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Gericht: Bundesfinanzhof
Beschluss verkündet am 23.08.2002
Aktenzeichen: IV B 89/01
Rechtsgebiete: FGO
Vorschriften:
FGO § 96 Abs. 1 | |
FGO § 104 Abs. 2 | |
FGO § 104 Abs. 2, 2. Halbsatz | |
FGO § 119 Nr. 6 | |
FGO § 115 Abs. 2 Nr. 2 | |
FGO § 115 Abs. 2 Nr. 3 | |
FGO § 116 Abs. 3 Satz 3 |
Gründe:
Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) absolvierte nach dem Realschulabschluss im Jahre 1974 eine Ausbildung zum Bauzeichner sowie zum Hochbautechniker. Anfangs arbeitete er in einem Architekturbüro, später war er bis 1982 bei der Firma A als Bauleiter, danach bis 1986 bei der Firma B als Oberbauleiter beschäftigt. Anschließend war der Kläger aufgrund eines technischen Beratervertrages für die Firma P, an der er auch als Gesellschafter beteiligt war, als freier Mitarbeiter tätig. Ihm oblag die technische Betreuung von schlüsselfertigen Massivhäusern und Eigentumswohnungen, die durch die Firma P an Endverbraucher verkauft wurden. Ab dem Jahre 1990 betrieb er außerdem ein Einzelunternehmen "Projektsteuerung ...". Zugleich erstellte er ab 1990 als Gesellschafter-Geschäftsführer der Firma C Gutachten. Anfang 1996 legte der Kläger an der Fachhochschule die Diplomprüfung der Fachrichtung Architektur ab.
Für die Jahre vor 1990 behandelte der Kläger die von der Firma P erhaltenen Honorare sowie die Einkünfte aus dem Bereich "Projektsteuerung" als Einkünfte aus Gewerbebetrieb.
Aufgrund eines unter dem 27. September 1991 gestellten Antrags, bei dem der Kläger unter Bezugnahme auf das Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 12. Oktober 1989 IV R 118-119/87 (BFHE 158, 413, BStBl II 1990, 64) angab, er verfüge über die theoretischen Kenntnisse eines Architekten, setzte der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) den einheitlichen Gewerbesteuermessbetrag für Vorauszahlungszwecke für das Streitjahr (1991) mit 0 DM fest. Bei dieser Gelegenheit führte der Veranlagungssachbearbeiter mit Schreiben vom 14. Oktober 1991 aus, dass das angegebene BFH-Urteil in BFHE 158, 413, BStBl II 1990, 64 zwar grundsätzlich im Steuerfall des Klägers anwendbar sei, es jedoch mangels entsprechender Änderungsvorschriften für die Jahre bis 1990 nur in den Folgejahren berücksichtigt werden könnte. Demzufolge reichte der Kläger für das Streitjahr (1991) eine Gewerbesteuererklärung mit einem erklärten Gewinn aus Gewerbebetrieb von 0 DM ein. Im Einkommensteuerbescheid 1991 vom 10. Dezember 1993 ging das FA davon aus, der Kläger habe keine gewerblichen Einkünfte erzielt.
Aufgrund einer --anlässlich einer Betriebsprüfung bei der Firma P gefertigten-- Mitteilung aus dem Jahre 1995, wonach der Kläger gewerbliche Einkünfte aus der dort ausgeübten Tätigkeit erziele, qualifizierte das FA die gesamte selbständige Tätigkeit des Klägers als gewerblich und erließ für das Streitjahr einen entsprechenden Gewerbesteuermessbescheid.
