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Gericht: Bundesfinanzhof
Beschluss verkündet am 28.09.2009
Aktenzeichen: IV B 99/08
Rechtsgebiete: AO, FGO


Vorschriften:

AO § 174 Abs. 4
FGO § 115 Abs. 2 Nr. 1
FGO § 115 Abs. 2 Nr. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

Die Beschwerde ist unbegründet.

1.

Die Revision ist nicht zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 2. Alternative der Finanzgerichtsordnung --FGO--) zuzulassen. Eine Divergenz liegt nur vor, wenn das Finanzgericht (FG) in einer Rechtsfrage von der Entscheidung eines anderen Gerichts abgewichen ist, wenn über dieselbe rechtserhebliche Rechtsfrage in beiden Entscheidungen entschieden worden ist und wenn die Entscheidungen zu gleichen oder vergleichbaren Sachverhalten ergangen sind.

a)

Davon ausgehend liegt eine Divergenz der Vorentscheidung zu dem Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 8. April 1992 X R 213/87 (BFH/NV 1993, 406) nicht vor. Einen allgemeinen Rechtssatz des Inhalts, dass das Übersehen einer möglichen Rechtsfolge keine irrige Beurteilung i.S. von § 174 Abs. 4 der Abgabenordnung (AO) darstellt und deshalb keine Änderung nach § 174 Abs. 4 AO erlaubt, hat das FG --anders als der Beklagte und Beschwerdeführer (das Finanzamt --FA--) meint-- auch nicht konkludent aufgestellt. Das FG hat vielmehr den vorliegenden Sachverhalt unter das Tatbestandsmerkmal "irrige Beurteilung eines Sachverhaltes" subsumiert und hat dabei die Überzeugung gewonnen, dass eine irrige Beurteilung nicht vorliege, weil sich das FA über die Frage, in welchem Bescheid die fehlende Gewinnerzielungsabsicht zu berücksichtigen sei, keine Gedanken gemacht habe. Das FA habe schlichtweg übersehen, dass bereits eine Regelung durch Feststellungsbescheide erfolgt sei und deshalb diese zu ändern gewesen wären.

Aus dieser Würdigung des FG lässt sich der vom FA behauptete divergierende Rechtssatz nicht ableiten.

b)

Eine Divergenz der Vorentscheidung zu dem Urteil des BFH vom 26. Juli 1984 IV R 13/84 (BFHE 142, 96, BStBl II 1985, 3) liegt ebenfalls nicht vor.

Einen Rechtssatz des Inhalts, dass eine Aufhebung oder Änderung des angegriffenen Bescheides selbst dann erforderlich sei, wenn der aufzuhebende Bescheid sofort mit unverändertem Inhalt wieder erlassen werden müsste, hat das FG auch nicht konkludent aufgestellt.

Das FG hat vielmehr ausgeführt, dass die Änderungsvorschrift des § 174 Abs. 4 AO es nicht zulasse, einen fehlenden Grundlagenbescheid im Rahmen eines offenen Rechtsbehelfsverfahrens gegen einen Folgebescheid nachzuschieben. Eine Abweichung liegt daher schon mangels abweichender Rechtssätze nicht vor.

Eine Abweichung liegt im Übrigen auch schon deshalb nicht vor, weil dem Urteil in BFHE 142, 96, BStBl II 1985, 3 ein anderer Sachverhalt zu Grunde lag. Dort war in dem Verfahren gegen den Folgebescheid ausschließlich darüber zu entscheiden, ob die Änderung eines Folgebescheides auszusprechen ist, weil ein insoweit erforderlicher Grundlagenbescheid erst während des Klageverfahrens erlassen worden ist. Nur insoweit hat der BFH ausgeführt, dass eine Aufhebung des Folgebescheides ausscheide, da er auf Grund des zwischenzeitlich ergangenen Grundlagenbescheides mit gleichem Inhalt erneut hätte erlassen werden müssen. Dabei ist der BFH jedoch ersichtlich davon ausgegangen, dass die Feststellungsfrist für den Erlass des Grundlagenbescheides noch nicht abgelaufen war.

In der Vorentscheidung war demgegenüber (auch) darüber zu entscheiden, ob die verfahrensrechtlichen Voraussetzungen für den Erlass eines auf § 174 Abs. 4 AO gestützten nachträglich geänderten Grundlagenbescheides vorgelegen haben. Die Vergleichbarkeit der Sachverhalte ist damit zu verneinen.

2. Grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache

a)

Im Streitfall sollen die Rechtsfragen geklärt werden,

aa)

ob die Änderung der Folgebescheide unter Übersehen von bereits vorliegenden bindenden Grundlagenbescheiden eine irrige Beurteilung eines bestimmten Sachverhalts i.S. des § 174 Abs. 4 AO darstellt,

bb)

ob die Änderungsvoraussetzungen des § 174 Abs. 4 AO in der vorliegenden besonderen Sachverhaltskonstellation auch dann zu bejahen sind, wenn eine Aufhebung oder Änderung eines angegriffenen Bescheides deshalb nicht erfolgt, weil er mit unverändertem Inhalt wieder erlassen werden müsste.

b)

Eine Rechtsfrage hat grundsätzliche Bedeutung i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO, wenn ihre Beantwortung durch den BFH aus Gründen der Rechtssicherheit, der Rechtseinheitlichkeit oder der Rechtsentwicklung im allgemeinen Interesse liegt. Dabei soll es sich um eine aus rechtssystematischen Gründen bedeutsame Frage handeln, die klärungsbedürftig und im zu erwartenden Revisionsverfahren klärungsfähig sein muss (vgl. u.a. Senatsbeschluss vom 2. Dezember 2005 IV B 62/04, BFH/NV 2006, 543, unter 1. der Gründe; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 115 Rz 23, m.w.N.).

