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Gericht: Bundesfinanzhof
Beschluss verkündet am 08.10.2002
Aktenzeichen: III B 74/02
Rechtsgebiete: EStG, FGO, AO 1977


Vorschriften:

EStG § 10 Abs. 1 Nr. 1
EStG § 26
EStG § 26a
EStG § 26a Abs. 2 Satz 2
FGO § 60 Abs. 3 Satz 1
FGO § 116 Abs. 6
AO 1977 § 44 Abs. 1
AO 1977 § 270 Satz 2
AO 1977 § 274
AO 1977 § 279 Abs. 1 Satz 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

I. Mit geändertem, durch Rücknahme des Einspruchs bestandskräftig gewordenem, Zusammenveranlagungsbescheid vom 30. Oktober 2000 setzte der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) die Einkommensteuer für 1992 für den Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) sowie seine zwischenzeitlich von ihm geschiedene Ehefrau auf 6 976 DM, Zinsen zur Einkommensteuer in Höhe von 1 656 DM, Kirchensteuer in Höhe von 438 DM und einen Solidaritätszuschlag in Höhe von 261,60 DM, fest. Ausweislich des Einkommensteuerbescheides erzielte der Kläger im Streitjahr insgesamt Einkünfte in Höhe von 96 757 DM und die frühere Ehefrau Einkünfte aus Gewerbebetrieb in Höhe von 16 290 DM sowie Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung in Höhe von 2 924 DM, insgesamt 19 214 DM.

Der Kläger beantragte die Aufteilung der Steuerschuld unter Berücksichtigung der an seine seit dem 11. Januar 1992 von ihm getrennt lebende Ehefrau geleisteten Unterhaltszahlungen von mehr als 27 000 DM im Wege des sog. Realsplittings nach § 10 Abs. 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG), sämtlicher Kinderfreibeträge in voller Höhe sowie aller von ihm allein getragenen außergewöhnlichen Belastungen und Versorgungsaufwendungen. Im notariellen Ehevertrag vom 4. Juni 1992 mit seiner geschiedenen Ehefrau sei vereinbart worden, dass seine Unterhaltszahlungen an diese zu berücksichtigen und alle übertragbaren Freibeträge auf den Kläger zu übertragen seien (vgl. § 4 des Ehevertrages). Insoweit liege i.S. von § 274 der Abgabenordnung (AO 1977) ein von den Gesamtschuldnern gemeinschaftlich vorgeschlagener besonderer Aufteilungsmaßstab vor.

Mit Bescheid vom 17. Mai 2001 teilte das FA den rückständigen Einkommensteuerbetrag von 2 020,37 DM allein dem Kläger zu. Zur Begründung führte das FA aus, bei der Anwendung des allgemeinen Aufteilungsschlüssels nach § 270 Satz 2 AO 1977 im Rahmen der fiktiven getrennten Veranlagung sei das FA an die dem Zusammenveranlagungsbescheid zugrunde liegenden tatsächlichen Besteuerungsgrundlagen gebunden. Deshalb könnten die Unterhaltsleistungen nicht nachträglich berücksichtigt werden. Die Kinderfreibeträge seien je hälftig beantragt gewesen, der Behindertenpauschbetrag sei nach § 26a Abs. 2 Satz 2 EStG ebenfalls nur hälftig zu gewähren.

Einspruch und Klage hatten keinen Erfolg. Unter Bezugnahme auf den Beschluss des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 27. August 1990 VI B 216/89 (BFH/NV 1991, 214) führte das Finanzgericht (FG) u.a. aus, im Aufteilungsverfahren werde die Steuer nicht neu berechnet, weil bei der fiktiven Veranlagung die Besteuerungsgrundlagen unverändert aus dem Zusammenveranlagungsbescheid zu übernehmen seien. Im Übrigen erfülle der Ehevertrag vom 4. Juni 1992 nicht die Voraussetzungen des § 274 AO 1977 für die Anwendung eines besonderen Aufteilungsmaßstabes.

Mit der Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision macht der Kläger grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache sowie einen Verfahrensverstoß geltend.