Im Einspruchsverfahren legte der Kläger ein schriftliches Gutachten einer Sachverständigen-Sozietät (Gutachter Dipl.-Ing. Prof. Dr. X und Dipl.-Ing. Y) vor, für dessen Erstellung er u.a. Listen der ab 1986 abgewickelten Bauvorhaben, der ab 1989 erstellten Gutachten und der ab 1991 durch Projektsteuerung betreuten Objekte sowie beispielhaft Ordner zu drei Bauvorhaben und gutachterliche Feststellungen zur Verfügung gestellt hatte. Bei den drei Bauvorhaben handelte es sich um zwei Einfamilienhäuser sowie den Umbau eines Betriebsgebäudes mit Ausbau von Scheune und Stallung für den Betrieb einer Gastwirtschaft und Metzgerei. Die klägerischen Gutachten enthielten Stellungnahmen zu Baumängeln verbunden mit Sanierungsvorschlägen und einer Kostenberechnung.
Der Einspruch hatte keinen Erfolg.
Im Klageverfahren erhob das Finanzgericht (FG) in der mündlichen Verhandlung vom 29. November 2000 Beweis durch Vernehmung der Sachverständigen X und Y.
Die Klage hatte teilweise Erfolg. Zwar sah das FG die ausgeübte Tätigkeit des Klägers als gewerblich an; es minderte jedoch den Gewerbeertrag aufgrund einer für das Streitjahr zu bildenden Gewerbesteuerrückstellung.
Die Revision ließ das FG nicht zu. Das Urteil wurde dem Prozessbevollmächtigten des Klägers am 22. März 2001 zugestellt. Gegen die Nichtzulassung der Revision richtet sich die vorliegende Beschwerde.
Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.
1. Seine Zulässigkeit richtet sich nach den Vorschriften der Finanzgerichtsordnung (FGO) i.d.F. des Zweiten Gesetzes zur Änderung der Finanzgerichtsordnung und anderer Gesetze (2.FGOÄndG) vom 19. Dezember 2000 (BGBl I 2000, 1757, BStBl I 2000, 1567), da das angefochtene Urteil anstelle seiner Verkündung nach dem 31. Dezember 2000 zugestellt wurde (Art. 4 2.FGOÄndG).
2. Es kann dahinstehen, ob ein Verfahrensmangel i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO entsprechend § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO ordnungsgemäß gerügt worden ist, denn jedenfalls liegt ein solcher Verfahrensfehler nicht vor.
a) Der Kläger rügt, das angefochtene Urteil bzw. der Urteilstenor seien nicht innerhalb der Zwei-Wochen-Frist des § 104 Abs. 2, 2. Halbsatz FGO der Geschäftsstelle übergeben worden. Allein der Hinweis auf das Fehlen eines Übergabevermerks auf dem Urteil rechtfertigt indessen nicht den Schluss, die genannte Frist sei nicht eingehalten worden (BFH-Beschluss vom 30. April 2001 VII B 28/01, BFH/NV 2001, 1287). Erforderlich wäre insoweit gewesen, den klägerischen Standpunkt mit konkreten Hinweisen zu erhärten (etwa durch den Hinweis, er, der Kläger, habe vergeblich versucht, von der Geschäftsstelle nach Ablauf der Zwei-Wochen-Frist Auskünfte zum Tenor zu erhalten). Im Übrigen stellt es zwar einen Verfahrensmangel dar, wenn der Urteilstenor nicht binnen zwei Wochen der Geschäftsstelle übergeben wurde (§ 104 Abs. 2, 2. Halbsatz FGO). Dieser Mangel kann aber weder eine Revision begründen noch zu deren Zulassung führen, solange nicht dargetan oder sonst erkennbar ist, dass der Urteilstenor bei fristgemäßer Niederlegung anders als im zugestellten Urteil gelautet hätte (so BFH-Urteil vom 22. Februar 1980 VI R 132/79, BFHE 130, 126, BStBl II 1980, 398, und BFH-Beschluss vom 7. Oktober 1998 II B 43/98, BFH/NV 1999, 935).
