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Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 18.12.2003
Aktenzeichen: III R 31/03
Rechtsgebiete: EStG


Vorschriften:

EStG § 33
EStG § 33b
1. Als außergewöhnliche Belastung geltend gemachte, einzeln nachgewiesene Kosten schwer geh- und stehbehinderter Steuerpflichtiger sind nur angemessen i.S. des § 33 Abs. 2 Satz 1 EStG, soweit sie die in den EStR und LStR für die Berücksichtigung von Kfz-Kosten als Werbungskosten und Betriebsausgaben festgesetzten Pauschbeträge nicht übersteigen.

2. Decken die Pauschbeträge wegen der nur geringen Jahreskilometerleistung nicht die tatsächlichen Aufwendungen, kann der behinderte Steuerpflichtige an Stelle der Pauschbeträge die Kosten, die ihm für Fahrten mit einem --behindertengerechten-- öffentlichen Verkehrsmittel, ggf. auch mit einem Taxi, entstanden sind, als außergewöhnliche Belastung geltend machen.


Gründe:

I.

Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) sind verheiratet und wurden im Streitjahr 2001 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Der Kläger ist zu 100 % schwerbehindert und außergewöhnlich gehbehindert (Merkmale "a.G." und "H.").

In der Einkommensteuererklärung für 2001 machten die Kläger Kfz-Kosten in Höhe von 8 146 DM als außergewöhnliche Belastung nach § 33 des Einkommensteuergesetzes (EStG) geltend. Im Einzelnen setzten sich die Kosten wie folgt zusammen:

Anschaffungskosten im Jahr 1997 42 500 DM Davon Absetzung für Abnutzung 1/10| 4 250 DM Garagenmiete|720 DM Haftpflichtversicherung (HUK)|353 DM Kasko-Versicherung (HUK)|694 DM Beitrag zum Autoklub Europa (ACE)|184 DM Kraftstoffe|918 DM Kosten für Reparatur und Wartung|1 027 DM Gesamtkosten|8 146 DM

Bezogen auf die Fahrleistung im Streitjahr von 3 601 km ergaben sich daraus Kosten in Höhe von 2,26 DM pro Kilometer.

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) berücksichtigte die Kfz-Kosten nur in Höhe von 2 089 DM, weil ein höherer Ansatz als der Kilometer-Pauschbetrag mit 0,58 DM/km unangemessen sei. Nach Abrechnung der zumutbaren Belastung gemäß § 33 Abs. 3 EStG verbleibe kein nach § 33 Abs. 1 EStG abziehbarer Betrag.

Der Einspruch der Kläger gegen den Einkommensteuerbescheid für 2001 blieb insoweit erfolglos.

Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt. Das Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte 2003, 1166 veröffentlicht.

Mit der Revision rügt das FA die Verletzung des § 33 EStG.

Das FA beantragt, unter Aufhebung der Vorentscheidung die Klage abzuweisen.

Die Kläger beantragen, die Revision zurückzuweisen.

II.

Die Revision des FA ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Abweisung der Klage als unbegründet (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).

1. Erwachsen einem Steuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisse und gleichen Familienstands (außergewöhnliche Belastung), so sind die Aufwendungen, soweit sie die zumutbare Belastung übersteigen und nicht zu den Betriebsausgaben, Werbungskosten oder Sonderausgaben gehören, auf Antrag vom Gesamtbetrag der Einkünfte abzuziehen (§ 33 Abs. 1, Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 EStG). Aufwendungen erwachsen dem Steuerpflichtigen zwangsläufig, wenn er sich ihnen aus rechtlichen, tatsächlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann und soweit die Aufwendungen den Umständen nach notwendig sind und einen angemessenen Betrag nicht übersteigen (§ 33 Abs. 2 Satz 1 EStG).

a) Nach ständiger Rechtsprechung können Steuerpflichtige, die so gehbehindert sind, dass sie sich außerhalb des Hauses nur mit Hilfe eines Kfz bewegen können, grundsätzlich alle Kfz-Kosten, soweit sie nicht Werbungskosten oder Betriebsausgaben sind, neben den Pauschbeträgen für Körperbehinderte (§ 33b EStG) als außergewöhnliche Belastung geltend machen, also nicht nur die Kosten für unvermeidbare Fahrten zur Erledigung privater Angelegenheiten, sondern in angemessenem Rahmen auch die Kosten für Erholungs-, Freizeit- und Besuchsfahrten. Angemessen sind nach der Rechtsprechung des Senats nur Aufwendungen für Fahrten bis zu 15 000 km im Jahr und nur bis zur Höhe der Kilometerpauschbeträge, die in den Einkommensteuer-Richtlinien (EStR) und Lohnsteuer-Richtlinien (LStR) für den Abzug von Kfz-Kosten als Werbungskosten oder Betriebsausgaben festgelegt sind --im Streitjahr 0,58 DM-- (z.B. Senatsurteile vom 22. Oktober 1996 III R 203/94, BFHE 182, 44, BStBl II 1997, 384, und vom 13. Dezember 2001 III R 40/99, BFHE 197, 462, BStBl II 2002, 224).

