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Gericht: Bundesfinanzhof
Beschluss verkündet am 20.12.2005
Aktenzeichen: III S 24/05
Rechtsgebiete: AO 1977, FGO, StPO


Vorschriften:

AO 1977 § 155 Abs. 2
AO 1977 § 173 Abs. 1 Nr. 1
AO 1977 § 181 Abs. 5
AO 1977 § 235
FGO § 69 Abs. 2 Satz 1
FGO § 74
FGO § 116 Abs. 3 Satz 3
StPO § 170 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

I. Der Beklagte, Beschwerdegegner und Antragsgegner (das Finanzamt --FA--) berücksichtigte im Einkommensteuerbescheid 1976 mangels Vorliegens einer Verlustmitteilung den vom Kläger, Beschwerdeführer und Antragsteller (Kläger) erklärten Verlust in Höhe von 470 587 DM aus der Beteiligung an der beim Finanzamt X (FA X) geführten KG nicht.

Während des Rechtsbehelfsverfahrens der KG gegen den Feststellungsbescheid 1976 stellte das Finanzgericht (FG) durch Beschluss vom 11. April 1979 im Wege der einstweiligen Anordnung die gewerblichen Einkünfte der KG für 1976 vorläufig in Höhe von ./. 7 069 248 DM fest. Das FA X erstellte unter dem 22. September 1980 eine entsprechende gesonderte und einheitliche Feststellung der Einkünfte für die KG, die einen Verlustanteil des Klägers von 458 887 DM auswies. Im geänderten Einkommensteuerbescheid 1976 vom 27. November 1979 berücksichtigte das FA den Verlustanteil des Klägers anschließend entsprechend und setzte die Einkommensteuer von bisher 351 917 DM auf 108 989 DM herab.

Aufgrund eines Verlustrücktrags aus dem Jahr 1977 setzte das FA die Einkommensteuer 1976 durch geänderten Bescheid vom 9. März 1981 auf 0 DM herab. Durch geänderten Bescheid vom 1. April 1986 machte es den Verlustrücktrag wieder rückgängig. Auf Veranlassung der Steuerfahndungsstelle (Steufa) im Rahmen der gegen die KG durchgeführten Steuerfahndungsprüfung (Beginn 2. Februar 1984) hob das FA X den Feststellungsbescheid 1976 mit Bescheid vom 16. Februar 1984 ersatzlos auf.

Bereits mit Schreiben vom 27. Januar 1984 hatte der Kläger dem FA mitgeteilt, dass die Verluste aus der Beteiligung an der KG u.a. in der Einkommensteuerveranlagung 1976 nicht anzusetzen seien. Die beim Kläger daraufhin vom 25. Februar 1985 bis 7. Januar 1987 durch die Steufa durchgeführte Prüfung der Beteiligung des Klägers an der KG und der sich daraus ergebenden Auswirkungen auf die Besteuerungsgrundlagen wurde mit Bericht vom 19. März 1987 abgeschlossen. Der Fahndungsprüfer kam zu dem Ergebnis, die Gewinne und Verluste der KG seien zum Zwecke der Steuerersparnis fingiert worden und wirtschaftlich nicht begründet. Das FA folgte den Fahndungsfeststellungen und setzte die Einkommensteuer 1976 mit nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) geändertem Bescheid vom 14. Juli 1987 auf 365 996 DM fest.

Nach Einstellung des von der Steufa eingeleiteten Steuerstrafverfahrens wurde dem Kläger unter dem 17. Mai 1990 mitgeteilt, durch Bezahlung der noch offenen Einkommensteuer 1976 werde die Selbstanzeige wirksam und er erlange dadurch Straffreiheit. Die durch die Beteiligung an der KG hinterzogene Einkommensteuer sei nach § 235 AO 1977 zu verzinsen. Das FA setzte mit Bescheid vom 5. Dezember 1990 gegen den Kläger und seine Ehefrau Hinterziehungszinsen u.a. zur Einkommensteuer 1976 in Höhe von 116 935 DM fest. Es ging von einem zu verzinsenden Betrag von abgerundet 257 000 DM und einem Zinslauf von Dezember 1979 bis August 1987 aus. Im Einspruchsverfahren hob es mit Bescheid vom 8. Februar 1991 die Festsetzung der Hinterziehungszinsen gegen die Ehefrau auf. Im Übrigen hatte der Einspruch keinen Erfolg.

