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Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 20.11.2003
Aktenzeichen: III R 2/02
Rechtsgebiete: AO 1977, FGO, EStG


Vorschriften:

AO 1977 § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2
FGO § 100 Abs. 2 Satz 1
FGO § 126 Abs. 2
EStG § 10
EStG § 10e Abs. 1
EStG § 32a Abs. 1
EStG § 33
EStG § 33 Abs. 2 Satz 1
EStG § 34f
EStG § 34f Abs. 3 Satz 1
EStG § 34f Abs. 3 Satz 3
EStG § 34f Abs. 3 Satz 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

I. Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) wurden im Streitjahr 1993 und im Kalenderjahr 1995 als Eheleute zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Sie haben drei (1979, 1981 und 1987 geborene) Kinder.

Durch einen Brand am 14. Dezember 1994 in ihrer (offenbar gemieteten) Wohnung verloren sie Teile ihres Hausrats und ihrer Kleidung. Eine Hausratversicherung hatten sie nicht abgeschlossen.

Am 21. Dezember 1994 erwarben sie eine --seit 1. April 1995 zu eigenen Wohnzwecken genutzte-- Eigentumswohnung, für die sie ab dem Jahr 1995 Wohneigentumsförderung nach § 10e Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) in Anspruch nahmen.

In der Einkommensteuererklärung für 1995 machten die Kläger die Kosten für die Wiederbeschaffung von Hausrat (34 406 DM) und Kleidung (5 111 DM) als außergewöhnliche Belastung geltend, die der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) antragsgemäß berücksichtigte. Da sich eine tarifliche Einkommensteuer von 0 DM ergab, wirkte sich die Steuerermäßigung nach § 34f Abs. 3 Satz 1 EStG für drei Kinder (3 x 1 000 DM) bei der Steuerfestsetzung für 1995 nicht aus.

Auf den Antrag der Kläger, die nicht ausgenutzte Steuerermäßigung auf den Veranlagungszeitraum 1993 zurückzutragen, änderte das FA den Einkommensteuerbescheid für 1995 nach § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 der Abgabenordnung (AO 1977). Es berücksichtigte nur noch die Wiederbeschaffungskosten für die Kleidung, nicht aber für den Hausrat als außergewöhnliche Belastung. Die tarifliche Einkommensteuer erhöhte sich dadurch auf 2 162 DM. Nach Abzug der Steuerermäßigung gemäß § 34f EStG ergab sich ebenfalls eine festzusetzende Einkommensteuer von 0 DM.

Aufgrund der Änderung des Einkommensteuerbescheids für 1995 verblieb für das Streitjahr 1993 nur eine zurückzutragende Steuerermäßigung in Höhe von 838 DM (3 000 DM ./. 2 162 DM). Das FA änderte dementsprechend den Einkommensteuerbescheid für 1993 und setzte die Einkommensteuer auf 2 224 DM herab.

Den Einspruch gegen den Einkommensteuerbescheid für 1993 wies das FA als unbegründet zurück. Zu Recht seien die Wiederbeschaffungskosten mangels Hausratversicherung nicht zwangsläufig gewesen und deshalb nicht als außergewöhnliche Belastung berücksichtigt worden. Daher sei die 1995 nicht ausgenutzte Steuerermäßigung nach § 34f EStG nur noch mit dem Restbetrag von 838 DM im Streitjahr 1993 abzuziehen gewesen.

Die Klage wies das Finanzgericht (FG) mit in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2002, 466 veröffentlichtem Urteil als unbegründet ab.

