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Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 30.08.2007
Aktenzeichen: IV R 47/05
Rechtsgebiete: GewStG


Vorschriften:

GewStG § 11 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1
Der Freibetrag nach § 11 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 GewStG für Personengesellschaften steht auch einer Kapitalgesellschaft zu, an deren gewerblichem Unternehmen nur eine andere Kapitalgesellschaft als atypischer stiller Gesellschafter beteiligt ist.
Gründe:

I.

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist eine GmbH. Gegenstand ihres Unternehmens ist unter anderem die Herstellung und der Vertrieb von Heizungs-, Klima- und Lüftungsanlagen sowie sanitären Einrichtungen. Zum 1. Januar 1995 beteiligte sich die H-GmbH am Handelsgewerbe der Klägerin mit einer Einlage in Höhe von 5 000 DM atypisch still.

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) setzte die Gewerbesteuermessbeträge für die Streitjahre 1998 und 1999 gegenüber der Klägerin zunächst unter Berücksichtigung des Freibetrags gemäß § 11 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 des Gewerbesteuergesetzes (GewStG) fest. Die Bescheide ergingen unter dem Vorbehalt der Nachprüfung. Bei der Festsetzung der Gewerbesteuermessbeträge für die Streitjahre 2000 und 2001 berücksichtigte das FA den vorgenannten Freibetrag hingegen nicht mehr. Die Klägerin legte gegen die Gewerbesteuermessbescheide für 2000 und 2001 Einspruch ein.

Im Anschluss an eine bei der Klägerin durchgeführte Außenprüfung setzte das FA auch für die Streitjahre 1998 und 1999 den Freibetrag nach § 11 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 GewStG nicht mehr an. Die Klägerin erhob auch gegen die Änderungsbescheide für 1998 und 1999 Einsprüche, die in dem hier interessierenden Streitpunkt ebenso wie die Einsprüche gegen die Gewerbesteuermessbescheide für 2000 und 2001 erfolglos blieben. Das FA vertrat die Auffassung, nach Abschnitt 69 Abs. 1 Satz 2 der Gewerbesteuer-Richtlinien (GewStR) 1998 sei die Gewährung des Freibetrags nach § 11 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 GewStG bei Personengesellschaften zu versagen, deren Gesellschafter ausschließlich Kapitalgesellschaften seien.

Das Finanzgericht (FG) gab der Klage mit den in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2005, 1292 veröffentlichten Gründen statt. Der Freibetrag gemäß § 11 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 GewStG stehe Personengesellschaften zu. Als Personengesellschaft in diesem Sinne sei auch die atypische stille Gesellschaft anzusehen. Dementsprechend sei der Freibetrag auch einer Kapitalgesellschaft zu gewähren, an der --wie im Streitfall-- eine andere Kapitalgesellschaft atypisch still beteiligt sei.

Mit der Revision rügt das FA die Verletzung materiellen Rechts.

Es beantragt sinngemäß,

die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

II.

Die Revision des FA ist unbegründet und nach § 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zurückzuweisen. Das FG hat den Freibetrag gemäß § 11 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 GewStG zu Recht zugunsten der Klägerin berücksichtigt und die Gewerbesteuermessbeträge für alle Streitjahre (1998 bis 2001) dementsprechend auf jeweils 0 DM festgesetzt.

Gemäß § 11 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 GewStG in der in den Streitjahren geltenden Fassung ist der Gewerbeertrag bei natürlichen Personen sowie bei Personengesellschaften um einen Freibetrag in Höhe von 48 000 DM zu kürzen.

Das FG ist in Übereinstimmung mit den Beteiligten davon ausgegangen, dass die H-GmbH als atypische stille Gesellschafterin an dem Unternehmen der Klägerin beteiligt war. Gegen diese Würdigung der Vorinstanz sind im Revisionsverfahren keine Einwendungen vorgebracht worden.

Bei der stillen Gesellschaft i.S. der §§ 230 ff. des Handelsgesetzbuchs (HGB) handelt es sich um eine Personengesellschaft in Form der Innengesellschaft (vgl. MünchKommHGB/Karsten Schmidt, 2. Aufl., § 230 Rz 5, 7; Zutt in GroßkommHGB, 4. Aufl., § 230 Rz 7, 8; Baumbach/Hopt, HGB, 32. Aufl., § 230 Rz 2). Für die atypische stille Gesellschaft gilt insoweit nichts anderes (vgl. MünchKommHGB/Karsten Schmidt, a.a.O., § 230 Rz 74 ff.).