Das Realsplitting nach § 10 Abs. 1 Nr. 1 EStG sei nur bei getrennter Veranlagung nach § 26a EStG zulässig. § 270 Satz 2 AO 1977 nehme auf die Regelungen über die getrennte Veranlagung Bezug, weshalb bei der Ermittlung des Aufteilungsmaßstabes auch das begrenzte Realsplitting angewendet werden müsse. Zu klären sei, ob mit der Bezugnahme auf die in der Mehrzahl erwähnten Vorschriften über die getrennte Veranlagung ausschließlich § 26a EStG zum Zuge komme, oder ob nicht auch andere Regelungen, wie § 10 Abs. 1 Nr. 1 EStG, anzuwenden seien.

Diese Rechtsfrage sei nicht ohne weiteres aus dem Gesetz zu beantworten.

Seine frühere Ehefrau sei an dem streitigen Rechtsverhältnis als Dritte derart beteiligt, dass die Entscheidung auch ihr gegenüber nur einheitlich ergehen könne. Das FG habe indes die frühere Ehefrau nicht gemäß § 60 Abs. 3 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) notwendig zum Klageverfahren beigeladen.

Das FA beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.

II. Die Beschwerde ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des finanzgerichtlichen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung des FG nach § 116 Abs. 6 FGO.

Der Kläger hat zu Recht gerügt, dass das FG verfahrensfehlerhaft die notwendige Beiladung der früheren Ehefrau gemäß § 60 Abs. 3 Satz 1 FGO unterlassen hat.

a) Gemäß § 60 Abs. 3 Satz 1 FGO ist die Beiladung notwendig, wenn an dem streitigen Rechtsverhältnis Dritte derartig beteiligt sind, dass die Entscheidung auch ihnen gegenüber einheitlich ergehen muss. Das ist nach der Rechtsprechung des BFH dann der Fall, wenn die Entscheidung notwendigerweise und unmittelbar Rechte Dritter gestaltet, bestätigt, verändert oder zum Erlöschen bringt, insbesondere also in Fällen, in denen das, was einen Prozessbeteiligten begünstigt oder benachteiligt, notwendigerweise umgekehrt den Dritten benachteiligen oder begünstigen muss. Die notwendige Einheitlichkeit der Entscheidung kann ihren Grund im materiellen Steuerrecht oder im Verfahrensrecht haben (vgl. BFH-Beschluss vom 11. Januar 1994 VII B 100/93, BFHE 173, 207, BStBl II 1994, 405, 406, m.w.N.).

b) Über den Antrag auf Beschränkung der Vollstreckung nach § 279 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 ist durch schriftlichen Bescheid (Aufteilungsbescheid) gegenüber den Beteiligten einheitlich zu entscheiden. Mit dem Aufteilungsbescheid wird das Aufteilungsverfahren für sämtliche Beteiligten bindend abgeschlossen.

Nach §§ 26, 26b EStG zusammenveranlagte Ehegatten sind gemäß § 44 Abs. 1 AO 1977 Gesamtschuldner. Anders als in dem von einem Ehegatten durchgeführten Klageverfahren gegen einen Zusammenveranlagungsbescheid, in dem jedenfalls dann eine Beiladung des anderen Ehegatten nicht als notwendig angesehen wird, wenn letzterer keine Einkünfte hat oder dessen Einkünfte unstreitig sind (vgl. dazu Koch in Gräber, Finanzgerichtsordnung, 5. Aufl., § 60 Rz. 137, m.w.N.), ist in dem von einem Ehegatten betriebenen finanzgerichtlichen Verfahren gegen einen Aufteilungsbescheid der andere Ehegatte nach § 60 Abs. 3 Satz 1 FGO notwendig beizuladen, weil es sich bei dem Aufteilungsbescheid um einen einheitlichen Bescheid mit Wirkung gegenüber allen Gesamtschuldnern handelt. Das Fachschrifttum vertritt diese Auffassung nahezu einhellig (vgl. Müller-Eiselt in Hübschmann/ Hepp/Spitaler, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 10. Aufl., § 279 AO 1977 Rz. 9; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 16. Aufl., § 279 AO 1977 Tz. 7, § 60 FGO Tz. 54; Koch in Gräber, a.a.O., § 60 Rz. 56; Schwarz, Kommentar zur Abgabenordnung, § 279 Rz. 9; Szymczak in Koch/Scholz, Abgabenordnung, 5. Aufl., § 279 Rz. 2 und 5; Kühn/Hofmann, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 17. Aufl., § 279 AO 1977 Anm. 4; Maas in Beermann, Steuerliches Verfahrensrecht, § 279 AO 1977 Rz. 4; Brockmeyer in Klein, Abgabenordnung, 7. Aufl., § 360 Rz. 9, wenn der andere Ehegatte eigene Einkünfte hat, weil er dann auch im Falle der Aufteilung der Gesamtschuld wegen des nach § 279 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 erforderlichen einheitlichen Aufteilungsbescheides unmittelbar durch eine Einspruchsentscheidung betroffen sei).