Mit der Revision rügen die Kläger die Verletzung materiellen Rechts (§ 33 EStG). Sie tragen vor:

Zwar seien nach dem Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 6. Mai 1994 III R 27/92 (BFHE 175, 332, BStBl II 1995, 104) Schäden an Vermögensgegenständen nicht als außergewöhnliche Belastung abziehbar, wenn der Steuerpflichtige eine allgemein zugängliche und übliche Versicherungsmöglichkeit nicht wahrgenommen habe. Diese Grundsätze, die der BFH zu Schäden an einem dem Steuerpflichtigen gehörenden, selbstgenutzten Einfamilienhaus entwickelt habe, seien aber auf den Streitfall nicht übertragbar. Kosten für die Wiederherstellung eines beschädigten Gebäudes habe der Steuerpflichtige nur zu tragen, wenn er Eigentümer sei, nicht dagegen wenn er es gemietet habe. Deshalb sei es angemessen, den Steuerpflichtigen bei Schäden am eigenen Gebäude auf eine zumutbare und übliche Versicherungsmöglichkeit zu verweisen. Dadurch werde die Gleichbehandlung mit Mietern hergestellt, die für derartige Schäden nicht einstehen müssten und bei denen sich die Frage einer steuermindernden Berücksichtigung deshalb gar nicht stelle. Werde indes der Abschluss einer Hausratversicherung verlangt, so überdehne dies den Sinn und Zweck des § 33 EStG. Der Verlust von Hausrat und Bekleidung stelle einen weitaus unmittelbareren existenziellen Schaden dar als Schäden am eigenen Wohngebäude (im Ergebnis ebenso Urteil des FG Düsseldorf vom 21. März 2001 8 K 4686/00 E, EFG 2001, 753).

Selbst wenn ihnen, den Klägern, der unterlassene Abschluss einer Hausratversicherung angelastet würde, so dürfe deshalb nicht die Zwangsläufigkeit verneint werden; denn dieser Umstand trete gegenüber der existenziellen wirtschaftlichen Betroffenheit durch den Verlust von Hausrat und Kleidung regelmäßig in den Hintergrund.

Die Kläger beantragen sinngemäß, das Urteil des FG aufzuheben und die Einkommensteuer für 1993 unter Änderung des Einkommensteuerbescheides vom 28. Juni 1996 in der Fassung der Einspruchsentscheidung vom 2. Dezember 1999 um 2 162 DM herabzusetzen.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

II. Die Revision ist unbegründet. Sie war deshalb nach § 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zurückzuweisen.

Das FG hat die Wiederbeschaffungskosten für den Hausrat zu Recht nicht als außergewöhnliche Belastung berücksichtigt, weil die Kläger keine Hausratversicherung abgeschlossen hatten.

1. Der von den Klägern gestellte Verpflichtungsantrag ist als Anfechtungsantrag auszulegen. Die Kläger begehren allein die Herabsetzung der durch Steuerbescheid festgesetzten Einkommensteuer für 1993. Eine derartige Änderung hat das Gericht gemäß § 100 Abs. 2 Satz 1 FGO selbst vorzunehmen (vgl. BFH-Urteil vom 21. März 2002 III R 30/99, BFHE 198, 184, BStBl II 2002, 547, unter II. 1. der Gründe).

2. Verfahrensrechtlich zutreffend hat das FG angenommen, die Frage, ob und ggf. in welcher Höhe die 1995 angefallenen Wiederbeschaffungskosten für den durch einen Wohnungsbrand zerstörten Hausrat der Kläger steuermindernd nach § 33 EStG zu berücksichtigen seien, müsse im Streitjahr 1993 geprüft werden.

Die Einkommensteuer 1995 ist für die Kläger auf 0 DM festgesetzt worden. Beschwert wird ein Steuerpflichtiger durch die Steuerfestsetzung. Bei sog. Nullbescheiden fehlt deshalb regelmäßig eine Beschwer (BFH-Beschlüsse vom 30. April 2002 X B 207/01, BFH/NV 2002, 1313; vom 15. Dezember 2000 IX B 91/00, BFH/NV 2001, 795, 796, m.w.N.).

Die Besteuerungsgrundlagen sind lediglich unselbständiger Teil des Steuerbescheides (§ 157 Abs. 2 Halbsatz 1 AO 1977) und können nicht selbständig angefochten werden, solange sie sich nicht auf die Höhe der festzusetzenden Einkommensteuer auswirken. Daher ist im Einkommensteuerbescheid für 1993 verbindlich darüber zu entscheiden, in welcher Höhe sich die den Klägern für das Jahr 1995 unstreitig zustehende Steuerermäßigung nach § 34f Abs. 3 Satz 1 EStG bei der Steuerfestsetzung für 1995 nicht auswirkt und insoweit von der tariflichen Einkommensteuer des Veranlagungszeitraums 1993 abzuziehen ist.