Im Urteil in BFHE 182, 44, BStBl II 1997, 384 hat der Senat die Begrenzung der zu berücksichtigenden Kfz-Kosten durch die in den EStR bzw. LStR enthaltenen Pauschsätze nicht nur für zulässig, sondern für grundsätzlich geboten erachtet. Denn es lasse sich kein überzeugender Grund dafür finden, warum die zwangsläufigen Kfz-Aufwendungen eines körperbehinderten Steuerpflichtigen je gefahrenem Kilometer höher sein sollten als die der großen Mehrzahl der Steuerpflichtigen im Durchschnitt tatsächlich entstehenden Kosten und warum im Rahmen des Angemessenen ein höherer Aufwand steuerlich zu berücksichtigen sein solle als bei der Mehrzahl der Steuerpflichtigen, die ihre Kfz-Aufwendungen nur in Höhe der Pauschsätze steuerlich geltend machten.

b) Allerdings hat der Senat bei außergewöhnlichen Umständen einen höheren Abzug für möglich gehalten, z.B. wenn ein Steuerpflichtiger wegen seiner Behinderung nur eine wesentlich unter der allgemein üblichen, bei der Berechnung der Pauschsätze zu Grunde gelegten Fahrleistung erbringt und deshalb pro gefahrenem Kilometer relativ hohe Aufwendungen zu tragen hat.

In den Entscheidungen vom 26. März 1997 III R 71/96 (BFHE 183, 98, BStBl II 1997, 538) und in BFHE 197, 462, BStBl II 2002, 224 hat der Senat offen gelassen, ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen ein solcher Ausnahmefall anzunehmen ist. Auch eine jährliche Fahrleistung von weniger als der Hälfte der den Pauschsätzen zu Grunde liegenden Jahresleistung von 15 000 km sei kein Grund, stets den Abzug der tatsächlichen Kosten zuzulassen. Eine Ausnahme von der Begrenzung der Kosten auf die Pauschbeträge sei nur in ganz extremen Fällen in Betracht zu ziehen. Die Beschränkung auf krasse Ausnahmefälle sei nicht nur gerechtfertigt aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung, wegen der Schwierigkeiten der Ermittlung der konkreten tatsächlichen Kosten in jedem Einzelfall, der Gewährleistung einer gleichmäßigen Besteuerung und der Vermeidung einer unverhältnismäßigen Berücksichtigung von grundsätzlich der Privatsphäre zuzurechnenden Aufwendungen, sondern zusätzlich aus der Überlegung, dass die Fahrtkosten neben dem Behinderten-Pauschbetrag und weiteren wegen der Behinderung gewährten Zuschüssen angesetzt würden, und zwar ohne jede Begrenzung auf die allein behinderungsbedingten Mehraufwendungen (Senatsurteil in BFHE 197, 462, BStBl II 2002, 224, m.w.N.)

2. Die Wertung des FG, dass die geringe jährliche Fahrleistung des Klägers von 3 146 km einen solchen krassen Ausnahmefall darstelle, der die Berücksichtigung der tatsächlichen Kfz-Aufwendungen in der von den Klägern nachgewiesenen Höhe (8 146 DM) statt des aufgrund der Pauschbeträge ermittelten (2 089 DM) Betrags rechtfertige, verstößt gegen § 33 Abs. 2 Satz 1 letzter Halbsatz EStG. Der von den Klägern geltend gemachte Kfz-Aufwand übersteigt den angemessenen Betrag im Sinne dieser Vorschrift.

Nach Auffassung des Senats sind auch bei sehr geringen jährlichen Fahrleistungen grundsätzlich nur die pauschal ermittelten und nicht die tatsächlich angefallenen höheren Kosten als außergewöhnliche Belastung abzuziehen.

