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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesfinanzhof
Beschluss verkündet am 10.11.1999
Aktenzeichen: IV B 139/98
Rechtsgebiete: FGO, ZPO


Vorschriften:

FGO § 51
FGO § 130 Abs. 1
FGO § 82
ZPO § 396 Abs. 2
ZPO § 396 Abs. 3
ZPO § 44 Abs. 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe

Mit der Klage begehren die Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) die Aufhebung geänderter Einkommensteuerbescheide 1980 bis 1982 sowie eines geänderten Umsatzsteuerbescheids 1982. Diese Bescheide hatte der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) nach einer Steuerfahndungsprüfung erlassen, die zu dem Ergebnis gekommen war, die Kläger hätten Erlöse aus einer rechtsberatenden Tätigkeit des Klägers sowie Einkünfte aus Kapitalvermögen nicht vollständig erklärt. Durch Urteil des Landgerichts vom 5. Juli 1994 wurde der Kläger deswegen zu einer Geldstrafe verurteilt. Die dagegen erhobene Revision wies der Bundesgerichtshof (BGH) mit Beschluss vom 26. Januar 1995 zurück.

Das Finanzgericht (FG) erhob in der verbundenen mündlichen Verhandlung dieses Verfahrens sowie eines die Streitjahre 1983 bis 1988 betreffenden Verfahrens Beweis durch Vernehmung der Zeugin H. Sie bekundete, dem Kläger für die Beratung in einem Erbauseinandersetzungsverfahren insgesamt 41 000 DM gezahlt zu haben. Bei Verlesung des Protokolls zur Genehmigung durch die Zeugin machte der Kläger der Zeugin einen Vorhalt. Daraufhin bat die Zeugin, einen Satz im Protokoll zu streichen, in dem es hieß, der Kläger sei der Zeugin als jemand vorgestellt worden, der schon öfter in Erbstreitigkeiten tätig gewesen sei. Dies nahm der Berichterstatter, Richter am Finanzgericht X, zum Anlass, seinerseits der Zeugin vorzuhalten, der protokollierte Satz decke sich aber mit der Aussage eines Y im Strafverfahren.

Im Hinblick auf diese Äußerung lehnte die Prozessbevollmächtigte der Kläger den Berichterstatter wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Nach Unterbrechung der mündlichen Verhandlung verkündete der Senat in geänderter Besetzung ohne den abgelehnten Richter den Beschluss, der Befangenheitsantrag werde abgelehnt. Die gerügte Bemerkung lasse keine Befangenheit besorgen. Es habe sich lediglich um einen Vorhalt aus dem rechtskräftigen Urteil des Landgerichts (S. 34) gehandelt. Die Äußerung lasse nicht den Schluss darauf zu, der Richter sei voreingenommen oder habe die Beweiswürdigung vorweggenommen. Die Prozessbevollmächtigte der Kläger erklärte daraufhin zu Protokoll, sie sei mit dieser Entscheidung nicht einverstanden.

Das FG unterbrach danach erneut die mündliche Verhandlung und setzte sie anschließend in der Ausgangsbesetzung wieder fort. Zum Abschluss der mündlichen Verhandlung verkündete der Senat ein klageabweisendes Urteil.

Die Kläger haben dagegen Revision und Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt. Zugleich haben sie Beschwerde wegen Ablehnung des Befangenheitsgesuchs erhoben. Das FG hatte zunächst nicht darüber beschlossen, ob es der Beschwerde abhilft, sondern die Akten lediglich mit einem Nichtabhilfebeschluss in Bezug auf die Nichtzulassungsbeschwerde vorgelegt.

In den Akten befindet sich eine dienstliche Äußerung des abgelehnten Richters, die das Datum vom 8. Juni 1998 trägt. Dort heißt es, der Richter halte sich nicht für befangen. Der Einwand, auf den der Befangenheitsantrag Bezug nehme, gehe zurück auf das rechtskräftige Urteil des Landgerichts vom 5. Juli 1994 (Bl. 34, letzter Absatz). Er habe lediglich auf diese Ausführungen hingewiesen; eine Würdigung sei damit in keiner Weise verbunden gewesen. Diese dienstliche Äußerung hatte das FG den Verfahrensbeteiligten zunächst nicht bekannt gemacht.