Das FG war der Auffassung, ob und in welchem Umfang Vorteile der Gesellschafter auf Steuerhinterziehungen des Geschäftsführers der Gesellschaft beruhten, sei durch eine gesonderte und einheitliche Feststellung zu entscheiden. Es setzte daher das Klageverfahren gemäß § 74 der Finanzgerichtsordnung (FGO) bis zu einer rechtskräftigen Feststellung aus.

Mit rechtskräftigem Bescheid vom 13. Mai 2002 setzte das FA X für Zwecke der Festsetzung von Hinterziehungszinsen den Verlustanteil des Klägers aus der Beteiligung an der KG für das Jahr 1976 in Höhe von 458 887 DM fest. Es wies darauf hin, dass der Bescheid nach Ablauf der Festsetzungsfrist ergangen sei und nach § 181 Abs. 5 AO 1977 deshalb nur solchen Festsetzungen zu Grunde gelegt werden könne, deren Festsetzungsfrist im Zeitpunkt der gesonderten Feststellung noch nicht abgelaufen gewesen sei.

Das FG wies daraufhin die Klage ab. Es führte im Wesentlichen aus:

Eine einheitliche und gesonderte Feststellung sei grundsätzlich auch dann vorzunehmen, wenn bei einzelnen Feststellungsbeteiligten die Festsetzungsfrist bereits abgelaufen sei (Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 27. August 1997 XI R 72/96, BFHE 183, 376, BStBl II 1997, 750). Die Festsetzungsfrist sei für den Folgebescheid (den Zinsbescheid) zum Zeitpunkt des Erlasses des Feststellungsbescheids noch nicht abgelaufen gewesen. Die Festsetzungsfrist für die Hinterziehungszinsen betrage ein Jahr (§ 239 Abs. 1 Satz 1 AO 1977) und beginne nicht vor Ablauf des Kalenderjahrs, in dem ein eingeleitetes Strafverfahren rechtskräftig abgeschlossen sei (§ 239 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AO 1977). Das Strafverfahren gegen den Kläger sei mit Verfügung vom 2. Mai 1990 nach § 170 Abs. 2 der Strafprozessordnung (StPO) eingestellt worden. Die Einstellung sei dem Kläger am 17. Mai 1990 mitgeteilt worden. Folglich habe die Festsetzungsfrist mit Ablauf des 31. Dezember 1990 begonnen und am 31. Dezember 1991 geendet. Der Zinsbescheid vom 5. Dezember 1990 sei daher innerhalb der Festsetzungsfrist ergangen.

Aus Gründen der Rechtssicherheit müsse zwar für den Zinsschuldner aus dem Zinsbescheid oder aus den Umständen zu erkennen sein, dass eine bestimmte Besteuerungs- bzw. Festsetzungsgrundlage von der Regelung in einem Grundlagenbescheid abhängig sei. Dies sei für den Kläger mangels eines Hinweises im Zinsbescheid nicht möglich gewesen. Dieses Unterlassen eines Hinweises mache den Bescheid, auch wenn das FA dies in der Annahme getan habe, für die Festsetzung selbst zuständig zu sein, nur rechtswidrig. Der Fehler sei aber heilbar. Die Auffassung des BFH, der Ausgang eines Verfahrens der gesonderten Feststellung sei abzuwarten, wenn das Wohnsitz-FA einen Zinsbescheid nicht im Verfahren nach § 155 Abs. 2 AO 1977 mit geschätzten Festsetzungsgrundlagen erlassen, sondern beim Erlass dieses Bescheids seine Zuständigkeit zur endgültigen Entscheidung zu Unrecht in Anspruch genommen habe, sei dahin gehend zu werten, dass dieser rechtswidrige Bescheid mit Erlass des Feststellungsbescheids in die Rechtmäßigkeit hineinwachse. Die Rechtsprechung des BFH gelte nicht nur für Steuern, sondern auch für die Festsetzung von Zinsen (§ 239 Abs. 1 Satz 1 AO 1977). Der Fall des Erlasses eines Grundlagen- und des anschließenden Folgebescheids sei mit dem eines mehrstufigen Verwaltungsakts vergleichbar.