Die gesellschaftlichen Verhältnisse haben sich seit Begründung der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) zum Abzug von Kfz-Aufwendungen gewandelt. Mittlerweile halten die meisten Einkommensbezieher, auch die weniger verdienenden, ein privates Kfz und tragen die Aufwendungen dafür aus versteuertem Einkommen. Da bei schwer Gehbehinderten sämtliche Kfz-Kosten bis zu einer Fahrleistung von 15 000 km, soweit sie nicht Werbungskosten oder Betriebsausgaben darstellen, als außergewöhnliche Belastung anzuerkennen sind, werden bei diesem Personenkreis Fahrtaufwendungen steuermindernd berücksichtigt, die Nichtbehinderten ebenfalls entstehen, ohne sich aber steuerlich auszuwirken. Angesichts dieser sehr großzügigen Berücksichtigung von Kfz-Kosten schwer Gehbehinderter hält der Senat eine Berücksichtigung höherer Aufwendungen, als sie sich bei Anwendung der Pauschbeträge ergeben, grundsätzlich nicht für gerechtfertigt.

Zwar decken die Kilometerpauschbeträge bei geringer jährlicher Fahrleistung nicht mehr die tatsächlichen Kosten der Kfz-Nutzung. Aus der gesetzlichen Begrenzung der abziehbaren Kfz-Aufwendungen auf einen angemessenen Betrag (§ 33 Abs. 2 Satz 1 EStG) folgt jedoch, dass auch der schwer Geh- und Stehbehinderte grundsätzlich keinen Anspruch darauf hat, für seine Fortbewegung außerhalb des Hauses stets die tatsächlich entstandenen Kosten für die Benutzung eines privaten Kfz als außergewöhnliche Belastung abzuziehen. Decken die Pauschbeträge wegen nur geringer Jahreskilometerleistung nicht die tatsächlich angefallenen Aufwendungen für die Benutzung und den Unterhalt des privaten Kfz, kann der Steuerpflichtige aber an Stelle der Pauschbeträge die ihm für die Inanspruchnahme eines --behinderungsgerechten-- öffentlichen Verkehrsmittels, gegebenenfalls auch eines Taxis, entstandenen Aufwendungen als außergewöhnliche Belastung geltend machen.

Der Senat verkennt nicht, dass als Folge dieser Rechtsprechung in der Gruppe der schwer Geh- und Stehbehinderten Steuerpflichtige, die in ihrer Mobilität weniger behindert sind und deshalb größere Fahrtstrecken zurücklegen, steuerlich besser gestellt werden als diejenigen, die auf Grund ihrer Behinderung das Haus kaum noch verlassen können. Abgesehen davon, dass derartige Einschränkungen in der Einzelfallgerechtigkeit im Interesse der mit der Typisierung verfolgten Praktikabilität der Normanwendung hinzunehmen sind (vgl. Senatsurteil in BFHE 183, 98, BStBl II 1997, 538), werden die von der Behinderung stärker Beeinträchtigten aber nicht gesetzwidrig benachteiligt. Denn mit der Berücksichtigung privater Fahrkosten nach § 33 Abs. 1 EStG neben dem Behinderten-Pauschbetrag und ggf. weiterer wegen der Behinderung gewährter Zuschüsse (vgl. Senatsurteil vom 4. Juli 2002 III R 58/98, BFHE 199, 400, BStBl II 2002, 765) ohne jede Begrenzung auf die allein behinderungsbedingten Mehraufwendungen (Senatsurteil in BFHE 197, 462, BStBl II 2002, 224) verfährt die Rechtsprechung im Grundsatz großzügig (Senatsurteil vom 2. Oktober 1992 III R 63/91, BFHE 169, 427, BStBl II 1993, 286). Die Kritik daran hat der Senat bereits mit Urteil vom 15. November 1991 III R 30/88 (BFHE 166, 159, BStBl II 1992, 179) zurückgewiesen (vgl. auch Beschluss vom 21. Dezember 2001 III B 130/01, nicht veröffentlicht --juris--).

Werden mobilere Behinderte durch die Typisierung in relativ größerem Umfang als die Kläger begünstigt, so können sich die Kläger auf eine Gleichbehandlung jenseits ihres gesetzlichen Anspruchs nicht berufen (vgl. BFH-Urteil vom 15. Januar 1986 II R 141/83, BFHE 145, 453, BStBl II 1986, 418, letzter Absatz der Gründe; Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 7. August 1985 1 BvR 707/85, Deutsche Steuer-Zeitung/Eildienst 1985, 277; vgl. auch BFH-Beschluss vom 18. Oktober 1999 GrS 2/98, BFHE 189, 465, BStBl II 2000, 123, zur Ausdehnung einer langjährigen begünstigenden Rechtspraxis).

Ende der Entscheidung

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