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Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 07.09.2000
Aktenzeichen: III R 39/98
Rechtsgebiete: AO 1977, InvZulG 1991


Vorschriften:

AO 1977 § 19 Abs. 1
AO 1977 § 19 Abs. 3
AO 1977 § 25
InvZulG 1991 § 6 Abs. 1
InvZulG 1991 § 6 Abs. 2
BUNDESFINANZHOF

Sind nach den Regelungen der AO 1977 in einer Großstadtgemeinde (z.B. Berlin) mehrere FÄ für die Besteuerung nach dem Einkommen zuständig, kann der Antrag auf Gewährung von Investitionszulage fristwahrend bei jedem dieser FÄ gestellt werden.

AO 1977 § 19 Abs. 1 und 3, § 25 InvZulG 1991 § 6 Abs. 1 und 2

Urteil vom 7. September 2000 - III R 39/98 -

Vorinstanz: FG Berlin


Gründe

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) betreibt seit Juli 1991 im Bezirk des Finanzamts (FA) W eine Arztpraxis; zuvor war sie nichtselbständig tätig. Ihr Ehemann ist selbständiger Zahnarzt; seine Praxis liegt im Zuständigkeitsbereich des Beklagten und Revisionsbeklagten (FA), des vormaligen FA T.

Die Eheleute wurden im streitigen Zeitraum (1991 und 1992) und auch schon früher bei dem beklagten FA zur Einkommensteuer veranlagt. Das FA W führt seit 1991 für die Einkünfte der Klägerin aus deren freiberuflicher Tätigkeit gesonderte Feststellungen nach § 180 Abs. 1 Nr. 2 b der Abgabenordnung (AO 1977) durch. Es gewährte der Klägerin für die im Jahre 1991 getätigten Anschaffungen mit Bescheid vom 12. Oktober 1992 eine Investitionszulage, die diese dort beantragt hatte.

Für das Kalenderjahr 1992 beantragte die Klägerin wiederum bei dem FA W eine Investitionszulage für die in diesem Jahr getätigten Anschaffungen. Der Antrag ging bei dem FA W am 24. September 1993 ein und wurde mit Schreiben vom 10. November 1993 (zuständigkeitshalber) an das FA T weitergeleitet. Mit Bescheid vom 6. Januar 1994 lehnte das FA den Antrag wegen verspäteten Eingangs beim zuständigen FA ab.

Einspruch und Klage hatten keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) führte zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen aus: Das beklagte FA habe zu Recht angenommen, dass es für die Gewährung der Investitionszulage zuständig sei. Dies folge aus § 6 des Investitionszulagengesetzes (InvZulG) 1991. Danach sei allein das FA zuständig, bei dem die Besteuerung nach dem Einkommen durchgeführt werde. Die Klägerin werde seit 1984 (zusammen mit ihrem Ehemann) vom FA T bzw. (später) von dem beklagten FA zur Einkommensteuer veranlagt. Daran habe sich durch die Aufnahme der freiberuflichen Tätigkeit der Klägerin im Jahre 1991 nichts geändert. Dies werde auch von der Klägerin nicht in Abrede gestellt.

Eine hiervon abweichende Zuständigkeit des FA W komme nicht in Betracht, da es an der hierfür erforderlichen gesonderten und einheitlichen Feststellung fehle. Auch die Annahme der Klägerin, es habe gemäß § 25 AO 1977 eine Doppelzuständigkeit bestanden, so dass auch das FA W zuständig gewesen sei, entbehre jeder Grundlage. § 6 InvZulG 1991 lasse für eine Doppelzuständigkeit keinen Raum. Zuständig sei danach nur ein FA, das für die Besteuerung nach dem Einkommen oder das für die gesonderte und einheitliche Feststellung zuständige Amt. Hier komme nur Ersteres in Betracht. Auch hinsichtlich der Besteuerung nach dem Einkommen habe keine Doppelzuständigkeit bestanden. Das FA T (später das beklagte FA) sei insoweit seit Jahren gemäß § 19 Abs. 3 AO 1977 allein für die Besteuerung der Klägerin und ihres Ehemannes zuständig gewesen. Erziele jemand in einem FA-Bezirk Einkünfte der in § 19 Abs. 3 AO 1977 genannten Art, so bleibe das einmal zuständige FA auch dann zuständig, wenn zusätzlich entsprechende Einkünfte in einem anderen FA-Bezirk erzielt würden. Es trete weder ein Zuständigkeitswechsel noch eine Kumulation von Zuständigkeiten ein; für die gegenteilige Auffassung gäben der Gesetzestext und der Sinngehalt der Regelungen in den §§ 18 ff. AO 1977 keinen Anhalt. Die abstrakte Regelung des § 25 AO 1977 bei mehrfacher Zuständigkeit greife dann nicht, wenn ein FA einmal konkret zuständig geworden sei. Das FA, in dessen Bezirk zusätzlich Einkünfte erzielt werden, werde ausschließlich für die gesonderte Feststellung dieser Einkünfte zuständig; im Übrigen verbleibe es bei der bisherigen Zuständigkeit.

