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Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 10.09.1998
Aktenzeichen: IV R 19/96
Rechtsgebiete: EStG, AO 1977, FGO, BGB


Vorschriften:

EStG § 24 Nr. 1
EStG § 24 Nr. 1 Buchst. a
EStG § 34 Abs. 1
EStG § 34 Abs. 2 Nr. 2
EStG § 34 Abs. 1 u. 2
AO 1977 § 176 Abs. 1 Nr. 3
AO 1977 § 176 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3
AO 1977 § 176
FGO § 126 Abs. 3 Nr. 1
BGB § 252
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe

I. Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin), eine KG, betrieb einen Großhandel mit Mineralölprodukten und chemischen Erzeugnissen. Ihre Tochtergesellschaft A-GmbH unterhielt im Großraum B mehrere Tankstellen. Mit der Umwandlung der A-GmbH auf die Klägerin ging der Betrieb der Tankstellen zum 1. Januar 1985 auf die Klägerin über. Die Klägerin ermittelte die Betriebsergebnisse für die beiden Bereiche Großhandel und Tankstellen gesondert.

Wie zuvor die A-GmbH verkaufte die Klägerin über ihre Tankstellen ausschließlich Treibstoffe und Mineralölprodukte der L-GmbH, und zwar im eigenen Namen, jedoch für Rechnung der L-GmbH. Grundlage hierfür waren sogenannte Farb- und Lieferabkommen, nach denen die Verkaufspreise von der L-GmbH für die einzelnen Tankstellen festgelegt wurden. Die A-GmbH und später die Klägerin erhielten eine mengenabhängige, feste Vergütung, die für alle Tankstellen einheitlich festgesetzt war; sie waren verpflichtet, an einem Teil der Tankstellen ausschließlich L-Warenzeichen, L-Hausfarben sowie L-Markenbezeichnungen zu verwenden und die übrigen Tankstellen auf Verlangen der L-GmbH auf L-Hausfarben umzustellen. Das zuletzt geschlossene Farb- und Lieferabkommen vom 15. Juni/22. August 1983 sah eine Laufzeit bis zum 31. Dezember 1986 mit Verlängerungsklausel vor, für eine Tankstelle bis zum 31. Dezember 1985 ohne Verlängerungsklausel. Mit Schreiben vom 5. November 1984 kündigte die L-GmbH diesen Vertrag wegen der Stillegung der Raffinerie C, von der aus die A-GmbH versorgt worden war, aus wichtigem Grund zum 31. Dezember 1984. Mit Vertrag vom 12./15. April 1985 vereinbarten die Vertragspartner einvernehmlich die vorzeitige Beendigung des Farb- und Lieferabkommens zum 30. April 1985 und eine Ablösungssumme zur Abgeltung aller Ansprüche der A-GmbH in Höhe von ... DM zuzüglich Umsatzsteuer.

Nach Beendigung des Lieferabkommens mit der L-GmbH betrieb die Klägerin einen Teil der Tankstellen als sogenannte freie Tankstellen weiter und kaufte dazu Treibstoffe auf dem freien Markt ein, die sie zu selbst festgesetzten Preisen weiterverkaufte.

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) sah die Abfindung zunächst als Entschädigung i.S. von § 24 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) an, änderte aber den unter Vorbehalt der Nachprüfung ergangenen Feststellungsbescheid 1985 nach einer Außenprüfung und rechnete die Abfindung dem laufenden, nicht tarifbegünstigten Gewinn zu.

Nach erfolglosem Einspruch gab das Finanzgericht (FG) der Klage mit der in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1996, 655 veröffentlichten Begründung statt. Danach unterliegt die Abfindung im Streitfall als Entschädigung i.S. von § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG dem ermäßigten Steuersatz nach § 34 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 EStG, weil die vorzeitige Beendigung des Farb- und Lieferabkommens ein außergewöhnlicher Vorgang gewesen sei, der die bisherige Ertragsgrundlage zunichte gemacht habe. Die Zahlung beruhe auch auf einer neuen Rechts- oder Billigkeitsgrundlage, dem Vertrag vom 12./15. April 1985. Daß die Klägerin unter erheblichem wirtschaftlichem Druck gestanden habe, ergebe sich aus der vorangegangenen Kündigung des Vertrags. Unschädlich sei, daß sie auch weiterhin in der gleichen Branche tätig geworden sei.

Mit seiner dagegen gerichteten Revision rügt das FA die Verletzung materiellen Rechts. Es ist der Auffassung, die Beendigung von Warenlieferungsverträgen sei im Handelsverkehr kein außergewöhnlicher Vorgang, sondern das "gängige" Risiko des Kaufmanns. Wie ein Veräußerungsgewinn im Jahre 1990 gezeigt habe, sei die Klägerin ihrem Gewerbe mit freien Tankstellen auch weiterhin mit Erfolg nachgegangen.

Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Sie ist der Auffassung, die Kündigung ihres Agenturvertrags sei nicht als Störung eines Liefervertrags oder eines Handelsgeschäfts zu sehen, sondern als Entzug der Geschäftsgrundlage des Unternehmens. Vorsorglich werde jedoch geltend gemacht, daß der Vertrauensschutz des § 176 Abs. 1 Nr. 3 der Abgabenordnung (AO 1977) die Änderung des Gewinnfeststellungsbescheids 1985 der Klägerin ausschließe. Erst durch das Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 5. Oktober 1989 IV R 126/85 (BFHE 158, 404, BStBl II 1990, 155) seien Entschädigungen für existenzbedro-hende Störungen in Lieferverträgen als typische Geschäfte eines Unternehmers angesehen und von der Begünstigung des § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG ausgeschlossen worden. Die tatsächliche Verwal-tungsübung habe sich daraufhin entscheidend verschärft.

II. Die Revision des FA ist begründet. Das angefochtene Urteil war aufzuheben und die Klage abzuweisen (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Das FG hat zu Unrecht erkannt, daß die Leistungen der L-GmbH an die Klägerin eine Entschädigung als Ersatz für entgangene oder entgehende Einnahmen (§ 24 Nr. 1 Buchst. a EStG) sind. Damit sind sie auch nicht nach § 34 Abs. 1 und 2 EStG tarifbegünstigt zu versteuern.

1. Nach der Rechtsprechung des BFH sind Einnahmen, die ein Gewerbetreibender im Rahmen typischer unternehmensgegenständlicher Geschäftsvorfälle erhält, keine Entschädigungen i.S. des § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG, und zwar gleichgültig, ob die Einnahmen in Erfüllung eines Vergütungsanspruchs oder in Erfüllung eines Schadensersatzanspruchs zugeflossen sind, der an die Stelle eines durch vertragswidriges Verhalten entgangenen Vergütungsanspruchs getreten ist. Von einer Entschädigung "als Ersatz für entgangene oder entgehende Einnahmen" (§ 24 Nr. 1 Buchst. a EStG) kann danach nur gesprochen werden, wenn der Anspruch auf Bezug von früheren oder künftigen Einnahmen weggefallen ist; der "Ersatz" muß auf einer neuen Rechts- oder Billigkeitsgrundlage beruhen (zuletzt BFH-Urteile vom 27. November 1991 X R 10/91, BFH/NV 1992, 455, und vom 25. August 1993 XI R 8/93, BFHE 172, 338, BStBl II 1994, 167, jeweils mit Nachweisen der Rechtsprechung). Sofern die vertragliche Anspruchsgrundlage nicht wegfällt, erhält der Steuerpflichtige von dem Vertragspartner keinen "Ersatz" für die ihm laut Vertrag zustehende Leistung, sondern diese Leistung selbst.

Danach liegt im Bereich der Einkünfte aus Gewerbebetrieb eine Entschädigung i.S. des § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG nicht vor, wenn und soweit die Ersatzleistung der Erfüllung oder dem Ausgleich des Interesses an der Erfüllung solcher Verträge dient, die im laufenden Geschäftsverkehr geschlossen worden sind und sich unmittelbar auf den Geschäftsgegenstand des Unternehmens beziehen (Senatsurteil vom 20. Juli 1978 IV R 43/74, BFHE 125, 271, 277 f., BStBl II 1979, 9). Dies gilt auch für die infolge Vertragsstörung im Rahmen des Erfüllungsinteresses geleisteten Zahlungen des Vertragsstörers, und zwar einschließlich der Zahlungen für den entgangenen Gewinn i.S. des § 252 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB). Zahlungen, die bürgerlich-rechtlich Erfüllungsleistungen eines Rechtsverhältnisses sind, fallen daher selbst dann nicht unter den Begriff der Entschädigung i.S. des § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG, wenn sie auf einer neuen Rechts- und Billigkeitsgrundlage beruhen (s. Horn in Herrmann/ Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz, Kommentar, 21. Aufl., § 24 EStG Anm. 30, mit Rechtsprechungsnachweisen).

2. Nach diesen Grundsätzen handelt es sich bei der der Klägerin gezahlten Ablösungssumme nicht um eine Entschädigung i.S. des § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG.

a) Bei der von der L-GmbH der Klägerin geleisteten Zahlung geht es um die Erfüllung von Schadensersatzansprüchen, wie sie im Bereich der Nichterfüllung von Lieferverträgen anfallen. Der Klägerin stand nach dem von ihrer Rechtsvorgängerin zuletzt geschlossenen Farb- und Lieferabkommen von 1983 als Gegenleistung für die Belieferung ihrer Tankstellen bis zum 31. Dezember 1986 eine im Vertrag im einzelnen bestimmte, mengenabhängige feste Vergütung zu. Zwar sollte der Vertrag für eine der 7 Tankstellen der Klägerin bereits zum 31. Dezember 1985 endgültig auslaufen; für die übrigen Tankstellen war jedoch eine Verlängerung des Farb- und Lieferabkommens um jeweils weitere 2 Jahre vorgesehen, wenn der Vertrag nicht zuvor fristgerecht gekündigt wurde. Die Vereinbarung über die vorzeitige Beendigung dieses Farb- und Lieferabkommens bezieht sich unmittelbar auf den 1983 abgeschlossenen Vertrag und sieht "zur Abgeltung aller Ansprüche" der Klägerin gegen die L-GmbH die Zahlung der "Ablösungssumme" vor. Der Aufhebungsvertrag dient damit der Vermeidung etwaiger Schadensersatzansprüche der Klägerin aus positiver Vertragsverletzung wegen der durch die L-GmbH herbeigeführten und durch sie allein zu vertretenden Kündigung.