Auf Veranlassung des Berichterstatters wurden dem FG die Akten zurückgesandt, um den Beschluss über eine Abhilfe nachzuholen. Zugleich wurde empfohlen, den Verfahrensbeteiligten die dienstliche Äußerung zur Kenntnis zu geben. Das FG ist diesem Vorschlag gefolgt und hat nach Eingang der Stellungnahme der Kläger beschlossen, der Beschwerde nicht abzuhelfen.

Die Kläger machen geltend, anlässlich der Vernehmung von Frau H sei in die Niederschrift ein Satz des Inhalts aufgenommen worden, der Kläger sei der Zeugin als jemand vorgestellt worden, der schon öfter in Erbstreitigkeiten tätig gewesen sei, ohne dass die Zeugin dies so bekundet hätte. Die Prozessbevollmächtigte der Kläger habe deshalb bei Verlesung der Niederschrift zur Genehmigung der Zeugin vorgehalten, sie habe das doch so nicht bekundet. Die Zeugin habe dies bestätigt und um Streichung des Satzes gebeten, weil sie das so nicht gesagt habe und diese Aussage auch nicht machen könne. Daraufhin habe der Berichterstatter versucht, die Zeugin umzustimmen, indem er ihr vorgehalten habe, die protokollierte Aussage decke sich mit der Aussage des Y. Die Zeugin habe sich aber nicht beirren lassen.

Zur Begründung für die Zurückweisung des anschließend gestellten Befangenheitsgesuchs habe das FG auf ein Urteil des Landgerichts Koblenz vom 27. Januar 1995 Bezug genommen. Ein solches Urteil betreffend den Kläger gebe es nicht. In dem Urteil vom 5. Juli 1994 heiße es auf S. 34 zu Bekundungen des Zeugen Y:

"Im übrigen sei ihm ein Fall bekannt, in dem der Angeklagte einen noch größeren Betrag für eine ähnliche Tätigkeit erhalten habe. Den Namen dieses Mandanten dürfe er jedoch nicht nennen, weil der Mandant befürchte, von dem Angeklagten benachteiligt zu werden, und sich deshalb geweigert [habe], ihn von der Schweigepflicht zu entbinden."

Einem Richter sei ein Vorhalt nur gestattet, um das Erinnerungsvermögen des Zeugen zu stärken, nicht aber zur Beeinflussung der Aussage. Außerdem dürften nur wahre Vorhalte gemacht werden. Der Vorhalt des Berichterstatters habe nicht dazu dienen können, das Erinnerungsvermögen der Zeugin zu stärken. Es sei nicht Y gewesen, der den Kläger der Zeugin vorgestellt habe. Der Vorhalt stelle sich aus Sicht eines objektiven Beobachters als Versuch dar, der Zeugin eine bestimmte, vom Berichterstatter gewollte Aussage zu suggerieren. Es komme nicht darauf an, ob sich der Richter befangen fühle.

Außerdem sei der Vorhalt falsch gewesen. Y habe nicht von mehreren Fällen, sondern nur von einem Fall gesprochen. Auch habe er nicht Erbstreitigkeiten erwähnt; seine Aussage habe sich ebenso gut allgemein auf Vermittlungstätigkeiten beziehen können. Da der Berichterstatter den wirklichen Inhalt der Aussage von Y gekannt habe, dränge sich der Verdacht auf, er habe die Bekundungen bewusst falsch dargestellt, um die Zeugin von ihrem Wunsch nach Streichung des Satzes abzubringen. Zudem habe er fehlerhaft die Aussage als inhaltlich wahr dargestellt, ohne dass die Kläger Gelegenheit gehabt hätten, sich dazu zu erklären, und ohne dass der Wahrheitsgehalt hätte geprüft werden können.

Die dienstliche Äußerung des Berichterstatters sei inhaltlich falsch. Er habe nicht lediglich auf Urteilsausführungen hingewiesen. Der Vorhalt habe auch bei parteiobjektiver Beurteilung nur den Sinn gehabt haben können, die Zeugin von einer beabsichtigten Berichtigung ihrer Aussage abzuhalten.

