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Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 15.12.2005
Aktenzeichen: III R 49/05
Rechtsgebiete: EStG, AO 1977
Vorschriften:
EStG § 10e | |
EStG § 34f | |
EStG § 26 Abs. 1 | |
EStG § 26 Abs. 2 Satz 1 | |
EStG § 26a | |
AO 1977 § 173 Abs. 1 Nr. 1 | |
AO 1977 § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 |
Gründe:
I. Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) wurde bis einschließlich 1998 mit seiner Ehefrau zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Seit 5. Februar 2000 lebte er von seiner --inzwischen geschiedenen-- Ehefrau getrennt.
In der am 21. Februar 2000 eingegangenen Einkommensteuererklärung 1999 beantragte er die getrennte Veranlagung. Die Erklärung enthielt nur die für die getrennte Veranlagung notwendigen Angaben und trug allein die Unterschrift des Klägers. Gleichwohl veranlagte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) die Eheleute zusammen. Dabei berücksichtigte das FA einen Abzugsbetrag nach § 10e des Einkommensteuergesetzes (EStG) und ermäßigte die Einkommensteuer nach § 34f EStG um 1 000 DM für ein Kind. Den an die Eheleute gerichteten Einkommensteuerbescheid 1999 vom 4. April 2000 sandte das FA an deren ehemalige gemeinsame Adresse.
Im Oktober 2000 beantragte die frühere Ehefrau des Klägers die getrennte Veranlagung für das Jahr 1999. Das FA veranlagte daraufhin auch den Kläger getrennt. Es berücksichtigte den Abzugsbetrag nach § 10e EStG in der bisherigen Höhe, nicht aber die Steuerermäßigung nach § 34f EStG. Der Einspruch des Klägers blieb erfolglos.
Das Finanzgericht (FG) hob den angefochtenen Einkommensteuerbescheid 1999 auf. Zur Begründung führte es im Wesentlichen aus, eine Änderung der bestandskräftigen Veranlagung des Klägers komme weder nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 noch nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) in Betracht, da nachträglich keine neue Tatsache bekannt geworden und auch kein rückwirkendes Ereignis eingetreten sei. In der Einkommensteuererklärung 1999 habe der Kläger die getrennte Veranlagung gewählt und alle dafür erforderlichen Angaben gemacht. Damit habe auch die Ehefrau getrennt veranlagt werden müssen. Der spätere Antrag der Ehefrau auf getrennte Veranlagung sei deshalb kein rückwirkendes Ereignis.
Mit der Revision rügt das FA die Verletzung materiellen Rechts. Es führt im Wesentlichen aus:
Der an die frühere gemeinsame Anschrift der Eheleute adressierte Zusammenveranlagungsbescheid sei gegenüber der Ehefrau nicht wirksam geworden. Sie habe daher das ihr nach § 26 Abs. 1 EStG zustehende Wahlrecht auf getrennte Veranlagung noch ausüben können, auch wenn der Zusammenveranlagungsbescheid gegenüber dem Kläger bestandskräftig geworden sei. Ihr Antrag auf getrennte Veranlagung sei ein rückwirkendes Ereignis i.S. des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO 1977, das eine Änderung der Einkommensteuerfestsetzung des Klägers selbst dann zur Folge habe, wenn sie bestandskräftig sei. Die mangels Haushaltszugehörigkeit des Kindes zu Unrecht gewährte und vom Kläger auch nicht beantragte Steuerermäßigung nach § 34f EStG werde durch die getrennte Veranlagung aber nicht berührt. Die im angefochtenen Einkommensteuerbescheid festgesetzte Einkommensteuer sei daher um 1 000 DM herabzusetzen.
Das FA beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und unter Änderung des Einkommensteuerbescheides 1999 die Einkommensteuer auf 17 147 DM (= 8 767,12 €) festzusetzen.
Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.
II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des finanzgerichtlichen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).
1. Nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO 1977 ist ein Steuerbescheid zu erlassen, aufzuheben oder zu ändern, soweit ein Ereignis eintritt, das steuerliche Wirkung für die Vergangenheit hat.
