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Gericht: Bundesfinanzhof
Beschluss verkündet am 14.10.2002
Aktenzeichen: III S 3/01
Rechtsgebiete: ZPO, EStG, FGO, AO 1977


Vorschriften:

ZPO § 114
EStG § 33
EStG § 33b Abs. 6
FGO § 62a
FGO § 62a Abs. 1
FGO § 79a Abs. 3
FGO § 90 Abs. 2
FGO § 142 Abs. 1
FGO § 115 Abs. 2
FGO § 115 Abs. 2 Nr. 3
FGO § 115 Abs. 2 Nr. 1
FGO § 115 Abs. 2 Nr. 2
AO 1977 §§ 172 ff.
AO 1977 § 173
AO 1977 § 233a
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

I. Die Kläger und Antragsteller (Antragsteller) begehrten den Abzug von Aufwendungen für Medikamente nach § 33 des Einkommensteuergesetzes (EStG) und des Pflegepauschbetrags nach § 33b Abs. 6 EStG im Wege der Änderung der bestandskräftigen Einkommensteuerbescheide für die Streitjahre 1991 bis 1993. Zudem wandten sie sich gegen die Festsetzung von Zinsen. Der Beklagte (das Finanzamt --FA--) hatte aufgrund der nachträglichen Leistungsnachweise des Arbeitsamtes für das Jahr 1992 den Einkommensteuerbescheid 1992 geändert und die der Klägerin zugeflossenen Lohnersatzleistungen in die Berechnung des Steuersatzes einbezogen (Progressionsvorbehalt). Für die sich dadurch ergebende Nachforderung von Einkommensteuer hatte das FA gemäß § 233a der Abgabenordnung (AO 1977) Zinsen festgesetzt. Das FA lehnte die beantragten Änderungen ab, weil die Einkommensteuerbescheide bestandskräftig seien und der Tatbestand einer Änderungsvorschrift nicht erfüllt bzw. der Zinsbescheid rechtmäßig sei.

Nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhoben die Antragsteller Klagen.

Auf Anfrage des Berichterstatters vom 4. Oktober 2000 erklärten sie mit Schreiben vom 8. Oktober 2000 (Telefax) ihr Einverständnis mit Entscheidungen durch den Berichterstatter ohne mündliche Verhandlung.

Mit Schreiben vom 26. November 2000 widerriefen die Antragsteller "ihre Zustimmung hinsichtlich einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid". Sie führten aus, dem werde erst wieder zugestimmt, wenn das FA sachgerecht vorgetragen habe.

Mit Urteilen des nunmehrigen Vorsitzenden als Berichterstatter gemäß § 79a Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) vom 19. Februar 2001 wurden die Klagen als unbegründet abgewiesen. Die Entscheidungen ergingen nach § 90 Abs. 2 FGO ohne mündliche Verhandlung.

Die Revision ließ das FG nicht zu.

Mit Schreiben vom 20. März 2001, das am 23. März 2001 beim Bundesfinanzhof (BFH) einging, haben die Antragsteller Prozesskostenhilfe (PKH) für die Einlegung von Nichtzulassungsbeschwerden beantragt. Mit dem Antrag auf Gewährung von PKH haben die Antragsteller eine Erklärung über ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse auf dem vorgeschriebenen amtlichen Vordruck eingereicht.

II. 1. Der Zulässigkeit des PKH-Antrags steht nicht entgegen, dass die Antragsteller diesen persönlich gestellt haben. Der Vertretungszwang nach § 62a FGO gilt für den Antrag auf Gewährung von PKH als Verfahrenshandlung, die vor dem Urkundsbeamten der Geschäftsstelle wahrgenommen werden kann, nicht (vgl. BFH-Beschluss vom 11. April 1996 V S 5/96, V R 8/96, BFH/NV 1996, 847).

2. Der Antrag ist jedoch unbegründet, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung keine Aussicht auf Erfolg bietet.

Nach § 142 Abs. 1 FGO i.V.m. § 114 der Zivilprozessordnung (ZPO) erhalten Beteiligte, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen können, auf Antrag PKH, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Die Bewilligung von PKH umfasst in Fällen, in denen --wie für das Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren gemäß § 62a Abs. 1 FGO-- Vertretungszwang besteht, auch die Beiordnung eines Rechtsanwalts oder Steuerberaters (§ 142 Abs. 1 FGO i.V.m. § 121 ZPO; § 142 Abs. 2 FGO).

Weder aus dem Vorbringen der Antragsteller noch aus den dem Senat vorliegenden Akten und Unterlagen (vgl. BFH-Beschlüsse vom 12. November 1987 V S 17/87, BFH/NV 1988, 264, und vom 7. November 1990 III S 7/90, BFH/NV 1991, 337) ist ein die Zulassung der Revision rechtfertigender Grund i.S. des § 115 Abs. 2 FGO ersichtlich.

a) Es liegt kein Verfahrensmangel i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO vor.

aa) Das FG hat nicht dadurch verfahrensfehlerhaft gehandelt, dass es ohne mündliche Verhandlung entschieden hat.

