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Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 17.04.2008
Aktenzeichen: III R 16/05
Rechtsgebiete: AufenthG, AuslG 1990, EStG, GG, PassG, PAuswG NW


Vorschriften:

AufenthG § 101
AuslG 1990 § 1 Abs. 2
AuslG 1990 § 30
AuslG 1990 § 69 Abs. 3
EStG § 52 Abs. 61a Satz 2
EStG § 62
GG Art. 3 Abs. 1
GG Art. 116 Abs. 1 Alt. 2
PassG § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 10
PassG § 11 Nr. 2
PassG § 12
PAuswG NW § 1 Abs. 2 Nr. 9
PAuswG NW § 6 Nr. 2
PAuswG NW § 8
Ausländer, die vergeblich die Anerkennung als Vertriebene deutscher Volkszugehörigkeit begehren, haben auch für solche Zeiten keinen Anspruch auf Kindergeld nach § 62 Abs. 1 EStG, in denen sie zu Unrecht im Besitz deutscher Ausweispapiere sind.
Gründe:

I.

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), ihr Ehemann sowie zwei gemeinsame Kinder reisten im Jahre 1989 aus Polen in die Bundesrepublik Deutschland ein. Die Ehegatten, die die Anerkennung als Vertriebene begehrten, erhielten entsprechende Registrierscheine. Noch im Jahre 1989 wurden der Klägerin deutsche Ausweispapiere ausgestellt. Sie gab an, sie sei deutsche Volkszugehörige, konnte dies in der Folgezeit allerdings nicht glaubhaft machen. Ein Antrag auf Erteilung eines Vertriebenenausweises wurde abgelehnt, die dagegen erhobene Klage nahm die Klägerin im März 1996 zurück.

Im September 1996 beantragte die Klägerin, die sich inzwischen von ihrem Ehemann getrennt hatte, Kindergeld für die beiden in ihrem Haushalt lebenden Kinder. In dem Antrag gab sie als Staatsangehörigkeit "deutsch" an. Die Beklagte und Revisionsbeklagte (Familienkasse) gewährte das Kindergeld ab Oktober 1996. Seit dieser Zeit war die Klägerin nichtselbständig beschäftigt.

Im Januar 1997 forderte das Einwohnermeldeamt die Ausweisdokumente zum Zweck der Einziehung zurück. Die Klägerin kam der Aufforderung im September 1997 nach und beantragte eine Aufenthaltsgenehmigung. Noch im gleichen Monat erhielt sie eine Bescheinigung nach § 69 Abs. 3 des Ausländergesetzes (AuslG 1990), nach der ihr Aufenthalt bis zur Entscheidung der Ausländerbehörde als erlaubt galt. Unter dem Datum des 26. Februar 1998 wurde der Klägerin auf der Grundlage eines Erlasses des Innenministeriums des Landes Nordrhein-Westfalen vom 3. April 1996 (Altfallregelung für Vertriebenenbewerber) eine zunächst befristete, später verlängerte Aufenthaltsbefugnis nach § 32 AuslG 1990 i.V.m. § 30 Abs. 1 AuslG 1990 erteilt.

Mit Bescheid vom 19. Dezember 2000 hob die Familienkasse die Kindergeldfestsetzung ab Oktober 1996 gemäß § 173 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO) auf, weil die Klägerin weder die deutsche Staatsangehörigkeit besessen habe noch im Besitz einer gültigen Aufenthaltserlaubnis oder -berechtigung gewesen sei. Die Familienkasse forderte das für Oktober 1996 bis Oktober 2000 gezahlte Kindergeld von 23 160 DM zurück.

Das Finanzgericht (FG) wies die nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage ab, mit welcher die Klägerin Kindergeld für den Zeitraum Oktober 1996 bis April 2004 begehrte (Urteil vom 16. November 2004 14 K 1288/01 Kg, Entscheidungen der Finanzgerichte --EFG-- 2005, 716).

