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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 29.11.2001
Aktenzeichen: IV R 13/00
Rechtsgebiete: EStG, GG


Vorschriften:

EStG § 13 a Abs. 1 Satz 2
GG Art. 3 Abs. 1

Entscheidung wurde am 21.02.2002 korrigiert: auf Seite 1 Zeile 14 wurde 1986 durch 1996 ersetzt
Hat das FA die Voraussetzungen der Durchschnittssatzgewinnermittlung auf Grund wissentlich falscher Steuererklärungen des Landwirts (hier: zu geringe Flächenangabe) bejaht, so bedarf es keiner Mitteilung über den Wegfall der Voraussetzungen der Gewinnermittlung nach Durchschnittssätzen gemäß § 13a Abs. 1 Satz 2 EStG, um den tatsächlich erzielten Gewinn zu ermitteln.

Mit dem Bekanntwerden der tatsächlichen Verhältnisse ist das FA zur Schätzung des Gewinns aus Land- und Forstwirtschaft befugt, so als habe es rechtzeitig von dem Wegfall der Voraussetzungen der Gewinnermittlung nach Durchschnittssätzen Kenntnis erlangt und eine entsprechende Mitteilung gemäß § 13a Abs. 1 Satz 2 EStG erlassen.


Gründe:

Für die Veranlagungszeiträume 1985 bis 1989 reichten die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) beim Beklagten und Revisionskläger (Finanzamt --FA--) Einkommensteuererklärungen nebst Anlage L ein, in denen sie unter Hinweis auf § 13a des Einkommensteuergesetzes (EStG) die vom Kläger selbst bewirtschafteten Flächen mit 43 ha (1985), 50 ha (1986), 52,8 ha (1987 und 1988) sowie 53,8 ha (1989) angaben. Das FA ermittelte unter Verwendung dieser Flächenangaben den Gewinn aus Land- und Forstwirtschaft jeweils antragsgemäß nach § 13a EStG und erließ entsprechende Einkommensteuerbescheide für die Jahre 1985 bis 1989. Für das Streitjahr (1988) setzte es im Steuerbescheid vom 14. Mai 1990 dementsprechend die Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft mit 8 928 DM an.

Im Frühjahr 1996 erhielt das FA davon Kenntnis, dass der Kläger --entgegen seinen Angaben-- folgende Flächen bewirtschaftet hatte: 66,12 ha in 1985, 65,40 ha in 1986 bis 1988 und 72,69 ha in 1989. Da danach der Ausgangswert nach § 13a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG mehr als 32 000 DM betrug, ermittelte das FA nunmehr den Gewinn aus Land- und Forstwirtschaft für das Wirtschaftsjahr 1988/89 durch eine Richtsatzschätzung. Für das Streitjahr ergab sich so ein laufender Gewinn in Höhe von 72 149 DM. Unter Hinweis auf § 173 Abs. 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) setzte das FA mit Bescheid vom 9. Dezember 1996 die Einkommensteuer 1988 entsprechend fest. Der Einspruch blieb erfolglos.

Die Klage hatte überwiegend Erfolg. Das Urteil des Finanzgerichts (FG) wurde in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2000, 360 veröffentlicht. Das FG ging davon aus, dass der Kläger mangels einer Mitteilung über den Wegfall der Voraussetzungen der Durchschnittssatzgewinnermittlung noch befugt gewesen sei, den Gewinn nach § 13a EStG zu ermitteln; allerdings seien dieser Gewinnermittlung die tatsächlich bewirtschafteten Flächen zu Grunde zu legen.

Mit der vom FG zugelassenen Revision rügt das FA die Verletzung von Bundesrecht.

Es beantragt, unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Klage abzuweisen.

Die Kläger beantragen, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Die Revision ist begründet. Das angefochtene Urteil wird aufgehoben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückverwiesen (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).

Das FG hat § 13a Abs. 1 Satz 2 EStG nicht zutreffend angewandt. Das FA war berechtigt, den Gewinn des Klägers aus der von ihm betriebenen Landwirtschaft im Streitjahr zu schätzen (§ 162 AO 1977). Der erkennende Senat kann anhand der vom FG festgestellten Tatsachen (§ 118 Abs. 2 FGO) jedoch nicht abschließend entscheiden, ob das FA die Einkünfte des Klägers aus Land- und Forstwirtschaft auch in der richtigen Höhe angesetzt hat.