Nach § 34f Abs. 3 Satz 3 EStG ist der Betrag der Steuerermäßigung, soweit er sich bei der Ermittlung der festzusetzenden Einkommensteuer nicht steuerentlastend ausgewirkt hat, von der tariflichen Einkommensteuer der zwei vorangegangenen Veranlagungszeiträume abzuziehen. Ist für einen vorangegangenen Veranlagungszeitraum bereits ein Steuerbescheid erlassen worden, ist er insoweit zu ändern (§ 34f Abs. 3 Satz 5 EStG).

Im Streitfall hängt die Höhe des rücktragbaren Betrages der Steuerermäßigung nach § 34f Abs. 3 Satz 1 EStG davon ab, ob die Wiederbeschaffungskosten für den Hausrat als außergewöhnliche Belastung zu berücksichtigen sind.

3. Das FG hat rechtsfehlerfrei die Wiederbeschaffungskosten für Hausrat nicht als außergewöhnliche Belastung nach § 33 EStG berücksichtigt, weil es die Kläger unterlassen haben, sich gegen das Risiko eines Brandschadens durch eine allgemein übliche und ihnen zumutbare Hausratversicherung abzusichern. Ihre Aufwendungen zur Wiederbeschaffung des Hausrats sind damit nicht i.S. von § 33 Abs. 2 Satz 1 EStG zwangsläufig entstanden.

Aufwendungen entstehen einem Steuerpflichtigen dem Grunde nach zwangsläufig, wenn er sich ihnen aus rechtlichen, tatsächlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann (§ 33 Abs. 2 EStG). Diese Voraussetzung ist erfüllt, wenn die aufgeführten Gründe von außen, d.h. vom Willen des Steuerpflichtigen unabhängig, auf seine Entschließung in einer Weise einwirken, dass er ihnen nicht auszuweichen vermag (BFH-Urteile vom 26. April 1991 III R 69/87, BFHE 164, 426, BStBl II 1991, 755, und vom 9. August 2001 III R 6/01, BFHE 196, 492, BStBl II 2002, 240, jeweils m.w.N.).

Der Tatbestand des § 33 EStG soll --im Wesentlichen in Ergänzung zu den §§ 10 und 32a Abs. 1 EStG-- entsprechend den verfassungsrechtlichen Vorgaben sicherstellen, dass die Besteuerung erst jenseits des Existenzminimums einsetzt. Die Vorschrift trägt jenen Fällen Rechnung, in denen das Existenzminimum höher liegt als im Normalfall (BFH-Urteil vom 19. Mai 1995 III R 12/92, BFHE 178, 207, BStBl II 1995, 774, unter 2. a der Gründe).

Zur Vermeidung einer den Sinn und Zweck des § 33 EStG überschreitenden Ausdehnung ist der Steuerpflichtige nach dem Senatsurteil in BFHE 175, 332, BStBl II 1995, 104 bei Schäden an Vermögensgegenständen vorrangig auf bestehende Versicherungsmöglichkeiten zu verweisen. Hat der Steuerpflichtige eine allgemein zugängliche und übliche Versicherungsmöglichkeit nicht wahrgenommen, ist eine --auch nur teilweise-- Abwälzung solcher Schäden auf die Allgemeinheit nicht gerechtfertigt, weil sich der Steuerpflichtige durch den Abschluss einer Versicherung den Aufwendungen zur Beseitigung des Schadens im Ergebnis hätte entziehen können (vgl. auch Niedersächsisches FG vom 28. August 2002 3 K 533/96, EFG 2003, 160, m.w.N.; Rasenack, Der Betrieb --DB-- 1983, 1272, 1276).