Gegen das Urteil des FG hat der Kläger Nichtzulassungsbeschwerde erhoben, die beim Senat anhängig ist. Mit der Nichtzulassungsbeschwerde trägt der Kläger im Wesentlichen vor, eine einheitliche und gesonderte Feststellung von Besteuerungsgrundlagen sei nicht zulässig, wenn die Beteiligten nicht mehr einheitlich behandelt werden könnten, weil bei einigen bzw. allen außer einem von ihnen bereits Festsetzungsverjährung eingetreten sei. Die Frage sei von grundsätzlicher Bedeutung. Denn nach den Urteilen der FG Köln vom 22. Januar 1997 12 K 4339/95 (Entscheidungen der Finanzgerichte --EFG-- 1998, 797) und des FG Baden-Württemberg vom 30. April 1997 4 K 271/94 (EFG 1998, 857) dürfe ein Grundlagenbescheid nicht mehr ergehen, wenn bei nur einem von mehreren Feststellungsbeteiligten hinsichtlich des Folgebescheids Festsetzungsverjährung eingetreten sei. Die Rechtsprechung des BFH in den Urteilen in BFHE 183, 376, BStBl II 1997, 750, vom 23. September 1999 IV R 56/98 (BFHE 189, 351, BFH/NV 2000, 254) und vom 29. August 2000 VIII R 33/98 (BFH/NV 2001, 414), nach denen auch nach Ablauf der Festsetzungsfrist bei einem Teil der Feststellungsbeteiligten eine einheitliche und gesonderte Feststellung mit Wirkung für die Feststellungsbeteiligten mit noch offener Festsetzungsfrist ergehen könne, werde im Schrifttum abgelehnt (Brandis in Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 181 AO 1977 Rz. 20; Söhn in Hübschmann/Hepp/ Spitaler --HHSp--, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 181 AO 1977 Rz. 123).

Außerdem sei die Rechtsfrage zu klären, ob ein vorab ergangener und daher rechtswidriger Folgebescheid (hier der Zinsbescheid) durch den nachträglichen Erlass des Grundlagenbescheids (hier der nachträglichen gesonderten und einheitlichen Feststellung) geheilt werden könne oder erneut als geänderter Bescheid zu erlassen sei, auch wenn die Feststellungen sich materiell auf den Folgebescheid nicht auswirkten.

Der Kläger beantragt außerdem sinngemäß die Aussetzung des Zinsbescheids bis zur Entscheidung über die Nichtzulassungsbeschwerde. Zur Begründung trägt er die im Beschwerdeverfahren geltend gemachten Einwendungen vor, aus denen sich seiner Meinung nach die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache ergibt.

II. Der Antrag betrifft lediglich den Zinsbescheid vom 5. Dezember 1990. Der Bescheid vom 8. Februar 1991 hat die Aufhebung des Zinsbescheids gegenüber der damaligen Ehefrau des Klägers zum Gegenstand.

Der Antrag ist unbegründet.

1. Ob die Aussetzung der Vollziehung rechtfertigende ernstliche Zweifel (§ 69 Abs. 3 i.V.m. Abs. 2 FGO) vorliegen, ist bei einem in der Revisionsinstanz schwebenden Rechtsstreit nach revisionsrechtlichen Grundsätzen zu beurteilen. Ernstliche Zweifel können nur dann vorliegen, wenn unter Beachtung der eingeschränkten Prüfungsmöglichkeiten des BFH ernstlich mit der Aufhebung des angefochtenen Verwaltungsakts zu rechnen ist. Da beim BFH die Nichtzulassungsbeschwerde anhängig ist, können die Voraussetzungen einer Aussetzung der Vollziehung nur danach geprüft werden, ob ernstlich mit der Zulassung der Revision zu rechnen ist (BFH-Beschluss vom 9. Dezember 1996 XI S 57/96, BFH/NV 1997, 276). Bei der im Aussetzungsverfahren gebotenen summarischen Prüfung kommt eine Zulassung der Revision wegen der vom Kläger geltend gemachten grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache aber nicht in Betracht.

2. Die Rechtsfrage, ob eine gesonderte und einheitliche Feststellung nach Ablauf der Feststellungsfrist noch ergehen darf, wenn die Feststellung nur noch für einen Beteiligten von Bedeutung ist, ist durch den BFH geklärt. Nach den Entscheidungen mehrerer Senate des BFH ist eine gesonderte und einheitliche Festsetzung auch dann durchzuführen, wenn bei einzelnen Feststellungsbeteiligten die Festsetzungsfrist bereits abgelaufen ist, sofern sich für diese Feststellungsbeteiligten durch die Feststellung keine Nachteile ergeben (BFH-Urteile in BFHE 183, 376, BStBl II 1997, 750; in BFHE 189, 351, BFH/NV 2000, 254, und in BFH/NV 2001, 414; BFH-Beschluss vom 7. Dezember 1999 IV B 56/99, BFH/NV 2000, 552).

