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Gericht: Bundesfinanzhof
Beschluss verkündet am 06.10.2005
Aktenzeichen: IV B 176/04
Rechtsgebiete: FGO, AO 1977


Vorschriften:

FGO § 56
FGO § 56 Abs. 2 Satz 1
FGO § 115 Abs. 2 Nr. 1
FGO § 115 Abs. 2 Nr. 3
FGO § 116 Abs. 3 Satz 4
AO 1977 § 76 Abs. 1 Satz 1
AO 1977 § 119 Abs. 2 Satz 1
AO 1977 § 351 Abs. 2
AO 1977 § 361 Abs. 3
AO 1977 § 361 Abs. 3 Satz 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

Die Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) klagten gegen die Festsetzung von Aussetzungszinsen, weil sie der Auffassung sind, dass die im November 1981 erfolgte Rücknahme eines Einspruchs gegen die Kürzung von Verlusten bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung des Streitjahrs (1976) zugleich auch insoweit eine Beendigung der Aussetzung der Vollziehung des Einkommensteuerbescheids zur Folge hat, als dieser zu einer Kürzung der Verluste aus einer Beteiligung an einer Farm im Ausland geführt hatte. Mit dem angefochtenen Bescheid vom 17. April 2001 setzte der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) Aussetzungszinsen für den Zeitraum von 231 Monaten fest, für den die Kläger die Aussetzung der Vollziehung widerspruchslos in Anspruch genommen hatten.

Das klageabweisende Urteil des Finanzgerichts (FG) wurde den Klägern am 13. Oktober 2004 zugestellt. Hiergegen legten sie durch ihren Prozessbevollmächtigten fristgerecht Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision ein und kündigten an, die Begründung "innerhalb der gesetzlichen Vorlagefristen" einzureichen. Am 11. Januar 2005 rief der Prozessbevollmächtigte der Kläger bei der Geschäftsstelle des Senats an, um einen Antrag auf Verlängerung der Frist für die Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde zu stellen. Die Frist laufe seiner Ansicht nach am 13. Januar 2005 ab, er wolle sich versichern, dass ein Antrag per Fax ausreiche und die Frist tatsächlich am 13. Januar 2005 ablaufe. Die Leiterin der Geschäftsstelle des Senats teilte dem Prozessbevollmächtigten mit, dass die Beschwerdebegründungsfrist bereits am 13. Dezember 2004 abgelaufen sei, woraufhin dieser bemerkte, dass er dies auch gerade in seiner Akte sehe und nicht verstehe, warum im Kalender der 13. Januar 2005 als Fristablauf vermerkt sei. Mit am 9. Februar 2005 eingegangenem Schriftsatz beantragten die Kläger Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.

Der Prozessbevollmächtigte trägt vor, dass ihn an der Fristversäumnis kein Verschulden treffe. Nach Erhalt des Schreibens, mit dem der Bundesfinanzhof (BFH) den Eingang der Beschwerde und das Aktenzeichen des Verfahrens mitgeteilt habe, sei klar gewesen, dass ein Antrag auf Fristverlängerung um einen Monat erforderlich sei. Diesen habe er verfügt und hinsichtlich der neuen Begründungsfrist den 11. Januar 2005 als Vorfrist und den 13. Januar 2005 als Ablauffrist in seinen Kalender eingetragen. Daraufhin sei der Fristverlängerungsantrag geschrieben, unterzeichnet und der zuverlässigen und langjährigen Mitarbeiterin Frau ... zur Übermittlung per Fax übergeben worden. Mangels einer ausdrücklichen Ablehnung des Fristverlängerungsantrags sei er davon ausgegangen, dass diesem Antrag stattgegeben worden sei. Erst nach Wiedervorlage der Akte sei festgestellt worden, dass sich weder ein Schreiben des BFH zum Fristverlängerungsantrag noch ein Fax-Übersendungsprotokoll des Antrags in der Akte befanden. Daraufhin habe er das Telefonat mit der Geschäftsstelle geführt.