Mit ihrer Revision rügt die Klägerin die Verletzung materiellen Rechts. Sie ist der Auffassung, die Entscheidung des FG beruhe auf einer fehlerhaften Auslegung des § 19 Abs. 3 AO 1977 sowie des § 6 Abs. 2 Satz 1 InvZulG 1991. Die Zuständigkeit für die Besteuerung nach dem Einkommen ergebe sich hier aus § 19 Abs. 3 und Abs. 4 AO 1977. Danach habe zum Zeitpunkt der Stellung des Investitionszulagenantrags eine örtliche Zuständigkeit für die Einkommensbesteuerung sowohl beim FA W als auch beim FA T bestanden. Dass die Voraussetzungen des § 19 Abs. 3 AO 1977 wegen der beruflichen Tätigkeit des Ehemannes bereits beim FA T vorlagen, habe die Zuständigkeit ihres, der Klägerin, "Berufs-Finanzamts" W nicht beseitigt. Beide Zuständigkeiten stünden nebeneinander. Das FG gehe in seiner Entscheidung davon aus, dass die Zuständigkeit nach § 6 InvZulG 1991 bei dem FA liege, bei dem die Besteuerung nach dem Einkommen durchgeführt werde. Das entspreche nicht dem Wortlaut dieser Vorschrift. § 6 InvZulG 1991 verpflichte den Antragsteller, den Antrag bei dem für ihn für die Besteuerung nach dem Einkommen zuständigen FA zu stellen. Im Streitfall hätte das FA W bei Antragseingang prüfen müssen, ob es für ihre, der Klägerin, Besteuerung nach dem Einkommen zuständig sei. Dabei hätte es die eigene Zuständigkeit aufgrund von § 19 Abs. 3 AO 1977 bejahen müssen; die spätere Abgabe des Antrags an das ebenfalls zuständige FA T hätte dann für die Rechtzeitigkeit der Antragstellung keine Bedeutung mehr gehabt.

Die Klägerin beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Das FG hat zu Unrecht einen Anspruch der Klägerin auf Gewährung der Zulage wegen nicht fristgerechter Antragstellung verneint.

1. Nach § 6 Abs. 1 InvZulG 1991 ist der Antrag auf Investitionszulage bis zum 30. September des Kalenderjahres zu stellen, das auf das Wirtschaftsjahr folgt, in dem die Investitionen abgeschlossen worden sind. Der Antrag ist bei dem für die Besteuerung des Anspruchsberechtigten nach dem Einkommen zuständigen FA zu stellen (§ 6 Abs. 2 Satz 1 InvZulG 1991). Ist eine Gesellschaft i.S. des § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) Anspruchsberechtigter, so ist der Antrag bei dem FA zu stellen, das für die einheitliche und gesonderte Feststellung der Einkünfte zuständig ist (§ 6 Abs. 2 Satz 2 InvZulG 1991).