Hat der BFH eine Rechtsfrage bereits entschieden, kommt eine Zulassung der Revision nur in Betracht, wenn neue gewichtige und vom BFH bislang noch nicht bedachte Einwendungen in der Literatur und/oder in der Rechtsprechung der Instanzgerichte gegen die Rechtsprechung des BFH erhoben werden (z.B. BFH-Beschlüsse vom 28. Juli 1997 VIII B 68/96, BFH/NV 1998, 29, und vom 22. Februar 2000 IX B 139/99, BFH/NV 2000, 951). Die vom Kläger zitierten FG-Entscheidungen sind aber vor der Entscheidung des BFH in BFHE 183, 376, BStBl II 1997, 750 ergangen. Soweit ersichtlich sind die FG der Rechtsprechung des BFH gefolgt (vgl. Urteile des FG Düsseldorf vom 20. Mai 1998 1 K 109/95 F, juris; des FG Rheinland-Pfalz vom 14. Februar 2000 5 K 1230/97, juris, und des FG Bremen vom 24. Oktober 2002 3 K 155/01, EFG 2003, 364).

Auch im Schrifttum wird der Rechtsprechung des BFH überwiegend zugestimmt (z.B. Brockmeyer in Klein, Abgabenordnung, 8. Aufl., § 181 Rz. 12; Frotscher in Schwarz, Kommentar zur Abgabenordnung, § 181 Rz. 35; Kunz in Beermann/Gosch, Steuerliches Verfahrensrecht, § 181 AO 1977 Rz. 28; Pahlke/König, Abgabenordnung, § 181 Rz. 37; von Wedelstädt in Kühn/v. Wedelstädt, Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, § 181 AO 1977 Rz. 18).

Kritisiert wird die Rechtsprechung zwar --wie der Kläger zutreffend vorträgt-- von Brandis (in Tipke/Kruse, a.a.O., § 181 AO 1977 Rz. 20) und Söhn (in HHSp, a.a.O., § 181 AO 1977 Rz. 123). Mit deren abweichenden Auffassungen hat sich der BFH in seinen Entscheidungen aber bereits auseinander gesetzt (vgl. BFH-Urteil in BFHE 189, 351, BFH/NV 2000, 254). Auch der Kläger hat nicht vorgetragen, dass es sich um Einwendungen handelt, die der BFH bisher noch nicht bedacht hat. Bei der im Aussetzungsverfahren gebotenen summarischen Prüfung kommt der Rechtssache daher insoweit keine rechtsgrundsätzliche Bedeutung zu.

3. Die vom Kläger aufgeworfene Rechtsfrage, ob ein ohne die erforderliche gesonderte und einheitliche Feststellung ergangener Zinsbescheid durch die nachträgliche gesonderte und einheitliche Feststellung geheilt werde oder aufzuheben und erneut zu erlassen sei, rechtfertigt ebenfalls keine Zulassung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache.

Es ist bereits zweifelhaft, ob der Hinweis des Klägers, die Frage sei höchstrichterlich nicht geklärt und werde im Schrifttum nicht behandelt, den Anforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO an die Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung genügt (vgl. auch BFH-Beschluss vom 19. November 1997 XI B 12/97, BFH/NV 1998, 858).

Jedenfalls liegt bei überschlägiger Prüfung insoweit keine rechtsgrundsätzliche Bedeutung vor, da der BFH bereits entschieden hat, dass ein Folgebescheid nicht aufzuheben und mit erneutem Inhalt zu erlassen ist, wenn nachträglich ein Grundlagenbescheid ergeht, der Gewinne/Verluste in derselben Höhe feststellt, wie sie dem Folgebescheid zugrunde gelegt worden sind (BFH-Urteile vom 26. Juli 1984 IV R 13/84, BFHE 142, 96, BStBl II 1985, 3, unter 3., und vom 16. März 1993 XI R 42/90, BFH/NV 1994, 75, unter 4.).

4. Die Aussetzung der Vollziehung ist auch nicht wegen unbilliger Härte der Vollziehung i.S. des § 69 Abs. 2 Satz 1 FGO geboten. Der Kläger hat keine Billigkeitsgründe geltend gemacht. Solche Gründe sind auch aus den Akten nicht ersichtlich.

Ende der Entscheidung

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