b) Entgegen der Auffassung des FG ist aber auch ein die Anwendung des § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG rechtfertigender Ausnahmesachverhalt im Streitfall nicht gegeben. Nach der Rechtsprechung ist es grundsätzlich unerheblich, daß die aufgehobene Vertragsbeziehung für die Klägerin ein wirtschaftlich bedeutsamer Geschäftsvorfall war (vgl. Senatsurteil vom 18. September 1986 IV R 228/83, BFHE 147, 477, 481, BStBl II 1987, 25, und BFH-Urteil in BFH/NV 1992, 455). Nach der Vereinbarung aus dem Jahre 1983 hätte die Klägerin spätestens zum 30. Juni 1986 und in einem zeitlichen Abstand von jeweils 2 Jahren danach ohnehin mit der Möglichkeit einer ordentlichen Kündigung des Farb- und Lieferabkommens durch die L-GmbH rechnen müssen. Auch in diesem Fall hätte sie dann vor der Frage gestanden, ob eine Betriebsaufgabe wegen der längerfristig abgeschlossenen Mietverträge wirtschaftlich sinnvoll und tragbar gewesen, oder ob die Vereinbarung neuer Lieferbeziehungen und damit die Betriebsfortführung vorteilhafter erschienen wäre. Daß die Klägerin zuvor für fremde Rechnung tätig geworden ist, ihre freien Tankstellen aber nach der Aufhebung des Vertrags auf eigene Rechnung betrieben hat, ist in diesem Zusammenhang ohne Bedeutung.

c) Die Klägerin hat vorgetragen, der Aufhebungsvertrag sei von ihr unter starkem wirtschaftlichem Druck abgeschlossen worden. Dem kann der Senat nicht folgen. Indem die Klägerin ungeachtet der vorangegangenen Kündigung des Liefervertrags auf das Angebot der Aufhebung dieses Vertrags einging, weil ihr der Verzicht auf die vertraglichen Rechte wirtschaftlich vorteilhafter erschien, hat sie weder einen Schaden erlitten noch ihre Wahl unter tatsächlichem oder wirtschaftlichem Druck getroffen. Sie hat vielmehr eine vertraglich gesicherte Position aufgrund eigener, freiwillig getroffener Entscheidung gegen Zahlung einer wirtschaftlich angemessenen Ablösesumme aufgegeben (vgl. BFH-Urteile vom 27. Juli 1978 IV R 153/77, BFHE 126, 165, 168, BStBl II 1979, 69; vom 5. Februar 1987 IV R 121/83, BFH/NV 1987, 571, und in BFH/NV 1992, 455).

3. Das FA war auch nicht daran gehindert, den unter Vorhalt der Nachprüfung ergangenen Feststellungsbescheid zu ändern. Die Voraussetzungen des § 176 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AO 1977 liegen im Streitfall nicht vor. Die Vertrauensschutzregelung des § 176 AO 1977 ist zwar auch auf Steuerfestsetzungen anwendbar, die --wie die im Streitfall geänderte Gewinnfeststellung-- unter dem Vorbehalt der Nachprüfung ergehen. Insoweit fehlt es jedoch bereits an dem schlüssigen Vortrag, die ursprünglich ergangene Gewinnfeststellung beruhe auf einer bestimmten, die Klägerin begünstigenden Rechtsprechung des BFH. Tatsächlich hat sich die Rechtsprechung des BFH zum Begriff der Entschädigung i.S. des § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG --entgegen der Auffassung der Revision-- durch das Urteil in BFHE 158, 404, BStBl II 1990, 155 nicht geändert. Diese Entscheidung zur Leistungsstörung bei Sukzessivlieferungsverträgen entsprach, wie der Hinweis auf das amtlich nicht veröffentlichte Urteil vom 13. September 1984 IV R 146/81 zeigt, der bisherigen Rechtsprechung zu § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG. Bereits diese Entscheidung erschien dem Senat nicht als so außergewöhnlich, daß er sie zur amtlichen Veröffentlichung bestimmt hätte. Beide Entscheidungen des Senats sind aber zugleich Beleg dafür, daß auch die Praxis der Finanzämter Leistungen im Zusammenhang mit der Aufhebung eines Sukzessivlieferungsvertrags nicht anders behandelt hat als Entschädigungen bei Verletzung anderer Vertragsbeziehungen.

4. Da das FG von einer anderen Rechtsauffassung ausgegangen ist, war seine Entscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 FGO).

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