Nach alledem liege kein Verschulden des Prozessbevollmächtigten vor, das ihnen, den Klägern, zuzurechnen sei. Ein "Büroversehen" scheide aus, denn es sei eine konkrete Einzelanweisung an eine zuverlässige Angestellte des Prozessbevollmächtigten erteilt worden, deren Befolgung die Fristverlängerung bewirkt hätte. Es entspreche nämlich allgemeinem Gerichtsgebrauch, erstmalig gestellten Fristverlängerungsanträgen stattzugeben.

In der Sache machen die Kläger Verfahrensmängel geltend, rügen die Abweichung des angefochtenen Urteils von höchstrichterlicher Rechtsprechung und berufen sich auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache.

Die Beschwerde hat keinen Erfolg.

1. Dabei kann offen bleiben, ob den Klägern wegen der Versäumung der Begründungsfrist für die Nichtzulassungsbeschwerde Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 56 der Finanzgerichtsordnung (FGO) gewährt werden kann. Dazu hätten sie innerhalb der Monatsfrist des § 56 Abs. 2 Satz 1 FGO i.d.F. des Ersten Gesetzes zur Modernisierung der Justiz (1. Justizmodernisierungsgesetz) vom 24. August 2004 (BGBl I 2004, 2198) eine substantiierte, in sich schlüssige Darstellung aller entscheidungserheblichen Tatsachen zur Begründung eines fehlenden Verschuldens an der Fristversäumnis vortragen und glaubhaft machen müssen (ständige Rechtsprechung, vgl. aus jüngerer Zeit Senatsbeschluss vom 28. Juni 2002 IV R 40/01, BFH/NV 2002, 1597, m.w.N.). An der Schlüssigkeit des Vortrags der Kläger bestehen aber insofern Zweifel, als der Prozessbevollmächtigte der Kläger bei seinem Anruf in der Geschäftsstelle des Senats am 11. Januar 2005 mitgeteilt hatte, er wolle einen Antrag auf Verlängerung der Begründungsfrist stellen, die seiner Ansicht nach am 13. Januar 2005 ablaufe. Diesem Sachverhalt, der sich aus dem Aktenvermerk der Leiterin der Geschäftsstelle vom 11. Januar 2005 ergibt, widerspricht der Vortrag des Prozessbevollmächtigten der Kläger zur Begründung des Wiedereinsetzungsgesuchs, wonach er, der Prozessbevollmächtigte, davon ausgegangen sei, die Frist sei bereits bis zum 13. Januar 2005 verlängert worden. In diesem Fall hätte es nahe gelegen, dass die Beschwerdebegründung bis zu diesem Zeitpunkt eingereicht worden wäre. Es spricht daher einiges dafür, dass der Prozessbevollmächtigte zum 13. Januar 2005 tatsächlich erstmalig einen Fristverlängerungsantrag stellen wollte oder sich in dem Glauben befunden hatte, die Frist für die Begründung einer Nichtzulassungsbeschwerde könne entgegen § 116 Abs. 3 Satz 4 FGO mehrfach verlängert werden.

Den Zweifeln an der Schlüssigkeit der Darstellung der Tatsachen zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrags braucht der Senat indessen nicht weiter nachzugehen, da die Beschwerde jedenfalls unbegründet ist (vgl. insoweit den BFH-Beschluss vom 8. September 1998 V B 71/98, BFH/NV 1999, 439).

2. Weder kommt der Rechtssache grundsätzliche Bedeutung zu, noch greifen die Divergenz- und Verfahrensrügen.

a) Eine Rechtsfrage hat grundsätzliche Bedeutung i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO, wenn ihre Beantwortung durch den BFH aus Gründen der Rechtssicherheit, der Rechtseinheitlichkeit oder der Rechtsentwicklung im allgemeinen Interesse liegt. Dabei soll es sich um eine aus rechtssystematischen Gründen bedeutsame Frage handeln, die zudem klärungsbedürftig und im zu erwartenden Revisionsverfahren klärungsfähig sein muss (vgl. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, Kommentar, 5. Aufl., § 115 Rz. 23, m.w.N.). Diese Voraussetzungen liegen im Streitfall nicht vor, denn die von den Klägern formulierte Frage ist durch die Rechtsprechung hinreichend geklärt.

