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Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 18.03.2004
Aktenzeichen: III R 24/03
Rechtsgebiete: BGB, EStG, GG, ZPO
Vorschriften:
BGB § 1592 | |
BGB § 1596 Abs. 2 | |
BGB § 1597 | |
BGB § 1600d | |
BGB § 1600e | |
EStG § 33 Abs. 1 | |
EStG § 33 Abs. 2 | |
GG Art. 6 Abs. 2 Satz 1 | |
ZPO § 307 | |
ZPO § 93 |
2. Wird ein Steuerpflichtiger auf Feststellung der Vaterschaft und Zahlung des Regelunterhaltes verklagt, so sind die ihm auferlegten Prozesskosten zwangsläufig, wenn er ernsthafte Zweifel an seiner Vaterschaft substantiiert dargelegt sowie schlüssige Beweise angeboten hat und wenn sein Verteidigungsvorbringen bei objektiver Betrachtung Erfolg versprechend schien.
Gründe:
I.
Auf die Klage des Kindes stellte das Amtsgericht durch Urteil vom 22. September 1994 fest, dass der Kläger und Revisionskläger (Kläger) der Vater ist und verurteilte ihn zur Zahlung des Regelunterhalts. Aus den Urteilsgründen ergibt sich, dass der Kläger seine Vaterschaft in Zweifel gezogen hatte mit der Begründung, seine Beziehung zur Kindesmutter habe nur drei Monate gedauert und in der gesetzlichen Empfängniszeit sei es zu keinerlei persönlichem Kontakt mit ihr gekommen. Nach dem vom Amtsgericht eingeholten Sachverständigengutachten besteht eine biostatistische Wahrscheinlichkeit der Vaterschaft des Klägers von 99,966 %.
Die dem Kläger auferlegten Prozesskosten beliefen sich auf 5 295,20 DM einschließlich 4 683,20 DM Sachverständigenentschädigung.
In seiner Einkommensteuererklärung machte der Kläger die von ihm im Streitjahr 1999 entrichteten Prozesskosten in Höhe von 4 950,95 DM als außergewöhnliche Belastung geltend. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) berücksichtigte die Prozesskosten bei der Einkommensteuerfestsetzung nicht. Der Einspruch des Klägers blieb erfolglos.
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage mit der Begründung ab, dem Kläger seien die Prozesskosten nicht zwangsläufig i.S. des § 33 Abs. 2 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) entstanden. Das Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2003, 1009 veröffentlicht.
Mit der Revision rügt der Kläger die Verletzung materiellen Rechts. Er führt aus:
Bei Zivilprozesskosten spreche zwar eine Vermutung gegen deren Zwangsläufigkeit. Dies gelte jedoch nicht für Vaterschaftsprozesse. Hier kämen nicht nur enorme, unkalkulierbare Unterhaltsansprüche auf den vermeintlichen Kindesvater zu, das Kind sei darüber hinaus in vollem Umfang erbberechtigt. Dies könne, wenn nur ein Abkömmling vorhanden sei, der alle anderen Personen von der gesetzlichen Erbfolge ausschließe, von existenzieller Bedeutung sein. Existenzielle Folgen lägen auch darin, dass der nichteheliche Vater kraft Gesetzes nicht nur ein Umgangsrecht, sondern auch die Möglichkeit habe, Mitsorgerechtsinhaber zu werden.
Der Kläger beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und unter Änderung des Einkommensteuerbescheides 1999 die Einkommensteuer unter Berücksichtigung der außergewöhnlichen Belastung in Höhe von 4 950,95 DM festzusetzen.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
II.
Die Revision ist unbegründet.
Das FG hat im Ergebnis zutreffend die Anerkennung der Kosten des Vaterschaftsprozesses als außergewöhnliche Belastung versagt.
1. Nach § 33 Abs. 1 EStG wird auf Antrag die Einkommensteuer ermäßigt, wenn einem Steuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommens- und Vermögensverhältnisse sowie gleichen Familienstands erwachsen (außergewöhnliche Belastung). Aufwendungen erwachsen dem Steuerpflichtigen dann zwangsläufig, wenn er sich ihnen aus rechtlichen, tatsächlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann und soweit die Aufwendungen den Umständen nach notwendig sind und einen angemessenen Betrag nicht übersteigen (§ 33 Abs. 2 Satz 1 EStG).