Lediglich Spindler in Hübschmann/Hepp/Spitaler (a.a.O., § 60 FGO Rz. 35) hat unter Bezugnahme auf die Ausführungen von Woerner in Betriebs-Berater (BB) 1967, 241, 243 die Auffassung vertreten, es komme insoweit (nur) eine einfache Beiladung nach § 60 Abs. 1 FGO in Betracht. Indes hat sich Woerner ausschließlich mit der Zusammenveranlagung von Ehegatten im Rahmen von Rechtsbehelfsverfahren, hingegen nicht spezifisch mit der Frage der Beiladung in einem gegen einen Aufteilungsbescheid gerichteten Klageverfahren befasst.

c) Im Streitfall liegen auch nicht Ausnahmesachverhalte vor, bei denen die Rechtsprechung eine notwendige Beiladung für entbehrlich erachtet hat. Nach der Rechtsprechung kann eine notwendige Beiladung --abgesehen von dem hier nicht gegebenen Fall einer unzulässigen Klage (vgl. dazu BFH-Urteil vom 27. November 1990 VIII R 206/84, BFH/NV 1991, 692, 693, ständige Rechtsprechung)-- auch unterbleiben, wenn der Beizuladende unter keinem denkbaren steuerrechtlichen Gesichtspunkt betroffen ist (vgl. BFH-Beschluss vom 24. Mai 1995 VIII B 153/94, BFH/NV 1995, 1078, 1079, ständige Rechtsprechung). Indes hat die frühere Ehefrau des Klägers im Streitjahr 1992 ausweislich des geänderten Einkommensteuerbescheides vom 30. Oktober 2000 eigene steuerpflichtige Einkünfte erzielt.

d) Von einer notwendigen Beiladung kann im Übrigen nicht schon wegen einer voraussichtlichen Erfolglosigkeit der Klage in der Sache (hier: Hinweis auf § 270 Satz 2 AO 1977; dazu BFH-Beschlüsse vom 1. März 2001 VIII B 134/00, veröffentlicht in juris; in BFH/NV 1991, 214; ferner ausführlich Müller-Eiselt in Hübschmann/Hepp/Spitaler, a.a.O., § 270 AO 1977 Rz. 3 ff., m.w.N.) abgesehen werden (vgl. BFH-Urteil in BFH/NV 1991, 692, 693). Nach ständiger Rechtsprechung ist die materiell-rechtliche Beurteilung des Rechtsstreits und damit die Erfolgsaussicht der Klage durch das FG für die Beiladung unerheblich. Maßgebend ist nicht, wie das Gericht, sondern ob das Gericht über eine einheitlich zu entscheidende Frage zu befinden hat (vgl. BFH-Urteil in BFH/NV 1991, 692, 693, m.w.N.).

e) Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 FGO in der ab 1. Januar 2001 geltenden Fassung kann der BFH zwar eine notwendige Beiladung nach § 60 Abs. 3 Satz 1 FGO im Revisionsverfahren mit heilender Wirkung für das finanzgerichtliche Verfahren nachholen, nicht hingegen auch im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde.

Ende der Entscheidung

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