Zur Begründung der Revision wird im Wesentlichen vorgetragen: Nach der Neufassung des § 62 Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) ergebe sich für die Klägerin, die in den deutschen Arbeitsmarkt integriert gewesen sei, ein Anspruch auf Kindergeld. Auch im Hinblick darauf, dass die Aufnahme Polens in die Europäische Union absehbar gewesen sei, habe von einem Daueraufenthalt ausgegangen werden können. Im Oktober 1996 habe sich die Klägerin bereits seit mehr als drei Jahren rechtmäßig in Deutschland aufgehalten, außerdem sei sie berufstätig gewesen. Darüber hinaus habe sie deutsche Ausweisdokumente erhalten. Mit dem Einzug der Ausweisdokumente habe die Klägerin nicht rechnen müssen. Vom 9. Januar 1997 bis zum 9. September 1997 hätten die Voraussetzungen für eine Aufenthaltsbefugnis nach § 30 AuslG 1990 vorgelegen. Auch sei der Klägerin der Aufenthalt nach § 69 Abs. 3 AuslG 1990 erlaubt gewesen.

Während des Revisionsverfahrens hat die Familienkasse mit Bescheid vom 6. November 2007 Kindergeld für die Zeit von Februar 1998 bis April 2004 festgesetzt. Daraufhin haben die Beteiligten hinsichtlich des Zeitraums Februar 1998 bis April 2004 den Rechtsstreit übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt erklärt (§ 138 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).

Die Klägerin beantragt sinngemäß, das angefochtene Urteil, die Einspruchsentscheidung vom 26. Januar 2001 sowie den Aufhebungsbescheid vom 19. Dezember 2000 hinsichtlich des Zeitraums Oktober 1996 bis Januar 1998 aufzuheben.

Die Familienkasse beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Die Familienkasse führt aus, auch nach der Neuregelung des § 62 Abs. 2 EStG stehe der Klägerin kein Kindergeld für die Zeit vor Februar 1998 zu, da sie bis dahin lediglich eine sog. Fiktionsbescheinigung nach § 69 Abs. 3 AuslG 1990 besessen habe.

II.

1. Hinsichtlich des Kindergeldes für die Zeit von Februar 1998 bis Oktober 2000 haben die Beteiligten übereinstimmend den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt. Insoweit ist das Urteil des FG gegenstandslos geworden. Im Übrigen (Kindergeld für Oktober 1996 bis Januar 1998) ist die Revision unbegründet und deshalb zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 FGO).

2. Ein Anspruch auf Kindergeld nach § 62 Abs. 1 EStG besteht nicht.

a) Die Klägerin besaß nicht die deutsche Staatsangehörigkeit, auch war sie nicht Statusdeutsche i.S. des Art. 116 Abs. 1 Alt. 2 des Grundgesetzes (GG). Ihre Bemühungen, als Vertriebene deutscher Volkszugehörigkeit anerkannt zu werden, hatten keinen Erfolg. Die Klägerin war Ausländerin (§ 1 Abs. 2 AuslG 1990), so dass sich die Anspruchsberechtigung nach § 62 Abs. 2 EStG richtet.

b) Der Umstand, dass die Klägerin im streitigen Zeitraum im Besitz deutscher Ausweisdokumente war, führt nicht zu der Annahme, sie sei deshalb kindergeldrechtlich als Deutsche zu behandeln gewesen. Die Klägerin erlangte nicht dadurch die deutsche Staatsangehörigkeit, dass ihr ein deutscher Reisepass und ein deutscher Personalausweis ausgehändigt wurden. Vielmehr wurden die Dokumente zu Unrecht ausgestellt, wie sich im Verfahren über die Anerkennung als Vertriebene zeigte. Der Reisepass der Klägerin war unrichtig, weil die darin eingetragene deutsche Staatsangehörigkeit nicht zutraf (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 10 des Passgesetzes --PassG-- i.V.m. § 11 Nr. 2 PassG). Entsprechendes gilt für den Personalausweis (§ 1 Abs. 2 Nr. 9 des Gesetzes über Personalausweise --PAuswG-- i.V.m. § 6 Nr. 2 des Personalausweisgesetzes Nordrhein-Westfalen --PAuswG NW-- vom 19. Mai 1987, GVBl NRW 1987, 170). Folgerichtig wurden Pass und Personalausweis nach § 12 Abs. 1 PassG bzw. § 8 PAuswG NW eingezogen.