Nach den Senatsurteilen vom 3. März 2005 III R 22/02 (BFHE 209, 454, BStBl II 2005, 690) und vom 28. Juli 2005 III R 48/03 (BFHE 210, 393, BStBl II 2005, 865) ist der zulässige Antrag eines Ehegatten, statt der bisherigen Zusammenveranlagung eine getrennte Veranlagung durchzuführen, als rückwirkendes Ereignis i.S. des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO 1977 zu beurteilen. Da eine Zusammenveranlagung nur in Betracht kommt, wenn beide Ehegatten die Zusammenveranlagung beantragen (§ 26 Abs. 2 Satz 2 EStG) oder wenn sie keine Erklärungen abgeben (§ 26 Abs. 3 EStG), sind nach § 26 Abs. 2 Satz 1 EStG zwingend getrennte Veranlagungen für beide Ehegatten durchzuführen, wenn einer der Ehegatten die getrennte Veranlagung verlangt. Mit der Ausübung des Veranlagungswahlrechts im Sinne der getrennten Veranlagung nach zuvor durchgeführter Zusammenveranlagung ändert sich der Sachverhalt in der Weise, dass nunmehr die gesetzlichen Voraussetzungen der Zusammenveranlagung entfallen und stattdessen die Merkmale der getrennten Veranlagung gegeben sind.
Etwas anderes ergibt sich im Streitfall nicht daraus, dass der Kläger in seiner Einkommensteuererklärung bereits die getrennte Veranlagung gewählt hatte und das FA deshalb schon die ursprüngliche Veranlagung als getrennte Veranlagung hätte durchführen müssen. Für die Beurteilung, ob der Antrag der früheren Ehefrau des Klägers auf getrennte Veranlagung hinsichtlich des gegen den Kläger ergangenen Zusammenveranlagungsbescheids ein rückwirkendes Ereignis ist, kommt es nicht darauf an, ob die Voraussetzungen für eine Zusammenveranlagung vorgelegen hatten. Entscheidend ist, dass das FA trotz des Antrags des Klägers auf getrennte Veranlagung einen Zusammenveranlagungsbescheid erlassen hat und dieser Bescheid dem Kläger gegenüber bestandskräftig geworden ist. Gegenüber der früheren Ehefrau ist dieser Bescheid mangels Bekanntgabe nicht wirksam geworden. Sie konnte daher ihr Recht auf Wahl der Veranlagungsart noch ausüben und hat die getrennte Veranlagung gewählt. Da die Veranlagungsart für beide Ehegatten nur einheitlich angewendet werden kann und dabei der Anspruch auf getrennte Veranlagung Vorrang hat, ist auch für den Kläger eine getrennte Veranlagung durchzuführen (Senatsurteil in BFHE 209, 454, BStBl II 2005, 690).
2. Da das FG von anderen Rechtsgrundsätzen ausgegangen ist, war sein Urteil aufzuheben. Die Sache ist nicht spruchreif.
Das FG hat nach seiner Rechtsauffassung zu Recht nicht geprüft, ob der Antrag der früheren Ehefrau auf getrennte Veranlagung wegen Willkür bzw. Rechtsmissbrauchs unwirksam war, weil sie keine eigenen Einkünfte hatte oder diese so gering waren, dass sie weder einem Steuerabzug unterlegen haben noch zur Einkommensteuerveranlagung führen können (Senatsurteil in BFHE 209, 454, BStBl II 2005, 690, m.w.N.).
Ist der Antrag wirksam, ist die getrennte Veranlagung entsprechend § 26a EStG auf der Grundlage der bisherigen Besteuerungsgrundlagen des Zusammenveranlagungsbescheids durchzuführen. Eine Abweichung von den Besteuerungsgrundlagen kommt nur in Betracht, wenn die Voraussetzungen einer Korrekturnorm (§ 129, §§ 172 bis 177 AO 1977) vorliegen (Senatsurteil vom 3. März 2005 III R 60/03, BFHE 209, 308, BStBl II 2005, 564).
Sofern das FA den angefochtenen Einkommensteuerbescheid nicht von sich aus seinem Antrag im Revisionsverfahren entsprechend ändert, hat das FG daher zu prüfen, ob die Einkommensteuer des Klägers auch bei der getrennten Veranlagung nach § 34f EStG zu ermäßigen ist, selbst wenn die hierfür erforderliche Voraussetzung der Haushaltszugehörigkeit des Kindes nicht vorgelegen hat.
Ende der Entscheidung
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