1. Das FG hat im Streitfall festgestellt, dass das FA erst im Frühjahr 1996 nachträglich davon Kenntnis erhielt, dass die Kläger in den den Einkommensteuererklärungen 1985 bis 1989 jeweils beigefügten Anlagen L die bewirtschafteten landwirtschaftlichen Nutzflächen unrichtig angegeben hatten. Sie waren --mit 66,12 ha in 1985, 65,40 ha in 1986 bis 1988 und 72,69 ha in 1989-- deutlich umfangreicher als erklärt. Das FA war daher dem Grunde nach berechtigt, den angefochtenen Einkommensteuerbescheid gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 wegen erst nachträglich bekannt gewordener Tatsachen zu ändern. Zwischen den Beteiligten ist auch unstreitig, dass bei Berücksichtigung der tatsächlich bewirtschafteten Fläche der Ausgangswert i.S. von § 13a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG die für die Gewinnermittlung nach Durchschnittssätzen maßgebende Grenze von 32 000 DM deutlich überschritt.

Unerheblich ist, ob das FA von sich aus den Umfang der bewirtschafteten Flächen hätte ermitteln können. Denn die Kläger hätten dem FA den gesamten steuerlich relevanten Sachverhalt richtig, vollständig und deutlich zur Prüfung unterbreiten müssen (Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 24. Oktober 1989 VII R 1/87, BFHE 158, 502, BStBl II 1990, 198). Das FA brauchte den eingereichten Steuererklärungen und Unterlagen nicht mit Misstrauen zu begegnen, sondern konnte mangels sich aufdrängender Zweifel von deren Richtigkeit und Vollständigkeit ausgehen (BFH-Urteile vom 18. März 1988 V R 206/83, BFH/NV 1990, 1, und vom 13. November 1985 II R 208/82, BFHE 145, 487, BStBl II 1986, 241). Die Kläger waren für das nachträgliche Bekanntwerden von Tatsachen oder Beweismitteln mit der Folge verantwortlich, dass der Steuerbescheid geändert werden konnte (BFH-Urteile vom 20. Dezember 1988 VIII R 121/83, BFHE 156, 339, BStBl II 1989, 585, und vom 14. Dezember 1994 XI R 80/92, BFHE 176, 308, BStBl II 1995, 293).

2. Unter diesen Umständen musste das FA den Gewinn des Klägers für die betreffenden Wirtschaftsjahre nicht mehr --wie von der Vorinstanz angenommen-- nach Durchschnittssätzen ermitteln.

a) Zwar ist nach § 13a Abs. 1 Satz 2 EStG der Gewinn letztmalig für das Wirtschaftsjahr nach Durchschnittssätzen zu ermitteln, das nach Bekanntgabe der Mitteilung endet, durch die die Finanzbehörde auf den Beginn der Buchführungspflicht (§ 141 Abs. 2 AO 1977) oder auf den Wegfall einer anderen Voraussetzung des Satzes 1 hingewiesen hat. Der Wortlaut dieser Bestimmung ist auf Vorschlag des Finanzausschusses des Bundestages in das Gesetz zur Neuregelung der Einkommensbesteuerung der Land- und Forstwirtschaft aufgenommen worden (BTDrucks 8/3673, S. 6). Ziel war, den genannten Umstellungszeitpunkt klarzustellen (BTDrucks 8/3673, S. 15). In der Einzelbegründung heißt es: "Mit der Vorschrift soll sichergestellt werden, dass der Steuerpflichtige - wie in § 141 Abs. 2 AO auf den Beginn der Buchführungspflicht - auf die letztmalige Anwendung des § 13a EStG durch eine besondere Mitteilung der Finanzbehörde hingewiesen wird. Die Vorschrift dient der Rechtssicherheit" (BTDrucks 8/3673, S. 16). Nach der in der Literatur herrschenden Ansicht soll daher wegen der vom Gesetzgeber gewollten Schutzwirkung eine zu Unrecht vorgenommene Durchschnittssatzgewinnermittlung nicht mit Wirkung für die Vergangenheit aus den Angeln gehoben werden können (so Hiller in Lademann, Kommentar zum Einkommensteuergesetz, 4. Aufl., § 13a Anm. 20; vgl. Leingärtner/ Kanzler, Besteuerung der Landwirte, Kap. 23 Rz. 179; Märkle/ Hiller, Die Einkommensteuer bei Land- und Forstwirten, 8. Aufl., Rdnr. 14; Schmidt/Seeger, Einkommensteuergesetz, 20. Aufl., § 13a Rz. 5, sowie Kleeberg in Kirchhof/Söhn, Einkommensteuergesetz, § 13a B 10). Da erst die Mitteilung nach § 13a Abs. 1 Satz 2 EStG ein rechtsgestaltender Verwaltungsakt sei, so wird z.T. weiter argumentiert, müsse die Gewinnermittlung auch dann nach § 13a EStG vorgenommen werden, wenn der Steuerpflichtige die tatsächlichen Verhältnisse bewusst oder unbewusst nicht offen gelegt habe (Pape in Felsmann, Einkommensbesteuerung der Land- und Forstwirte, C 121). Die Finanzverwaltung ist der Ansicht, dass zumindest die Buchführungspflicht nicht vor der genannten Mitteilung beginne (Schreiben des Bundesministers der Finanzen --BMF-- vom 15. Dezember 1981, BStBl I 1981, 878, unter 2.1.1).