3. Der Klägerin steht auch kein Kindergeld nach § 62 Abs. 2 EStG n.F. zu.

a) Die Neuregelung ist mit Wirkung vom 1. Januar 2006 in Kraft getreten und erfasst gemäß § 52 Abs. 61a Satz 2 EStG alle Sachverhalte, bei denen --wie im Streitfall-- das Kindergeld noch nicht bestandskräftig festgesetzt worden ist (Art. 2 des Gesetzes zur Anspruchsberechtigung von Ausländern wegen Kindergeld, Erziehungsgeld und Unterhaltsvorschuss vom 13. Dezember 2006 --AuslAnsprG--, BGBl I 2006, 2915). Die Gesetzesänderung war eine Reaktion auf den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 6. Juli 2004 1 BvL 4/97 (BVerfGE 111, 160, BFH/NV 2005, Beilage 2, 114), in dem dieses den nahezu wortgleichen § 1 Abs. 3 des Bundeskindergeldgesetzes 1993 als insoweit unvereinbar mit Art. 3 Abs. 1 GG ansah, als die Gewährung von Kindergeld allein von der Art der ausländerrechtlichen Genehmigung nach dem AuslG 1990 abhing. Der Senat hat mit Urteilen vom 15. März 2007 III R 93/03 (BFHE 217, 443, BFH/NV 2007, 1234) sowie vom 22. November 2007 III R 54/02 (BFH/NV 2008, 457) entschieden, dass der Gesetzgeber bei der Neuregelung des § 62 Abs. 2 EStG im Rahmen des ihm zustehenden Gestaltungsspielraums handelte, als er die Kindergeldberechtigung von Ausländern vom Besitz bestimmter Aufenthaltstitel nach dem Aufenthaltsgesetz (AufenthG) abhängig machte und bei einzelnen Titeln, die einen schwächeren aufenthaltsrechtlichen Status vermitteln, darüber hinaus von einem dreijährigen rechtmäßigen, gestatteten oder geduldeten Aufenthalt im Bundesgebiet sowie von der Integration in den deutschen Arbeitsmarkt (§ 62 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. c, Nr. 3 EStG). An den Grundsätzen dieser Urteile hält der Senat fest.

b) Im Streitfall hatte die Klägerin für den Zeitraum Oktober 1996 bis Januar 1998 keine ausländerrechtliche Genehmigung, die ihr einen Anspruch auf Kindergeld einräumte.

c) Auch für die Zeit ab der erstmaligen Beantragung bis zur Erteilung der Aufenthaltsbefugnis nach § 30 AuslG 1990 (September 1997 bis Januar 1998), in der der Aufenthalt der Klägerin gemäß § 69 Abs. 3 AuslG 1990 als erlaubt galt und für die sie eine sog. Fiktionsbescheinigung erhielt, stand ihr kein Kindergeld zu. Der Kindergeldanspruch von Ausländern hängt --wie ausgeführt-- nach § 62 Abs. 2 EStG u.a. vom Besitz bestimmter aufenthaltsrechtlicher Titel nach dem AufenthG ab oder --für Zeiträume vor 2005-- von bestimmten ausländerrechtlichen Genehmigungen nach dem AuslG 1990, die in sinngemäßer Anwendung des § 101 AufenthG in aufenthaltsrechtliche Titel umzuqualifizieren sind (Senatsurteile in BFHE 217, 443, BFH/NV 2007, 1234, sowie in BFH/NV 2008, 457). Solange ein Ausländer nicht erstmals im Besitz einer entsprechenden ausländerrechtlichen Genehmigung oder eines aufenthaltsrechtlichen Titels ist, hat er keinen Anspruch auf Kindergeld (s. BFH-Beschlüsse vom 18. Dezember 1998 VI B 221/98, BFHE 187, 562, BStBl II 1999, 140; vom 14. August 1997 VI B 43/97, BFH/NV 1998, 169, und vom 1. Dezember 1997 VI B 147/97, BFH/NV 1998, 696). Die der Klägerin erteilte Bescheinigung nach § 69 Abs. 3 AuslG 1990 ist daher nicht ausreichend.

Ende der Entscheidung

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