Es kann dahinstehen, ob die Erklärung der im Verfahren vor dem FG nicht fachkundig vertretenen Antragsteller, die Zustimmung hinsichtlich einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid werde widerrufen, als Rücknahme ihres Einverständnisses zu einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung ausgelegt werden kann. Denn der Verzicht auf mündliche Verhandlung kann nur ausnahmsweise widerrufen werden, wenn sich die Prozesslage nach Abgabe der Einverständniserklärung, beispielsweise durch das Verfahren betreffende Handlungen des Gerichts, wesentlich geändert hat (BFH-Beschluss vom 29. April 1999 V R 102/98, BFH/NV 1999, 1480; Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, 5. Aufl., § 90 Rn. 14). Eine solche wesentliche Änderung kann im Streitfall nicht darin gesehen werden, dass das FA nach Auffassung der Antragsteller nicht sachgerecht vorgetragen habe, denn dies beeinflusst das Prozessstadium, in dem sich das Verfahren befindet, nicht.

bb) Ein Verfahrensfehler ergibt sich auch nicht aus dem Vortrag, das FG habe keine ärztliche Stellungnahme eingeholt, um die Notwendigkeit der Arzneimittel feststellen zu können.

Bei der Prüfung, ob ein Verfahrensmangel vorliegt, ist der materiell-rechtliche Standpunkt des FG zugrunde zu legen (st. Rspr., z.B. BFH-Beschluss vom 7. Februar 1995 V B 62/93, BFH/NV 1995, 861). Nach Auffassung des FG konnten die bestandskräftigen Bescheide nicht mehr geändert werden. Darauf, ob die Arzneien medizinisch notwendig waren, kam es somit nicht an. Die unterlassene Einholung einer ärztlichen Stellungnahme war daher nicht verfahrensfehlerhaft.

cc) Dass der Berichterstatter im finanzgerichtlichen Verfahren seine Absicht, keine Beweise zu erheben, den Antragstellern nicht mitgeteilt hat, verletzt deren Anspruch auf rechtliches Gehör nicht. Denn eine Überraschungsentscheidung scheidet schon deshalb aus, weil bereits das FA seine Einspruchsentscheidung auf das Fehlen einer rechtlichen Grundlage für die Änderung der Einkommensteuerbescheide gestützt und auch im Klageverfahren auf die Einspruchsentscheidung Bezug genommen hatte (BFH-Beschluss vom 20. Dezember 2000 III B 31/00, juris).

b) Die Zulassung der Revision kommt nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung in Betracht (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 und 2 FGO).

aa) Die Frage, ob die Aufwendungen für Vitamin- und Mineralstoffbedarf als außergewöhnliche Belastung zu berücksichtigen sind, wäre in einem auf die Nichtzulassungsbeschwerde folgenden Revisionsverfahren nicht klärbar, weil sie für das FG nicht rechtserheblich war (z.B. BFH-Beschluss vom 25. November 1998 VIII B 46/98, BFH/NV 1999, 656). Die Ausführungen des FG zur Nichtabziehbarkeit der Aufwendungen für Bagatell-Arzneimittel, nicht verschreibungspflichtige Medikamente und allgemeine Stärkungsmittel waren für das Urteil des FG nicht tragend, da das FG bereits aus verfahrensrechtlichen Gründen eine Änderung der bestandskräftig gewordenen Bescheide abgelehnt hat.

bb) Die Entscheidung ist entgegen der Auffassung der Antragsteller auch nicht offensichtlich rechtswidrig. Denn ein bestandskräftiger Steuerbescheid darf nur geändert werden, wenn die Voraussetzungen einer Änderungsvorschrift (§§ 172 ff. AO 1977) erfüllt sind. Eine Diskriminierung einer bestimmten Personengruppe liegt daher nicht vor.

cc) Soweit das FG eine Änderung der Steuerbescheide wegen des nachträglich beantragten Pflegepauschbetrags abgelehnt hat, ist ebenfalls keine klärungsbedürftige Rechtsfrage erkennbar. Es sind weder Gesichtspunkte vorgetragen noch sonst ersichtlich, weshalb die Rechtsfrage der Änderungsmöglichkeit von Bescheiden aufgrund eines nachträglich gestellten Antrags auf Gewährung einer steuerlichen Vergünstigung klärungsbedürftig sein soll. Vielmehr entspricht es ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung, dass die Stellung eines Antrags bzw. die Ausübung eines Wahlrechts keine Tatsache i.S. des § 173 AO 1977 ist (vgl. BFH-Urteil vom 9. August 1989 X R 110/87, BFHE 158, 520, BStBl II 1990, 195).

dd) Gleiches gilt hinsichtlich der Zinsfestsetzung. Mit der Aussage, Arbeitslose würden durch eine Strafsteuer in Form der Zinsen benachteiligt, führen die Antragsteller lediglich ein rechtspolitisches Argument an. Eine im Interesse der Allgemeinheit klärungsbedürftige Rechtsfrage ergibt sich hieraus nicht.

3. Eine Kostenentscheidung war nicht zu treffen. Gerichtsgebühren entstehen nicht (§ 1 Abs. 1 Buchst. c des Gerichtskostengesetzes i.V.m. dem Kostenverzeichnis).

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