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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 24.01.2002
Aktenzeichen: III R 49/00
Rechtsgebiete: AO 1977, EStG


Vorschriften:

AO 1977 § 351 Abs. 1
EStG § 26
EStG § 26a
EStG § 26b
Sagt das FA in der mündlichen Verhandlung im Wege tatsächlicher Verständigung zu, die angefochtenen Einkommensteuerbescheide unter Ansatz geringerer gewerblicher Einkünfte zu ändern und wird daraufhin übereinstimmend der Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt, hindert dies die Kläger nicht, bis zur formellen Bestandskraft der Änderungsbescheide statt der bisherigen Zusammenveranlagung die getrennte Veranlagung zu wählen.
Gründe:

I.

Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) wurden für die Kalenderjahre 1984 bis 1989 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Gegen die für die Streitjahre erlassenen geänderten Steuerbescheide vom 10. November 1992 erhoben sie nach erfolglosem Einspruch aus nicht mehr streitigen Gründen Klage. In der mündlichen Verhandlung vom 1. Oktober 1996 verpflichtete sich der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--), die angefochtenen Steuerbescheide zu ändern und geringere Einkünfte aus Gewerbebetrieb anzusetzen. Die Beteiligten erklärten daraufhin den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt. Am 18. Februar 1997 erließ das FA die zugesagten Änderungsbescheide.

Am 5. März 1997 beantragten die Kläger beim FA, für die Streitjahre getrennte Veranlagungen durchzuführen. Diesen Antrag lehnte das FA ab. Auf die nach erfolglosem Einspruch erhobene Klage hob das Finanzgericht (FG) die angefochtenen Einkommensteuerbescheide auf und verpflichtete das FA, die Einkommensteuer für die Streitjahre unter Berücksichtigung der bisherigen Besteuerungsgrundlagen nach Maßgabe der §§ 26, 26a des Einkommensteuergesetzes (EStG) festzusetzen. Das Urteil des FG ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2000, 1252 abgedruckt.

Mit seiner Revision rügt das FA eine Verletzung des § 26 EStG. Zwar ergebe sich aus dem Gesetz selbst keine zeitliche Befristung oder Einschränkung der Wahl der Veranlagungsart. Nach der Finanzrechtsprechung und der Literatur sei eine Änderung der Wahl jedoch nur im außergerichtlichen Rechtsbehelfsverfahren und im finanzgerichtlichen Verfahren bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung, aber nicht mehr im Revisionsverfahren möglich.

Würden bei der mündlichen Verhandlung übereinstimmende Erledigungserklärungen abgegeben, werde hierdurch das Klageverfahren formell erledigt. Sei der Rechtsstreit in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt worden, so sei ein neuer Einspruch gegen den Änderungsbescheid, der der Änderungszusage entspreche, unzulässig. Daraus ergebe sich, dass die bei der mündlichen Verhandlung zugesagten Änderungsbescheide Gegenstand des Klageverfahrens geworden seien. Hiergegen könne nur noch eingewendet werden, dass die festgesetzten Steuerbeträge nicht dem in der mündlichen Verhandlung Vereinbarten entsprächen. In diesem Fall hätten die Kläger aber nach dem Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 29. Oktober 1987 X R 1/80 (BFHE 151, 118, BStBl II 1988, 121) den Rechtsstreit mit dem Antrag fortsetzen müssen, das FA zum Erlass der entsprechenden Änderungsbescheide zu verpflichten.

Das FA beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Kläger beantragen, die Revision zurückzuweisen.

II.

Die Revision ist unbegründet. Zu Recht ist das FG davon ausgegangen, dass die Kläger einen Anspruch auf getrennte Veranlagung hinsichtlich der Streitjahre haben.

1. Nach § 26 EStG können Ehegatten unter den weiteren Voraussetzungen dieser Vorschrift zwischen getrennter Veranlagung (§ 26a EStG) und Zusammenveranlagung (§ 26b EStG) wählen. Nach ständiger Rechtsprechung des BFH können sie dieses Wahlrecht bis zur Unanfechtbarkeit eines Berichtigungs- oder Änderungsbescheides ausüben und die einmal getroffene Wahl innerhalb dieser Frist --vorbehaltlich rechtsmissbräuchlichen oder willkürlichen Verhaltens-- frei widerrufen (BFH-Urteil vom 19. Mai 1999 XI R 97/94, BFHE 189, 63, BStBl II 1999, 762, m.w.N.). Die Kläger haben ihren Antrag auf getrennte Veranlagung am 5. März 1997 gestellt, demnach vor Bestandskraft der am 18. Februar 1997 ergangenen geänderten Einkommensteuerbescheide für die Streitjahre.

2. Die in der mündlichen Verhandlung vor dem FG am 1. Oktober 1996 abgegebenen übereinstimmenden Erledigungserklärungen der Kläger und des FA stehen dem Antrag auf getrennte Veranlagung nicht entgegen. Zwar endete mit der Abgabe der übereinstimmenden Erledigungserklärungen die Rechtshängigkeit der Hauptsache und die ursprünglichen Änderungsbescheide vom 10. November 1992 wurden damit bestandskräftig (BFH-Urteil vom 22. Mai 1984 VIII R 60/79, BFHE 141, 211, BStBl II 1984, 697, unter II. 1. e). Nicht erfasst von diesen Erklärungen sind indessen die Bescheide vom 18. Februar 1997, mit denen die in der mündlichen Verhandlung getroffene tatsächliche Verständigung umgesetzt wurde und die nicht Streitgegenstand dieses Prozesses waren. Die beiderseitigen Erledigungserklärungen wirken zwar unmittelbar verfahrensbeendend, die Erklärungen beziehen sich aber nur auf den ursprünglichen Gegenstand des Klagebegehrens und beschränken sich auf den Verzicht auf eine Sachentscheidung. Materiell-rechtliche Bedeutung kommt ihnen nicht zu (Brandt in Beermann, Steuerliches Verfahrensrecht, § 138 FGO Rz. 92).