Diese im Zusammenhang mit Schäden an selbst genutzten Einfamilienhäusern entwickelten Grundsätze gelten nach dem Senatsurteil vom 26. Juni 2003 III R 36/01 (Deutsches Steuerrecht --DStR-- 2003, 2108; DB 2003, 2630) ebenso für sog. verlorene Aufwendungen zur Wiederbeschaffung von Hausrat und Kleidung. Der Senat ist dem --diesem Revisionsverfahren zugrunde liegenden gegenteiligen-- Urteil des FG Düsseldorf in EFG 2001, 753, auf das sich die Kläger berufen, ausdrücklich nicht gefolgt.

Der Senat hat im Urteil in BFHE 175, 332, BStBl II 1995, 104 (vgl. Entscheidungsgründe unter 3. a) bezüglich der grundsätzlichen Berücksichtigung als außergewöhnliche Belastung keinen Unterschied zwischen einer Beeinträchtigung des privaten Wohnens und dem Verlust von Hausrat und Kleidung gesehen. Auch hinsichtlich der Abzugsbeschränkung unter dem Gesichtspunkt einer unterlassenen Versicherung sind keine Gründe für eine unterschiedliche Behandlung erkennbar. Denn gegen Schäden an Hausrat und Kleidung sind Versicherungen ebenso üblich wie gegen Schäden an Gebäuden (FG Köln vom 20. Dezember 2000 1 K 4490/00, EFG 2001, 438, 440, m.w.N.). Der überwiegende Teil der Bevölkerung ist gegen Hausratschäden versichert. Nach repräsentativen Befragungen (veröffentlicht in den Jahrbüchern des Gesamtverbandes der Versicherungen in der Bundesrepublik Deutschland) waren im alten Bundesgebiet im Jahr 1993 62,9 %, im Jahr 1994 76,7 % und in den Jahren 2001/2002 75 % der Haushalte mit ihrem Hausrat versichert. Der Abschluss derartiger Standardversicherungen ist auch im Hinblick auf die Höhe der Jahresprämien zumutbar.

Die Prämien für diese Sachversicherung werden in der Regel aus dem versteuerten Einkommen bezahlt, weil sie steuerlich grundsätzlich nicht absetzbar sind. Im Schadensfalle wird der Betroffene auf die Inanspruchnahme dieser Versicherung verwiesen. Die Leistungen aus der Hausratversicherung werden unter dem Gesichtspunkt der Vorteilsanrechnung in vollem Umfang auf die Wiederbeschaffungskosten für Hausrat und Kleidung angerechnet (Senatsurteil vom 30. Juni 1999 III R 8/95, BFHE 189, 371, BStBl II 1999, 766). Der Senat hält es deshalb nicht für gerechtfertigt, dass Nichtversicherte Kosten zur Beseitigung von Schäden an lebensnotwendigen Gegenständen auf die Allgemeinheit abwälzen dürfen, wenn sie durch den Abschluss einer üblichen und zumutbaren Versicherung die Belastung durch die Schäden hätten vermeiden oder eingrenzen können.

Auch kann der unterlassene Abschluss einer üblichen und zumutbaren Hausratversicherung nicht anders gewertet werden als der Verzicht auf Ersatz- oder Erstattungsansprüche im Schadensfall, der dazu führt, dass die Aufwendungen zur Beseitigung des Schadens als nicht zwangsläufig beurteilt werden (BFH-Urteil vom 20. September 1991 III R 91/89, BFHE 165, 525, BStBl II 1992, 137).

Lehnt der Steuerpflichtige den Versicherungsabschluss aufgrund freier Entscheidung ab und nimmt damit bewusst in Kauf, Aufwendungen zur Beseitigung eventuell später eintretender Schäden aus seinem Vermögen tragen zu müssen, so muss er sich sein eigenes Verhalten bei der steuerlichen Geltendmachung derartiger Aufwendungen entgegenhalten lassen.

Zur weiteren Begründung nimmt der Senat auf sein Urteil in DStR 2003, 2108; DB 2003, 2630 Bezug.

Ende der Entscheidung

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