Der Bundesfinanzhof (BFH) hat deshalb in ständiger Rechtsprechung den Freibetrag nach § 11 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 GewStG auch atypischen stillen Gesellschaften eingeräumt (vgl. BFH-Urteile vom 10. November 1993 I R 20/93, BFHE 173, 184, BStBl II 1994, 327; vom 8. Februar 1995 I R 127/93, BFHE 177, 332, BStBl II 1995, 764, und vom 27. März 1996 I R 100/94, BFH/NV 1996, 798, unter II.5. der Gründe). Diese Auffassung wird von der Finanzverwaltung geteilt (Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen vom 26. November 1987 IV B 2-S 2241-61/87, BStBl I 1987, 765; Abschnitt 69 Abs. 1 Satz 3 GewStR 1998). Sie entspricht auch der im Schrifttum ganz überwiegend vertretenen Ansicht (Blümich/Gosch, § 11 GewStG Rz 9; Güroff in Glanegger/ Güroff, GewStG, 6. Aufl., § 11 Rz 3a; Sarrazin in Lenski/ Steinberg, Gewerbesteuergesetz, § 11 Rz 4; Meyer-Scharenberg in Meyer-Scharenberg/Popp/Woring, Gewerbesteuer-Kommentar, 2. Aufl., § 11 Rz 8; Obermüller, Gewerbesteuer, Kommentar, Erl. 3 zu § 11 GewStG; Unvericht, Deutsches Steuerrecht --DStR-- 1987, 413; Döllerer, Steuerberater-Jahrbuch 1987/88, 289, 302; Binger, Der Betrieb --DB-- 1988, 414; Horn/Maertins, GmbH-Rundschau 1995, 816; a.A. Zacharias/Suttmeyer/Rinnewitz, DStR 1988, 128; Winkeljohann/Halfar, DB 1994, 2471).

Die BFH-Urteile in BFHE 173, 184, BStBl II 1994, 327 und in BFHE 177, 332, BStBl II 1995, 764 betrafen zwar jeweils Sachverhalte, in denen sich eine natürliche Person an dem gewerblichen Unternehmen einer Kapitalgesellschaft (GmbH) atypisch still beteiligt hatte. Für die atypische stille Beteiligung einer Kapitalgesellschaft am gewerblichen Unternehmen einer anderen Kapitalgesellschaft kann im Ergebnis jedoch nichts anderes gelten.

a) Eine atypische stille Gesellschaft ist auch dann eine Personengesellschaft, wenn an ihr ausschließlich Kapitalgesellschaften beteiligt sind. § 11 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 GewStG differenziert für die Gewährung des Freibetrags nicht danach, wer an der Personengesellschaft beteiligt ist. Nach dem Gesetzeswortlaut steht damit auch einer atypischen stillen Gesellschaft, an der nur Kapitalgesellschaften beteiligt sind, der Freibetrag zu.

b) Eine einschränkende Auslegung dieses eindeutigen Gesetzeswortlauts ist nach Sinn und Zweck der Vorschrift nicht geboten.

Mit dem Freibetrag gemäß § 11 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 GewStG will der Gesetzgeber in typisierender Form einen fiktiven Unternehmerlohn berücksichtigen, um natürliche Personen und Personengesellschaften den Kapitalgesellschaften gleichzustellen, die ihrerseits den Gewinn um Geschäftsführergehälter mindern können, auch wenn sie an ihre Gesellschafter gezahlt werden (vgl. Güroff in Glanegger/Güroff, a.a.O., § 11 Rz 3a; Sarrazin in Lenski/Steinberg, a.a.O., § 11 Rz 3).

Zwar ist die Gewährung des Freibetrags nach § 11 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 GewStG unter Berücksichtigung dieses Gesetzeszwecks nicht erforderlich, wenn an der atypischen stillen Gesellschaft nur Kapitalgesellschaften beteiligt sind. Allerdings kommt es zu einer über den Gesetzeszweck hinausgehenden Begünstigung auch schon in den Fällen, in denen nur der Unternehmensinhaber, nicht aber der atypisch still Beteiligte eine Kapitalgesellschaft ist. Denn in einer solchen Konstellation wird der Freibetrag nach der zutreffenden, ständigen Rechtsprechung des BFH, der Auffassung der Finanzverwaltung und der herrschenden Meinung im Schrifttum ebenfalls gewährt, obwohl die Kapitalgesellschaft als Unternehmensinhaber Geschäftsführergehälter gewinnmindernd abziehen kann. Bedenken gegen dieses Ergebnis hat der BFH auch im Hinblick auf Sinn und Zweck der Freibetragsregelung nicht erhoben.

Es kommt hinzu, dass bei folgerichtiger Umsetzung der vom FA vertretenen Auffassung die Gewährung des Freibetrags nach § 11 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 GewStG nicht nur bei der GmbH & atypisch Still GmbH, sondern bei sämtlichen Personengesellschaften, an denen nur Kapitalgesellschaften beteiligt sind, versagt werden müsste. Denn es ließe sich in Ermangelung eines sachgerechten Differenzierungsgrundes mit dem allgemeinen Gleichheitssatz in Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes nicht vereinbaren, die GmbH & atypisch Still GmbH hinsichtlich des Freibetrags anders zu behandeln als etwa eine OHG oder eine GmbH & Co. KG, an der ebenfalls nur juristische Personen beteiligt sind.