Aus dem Anwendungsbereich der außergewöhnlichen Belastungen ausgeschlossen sind die üblichen Aufwendungen der Lebensführung, die in Höhe des Existenzminimums durch den Grundfreibetrag abgegolten sind, sowie die durch § 10 EStG und Kinderfreibetrag oder Kindergeld abgegoltenen weiteren zwangsläufigen Aufwendungen. Diese hat der Steuerpflichtige grundsätzlich selbst --ohne eine steuerliche Entlastung-- zu tragen. Anspruch auf Solidarität der Gemeinschaft hat der Einzelne in aller Regel nur, wenn ihn entweder die Steuerzahlung überfordert --für diese Fälle sehen die §§ 163, 227, 222 der Abgabenordnung (AO 1977) die Möglichkeit von Billigkeitsmaßnahmen vor-- oder wenn die Aufwendungen einen Bereich der Lebensführung betreffen, der der individuellen Gestaltung des Einzelnen entzogen ist. Dementsprechend ist nach ständiger Rechtsprechung des Senats für die Entscheidung, ob Aufwendungen zwangsläufig i.S. des § 33 EStG angefallen sind, auf die wesentliche Ursache abzustellen, die zu den Aufwendungen geführt hat. Liegt diese in der vom Einzelnen gestaltbaren Lebensführung, kommt ein Abzug nicht in Betracht (vgl. Bundesfinanzhof --BFH--, Urteil vom 18. März 2004 III R 31/02, derzeit in juris und im Internet unter "www.bundesfinanzhof.de", m.w.N.).
a) Bei den Kosten eines Zivilprozesses spricht nach der ständigen Rechtsprechung des BFH eine Vermutung gegen deren Zwangsläufigkeit. Zum einen war in den bisher entschiedenen Fällen das dem Zivilrechtsstreit zu Grunde liegende Ereignis ("das die Zahlungsverpflichtung adäquat verursachende Ereignis") für die Beteiligten nicht unausweichlich und damit nicht zwangsläufig, sondern bewusst und gewollt herbeigeführt, in Kauf genommen oder zumindest nicht durch zumutbares Verhalten verhindert worden.
Zum anderen ist es in der Regel der freien Entscheidung der Parteien überlassen, ob sie sich zur Durchsetzung oder Abwehr eines zivilrechtlichen Anspruchs einem Prozess(kosten)risiko aussetzen (vgl. Senatsurteil vom 9. Mai 1996 III R 224/94, BFHE 181, 12, BStBl II 1996, 596, m.w.N.).
Der Grundsatz, dass Kosten eines Zivilprozesses keine außergewöhnlichen Belastungen sind, ist allerdings keine starre Regel. Die Vielfalt der prozessualen Gestaltungen erfordert vielmehr eine Berücksichtigung des jeweiligen Streitgegenstandes und der Ursachen des Streits. Zu beachten ist nach der Rechtsprechung aber stets, ob der Steuerpflichtige erkennen konnte, dass die Chancen auf einen für ihn erfolgreichen Ausgang des Rechtsstreits gering waren und ob er sein prozessuales Verhalten z.B. durch ein Anerkenntnis darauf hätte einstellen können. Lässt sich der Steuerpflichtige trotz ungewissen Ausgangs auf einen Prozess ein, liegt die Ursache für die Prozesskosten in seiner Entscheidung, das Prozessrisiko in der Hoffnung auf ein für ihn günstiges Ergebnis in Kauf zu nehmen; es entspräche nicht Sinn und Zweck des § 33 EStG, ihm die Kostenlast zu erleichtern, wenn sich das im eigenen Interesse bewusst in Kauf genommene Risiko zu seinem Nachteil realisiert hat (BFH-Urteil in BFHE 181, 12, BStBl II 1996, 596).
b) Trotz unsicherer Erfolgsaussichten kann der Steuerpflichtige aber gezwungen sein, einen Prozess zu führen, wenn die Durchführung eines Gerichtsverfahrens prozessrechtlich der einzige Weg ist, das Klageziel zu erreichen, wie z.B. bei einer Anerkennung der Staatsbürgerschaft oder einer Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft (sog. Statusverfahren, vgl. Urteil des Bundessozialgerichts vom 3. Dezember 1996 10 RKg 12/94, SozR 3-1750 § 328 Nr. 1) oder bei der Ehescheidung (vgl. BFH-Urteil vom 4. Dezember 2001 III R 31/00, BFHE 198, 94, BStBl II 2002, 382, unter II. 2., m.w.N.; BFH-Beschluss vom 17. Juni 2003 III B 55/02, BFH/NV 2003, 1324).