b) Nach Auffassung des erkennenden Senats ist § 13a Abs. 1 Satz 2 EStG verfassungskonform einschränkend dahin auszulegen, dass ein Steuerpflichtiger sich auf die vom Gesetzgeber gewollte Schutzwirkung nicht berufen kann, wenn er das FA durch wissentlich unrichtige Angaben in seiner Steuererklärung an der rechtzeitigen Mitteilung nach § 13a Abs. 1 Satz 2 EStG hindert. In einem solchen Fall gebietet es der Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes --GG--), die fehlende Mitteilung zu dem Zeitpunkt zu unterstellen, zu dem sie bei rechtzeitiger Kenntnis der maßgebenden Umstände ergangen wäre. Insoweit zeigt der Steuerpflichtige auch durch sein Verhalten, dass er des (sonst) vom Gesetzgeber gewollten Schutzes nicht bedarf. Hauptziel der Neuregelung des § 13a EStG a.F. war nämlich, innerhalb der Landwirtschaft für eine größere Steuergerechtigkeit zu sorgen, weil bisher die tatsächlichen Gewinne vor allem durch den früheren § 13a EStG a.F. nur sehr unzureichend erfasst worden waren (BTDrucks 8/3673, S. 13). An diesem Ziel gemessen hatte die Klarstellung des genauen Umstellungszeitpunktes auf eine andere Gewinnermittlungsart nur dienende Bedeutung. Wie die Ausführungen zu § 173 AO 1977 (unter 1.) zeigen, durften sich die Kläger auf die Bestandskraft des zunächst ergangenen Einkommensteuerbescheides 1988 nicht verlassen. Unstreitig ist, dass das FA bei Kenntnis der im Jahr 1985 tatsächlich bewirtschafteten Nutzflächen den Kläger rechtzeitig auf das Ende der Gewinnermittlung nach Durchschnittssätzen hätte hinweisen können und müssen, weil der Ausgangswert für die landwirtschaftliche Nutzung die Grenze von 32 000 DM überschritt (§ 13a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG). Hätte es auf der Grundlage der zu gering angegebenen Flächen die Kläger --wie z.B. für das Jahr 1987 durch einen sog. Nullbescheid-- von der Einkommensteuer ausdrücklich freigestellt, dann wäre es nach §§ 172 ff. AO 1977 nicht gehindert gewesen, für den gleichen Veranlagungszeitraum in der gleichen Angelegenheit einen neuen Steuerbescheid zu erlassen (vgl. BFH-Urteil vom 11. Juli 1986 VI R 105/83, BFHE 147, 113, BStBl II 1986, 775, vorletzter Absatz, sowie BFH-Urteil vom 8. Februar 1996 V R 54/94, BFH/NV 1996, 733).

