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Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 26.02.2004
Aktenzeichen: IV R 10/02
Rechtsgebiete: FGO, EStG, AO 1977


Vorschriften:

FGO § 55 Abs. 2
FGO § 55 Abs. 2 Satz 1
FGO § 68 n.F.
FGO § 68 Satz 3 a.F.
EStG § 34 Abs. 1
EStG § 34 Abs. 3
AO 1977 § 356 Abs. 2 Satz 1
AO 1977 § 365 Abs. 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

Vor dem Finanzgericht (FG) machte der Kläger und Revisionskläger (Kläger) als Alleinerbe seines Vaters, des nach Klageerhebung verstorbenen Steuerberaters X, geltend, dieser habe im Streitjahr (1990) tarifbegünstigte "außerordentliche Einkünfte" in Höhe von ... DM erzielt.

In Abänderung des ursprünglich streitbefangenen Einkommensteuerbescheides 1990 vom 25. August 1995 setzte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) während des Klageverfahrens aus hier nicht streitigen Gründen am 2. August 2000 die Einkommensteuer herab. Einen Hinweis, dass der Bescheid nach § 68 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zum Gegenstand des Verfahrens erklärt werden könne, enthielt der Bescheid nach den Feststellungen des FG nicht.

Dem Einwand des FA, die Jahresfrist des § 55 Abs. 2 FGO sei verstrichen, hielt der Kläger entgegen, die Klage sei deshalb aber nicht unzulässig. Die Änderung im Bescheid vom 2. August 2000 betreffe nicht den Streitpunkt. Hinsichtlich des nicht erledigten Teils sei ein Rechtsstreit auch dann fortzusetzen, wenn der Kläger den neuen Bescheid nicht anfechte oder keinen Antrag nach § 68 FGO a.F. gestellt habe. Die unterlassene Belehrung könne im Übrigen nicht zu seinen, des Klägers, Lasten gehen. Weiter sei zu beachten, dass nunmehr nach § 68 FGO n.F. der Änderungsbescheid ohne weiteres Zutun zum Gegenstand des Verfahrens werde. Sofern die Jahresfrist des § 55 Abs. 2 FGO überhaupt einschlägig sei, müsse berücksichtigt werden, dass sie erst abgelaufen sei, als die Neufassung von § 68 FGO bereits gegolten habe. Schon nach dem Grundsatz von Treu und Glauben müsse von der jetzigen Rechtslage ausgegangen werden.

Das FG wies durch das in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2002, 630 veröffentlichte Urteil die Klage als unzulässig ab. Der Klage fehle das notwendige Rechtsschutzbedürfnis. Der ursprünglich angefochtene Bescheid sei bestandskräftig. Der Kläger habe weder Einspruch eingelegt noch den Änderungsbescheid vom 2. August 2000 zum Gegenstand des Verfahrens erklärt. Im Streitfall sei, da der Bescheid vor In-Kraft-Treten der neuen Fassung des § 68 FGO bekannt gegeben worden sei, noch dessen alte Fassung anwendbar. Da der Änderungsbescheid keinen Hinweis auf die mögliche Antragstellung nach § 68 FGO enthalten habe, sei § 55 Abs. 2 FGO entsprechend anwendbar, mit der Folge, dass der Antrag nach § 68 FGO a.F. noch innerhalb eines Jahres nach Bekanntgabe des Bescheides hätte gestellt werden können. Der Kläger habe das aber unterlassen. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sei nicht zu gewähren.

Mit der vom FG zugelassenen Revision macht der Kläger die Verletzung des materiellen und formellen Rechts geltend.

Er beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und den ursprünglichen, noch an seinen Rechtsvorgänger gerichteten Einkommensteuerbescheid 1990 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 20. Oktober 1997 sowie den Änderungsbescheid vom 2. August 2000 dahin zu ändern, dass für eine Entschädigungszahlung in Höhe von ... DM die Tarifbegünstigung nach § 34 Abs. 1 bzw. Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) gewährt werde.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Die Revision ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 FGO).