Ein im allgemeinen Interesse liegendes Bedürfnis nach Klärung einer Rechtsfrage ist gegeben, wenn sich diese Frage nicht ohne weiteres aus dem Gesetz beantworten lässt, wenn sie nicht bereits durch die höchstrichterliche Rechtsprechung hinreichend geklärt ist oder neue Gesichtspunkte erkennbar sind, die eine erneute Prüfung und Entscheidung durch den BFH erforderlich machen, so dass Unsicherheit in der Beantwortung der Rechtsfrage besteht (vgl. Senatsbeschluss vom 27. Januar 2004 IV B 135/01, BFH/NV 2004, 783; Gräber/Ruban, a.a.O., § 115 Rz 28).

c)

Es ist bereits nicht ersichtlich, inwieweit an der Beantwortung der vom FA aufgeworfenen Rechtsfragen ein über das Individualinteresse hinausgehendes Interesse der Allgemeinheit an einer Entscheidung des BFH bestehen könnte. Selbst das FA räumt ein, dass es sich bei der vorliegenden Fallgestaltung um einen besonders gelagerten Sachverhalt handelt. Die Beschwerdeausführungen erschöpfen sich zudem auch nur in der Darlegung der angeblich fehlerhaften Rechtsanwendung durch das FG.

d)

Die vorliegende Rechtssache hat zudem keine grundsätzliche Bedeutung, weil sich die Rechtsfragen ohne weiteres aus dem Gesetz beantworten lassen. Die Änderung eines Steuerbescheides gemäß § 174 Abs. 4 Satz 1 AO setzt nach dem eindeutigen und auch nicht auslegungsfähigen Wortlaut voraus, dass ein Steuerbescheid ergangen ist, der auf Grund eines Rechtsbehelfs oder sonst auf Antrag geändert worden ist. Eine solche Änderung eines Steuerbescheides liegt im Streitfall nicht vor, da das FA die beantragte Änderung des Folgebescheides ausdrücklich abgelehnt hat. Die von dem FA gewünschte Tatbestandsreduktion kann nicht auf das Senatsurteil in BFHE 142, 96, BStBl II 1985, 3 gestützt werden. Diesem lag, wie bereits unter 1.b dargestellt, ein anderer Sachverhalt zu Grunde.

Tatsächlich ist der Anwendungsbereich des § 174 Abs. 4 AO im Streitfall überhaupt nicht berührt. § 174 Abs. 4 AO erfordert, dass die steuerliche Behandlung eines Sachverhaltes in einem Steuerbescheid der Behandlung in einem anderen Steuerbescheid widerstreitet (Klein/Rüsken, AO, 9. Aufl., § 174 Rz 3 ff., m.w.N.). Ein solcher Widerstreit ist im Verhältnis des Grundlagenbescheides zum Folgebescheid jedoch von vornherein ausgeschlossen. Vielmehr ist dem gestuften Verhältnis des Grundlagenbescheides zum Folgebescheid immanent, dass der Sachverhalt, soweit er im Grundlagenbescheid geregelt ist, über die diesem zukommende Bindungswirkung gemäß § 182 Abs. 1 AO in gleicher Weise in dem Folgebescheid zu berücksichtigen ist. Auch im Streitfall liegt eine widerstreitende steuerliche Behandlung nicht vor. Das FA hat in den geänderten Einkommensteuerbescheiden 1992, 1993 und 1995 die bisher berücksichtigten Verluste aus Land- und Forstwirtschaft nicht anerkannt, da es --in der Sache zutreffend-- von dem Vorliegen eines Liebhabereibetriebes ausging. Dabei hat es jedoch übersehen, dass die bisher berücksichtigten Verluste Gegenstand gesonderter Feststellungen gemäß § 180 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b AO waren, und es insoweit zunächst geänderter gesonderter Feststellungen der Einkünfte bedurft hätte. Die Erfassung des Sachverhaltes in den Einkommensteuerbescheiden widerstreitet jedoch nicht den unterlassenen Feststellungen in den nicht ergangenen (Änderungs-)Feststellungsbescheiden. Aus dem gestuften Verhältnis folgt, dass der nämliche Sachverhalt in Feststellungsbescheiden steuerlich noch zu erfassen ist. Soweit, wie im Streitfall, der Erlass geänderter Feststellungsbescheide wegen des Ablaufs der Feststellungsfrist nicht mehr möglich ist, führt dies zur Rechtswidrigkeit der zu Unrecht erlassenen Folgebescheide. Deren Aufhebung eröffnet indes nicht die Möglichkeit, die Bestandskraft der ursprünglichen Feststellungsbescheide zu durchbrechen. Dies muss erst Recht im Streitfall gelten, in dem eine Aufhebung der Folgebescheide trotz fehlender geänderter Grundlagenbescheide überhaupt nicht erfolgt ist.



Ende der Entscheidung

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