Bei dem Beschluss über das Befangenheitsgesuch seien Verfahrensvorschriften verletzt worden. Entgegen § 51 der Finanzgerichtsordnung (FGO) i.V.m. § 44 Abs. 3 der Zivilprozeßordnung (ZPO) sei eine dienstliche Äußerung des abgelehnten Richters den Klägern zunächst nicht bekannt gemacht worden. Damit sei der Grundsatz rechtlichen Gehörs verletzt. Das FG habe auf ein Urteil Bezug genommen, das es nicht gebe. Daraus ergebe sich der Verdacht, dass das Urteil bei der Beratung nicht vorgelegen habe. Ohne objektive Anhaltspunkte habe das FG unterstellt, dass der Vorhalt aus dem Urteil gemacht worden sei.

Die Kläger beantragen sinngemäß, unter Aufhebung des ablehnenden Beschlusses vom 8. Juni 1998 das Befangenheitsgesuch gegen den Richter am Finanzgericht X für begründet zu erklären, hilfsweise den ablehnenden Beschluss aufzuheben.

Das FA beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.

Der Berichterstatter habe nichts Falsches vorgehalten. Der Vorhalt stütze sich auf das rechtskräftige Urteil des Landgerichts vom 5. Juli 1994, das ausweislich des Rechtskraftvermerks seit dem 27. Januar 1995 rechtskräftig sei. Es sei unerheblich, ob die Aussage des Y falsch wiedergegeben worden sei. Selbst wenn das der Fall sei, handele es sich nur um einen Fehler bei der Sachverhaltsfeststellung oder Beweiswürdigung, der für sich nicht die Besorgnis der Befangenheit rechtfertige. Dass dieser Fehler auf einer unsachlichen Einstellung des Richters oder auf Willkür beruhe, hätten die Kläger weder vorgetragen noch glaubhaft gemacht.

Sofern der Anspruch der Kläger auf rechtliches Gehör wegen fehlender Bekanntgabe der dienstlichen Äußerung verletzt worden sein sollte, sei dieser Verfahrensfehler jedenfalls nachträglich geheilt. Die Kläger hätten in ausreichendem Maße vor der abschließenden Entscheidung des FG zu der dienstlichen Äußerung Stellung nehmen können. Die Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 4. November 1993 X B 120/93 (BFH/NV 1994, 190) stehe nicht entgegen, denn nicht in der Beschwerdeinstanz, sondern durch das Vorgericht im Rahmen der Abhilfeentscheidung sei die Heilungshandlung geschehen.

Die Beschwerde ist nicht begründet und war deshalb zurückzuweisen.

1. Die Entscheidung des FG über das Ablehnungsgesuch war nicht wegen eines Verfahrensfehlers aufzuheben. Es kann dahinstehen, ob der Anspruch der Kläger auf rechtliches Gehör zunächst dadurch verletzt worden ist, dass ihnen die dienstliche Stellungnahme des abgelehnten Richters nicht vor der Entscheidung des Senats über den Antrag bekannt gegeben wurde. Denn jedenfalls wäre ein solcher Fehler dadurch geheilt worden, dass die Kläger noch vor dem Beschluss des FG über die Abhilfe Stellung zu der dienstlichen Äußerung nehmen konnten. Nach dem Beschluss des BFH in BFH/NV 1994, 190 soll die Verletzung des rechtlichen Gehörs nicht in der Beschwerdeinstanz geheilt werden können, um dem Antragsteller eine Überprüfung des Ablehnungsgesuchs in Kenntnis der dienstlichen Äußerung des Richters zu ermöglichen. Diesem Gedanken wird hinreichend Rechnung getragen, wenn der Antragsteller noch vor Ergehen des Beschlusses nach § 130 Abs. 1 FGO zu der dienstlichen Äußerung Stellung nehmen kann. Die Heilung des Verfahrensfehlers erfolgt dann nicht in der Beschwerdeinstanz. Das FG überprüft bei dem Abhilfebeschluss die Rechtslage umfassend und muss auch neues Vorbringen des Antragstellers berücksichtigen. Ggf. führt dieses Vorbringen dazu, dass der Beschwerde abzuhelfen und die Ausgangsentscheidung aufzuheben ist.