3. Auch § 351 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) steht einer Änderung der Veranlagungsart nicht entgegen. Diese Vorschrift bestimmt, dass Verwaltungsakte, die unanfechtbare Verwaltungsakte ändern, nur insoweit angegriffen werden können, als die Änderung reicht. Die Einkommensteuerbescheide vom 18. Februar 1997 änderten die bestandskräftigen Einkommensteuerbescheide vom 10. November 1992. Da es sich um Änderungen zugunsten der Kläger handelte, waren die geänderten Bescheide grundsätzlich nicht mehr angreifbar. § 351 Abs. 1 AO 1977 begrenzt aber nur den Umfang der Anfechtung eines Steuerbescheides. Das Begehren auf Änderung der Veranlagungsart ist jedoch nicht als Anfechtung zu verstehen, sondern als ein auf Durchführung einer erneuten Veranlagung gerichtetes Verpflichtungsbegehren. Die im Zusammenhang mit der Änderung eines Steuerbescheides erneut ausgeübte Wahl der Veranlagungsart löst nur die Rechtsfolgen der §§ 26a bis 26c EStG aus, lässt im Übrigen aber die Besteuerungsgrundlagen unberührt (BFH-Urteil vom 25. Juni 1993 III R 32/91, BFHE 171, 407, BStBl II 1993, 824).

4. Eine Beschränkung des Wahlrechts nach § 26 EStG ist auch nicht durch die Vereinbarung der Kläger mit dem FA in der mündlichen Verhandlung vom 1. Oktober 1996 eingetreten. Zwar haben sich die Beteiligten unter diesem Datum tatsächlich darüber verständigt, den Rechtsstreit in der Weise zu erledigen, dass das FA geänderte Einkommensteuerbescheide für die Streitjahre erlässt, denen geringere gewerbliche Einkünfte zugrunde liegen als bisher geschätzt; Inhalt dieser Verständigung war aber nicht eine bestimmte Veranlagungsart.

a) In der Rechtsprechung des BFH ist die Zulässigkeit tatsächlicher Verständigungen grundsätzlich anerkannt (Urteil vom 31. Juli 1996 XI R 78/95, BFHE 181, 103, BStBl II 1996, 625). Insbesondere in Fällen erschwerter Sachverhaltsermittlung dient es der Förderung und Beschleunigung des Besteuerungsverfahrens und allgemein dem Rechtsfrieden, besondere Vereinbarungen über eine bestimmte (steuerliche) Behandlung von Sachverhalten zuzulassen. Dies gilt insbesondere in Schätzungsfällen. Derartige tatsächliche Verständigungen betreffen in der Regel (nur) einen --von beiden Beteiligten zu konkretisierenden-- Ausschnitt aus dem gesamten jeweils zu beurteilenden Besteuerungssachverhalt und dienen dem Ziel, insoweit Unsicherheiten und Ungenauigkeiten zu beseitigen. Sie sind wirksam, sofern sie nicht zu einem offensichtlich unzutreffenden Ergebnis führen (BFH-Urteil in BFHE 181, 103, BStBl II 1996, 625).

b) An einer zulässigen und wirksamen tatsächlichen Verständigung müssen sich die Beteiligten festhalten lassen. Ob dies aus dem Grundsatz von Treu und Glauben folgt, der im Steuerrecht als allgemeine Rechtsgrundlage uneingeschränkt anerkannt ist (BFH-Urteil vom 9. August 1989 I R 181/85, BFHE 158, 31, BStBl II 1989, 990), oder daraus, dass es sich um einen öffentlich-rechtlichen Vertrag handelt (so z.B. Offerhaus, Deutsches Steuerrecht 2001, 2093, m.w.N.), kann offen bleiben. Der Grundsatz von Treu und Glauben gebietet, dass im Steuerrechtsverhältnis jeder auf die berechtigten Belange des anderen Teils angemessen Rücksicht nimmt und sich mit seinem eigenen früheren Verhalten nicht in Widerspruch setzt, auf das der andere Teil vertraut und im Hinblick darauf bestimmte Dispositionen getroffen hat. Hält man die tatsächliche Verständigung für einen öffentlich-rechtlichen Vertrag, folgt die Bindung unmittelbar aufgrund der übereinstimmenden Erklärungen.

c) Eine Bindung gilt jedoch nur soweit, als die tatsächliche Verständigung reicht. Die Beteiligten sind in der mündlichen Verhandlung vom 1. Oktober 1996 übereingekommen, den Rechtsstreit in der Weise zu erledigen, dass das FA Änderungsbescheide erlassen wird, in denen geringere Einkünfte aus Gewerbebetrieb angesetzt werden. Im Hinblick auf dieses Versprechen haben die Beteiligten den Rechtstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt. Dieser Vereinbarung kann nicht entnommen werden, dass das FA die Änderung der Bescheide nur für den Fall der Zusammenveranlagung zugesagt hat. Die Beteiligten haben sich lediglich auf einen bestimmten Sachverhalt geeinigt, der den Besteuerungsgrundlagen zugrunde liegen soll, nicht dagegen darauf, dass die Kläger das Veranlagungswahlrecht in bestimmter Weise ausüben.

Ende der Entscheidung

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