Auch Prozesse, in denen es um die eigene Existenzgrundlage oder um einen Kernbereich menschlichen Lebens geht --z.B. das Erstreiten des Umgangsrechts mit den eigenen Kindern (vgl. BFH-Urteil in BFHE 198, 94, BStBl II 2002, 382, m.w.N.)--, können nach der Rechtsprechung trotz unsicheren Ausgangs zwangsläufig sein (BFH-Urteil in BFHE 181, 12, BStBl II 1996, 596).
2. Die Kosten eines sog. Vaterschaftsprozesses können nach diesen Grundsätzen für den --vermeintlichen-- Vater zwangsläufige Aufwendungen und damit als außergewöhnliche Belastung i.S. des § 33 EStG steuerlich abziehbar sein.
a) Gemäß § 1592, § 1600d Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) wird die Vaterschaft, wenn die Mutter nicht verheiratet ist, durch Anerkennung oder gerichtliche Entscheidung mit Wirkung für und gegen alle festgestellt. Gemäß § 1600d Abs. 2 BGB wird als Vater vermutet, wer der Mutter während der Empfängniszeit beigewohnt hat. Die Vermutung gilt nicht, wenn schwerwiegende Zweifel an der Vaterschaft bestehen. Gemäß § 1600e Abs. 1 BGB ist auf Klage des Mannes gegen das Kind oder auf Klage der Mutter oder des Kindes gegen den Mann eine --nicht anerkannte-- Vaterschaft gerichtlich festzustellen. Gemäß § 1595 und § 1596 Abs. 2 BGB ist zur Anerkennung der Vaterschaft die Zustimmung der Mutter oder, falls ihr insoweit die elterliche Sorge nicht zusteht, des gesetzlichen Vertreters des Kindes unter Beachtung der Formvorschrift des § 1597 BGB erforderlich.
b) Der Senat braucht nicht darüber zu entscheiden, ob ein gerichtliches Verfahren, das der (biologische) Vater zur Feststellung seiner Vaterschaft betreibt oder mit dem er die Vaterschaft des (rechtlichen) Vaters anficht (vgl. dazu Beschluss des Bundesverfassungsgerichts --BVerfG-- vom 9. April 2003 1 BvR 1493/96 und 1 BvR 1724/01, BGBl I 2003, 737, Neue Juristische Wochenschrift --NJW-- 2003, 2151), als Statusverfahren zu den Prozessen gehört, die unabhängig von ihrer Erfolgsaussicht stets als zwangsläufig anzusehen sind, weil der Mann die Anerkennung seiner Vaterschaft ohne Zustimmung des Kindes bzw. seines gesetzlichen Vertreters nur durch ein gerichtliches Verfahren erreichen kann und die Feststellung der Abstammung zu der verfassungsrechtlich (Art. 6 Abs. 2 Satz 1 des Grundgesetzes --GG--) geschützten Rechtsposition des biologischen Vaters gehört.
c) Betreibt --wie im Streitfall-- das Kind die gerichtliche Vaterschaftsfeststellung mit dem Ziel der Verurteilung des Vaters zur Zahlung des Regelunterhalts, so ist die prozessrechtliche Situation des beklagten Steuerpflichtigen grundsätzlich nicht anders als in sonstigen Zivilprozessen, bei denen --neben dem Prozessgegenstand-- den Erfolgsaussichten entscheidende Bedeutung zukommt. Daher hat der als Vater Beklagte nur dann Anspruch auf steuerliche Entlastung, wenn er ernsthafte Zweifel an seiner Vaterschaft substantiiert dargelegt sowie schlüssige Beweise angeboten hat und wenn sein Verteidigungsvorbringen bei objektiver Betrachtung Erfolg versprechend erschien (vgl. BFH in BFHE 181, 12, BStBl II 1996, 596).
Solche ernsthaften Zweifel sind nicht dargelegt, wenn der Beklagte nur in Frage stellt, der einzige Geschlechtspartner der Mutter gewesen zu sein. Insoweit sind die Grundsätze der Rechtsprechung der Zivilgerichte zur hinreichenden Erfolgsaussicht eines Antrags auf Prozesskostenhilfe in Vaterschaftssachen entsprechend heranzuziehen (vgl. Oberlandesgericht --OLG-- Karlsruhe, Beschluss vom 22. Juli 1997 2 W 1/97, Zeitschrift für das gesamte Familienrecht --FamRZ-- 1998, 484; OLG Köln, Beschluss vom 20. Januar 2003 14 WF 195/02, FamRZ 2003, 1018).