Das FG hat zu Recht entschieden, dass die unverändert gegen den ursprünglich ergangenen Bescheid aufrecht erhaltene Klage mangels Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig geworden ist. Der während des Klageverfahrens dem Kläger bekannt gegebene Änderungsbescheid vom 2. August 2000 war mit Ablauf eines Jahres bestandskräftig geworden. Auch ist dem FG darin beizupflichten, dass die alte Fassung des § 68 FGO anzuwenden ist, obwohl im Änderungsbescheid der Hinweis fehlte, dass der Kläger diesen Bescheid zum Gegenstand des Klageverfahrens erklären könne, und demgemäß der Änderungsbescheid bei In-Kraft-Treten des neu gefassten § 68 FGO noch nicht bestandskräftig war.

1. Da der Kläger den Änderungsbescheid binnen dieser Jahresfrist --unstreitig-- weder ausdrücklich noch konkludent zum Gegenstand des Verfahrens erklärt noch mit dem Einspruch angefochten hat, konnte das FG weder den bestandskräftig gewordenen Änderungsbescheid noch den ursprünglich angefochtenen Bescheid materiell-rechtlich überprüfen. Der Klage fehlte das dafür notwendige Rechtsschutzbedürfnis (ständige Rechtsprechung; vgl. nur Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 3. August 2000 III R 22/96, BFH/NV 2001, 602; BFH-Beschluss vom 22. Januar 2002 I R 41/01, BFH/NV 2002, 672). Die Ansicht des Klägers (s. auch Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 68 FGO Tz. 8 in der 70. Ergänzungslieferung) berücksichtigt nicht, dass er den während des Klageverfahrens ergangenen Änderungsbescheid nach § 68 FGO a.F. entweder mit dem Einspruch anfechten oder zum Gegenstand des Klageverfahrens erklären musste, wenn er verhindern wollte, dass der Änderungsbescheid mit seinem gesamten Inhalt bestandskräftig und der ursprünglich angefochtene Bescheid endgültig wirkungslos würde (vgl. Beschluss des Großen Senats des BFH vom 25. Oktober 1972 GrS 1/72, BFHE 108, 1, BStBl II 1973, 231).

2. Nach § 68 FGO a.F. wurde ein Bescheid, der den ursprünglich angefochtenen Bescheid nach Klageerhebung änderte oder ersetzte, nur auf Antrag des Klägers Gegenstand des Verfahrens. Dieser Antrag war nach der seit dem 1. Januar 1993 geltenden Fassung binnen eines Monats nach Bekanntgabe des Änderungs- oder Ersetzungsbescheides zu stellen (§ 68 Satz 2 FGO a.F.). Enthielt dieser ändernde oder ersetzende Bescheid nicht die nach § 68 Satz 3 FGO a.F. notwendige Rechtsbehelfsbelehrung, konnte er entsprechend § 55 Abs. 2 FGO noch innerhalb eines Jahres nach Bekanntgabe zum Gegenstand des Verfahrens erklärt werden (ständige Rechtsprechung; vgl. aus jüngerer Zeit den Senatsbeschluss vom 30. August 2001 IV B 83/00, BFH/NV 2002, 349, sowie die BFH-Urteile vom 8. Februar 2001 VII R 59/99, BFHE 194, 466, BStBl II 2001, 506, und vom 29. Januar 2003 I R 90/02, BFH/NV 2003, 1056). Die Interessenlage ist in diesem Fall nicht anders als in dem in § 55 Abs. 2 Satz 1 FGO ausdrücklich geregelten Fall, dass der erstmals mit der Klage anzufechtende Bescheid keine oder keine richtige Rechtsbehelfsbelehrung enthält. Die Jahresfrist gilt im Übrigen gemäß § 356 Abs. 2 Satz 1 der Abgabenordnung (AO 1977) grundsätzlich auch für einen einzulegenden Einspruch, wenn ein Verwaltungsakt keine oder keine richtige Rechtsbehelfsbelehrung enthält.

Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist sowohl im Klageverfahren (s. BFH-Urteil vom 24. Oktober 2000 IX R 65/97, BFH/NV 2001, 785), als auch im Einspruchsverfahren (s. BFH-Urteil vom 17. Juli 1985 I R 214/82, BFHE 144, 333, BStBl II 1986, 21, Abschn. II.B.6.) ausgeschlossen.