Soweit der Kläger geltend macht, das angefochtene Urteil sei als nicht mit Gründen versehen zu qualifizieren, da seine Begründung erst unangemessen lange Zeit nach der mündlichen Verhandlung abgefasst worden sei (Verstoß gegen § 119 Nr. 6 FGO, vgl. Gräber/von Groll, Finanzgerichtsordnung, Kommentar, 5. Aufl., § 104 Rz. 10, m.w.N.), liegt ein Verfahrensmangel nicht vor. Wird ein Urteil nach § 104 Abs. 2 FGO zugestellt, so kann von einem Verfahrensmangel erst dann gesprochen werden, wenn das vollständige Urteil nicht binnen fünf Monaten, gerechnet von dem nach § 104 Abs. 2 FGO maßgebenden Termin, an die Geschäftsstelle übergeben worden ist (vgl. BFH-Entscheidungen vom 13. August 1998 VII R 30/98, BFH/NV 1999, 208, und vom 21. August 1997 V R 30/97, BFH/NV 1998, 589; Beschluss des Gemeinsamen Senats der Obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 27. April 1993 GmS-OGB 1/92, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung --HFR-- 1993, 674).
Da im Streitfall das vollständige Urteil der Geschäftsstelle nach Aktenlage spätestens am 16. März 2001 übergeben wurde, ist die Fünf-Monats-Frist gewahrt.
b) Soweit der Kläger geltend macht, das Urteil sei nicht mit Gründen versehen, weil das FG nicht dargelegt habe, wie es zu seiner richterlichen Überzeugung gekommen sei, ist ein Verfahrensfehler nicht gegeben. Ein derartiger Verstoß gegen § 119 Nr. 6 FGO läge nur vor, wenn Ausführungen zur Beweiswürdigung völlig fehlten (BFH-Urteil vom 20. Mai 1994 VI R 10/94, BFHE 174, 391, BStBl II 1994, 707). Dies ist hier aber nicht der Fall (vgl. S. 13, 2. und 3. Abs., S. 14, 1. und 2. Abs., S. 15, 1. Abs. der Urteilsreinschrift).
c) Auch die Rüge, das FG habe seine Entscheidung nicht unter Berücksichtigung des Gesamtergebnisses des Verfahrens getroffen (Verstoß gegen § 96 Abs. 1 FGO), weil es die Sachverständigenaussagen nicht ausreichend gewürdigt und sich lediglich auf das außergerichtlich erstellte Gutachten bezogen habe, ist nicht geeignet, der Beschwerde zum Erfolg zu verhelfen. Es gibt keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass das FG die Aussagen der Sachverständigen nicht zur Kenntnis genommen hätte. Vielmehr hat es sich mit den wesentlichen Feststellungen des Gutachtens und den Sachverständigenaussagen in den Entscheidungsgründen ausführlich auseinander gesetzt (s. insbes. S. 15, 1. Abs., S. 13 unten bis 16 oben der Urteilsreinschrift). Das außergerichtlich erstellte Gutachten stammte gerade von den als Zeugen vernommenen Sachverständigen, die in der mündlichen Verhandlung in keiner Weise von ihren im Gutachten getroffenen Feststellungen Abstand nahmen.
Was der Kläger in Wirklichkeit bemängelt, ist, dass das FG den Aussagen der Sachverständigen nicht gefolgt ist. Die Beweiswürdigung des Tatrichters wird revisionsrechtlich jedoch nicht dem Verfahrensrecht, sondern dem sachlichen Recht zugeordnet (vgl. BFH-Beschluss vom 23. April 1992 VIII B 49/90, BFHE 167, 488, BStBl II 1992, 671, m.w.N.). Fehler, die dem Richter bei der Tatsachenwürdigung unterlaufen, können deshalb nicht mit Verfahrensrügen nach § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO geltend gemacht werden.