Dies alles erhellt, dass der vorgenannte Gesetzeszweck des § 11 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 GewStG im Rahmen einer verfassungsrechtlich noch zulässigen Typisierung (vgl. Blümich/Gosch, § 11 GewStG Rz 9, m.w.N.; zur Typisierungsbefugnis des Gesetzgebers im Steuerrecht allgemein vgl. Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 21. Juni 2006 2 BvL 2/99, BFH/NV 2006, Beilage 4, 481, unter C.I.3.c der Gründe, m.w.N.) nur den Regelfall trifft. In davon abweichenden Sachverhaltsgestaltungen hat es der Gesetzgeber demgegenüber bewusst in Kauf genommen, dass die durch die Gewährung des Freibetrags gewährte Begünstigung auch in Fällen eintritt, in denen sie nicht unbedingt geboten erscheint. Für eine einschränkende Auslegung (teleologische Reduktion) von § 11 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 GewStG ist damit aber kein Raum mehr.

c) Seine Bestätigung findet dieses Ergebnis auch durch das Gesetzgebungsverfahren zum Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/ 2002 (StEntlG 1999/2000/2002). Der Entwurf des StEntlG 1999/2000/2002 sah in Art. 10 Nr. 3 eine Änderung von § 11 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 (und Abs. 2 Nr. 1) GewStG dahin vor, dass die Vorschriften nur vorbehaltlich eines neu einzufügenden § 11 Abs. 2a GewStG gelten sollten. Nach § 11 Abs. 2a GewStG sollten die Freibetragsregelung und der Staffeltarif nicht für Personengesellschaften gelten, "an denen im gesamten Erhebungszeitraum ausschließlich juristische Personen unmittelbar oder mittelbar über andere Personengesellschaften beteiligt sind" (BTDrucks 14/23, S. 119 f.). Zur Begründung des Gesetzentwurfs wurde ausgeführt, die Freibetragsregelung und der Staffeltarif nach § 11 Abs. 1 und Abs. 2 GewStG seien in einer solchen Konstellation "nicht gerechtfertigt". Denn sie sollten den Nachteil ausgleichen, dass Personenunternehmen --anders als Kapitalgesellschaften-- Gehälter des Gesellschafter-Geschäftsführers (bzw. den Unternehmerlohn des Einzelunternehmers) nicht gewerbesteuermindernd abziehen könnten (BTDrucks 14/23, S. 199).

Dieses Änderungsvorhaben gab der Gesetzgeber im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens zum StEntlG 1999/2000/2002 jedoch wieder auf. In der Empfehlung des federführenden Finanzausschusses hieß es dazu unter anderem, die im Gesetzentwurf enthaltene Regelung schließe nur in einem Teilbereich nicht gerechtfertigte Steuervorteile aus. Schon die Beteiligung einer natürlichen Person als atypisch stiller Gesellschafter am Handelsgewerbe einer GmbH führe dazu, dass für den Gewerbebetrieb Freibetrag und Staffeltarif zu gewähren seien, obwohl das von der GmbH an ihren Geschäftsführer gezahlte Gehalt den Gewerbeertrag mindere. Eine Regelung, die in diesen Fällen die Inanspruchnahme nicht gerechtfertigter Steuervorteile verhindere, sei nicht möglich, ohne gleichzeitig die mittelständische GmbH & Co. KG zu treffen (BTDrucks 14/443, S. 40).

Der Gesetzgeber des StEntlG 1999/2000/2002 ist also zum einen davon ausgegangen, dass nach § 11 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 GewStG (in der in den Streitjahren geltenden Fassung) der Freibetrag auch dann zu gewähren ist, wenn an der Personengesellschaft --wie im Streitfall-- nur Kapitalgesellschaften beteiligt sind. Der Gesetzgeber hat es zum anderen in Kenntnis dieser gewerbesteuerrechtlichen Problematik und des mit dem Gesetzeswortlaut in Teilbereichen in Konflikt stehenden Gesetzeszwecks ausdrücklich abgelehnt, § 11 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 GewStG dahin zu ändern, dass der Freibetrag entfällt, wenn an einer Personengesellschaft nur Kapitalgesellschaften beteiligt sind.

Das hier gefundene Ergebnis entspricht diesen gesetzgeberischen Wertungen.

d) Soweit Abschnitt 69 Abs. 1 Satz 3 GewStR 1998, wie das FA meint, demgegenüber zu entnehmen sein sollte, der Freibetrag nach § 11 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 GewStG sei nicht zu berücksichtigen, wenn am gewerblichen Unternehmen einer Kapitalgesellschaft nur eine andere Kapitalgesellschaft atypisch still beteiligt sei, könnte der Senat dieser Auffassung aus den vorgenannten Gründen nicht folgen.

Ende der Entscheidung

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