Nach Auffassung der Kläger ist die Rechtsfrage der "Auslegungsnotwendigkeit von Aussetzungsverfügungen und deren sonstigen Bedingungen" von grundsätzlicher Bedeutung. Diese Rechtsfrage ist jedoch nicht klärungsbedürftig. Die Kläger selbst haben darauf hingewiesen, dass der BFH in seinem Beschluss vom 15. Juni 1998 VII B 32/98 (BFH/NV 1999, 7) ausgeführt hat, in den Fällen des § 361 Abs. 3 der Abgabenordnung (AO 1977) bestehe die eine Vollziehungsaussetzung rechtfertigende materielle Verknüpfung zwischen Grundlagenbescheid und Folgebescheid darin, dass dessen sofortige Vollziehung bei einer möglicherweise bevorstehenden Folgeänderung nicht gerechtfertigt erscheine. Daher komme in Betracht, § 361 Abs. 3 AO 1977 dahin auszulegen, dass das FA die Vollziehung bis zur Bekanntgabe einer nach dem Ergebnis des Rechtsbehelfsverfahrens gegen den Grundlagenbescheid notwendigen Folgeänderung aussetzen darf.

Nach Auffassung des beschließenden Senats folgt bereits aus § 361 Abs. 3 AO 1977, dass die Aussetzung der Vollziehung eines Einkommensteuerbescheids als Folgebescheid, die sowohl auf einer Vollziehungsaussetzung des Grundlagenbescheids als auch auf Gründen beruht, die nur den Einkommensteuerbescheid betreffen, hinsichtlich der vom Grundlagenbescheid abhängigen Steuerfestsetzung auch dann bestehen bleibt, wenn sich der Einspruch gegen den Einkommensteuerbescheid aus Gründen erledigt, die allein die originäre Steuerfestsetzung betreffen. So lag es auch im Streitfall, in dem die Aussetzung der Vollziehung hinsichtlich der die Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung betreffenden Steuerfestsetzung auf ernstlichen Zweifeln an der Rechtmäßigkeit des Einkommensteuerbescheids 1976, im Übrigen aber auf dem Gesetzesbefehl des § 361 Abs. 3 Satz 1 AO 1977 beruhte. Hiervon sind auch die Kläger bei der Rücknahme ihres Einspruchs gegen den Einkommensteuerbescheid 1976 ausgegangen. Sie haben insoweit ausgeführt, dass nach eingehender Überprüfung der Sach- und Rechtslage gegen die Kürzung des Verlusts aus Vermietung und Verpachtung keine Bedenken mehr bestünden, dass aber die Beteiligungsverluste auf Grund des Feststellungsbescheids weiterhin streitig seien und die Aussetzung der Vollziehung des Einkommensteuerbescheids insoweit von der Aussetzung der Vollziehung des Grundlagenbescheids abhänge. Bedurfte es danach aber wegen § 351 Abs. 2 AO 1977 insoweit keines Einspruchs gegen den Einkommensteuerbescheid, so konnte auch die Rücknahme des Einspruchs keinen Einfluss auf die vom Grundlagenbescheid abhängige Aussetzung der Vollziehung des Einkommensteuerbescheids 1976 haben. Die formularmäßige Nebenbestimmung in der Aussetzungsverfügung des FA vom 29. Oktober 1981, wonach die Aussetzung der Vollziehung u.a. auch durch Rücknahme des Rechtsbehelfs endet, konnte sich daher nur auf die mit dem Einspruch anfechtbare Steuerfestsetzung beziehen und von den Klägern auch nur so verstanden werden.

