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Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 19.10.2000
Aktenzeichen: III R 69/97
Rechtsgebiete: FGO


Vorschriften:

FGO § 47 Abs. 2
FGO § 64 Abs. 1
FGO § 47 Abs. 2 Satz 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe

I. In der Sache streitig sind geschätzte Besteuerungsgrundlagen aus einem gewerblichen Grundstückshandel.

Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) erhoben innerhalb der Klagefrist durch einen ihrer Prozessbevollmächtigten Klage gegen den Einspruchsbescheid zur Einkommensteuer für das Streitjahr (1993). Die Klageschrift war adressiert an den Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt --FA--) -Rechtsbehelfsstelle-. Sie enthielt keine Angabe des Gerichts, bei dem die Klage erhoben werden sollte. Das FA übersandte die Klageschrift zu einem Zeitpunkt an das Finanzgericht (FG), als die Klagefrist bereits abgelaufen war.

Das FG wies die Klage mit der in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1998, 57 veröffentlichten Entscheidung als unzulässig ab. Zur Begründung führte es aus, dass die Klagefrist zwar auch gewahrt werde, wenn die Klage bei der Behörde angebracht werde, die den angefochtenen Verwaltungsakt erlassen habe. Die Klage sei aber mit einem gesetzlich im Einzelnen festgelegten Muss- und Sollinhalt "bei dem Gericht schriftlich zu erheben". Die Klageschrift müsse zudem klar erkennen lassen, dass gerichtlicher Rechtsschutz begehrt werde. Im Streitfall lasse sich dem Klageschriftsatz nur ein Begehren um Rechtsschutz entnehmen. Die Klage sei jedoch nicht an das in der Rechtsbehelfsbelehrung mit richtiger Adresse genau bezeichnete FG, sondern an das FA gerichtet. Das FA sei eine Behörde der Finanzverwaltung, bei der die Kläger keinen gerichtlichen Rechtsschutz hätten erwarten können.

Der Klageschriftsatz könne auch nicht im Wege der Auslegung als für das FG bestimmt angesehen werden. Solle eine an das FA gerichtete Willenserklärung für einen anderen Empfänger bestimmt sein, so müsse sich das aus der Erklärung ergeben. Daran fehle es im Streitfall, da ein Gericht als Adressat nicht erwähnt sei. Offen bleiben könne, ob dieser strenge Maßstab auch gelte, wenn ein Kläger nicht fachkundig vertreten sei, sondern seine Klageschrift selbst fertige. Denn im Streitfall sei die Klageschrift von einem Angehörigen der steuerberatenden Berufe verfasst worden. Von diesem sei die Kenntnis der notwendigen Inhalte einer Klageschrift und ihre fehlerfreie Ausführung zu erwarten.

Gegen das Urteil des FG richtet sich die vom FG zugelassene Revision der Kläger. Die Kläger machen geltend, dass es nach § 47 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) genüge, wenn die Klage bei der Behörde angebracht wird, die den angefochtenen Verwaltungsakt erlassen hat. Danach werde durch eine Klage, die an die beklagte Behörde adressiert sei, das zuständige Gericht angerufen. Eine solche Klage könne daher nicht als Antrag gewertet werden, über den die beklagte Behörde zur Entscheidung aufgerufen werde. Sie --die Kläger-- hätten daher mit ihrem an das FA adressierten Klageschriftsatz eindeutig gerichtlichen Rechtsschutz begehrt mit der Erwartung, dass das FA den Klageschriftsatz unverzüglich an das FG weitergebe.

Die Kläger beantragen, das Urteil des FG aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Es ist der Ansicht, dass die Klage aus den vom FG dargelegten Gründen unzulässig sei. Die Auffassung des FG werde durch das Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 7. Dezember 1977 II R 96/75 (BFHE 123, 437, BStBl II 1978, 70) bestätigt.

II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG.

1. Das FG hat zu Unrecht die Klage der Kläger als unzulässig beurteilt. Zwar bestimmt § 64 Abs. 1 FGO, dass die Klage bei dem Gericht zu erheben ist. Nach § 47 Abs. 2 Satz 1 FGO kann eine Klage fristwahrend aber auch bei der Behörde angebracht werden, die den angefochtenen Verwaltungsakt erlassen hat.