3. a) Entgegen der Ansicht des Klägers ist der Änderungsbescheid vom 2. August 2000 nicht automatisch zum Gegenstand des Klageverfahrens geworden. Allerdings sieht der neugefasste § 68 FGO (Art. 1 Nr. 4 des Zweiten Gesetzes zur Änderung der Finanzgerichtsordnung und anderer Gesetze --2.FGOÄndG-- vom 19. Dezember 2000, BGBl I 2000, 1757, BStBl I 2000, 1567) die Überleitung der Bescheide, durch die ein angefochtener Verwaltungsakt geändert oder ersetzt wird, in ein laufendes Klageverfahren ohne jegliches Zutun des Klageführenden vor. Erst damit wurde die Rechtslage für das Klageverfahren der bereits seit dem 1. Januar 1996 für das Einspruchsverfahren geltenden Regelung in § 365 Abs. 3 AO 1977 (s. Art. 11 und Art. 4 Nr. 11 des Grenzpendlergesetzes vom 24. Juni 1994, BGBl I 1994, 1395, BStBl I 1994, 440; auch BFH-Urteil vom 20. Januar 1999 XI R 31/96, BFH/NV 1999, 1333) angepasst. Die Neufassung des § 68 FGO ist --wie der Kläger selbst hervorhebt-- zum 1. Januar 2001 in Kraft getreten (Art. 6 2.FGOÄndG). Daraus ergibt sich mangels jeder weiteren Regelung im Umkehrschluss, dass für die vor diesem Zeitpunkt bekannt gegebenen Änderungs- und Ersetzungsbescheide noch die alte Fassung des § 68 FGO fortgilt (Senatsbeschluss in BFH/NV 2002, 349; BFH-Urteile vom 11. Dezember 2002 XI R 48/00, BFH/NV 2003, 895, und in BFH/NV 2003, 1056).

b) Dem steht auch das Urteil des FG Köln vom 29. August 2001 11 K 847/97 (EFG 2002, 159) nicht entgegen. Soweit das FG dort die Auffassung vertritt, dass § 68 n.F. auch für solche Änderungsbescheide greife, die zwar vor dem 1. Januar 2001 ergangen sind, für die aber die Einspruchsfrist von einem Monat noch nicht abgelaufen ist, kann dahinstehen, ob dem für den dort gegebenen Sachverhalt (ebenso Hellwig in Hübschmann/Hepp/ Spitaler, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 68 FGO Rz. 34 ff.) zu folgen wäre. Da die Neuregelung erst zum 1. Januar 2001 in Kraft trat, widerspricht die Anwendung der alten Fassung des § 68 FGO im Fall des Klägers jedenfalls nicht der vom Gesetzgeber mit der Neuregelung des § 68 FGO verfolgten Absicht. Danach wollte der Gesetzgeber die Neuregelung nämlich nicht auf alle bereits anhängigen Klageverfahren erstrecken.

Demnach ist es auch unerheblich, ob der Kläger bei Anwendung der alten Fassung --infolge seiner Untätigkeit-- praktisch aus dem Klageverfahren gedrängt wird, während die Neuregelung dies für später bekannt gegebene ändernde oder ersetzende Bescheide nunmehr verhindert. Denn es war allein Sache des Klägers, ob er den Änderungsbescheid binnen der Jahresfrist (vgl. § 55 Abs. 2 Satz 1 FGO) zum Gegenstand des Verfahrens erklärte, Einspruch erhob oder beides unterließ. Sein Anspruch auf ein faires Verfahren war damit gewahrt. Eine vom Gericht auszufüllende Gesetzeslücke scheidet aus, weil --wie oben unter 3.a) ausgeführt-- die alte Regelung für alle vor dem In-Kraft-Treten der Neuregelung ergangenen Bescheide weiter galt.

4. Dem FG ist ferner darin zuzustimmen, dass dem Kläger Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 56 FGO) nicht zu gewähren ist. Bei Versäumung der Jahresfrist des § 55 Abs. 2 Satz 1 FGO kommt aus Rechtsgründen eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht in Betracht (s.o., vor 3.a). Ein Fall höherer Gewalt (§ 55 Abs. 2 Satz 1 2. Halbsatz FGO) liegt, wie das FG zu Recht ausgeführt hat, nicht vor. Auch macht der Kläger nicht geltend, dass das FA zum Ausdruck gebracht hätte, dass der Änderungsbescheid nicht angefochten werden dürfe.

Ende der Entscheidung

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