Selbst wenn man jedoch von der Klärungsbedürftigkeit der von den Klägern aufgeworfenen Rechtsfrage ausginge, fehlte es an deren Klärungsfähigkeit. Das FG hat nämlich die Frage einer Auslegung der ursprünglichen Aussetzungsverfügung letztlich dahinstehen lassen und ist von einem ausdrücklichen, wenn auch mündlich bekannt gegebenen Verwaltungsakt über die Fortsetzung der Aussetzung der Vollziehung nach Rücknahme des Einspruchs ausgegangen (s. auch unten zu Nr. 2.c).

b) Soweit die Kläger den Verfahrensmangel ungenügender Sachaufklärung nach § 76 Abs. 1 Satz 1, § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO rügen, kann die Beschwerde ebenfalls keinen Erfolg haben. Die Kläger tragen vor, die erstmals in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Aktenvermerke hätten zu einer Beweisaufnahme durch Vernehmung der Gesprächspartner der betreffenden Telefonate Anlass geben müssen. Dies habe das FG unterlassen, gleichwohl aber seine Entscheidung auf den Inhalt der Vermerke gestützt. Die Kläger haben jedoch auf die Geltendmachung dieses Verfahrensmangels verzichtet (§ 155 FGO i.V.m. § 295 der Zivilprozessordnung). Ausweislich des Protokolls über die mündliche Verhandlung vom 22. September 2004 haben sie die unterlassene Zeugenvernehmung nicht gerügt, sondern nach Erörterung der Sach- und Rechtslage einen Sachantrag gestellt. Nachdem die Aktenvermerke in der mündlichen Verhandlung zur Einsichtnahme vorgelegt worden waren, konnten die durch einen fachkundigen Berufsangehörigen vertretenen Kläger auch nicht davon ausgehen, das FG werde diese Vermerke bei seiner Entscheidung nicht berücksichtigen.

c) Schließlich greifen auch die Divergenzrügen (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 zweite Alternative FGO) nicht durch. Die Vorentscheidung widerspricht weder dem Beschluss des BFH in BFH/NV 1999, 7 noch den Urteilen des BFH vom 18. Februar 1997 VII R 96/95 (BFHE 182, 282, BStBl II 1997, 339) und vom 18. Juli 1994 X R 33/91 (BFHE 175, 294, BStBl II 1995, 4) oder dem Urteil des Bundesgerichtshofes (BGH) vom 24. Juni 1988 V ZR 49/87 (Neue Juristische Wochenschrift --NJW-- 1988, 2878).

Die Kläger entnehmen dem Beschluss des BFH in BFH/NV 1999, 7, dass eine Aussetzungsverfügung hinsichtlich der Beendigung der Aussetzung insoweit nicht auslegungsfähig sei, als sie ausdrücklich unter eine auflösende Bedingung gestellt sei. Das FG ist in dem angefochtenen Urteil zwar der Auffassung, dass auch eine solche Nebenbestimmung auslegungsfähig sein müsse. Nach Auffassung des Senats steht dieser Auffassung zum einen der Beschluss des BFH in BFH/NV 1999, 7 nicht entgegen. Das FG hat diese Frage zum anderen ausdrücklich unentschieden gelassen und ist im Streitfall von einem nach § 119 Abs. 2 Satz 1 AO 1977 zulässigen mündlichen Erlass eines Verwaltungsakts über die Fortsetzung der Aussetzung der Vollziehung ausgegangen. Aus den gleichen Gründen besteht die gerügte Divergenz zu den Urteilen des BFH in BFHE 182, 282, BStBl II 1997, 339 und in BFHE 175, 294, BStBl II 1995, 4 oder dem Urteil des BGH in NJW 1988, 2878 nicht. Die zitierten Entscheidungen des BFH beschäftigen sich mit der Auslegung von Verwaltungsakten und die Entscheidung des BGH mit der Auslegung einer Rücktrittserklärung im Rahmen eines Grundstücksgeschäfts. Im Streitfall aber hat das FG die Frage einer möglichen Auslegung der ursprünglichen, mit der Nebenbestimmung einer Befristung bis zur Erledigung eines gegen den angefochtenen Einkommensteuerbescheid eingelegten Rechtsbehelfs versehenen, Aussetzungsverfügung gerade unentschieden gelassen.

Ende der Entscheidung

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