c) Der Heranziehung des Grundsatzes von Treu und Glauben (vgl. BFH-Urteile vom 9. August 1989 I R 181/85, BFHE 158, 31, BStBl II 1989, 990, und vom 8. Februar 1995 I R 127/93, BFHE 177, 332, BStBl II 1995, 764, unter Abschn. II. C. 4., jeweils m.w.N.) bedarf es im Streitfall nicht. Zwar muss nach diesem Grundsatz auch in einem Steuerrechtsverhältnis jeder Beteiligte auf die berechtigten Belange des anderen Teiles angemessen Rücksicht nehmen und darf sich mit seinem eigenen früheren Verhalten nicht in Widerspruch setzen (vgl. z.B. das o.g. BFH-Urteil in BFH/NV 1996, 733, m.w.N.). Das Verbot des "venire contra factum proprium" greift aber unabhängig davon im Streitfall unmittelbar ein. Die Kläger wären verpflichtet gewesen, von ihnen nachträglich als unrichtig oder unvollständig erkannte Steuererklärungen, die zu einer Verkürzung von Steuern führten oder führen konnten, unverzüglich richtig zu stellen und dies dem FA anzuzeigen (§ 153 Abs. 1 AO 1977). Diese Pflicht hätte sie aber auch dann getroffen, wenn die Voraussetzungen für eine Steuerbefreiung, Steuerermäßigung oder sonstige Steuervergünstigung nachträglich ganz oder teilweise entfallen wären (§ 153 Abs. 2 AO 1977). Kannten die Kläger jedoch bereits bei der Abgabe der Steuererklärung die Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit, dann mussten sie ihre Angaben berichtigen oder ergänzen, um sich damit ggf. die mit einer Selbstanzeige verbundenen Vorteile zu sichern (vgl. § 371 AO 1977). Daran gemessen kann sich die vom Gesetzgeber für die Gewinnermittlung sonst gewünschte Rechtssicherheit nicht zu Gunsten des Steuerpflichtigen auswirken, wenn das FA ohne dessen Mitwirkung nachträglich erkennt, dass die in der Steuererklärung gemachten Angaben --entgegen dessen Versicherung-- wissentlich unrichtig und unvollständig waren.

d) Mit den Urteilen vom 17. März 1977 IV R 116/73 (BFHE 121, 461, BStBl II 1978, 76) und vom 31. März 1977 IV R 159/76 (BFHE 121, 476, BStBl II 1977, 549) hat der Senat entschieden, dass ein Landwirt mangels entsprechenden Hinweises durch die Finanzbehörden nicht rückwirkend buchführungspflichtig werden kann (so auch Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 141 AO 1977 Tz. 46, m.w.N.). Der Streitfall ist damit aber trotz der im Gesetz vorgesehenen Mitteilung nach § 13a Abs. 1 Satz 2 EStG nicht vergleichbar. Es geht hier nicht um die Statuierung einer --nachträglich nicht erfüllbaren-- Buchführungspflicht, sondern darum, ob der Gewinn noch nach Durchschnittssätzen zu ermitteln war. Da dem FA durch die unrichtigen Angaben der Kläger in den maßgeblichen Einkommensteuererklärungen die tatsächliche Größe der bewirtschafteten Flächen erst nachträglich bekannt wurde (§ 173 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977), die Kläger aber wussten, dass materiell die Voraussetzungen für die Gewinnermittlung nach § 13a EStG nicht mehr vorlagen, war das FA nicht gehindert, den Gewinn des Klägers durch Schätzung zu ermitteln. Soweit sich aus den genannten Entscheidungen insoweit etwas anderes ergibt, hält der Senat daran nicht fest. Zwar muss der Gewinn eines Landwirts grundsätzlich nach der Gewinnermittlungsart geschätzt werden, die er selbst gewählt hat (Senatsurteil vom 29. März 2001 IV R 67/99, BFHE 195, 261, BStBl II 2001, 484); das hindert aber das FA nicht, im Streitfall, in dem schon die Voraussetzungen für die vom Kläger gewählte Gewinnermittlungsart nicht erfüllt waren, den wahrscheinlichen Gewinn mit Hilfe der amtlich aufgestellten Richtsätze zu schätzen (vgl. auch das Senatsurteil vom 15. April 1999 IV R 68/98, BFHE 188, 291, BStBl II 1999, 481). Andernfalls stünden die Finanzbehörden dem Verhalten eines Steuerpflichtigen wie dem Kläger hilflos gegenüber, weil jede anderweitige nachträgliche Gewinnermittlung und damit jede andere Steuerfestsetzung oder -berechnung rechtswidrig wären.

3. Da das FG von anderen Rechtsgrundsätzen ausgegangen ist, war die Vorentscheidung aufzuheben und die Sache mangels Entscheidungsreife an das FG zurückzuverweisen. Das FG wird nunmehr prüfen müssen, ob die vom FA vorgenommene Schätzung des Gewinns auch der Höhe nach zutreffend ist.

Ende der Entscheidung

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