3. Die Zulassungsgründe der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung und der Rechtsfortbildung nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO sind nicht ordnungsgemäß dargelegt (§ 116 Abs. 3 Satz 3 FGO).
a) Eine Fortbildung des Rechts ist erforderlich, wenn über bisher ungeklärte Rechtsfragen zu entscheiden ist; insbesondere, wenn der Streitfall im allgemeinen Interesse Veranlassung gibt, Leitsätze für die Auslegung von Gesetzesbestimmungen aufzustellen oder Gesetzeslücken auszufüllen (BFH-Beschluss vom 17. Oktober 2001 III B 65/01, BFH/NV 2002, 217; Lange in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 115 FGO Rz. 147; Gräber/Ruban, a.a.O., § 115 Rz. 41). Dass ungeklärte Rechtsfragen in diesem Sinn zu entscheiden wären, trägt der Kläger nicht vor. Soweit er geltend macht, das FG lehne zu Unrecht die Grundsätze von Treu und Glauben ab, wendet er sich gegen die angeblich unzutreffende Anwendung materiellen Rechts durch das FG. Der Vortrag, dem FG seien Fehler bei der Anwendung materiellen Rechts unterlaufen, reicht jedoch nicht aus, um die Zulassung der Revision zu begründen (ständige Rechtsprechung; vgl. Nachweise in Gräber/Ruban, a.a.O., § 115 Rz. 81).
b) Die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordert die Zulassung der Revision jedenfalls dann, wenn eine Entscheidung des BFH geeignet und erforderlich ist, um künftige unterschiedliche Entscheidungen einer Rechtsfrage zu verhindern. Das kann der Fall sein, wenn das FG von der Rechtsprechung des BFH oder anderer Gerichte abgewichen ist oder Unterschiede in der finanzgerichtlichen Rechtsprechung bestehen oder zu erwarten sind (Senatsbeschluss vom 23. April 2002 IV B 63/01, juris; BFH-Beschluss vom 18. Juli 2001 X B 46/01, BFH/NV 2001, 1596). Derartige Darlegungen enthält die Beschwerdebegründung nicht. Soweit eine Abweichung des FG von dem Senatsurteil vom 5. März 1970 IV 213/65 (BFHE 100, 1, BStBl II 1970, 793) geltend gemacht wird, ist diese nicht schlüssig vorgetragen. Insoweit hätte der Kläger dem in seiner Beschwerdebegründung zitierten Rechtssatz aus dem Urteil in BFHE 100, 1, BStBl II 1970, 793 einen Rechtssatz gegenüberstellen müssen, der sich aus der Vorentscheidung ergibt und der von dem erstgenannten Rechtssatz abweicht (ständige Rechtsprechung; vgl. Nachweise in Gräber/ Ruban, a.a.O., § 116 Rz. 42). Dies ist jedoch nicht geschehen. Zwar wird in der Beschwerdebegründung aus dem Leitsatz des Urteils in BFHE 100, 1, BStBl II 1970, 793 zitiert. Es bleibt jedoch unerwähnt, dass der Senat in diesem Urteil eine Verwirkung erst dann angenommen hat, wenn bereits die Einkommensteuer des Folgejahres unter Zugrundelegung freiberuflicher Einkünfte festgesetzt war. Somit rügt der Kläger auch hier lediglich eine unzutreffende Rechtsanwendung.
c) Soweit nach der Neufassung der Revisionszulassungsgründe durch das 2.FGOÄndG auch erhebliche Fehler eines FG bei der Auslegung revisiblen Rechts zur Zulassung führen könnten (vgl. dazu Senatsbeschluss vom 30. August 2001 IV B 79, 80/01, BFHE 196, 30, BStBl II 2001, 837), hat der Kläger solche Fehler ebenfalls nicht dargelegt. Er hätte insofern substantiiert erläutern müssen, weshalb nach seiner Ansicht das FG-Urteil unter keinem denkbaren Aspekt rechtlich vertretbar ist (vgl. Gräber/ Ruban, a.a.O., § 116 Rz. 45). Die bloße Behauptung, die Verneinung der Grundsätze von Treu und Glauben stelle einen Fehler bei der Anwendung revisiblen Rechts dar, der von erheblichem Gewicht sei und insbesondere das Vertrauen in die Rechtsprechung beschädigen könne, genügt hierfür jedenfalls nicht.
Ende der Entscheidung
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