Ist der Nachweis der Vaterschaft im Verlauf des Prozesses mit hinreichender Wahrscheinlichkeit --etwa durch ein Sachverständigengutachten-- geführt, sind Prozesskosten, die auf einer Fortsetzung des Prozesses beruhen, nicht mehr zwangsläufig i.S. des § 33 Abs. 1 und 2 EStG.
d) Entgegen der Auffassung des Klägers ist das von einem Kind eingeleitete Vaterschaftsfeststellungsverfahren nicht mit Prozessen vergleichbar, die stets als zwangsläufig angesehen werden, weil es um die Existenzgrundlage oder um Kernbereiche des menschlichen Lebens geht. Zwar hat die Vaterschaftsfeststellung weitreichende Auswirkungen nicht nur in finanzieller, sondern insbesondere auch in personenstandsrechtlicher und erbrechtlicher Hinsicht. Gleichwohl berührt die Feststellung oder Nichtfeststellung der Vaterschaft nicht unmittelbar die Existenz des Klägers und seine elementaren Lebensbedürfnisse. Denn auch bei weitestgehenden Unterhaltsansprüchen eines Kindes nach § 1603 Abs. 2 BGB bleibt dem Elternteil zumindest der Betrag, der zur Existenz unbedingt erforderlich ist (sog. notwendiger Selbstbehalt, vgl. Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch --MünchKomm--, § 1603 Rz. 75 ff.). Erbrechtliche Ansprüche berühren schon ihrer Natur nach nicht die Existenz des Vaters. Die den persönlichen Umgang betreffenden Rechte und Pflichten zwischen Vater und Kind sind zwar Folgen der Vaterschaftsfeststellung und müssen gegebenenfalls im Umgangsrechts- bzw. Sorgerechtsverfahren durchgesetzt werden. Anders als diesen Umgangsrechts- und Sorgerechtsverfahren, die darauf zielen, bestehende Elternrechte und -pflichten wahrnehmen zu können, berührt ein zur Abwehr der Vaterschaftsfeststellung geführter Prozess nicht einen Kernbereich des Lebens des Vaters.
3. Das FG hat im Ergebnis zu Recht die gesamten Prozesskosten des Vaterschaftsfeststellungsverfahrens nicht als außergewöhnliche Belastung nach § 33 Abs. 1 und 2 EStG berücksichtigt.
In Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Rechtsprechung hat es die Prozesskosten als nicht zwangsläufig beurteilt, weil es dem Kläger zuzumuten gewesen sei, dem Prozesskostenrisiko durch Anerkenntnis der Vaterschaft auszuweichen.
Es hat --vom Kläger im Revisionsverfahren unbeanstandet und damit für den Senat bindend-- festgestellt, der Kläger habe im Verfahren vor dem Amtsgericht --ohne Erläuterung und Beweisantritt-- behauptet, seine Beziehung zur Kindesmutter habe nur drei Monate gedauert und es sei in der gesetzlichen Empfängniszeit zu keinerlei persönlichem Kontakt mit der Kindesmutter gekommen. Im Übrigen habe der Kläger die von ihm als begründet bezeichneten Zweifel an seiner Vaterschaft lediglich darauf gestützt, die Mutter des Kindes habe einen "freizügigen Lebenswandel" geführt. Es ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden, dass das FG diese unbewiesenen Behauptungen --entsprechend der zivilrechtlichen Rechtsprechung (OLG Karlsruhe in FamRZ 1998, 484; OLG Köln in FamRZ 2003, 1018)-- nicht als ausreichend angesehen hat, die Durchführung des Vaterschaftsprozesses für den Kläger als unausweichlich i.S. des § 33 EStG zu beurteilen. Allein die --unsubstantiierte-- Vermutung des Mehrverkehrs der Kindesmutter hat die Entscheidungsfreiheit des Klägers, den Prozess durch Anerkenntnis zu beenden, nicht derart einschränken können, dass ihm eine Abwägung des Für und Wider der Prozessführung nicht möglich gewesen wäre. Vielmehr hat der Kläger das Prozesskostenrisiko trotz der geringeren Erfolgsaussicht im Hinblick auf die bei günstigem Prozessausgang erwarteten Vorteile bewusst in Kauf genommen.
Ende der Entscheidung
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