Das Gesetz sagt nicht, was unter Anbringung der Klage zu verstehen ist. Wird das Wort "angebracht" als bedeutungsgleich mit dem Wort "erhoben" angesehen (Gräber/von Groll, Finanzgerichtsordnung, 4. Aufl., § 47 Rz. 20), so wandelt § 47 Abs. 2 Satz 1 FGO die Vorschrift des § 64 Abs. 1 FGO dahin ab, dass die Klage auch bei dem FA erhoben werden kann, das verklagt werden soll. Dementsprechend ist die Rechtsprechung des BFH stets davon ausgegangen, dass eine Klage jedenfalls dann bei dem beklagten FA angebracht worden ist, wenn das FA entweder unmittelbar oder mittelbar ("über das FA") als Empfänger angesprochen ist (vgl. schon BFH-Urteil vom 5. Dezember 1974 IV R 179/70 (BFHE 114, 402, BStBl II 1975, 337). Unmittelbar als Empfänger angesprochen ist das FA, wenn die Klage wie im Streitfall an das FA adressiert ist.

2. Letztlich kann allerdings offen bleiben, ob sich die Zulässigkeit der Klage im Streitfall bereits ohne weiteres aus dem Begriff der "Anbringung" der Klage beim FA ergibt. Denn jedenfalls ist das Anbringen eines Rechtsmittels in gleicher Weise wie bürgerlich-rechtliche Willenserklärungen der Auslegung zugänglich. Dabei ist nicht am buchstäblichen Sinn des Ausdrucks zu haften, sondern der in der Erklärung verkörperte Wille anhand der erkennbaren Umstände zu ermitteln. Prozesserklärungen sind so auszulegen, dass im Zweifel dasjenige gewollt ist, was nach den Maßstäben der Rechtsordnung vernünftig ist und der recht verstandenen Interessenlage entspricht (BFH-Urteil vom 29. Oktober 1998 XI R 25/98, BFH/NV 1999, 633, m.w.N.).

So hat der BFH sogar einen an das zuständige FA gerichteten Schriftsatz, in dem gegen die Einspruchsentscheidung "Form und fristgerecht Beschwerde" eingelegt wurde, als eine bei dem FA angebrachte Klage angesehen (BFH-Urteil in BFH/NV 1999, 633). Wenn er an die Finanzbehörden gerichtete Schriftsätze gegen Einspruchs- (oder frühere Beschwerde-)Entscheidungen in Einzelfällen nicht als angebrachte Klagen beurteilt hat, so lag der Grund darin, dass der jeweilige Schriftsatz nicht erkennen ließ, dass die gerichtliche Nachprüfung eines Verwaltungsaktes begehrt wurde (vgl. BFH-Urteil vom 18. Dezember 1985 I R 30/85, BFH/NV 1986, 675). So lag der Sachverhalt auch in dem vom FA angeführten Urteil in BFHE 123, 437, BStBl II 1978, 70. Die Adressierung des Schriftsatzes nur an die Finanzbehörde und nicht an das Gericht wurde nicht als schädlich angesehen.

Diese Entscheidungen des BFH beziehen sich zwar nur auf Fälle, in denen der Steuerpflichtige nicht fachkundig vertreten war. Entscheidend war für den BFH aber immer, ob das betreffende schriftliche Gesuch erkennen ließ, dass gerichtlicher Rechtsschutz begehrt wurde. In dieser Frage sind die Anforderungen an einen von einem fachkundigen Vertreter gefertigten Schriftsatz möglicherweise strenger als in den Fällen, in denen keine fachkundige Vertretung durch einen Angehörigen der steuerberatenden Berufe stattfindet. Um diese Frage geht es im Streitfall jedoch nicht.

Im Streitfall heißt es in der Klageschrift ausdrücklich, dass die Einspruchsentscheidung mit dem Rechtsmittel der Klage angefochten wird. Da anzunehmen ist, dass dem Prozessbevollmächtigten der Kläger, der die Klageschrift verfasst hat, als einem Angehörigen der steuerberatenden Berufe die Bedeutung einer Klage bewusst ist, ergibt sich aus dem Schriftsatz eindeutig, dass eine gerichtliche Überprüfung der Einspruchsentscheidung begehrt wird. Die an das FA adressierte Klage ist somit zwangsläufig auch an das FG gerichtet, auch wenn dies in dem Klageschriftsatz nicht besonders zum Ausdruck kommt. Folglich ist die Klage ordnungsgemäß beim FA angebracht worden.

3. Da das FG Feststellungen zur materiellen Rechtslage nicht getroffen hat, war die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO).



Ende der Entscheidung

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