Der Senat setzt sich damit nicht in Widerspruch zu dem BFH- Beschluss vom 30. März 1976 VII B 105/75 (BFHE 119, 122, BStBl II 1976, 595; modifiziert durch Beschluss vom 2. Februar 1977 VII B 13/75, BFHE 121, 167, BStBl II 1977, 331). Diese Entscheidung betrifft nur den --hier nicht vorliegenden-- Fall, dass die Beschwerde wegen einer Verletzung des rechtlichen Gehörs begründet ist und das FG nach Eingang der Stellungnahme im Verfahren nach § 130 FGO die Ausgangsentscheidung mit einer neuen Begründung aufrecht erhält (vgl. auch BFH-Beschluss vom 18. Februar 1986 VII B 113/85, BFHE 145, 574, BStBl II 1986, 413).

2. Das Ablehnungsgesuch ist in der Sache zu Recht zurückgewiesen worden.

Nach § 51 Abs. 1 FGO i.V.m. § 42 Abs. 2 ZPO findet die Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen. Gründe für ein solches Misstrauen sind gegeben, wenn ein Beteiligter von seinem Standpunkt aus bei vernünftiger, objektiver Betrachtung davon ausgehen kann, dass der Richter nicht unvoreingenommen entscheiden wird. Hierbei kommt es nicht darauf an, ob die Entscheidung wirklich von Voreingenommenheit beeinflusst ausfiele. Ausschlaggebend ist vielmehr, ob der Beteiligte, der das Ablehnungsgesuch angebracht hat, von seinem Standpunkt aus bei Anlegung des angeführten objektiven Maßstabs Anlass hat, Voreingenommenheit zu befürchten (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom 4. Juli 1985 V B 3/85, BFHE 144, 144, BStBl II 1985, 555, und vom 11. Januar 1995 IV B 104/93, BFH/NV 1995, 629). Verfahrensverstöße oder sonstige Rechtsfehler eines Richters bilden --selbst wenn sie vorliegen-- grundsätzlich keinen Ablehnungsgrund. Anders verhält es sich nur, wenn Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Fehlerhaftigkeit auf einer unsachlichen Einstellung des Richters oder auf Willkür beruht (vgl. BFH-Beschlüsse vom 27. März 1997 XI B 190/96, BFH/NV 1997, 780; in BFH/NV 1995, 629, jeweils m.w.N.).

Die Anwendung dieser Grundsätze auf den Streitfall führt zu dem Ergebnis, dass bei objektiver Betrachtung vom Standpunkt der Kläger aus kein Anlass zu Misstrauen in die Unvoreingenommenheit des Berichterstatters besteht. Die Mitglieder des Gerichts sind nach § 82 FGO i.V.m. § 396 Abs. 2 und 3 ZPO berechtigt, Fragen an den Zeugen zu stellen. Das schließt auch ein, dem Zeugen Vorhalte aus eigenen Aussagen oder den Akten zu machen, wenn dadurch eine erhöhte Anspannung des Gedächtnisses erreicht werden soll oder Rückschlüsse auf die Glaubwürdigkeit des Zeugen ermöglicht werden.

Es kann vorliegend dahinstehen, ob generell von der Voreingenommenheit eines Richters auszugehen ist, wenn er dem Zeugen bewusst wahrheitswidrige Behauptungen über den Akteninhalt entgegenhält. Denn selbst wenn das Vorbringen der Kläger zutreffen sollte, dass der Vorhalt des Berichterstatters objektiv unrichtig war, sind Indizien für eine bewusst wahrheitswidrige Behauptung nicht ersichtlich. Soweit ein fehlerhafter Vorhalt lediglich auf fahrlässigem Verhalten beruht, ergibt sich daraus allein noch kein Grund für die Besorgnis der Befangenheit. Wie bei jedem einfachen Verfahrensfehler müssen zusätzliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Fehlerhaftigkeit auf einer unsachlichen Einstellung des Richters oder auf Willkür beruht. Derartige Anhaltspunkte ergeben sich weder aus dem Vorbringen der Kläger noch aus den aktenkundigen Umständen des Streitfalls.

Ende der Entscheidung

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