2
FGO § 115 Abs. 2 Nr. 1
BVerfGG § 30 Abs. 1 Satz 1
BVerfGG § 30 Abs. 1 Satz 2
BVerfGG § 30 Abs. 1 Satz 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) erhielt für seinen im Jahr 1982 geborenen Sohn Kindergeld. Mit Bescheid vom 18. Januar 2005 hob die Beklagte und Beschwerdegegnerin (Familienkasse) die Kindergeldfestsetzung für das Jahr 2004 auf, da der Sohn Einkünfte und Bezüge von mehr als 7 680 € im Kalenderjahr 2004 gehabt habe (§ 32 Abs. 4 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes in der für das Jahr 2004 geltenden Fassung --EStG--). Den Einspruch des Klägers wies die Familienkasse durch Einspruchsentscheidung vom 28. Februar 2005 zurück. Der Kläger erhob keine Klage.

Mitte Mai 2005 erhielt der Kläger Kenntnis von dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 11. Januar 2005 2 BvR 167/02 (BVerfGE 112, 164, BFH/NV 2005, Beilage 3, 260), nach dem für die Ermittlung des Jahresgrenzbetrags im Wege verfassungskonformer Auslegung des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG die Einkünfte und Bezüge des Kindes um die Beiträge zur Sozialversicherung zu mindern sind. Mit Schreiben vom 17. Mai 2005 beantragte er unter Hinweis auf diesen Beschluss, die Einspruchsentscheidung zu überprüfen. Mit Bescheid vom 9. September 2005 lehnte die Familienkasse eine Änderung des Bescheids vom 18. Januar 2005 ab; der hiergegen gerichtete Einspruch blieb erfolglos.

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab. Der Kläger habe zwar materiell-rechtlich einen Anspruch auf Kindergeld für das Jahr 2004, verfahrensrechtlich gebe es aber keine Möglichkeit, den bestandskräftigen Aufhebungsbescheid zu ändern.

Mit seiner Nichtzulassungsbeschwerde beruft sich der Kläger auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--) sowie auf die Erforderlichkeit einer Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) zur Fortbildung des Rechts und zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO). Der Kläger wirft sinngemäß die Rechtsfrage auf, ob die nach Ablauf des Kalenderjahres ergangene bestandskräftige Aufhebung der Kindergeldfestsetzung aufgrund des Beschlusses des BVerfG in BVerfGE 112, 164, BFH/NV 2005, Beilage 3, 260 insbesondere nach § 70 Abs. 4 EStG, § 173 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) bzw. § 163 AO 1977 zu ändern sei. Er verweist auf das Urteil des FG Düsseldorf vom 12. Januar 2006 14 K 4503/05 Kg (Entscheidungen der Finanzgerichte --EFG-- 2006, 1446), das die Änderung eines Kindergeldbescheids aufgrund der Entscheidung des BVerfG zwar abgelehnt, aber die Revision zugelassen habe.

II. Die Beschwerde ist unbegründet und wird zurückgewiesen (§ 132 FGO).

1. Soweit sich der Kläger auf die Erforderlichkeit einer Entscheidung des BFH zur Sicherung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung beruft (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO), ist die Beschwerde bereits mangels ordnungsgemäßer Darlegung der Voraussetzungen dieses Zulassungsgrundes unzulässig (§ 116 Abs. 3 Satz 3 FGO). Der Kläger hat schon nicht dargelegt, dass das Urteil des FG überhaupt von einer anderen Entscheidung abweiche. Auch hat er keinen offensichtlichen Rechtsanwendungsfehler von erheblichem Gewicht im Sinne einer willkürlichen oder greifbar gesetzeswidrigen Entscheidung gerügt, der ausnahmsweise nach 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO zur Zulassung der Revision führt (vgl. Senatsbeschluss vom 28. Juli 2003 III B 125/02, BFH/NV 2003, 1445).

2. Die Revision ist nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zuzulassen, da die vom Kläger aufgeworfene Rechtsfrage bereits geklärt ist.

Der Senat hat die vom Kläger zitierte Entscheidung des FG Düsseldorf in EFG 2006, 1446 durch Urteil vom 28. Juni 2006 III R 13/06 (BFH/NV 2006, 2204) bestätigt. Nach dem Urteil des Senats kann ein die Festsetzung von Kindergeld ablehnender Bescheid nach § 70 Abs. 4 EStG nur geändert oder aufgehoben werden, wenn er vor Beginn oder während des Kalenderjahres als Prognoseentscheidung über die Höhe der Einkünfte und Bezüge des Kindes im Kalenderjahr ergangen ist, nicht aber, wenn die Festsetzung von Kindergeld für ein abgelaufenes Kalenderjahr abgelehnt worden ist. Gleiches gilt für bestandskräftige Bescheide, mit welchen die Familienkasse die Festsetzung von Kindergeld für das abgelaufene Kalenderjahr wegen des Überschreitens des Grenzbetrages aufgehoben hat.