Für die Besteuerung natürlicher Personen nach dem Einkommen und Vermögen ist das FA zuständig, in dessen Bezirk der Steuerpflichtige seinen Wohnsitz oder in Ermangelung eines Wohnsitzes seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat (§ 19 Abs. 1 Satz 1 AO 1977). Eine Ausnahmeregelung für Großstädte, deren Gebiet auf mehrere FÄ aufgeteilt ist, trifft § 19 Abs. 3 Satz 1 AO 1977: Übt ein Steuerpflichtiger mit Einkünften aus Land- und Forstwirtschaft, Gewerbebetrieb oder --wie im Streitfall-- aus freiberuflicher Tätigkeit diese Tätigkeit innerhalb der Wohnsitzgemeinde, aber im Bezirk eines anderen FA als dem des Wohnsitz-FA aus, wird die örtliche Zuständigkeit für die Besteuerung nach dem Einkommen und Vermögen auf das Lage- oder Betriebs- bzw. Tätigkeits-FA verlagert, um im Sinne einer Verwaltungsvereinfachung die sonst nach § 180 i.V.m. § 18 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 AO 1977 erforderlichen gesonderten Feststellungen zu vermeiden (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 10. Juni 1999 IV R 69/98, BFHE 189, 8, BStBl II 1999, 691, m.w.N.). Zutreffend geht die Klägerin daher davon aus, dass das FA W, bei dem der Zulagenantrag fristgerecht eingegangen ist, für die Steuer vom Einkommen und Vermögen und somit auch für die Gewährung der Investitionszulage zuständig sein kann.

Im Streitfall ergibt sich eine weitere örtliche Zuständigkeit für die Einkommensbesteuerung der Klägerin daraus, dass der mit ihr zusammen zur Einkommensteuer zu veranlagende Ehemann ebenfalls Einkünfte aus einer freiberuflichen Tätigkeit hat, und zwar aus einer Arztpraxis, die im Zuständigkeitsbereich des FA, des vormaligen FA T, liegt, und dieses als Wohnsitz-FA nach § 19 Abs. 1 AO 1977 zugleich die Einkommensbesteuerung durchzuführen hat. Die beiden vorgenannten FÄ sind danach kumulativ zuständig, so dass ein Fall der Mehrfachzuständigkeit gegeben ist. In diesen Fällen weist § 25 AO 1977 die örtliche Zuständigkeit und damit die Entscheidungskompetenz über den Investitionszulagenanspruch grundsätzlich dem FA zu, das zuerst mit der Sache befasst worden ist, wenn --wie im Streitfall-- weder eine abweichende Vereinbarung zwischen den betreffenden FÄ noch eine anderweitige Anordnung der fachlich zuständigen Aufsichtsbehörde erfolgt ist.

Daraus folgt jedoch nicht, dass der Antrag fristwahrend nur bei dem hiernach zuständig gewordenen FA gestellt werden kann. Denn durch die Zuweisung der Zuständigkeit nach § 25 AO 1977 wird die Zuständigkeit der übrigen Finanzbehörden nicht beseitigt.

§ 6 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 InvZulG 1991 macht die Gewährung der Zulage u.a. davon abhängig, dass diese rechtzeitig bei dem für die Besteuerung nach dem Einkommen zuständigen FA gestellt sein muss. Ergeben sich --wie im Streitfall-- aufgrund gesetzlicher Vorschriften mehrere örtliche Zuständigkeiten für die Besteuerung nach dem Einkommen, kann der Antragsteller frei wählen, bei welchen der abstrakt zuständigen FÄ er den Antrag einreicht. Diese Auslegung ist sachgerecht, denn die Vorschrift des § 6 InvZulG 1991 und der in den dort genannten strengen formellen Voraussetzungen zum Ausdruck kommende Sinn und Zweck, eine zügige und zuverlässige Zulagengewährung sicherzustellen (BFH-Urteil vom 16. Juli 1997 III R 266/94, BFHE 184, 142, BStBl II 1998, 31), verlangen schon aus Gründen der Praktikabilität und zum Schutz des Antragstellers eine derartige Auslegung, damit Unsicherheiten vermieden werden, die dann auftreten, wenn bei Antragstellung noch keines der örtlich zuständigen FÄ mit der Einkommensbesteuerung befasst ist. Eine fristwahrende Antragstellung könnte anderenfalls von Zufälligkeiten abhängen.

2. Die Sache ist nicht spruchreif. Sie geht nach § 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO an die Vorinstanz zurück, da das FG von seinem abweichenden Rechtsstandpunkt ausgehend zu weiteren Voraussetzungen der Investitionszulage keine Feststellungen getroffen hat.

Ende der Entscheidung

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