Unerheblich ist, dass das Senatsurteil in BFH/NV 2006, 2204 erst nach Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde ergangen ist. Ob ein Zulassungsgrund nach § 115 Abs. 2 FGO vorliegt, richtet sich nach den Verhältnissen im Zeitpunkt der Entscheidung über die Nichtzulassungsbeschwerde (BFH-Beschluss vom 18. März 1994 III B 543/90, BFHE 173, 506, 509, BStBl II 1994, 473).

Die Aufhebung der Kindergeldfestsetzung ist zwar rechtswidrig, weil die Familienkasse im Widerspruch zur Entscheidung des BVerfG für die Ermittlung des Jahresgrenzbetrages die Einkünfte und Bezüge des Sohnes nicht um die Beiträge zur Sozialversicherung gemindert hat. Der rechtswidrige Aufhebungsbescheid ist aber bestandskräftig geworden, da der Kläger mangels Kenntnis der Entscheidung des BVerfG gegen die Einspruchsentscheidung vom 28. Februar 2005 keine Klage erhoben hat.

Die Bestandskraft des Aufhebungsbescheids wird durch die Entscheidung des BVerfG nicht berührt. Das gilt nicht nur, wenn die Entscheidung des BVerfG erst ergeht, nachdem der Bescheid bestandskräftig geworden ist (Senatsurteil in BFH/NV 2006, 2204), sondern auch dann, wenn die Entscheidung des BVerfG erst nach Bestandskraft des Bescheids bekannt wird.

Soweit der Kläger auf die Möglichkeit einer abweichenden Steuerfestsetzung aus Billigkeitsgründen nach § 163 AO 1977 verweist, weil die Familienkasse zum Zeitpunkt der Aufhebung der Kindergeldfestsetzung Kenntnis von dem Beschluss des BVerfG in BVerfGE 112, 164, BFH/NV 2005, Beilage 3, 260 gehabt haben müsse, ist die Rechtsfrage schon mangels Entscheidungserheblichkeit im Revisionsverfahren nicht klärbar. Die Steuerfestsetzung nach § 155 AO 1977 und die Billigkeitsmaßnahme nach § 163 AO 1977 sind zwei verschiedene Streitgegenstände, über die in verschiedenen Verfahren entschieden wird (BFH-Urteil vom 21. Januar 2004 VIII R 15/02, BFH/NV 2004, 910, m.w.N.). Im Streitfall fehlt es sowohl an einem die Billigkeitsmaßnahme ablehnenden Verwaltungsakt als auch an dem für eine zulässige Verpflichtungsklage erforderlichen Vorverfahren (vgl. dazu auch BFH-Urteil vom 21. September 2000 IV R 54/99, BFHE 193, 301, BStBl II 2001, 178, unter 2. der Gründe).

Ergänzend weist der Senat daraufhin, dass der vom 11. Januar 2005 datierte Beschluss des BVerfG in BVerfGE 112, 164, BFH/NV 2005, Beilage 3, 260 der Familienkasse weder bei Aufhebung der Kindergeldfestsetzung am 18. Januar 2005 noch bei Erlass der Einspruchsentscheidung am 28. Februar 2005 bekannt gewesen sein konnte.

Nach § 30 Abs. 1 Sätze 1 bis 3 des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht (BVerfGG) entscheidet das BVerfG in geheimer Beratung. Anschließend wird die Entscheidung schriftlich abgefasst, begründet und von den Richtern, die an ihr mitgewirkt haben, unterzeichnet. Hat eine mündliche Verhandlung stattgefunden, ist die Entscheidung sodann öffentlich zu verkünden. Hat --wie bei dem Verfahren in BVerfGE 112, 164, BFH/NV 2005, Beilage 3, 260-- keine mündliche Verhandlung stattgefunden, wird die Entscheidung den Beteiligten bekanntgegeben (§ 30 Abs. 3 BVerfGG). Bei öffentlichem Interesse an der Entscheidung ergehen Presseverlautbarungen, die vom Vorsitzenden und Berichterstatter gebilligt werden müssen und erst veröffentlicht werden dürfen, wenn anzunehmen ist, dass die Entscheidung den Beteiligten zugegangen ist (§ 32 der Geschäftsordnung des BVerfG). In der Regel gibt die zuständige Geschäftsstelle die Pressemitteilungen einen Tag nach Veranlassung der Bekanntgabe hinaus (Schraft-Huber in Umbach/Clemens/Dollinger, BVerfGG, Mitarbeiterkommentar, 2. Aufl., § 17a Rz. 54). Da die Pressemitteilung vom 13. Mai 2005 datiert, konnte auch die Familienkasse erst im Mai 2005 von der Entscheidung des BVerfG Kenntnis erlangt haben.

3. Aus den gleichen Gründen ist auch der Zulassungsgrund der Rechtsfortbildung (§ 115 Abs. 2 Nr. 2, Alternative 1 FGO) nicht gegeben. Als spezieller Tatbestand der Grundsatzrevision (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) setzt auch dieser Zulassungsgrund voraus, dass über eine klärungsbedürftige und klärbare Rechtsfrage zu entscheiden ist (vgl. Senatsbeschluss vom 30. Januar 2006 III B 2/05, BFH/NV 2006, 910, m.w.N.).

Ende der Entscheidung

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