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Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 06.04.2000
Aktenzeichen: IV R 56/99
Rechtsgebiete: EStG, FGO


Vorschriften:

EStG § 4 Abs. 3
EStG § 11 Abs. 2 Satz 1
EStG § 11 Abs. 2
EStG § 11 Abs. 1
FGO § 118 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) war freier Erfinder. Da er für die Veranlagungszeiträume 1991 und 1992 zunächst keine Steuererklärungen abgegeben hatte, schätzte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) die Besteuerungsgrundlagen. Er nahm durch Bescheide vom 30. Januar 1995 (Veranlagungszeitraum 1991) und vom 1. Februar 1995 (Veranlagungszeitraum 1992) positive Einkünfte aus selbständiger Arbeit sowie aus Vermietung und Verpachtung aufgrund einer Besteuerung des Nutzungswertes des eigenen Hauses an. Das FA minderte den so ermittelten Gesamtbetrag der Einkünfte um einen aus den Vorjahren verbliebenen Verlustvortrag. Infolge der Verlustverrechnung wurde die Einkommensteuer für beide Veranlagungszeiträume auf 0 DM festgesetzt.

Der verbleibende Verlustabzug des Klägers zum 31. Dezember 1990 war mit ... DM festgestellt worden. Mit Bescheid vom 30. Januar 1995 stellte das FA aufgrund der im Schätzungsbescheid für 1991 enthaltenen Verlustverrechnung einen verbleibenden Verlustabzug zum 31. Dezember 1991 von ... DM fest. Auf der Grundlage des Schätzungsbescheides für 1992 stellte das FA mit Bescheid vom 1. Februar 1995 einen verbleibenden Verlustabzug zum 31. Dezember 1992 von ... DM fest.

Die gegen die Steuerbescheide und die Verlustfeststellungsbescheide eingelegten Einsprüche wurden als unbegründet zurückgewiesen. Der Kläger erhob Klage.

Mit den im Klageverfahren abgegebenen Steuererklärungen legte er Einnahmen-Überschussrechnungen für 1991 und 1992 vor, in denen er einen Verlust aus selbständiger Tätigkeit in Höhe von ... DM für den Veranlagungszeitraum 1991 sowie von ... DM für den Veranlagungszeitraum 1992 erklärte. Ferner beantragte er den Wegfall der Nutzungswertbesteuerung.

Die in den Einnahmen-Überschussrechnungen ausgewiesenen Verluste resultierten in erster Linie aus Zinsaufwendungen. Im Rahmen einer Erörterung vor dem Finanzgericht (FG) erkannte das FA Zinsaufwendungen zugunsten des Gläubigers K an, da diese Zinsen in den Streitjahren mit Lizenzzahlungen des K an den Kläger verrechnet wurden. Verschiedene andere Zinspositionen --insbesondere gegenüber Banken-- machte der Kläger nach dem Erörterungstermin nicht mehr geltend.

Weiterhin streitig blieben die in den Einnahmen-Überschussrech-nungen 1991 und 1992 enthaltenen Zinsen zugunsten des Gläubigers H von ... DM (1991) und ... DM (1992). Diesen Zinsaufwendungen liegt ein Darlehensvertrag zugrunde, in dem bis dahin mündlich getroffene Darlehensvereinbarungen schriftlich fixiert wurden. In diesem Darlehensvertrag ist festgehalten, dass H dem Kläger per 31. Dezember 1981 eine Darlehenssumme von ... DM zur Finanzierung seines Unternehmens zur Verfügung gestellt hatte. H verpflichtete sich, zur weiteren Finanzierung des Unternehmens "von Fall zu Fall weitere notwendige Geldmittel darlehensweise zur Verfügung" zu stellen. Das Darlehen sollte jährlich mit 15 % verzinst werden. "Ab Beginn der wirtschaftlichen Auswertung der Patente" sollte zusätzlich zu den Zinsen ein Bonus in gesondert zu vereinbarender Höhe gewährt werden. Solange die Patente noch nicht ausgewertet wurden, sollten die Zinsen den Darlehensbeträgen zugerechnet und als neu gewährte Darlehen verrechnet werden. Längstens sollte das Darlehen bis zum 31. Dezember 1991 gewährt werden.

Mit Vertrag vom 18. Februar 1992 vereinbarten der Kläger und H, die Laufzeit des gewährten und weiterer erforderlich werdender Darlehen bis längstens 31. Dezember 1998 zu verlängern.

Das FA lehnte einen Betriebsausgabenabzug hinsichtlich der gegenüber H gutgeschriebenen Zinsen ab, da der Kläger in den Streitjahren zahlungsunfähig gewesen sei. Deshalb seien diese Beträge nicht abgeflossen.

Das FG Münster ermittelte auf der Basis der im Klageverfahren eingereichten Steuererklärungen und des Ergebnisses des Erörterungstermins sowie einer --im Revisionsverfahren nicht mehr streitigen-- Berechnung der PKW-Kosten einen Verlust von ... DM im Veranlagungszeitraum 1991 und von ... DM im Veranlagungszeitraum 1992. Dabei ließ es die geltend gemachten Schuldzinsen für das Darlehen des Gläubigers H unberücksichtigt. Mit Urteil vom 24. September 1998 14 K 5151/95.E,F stellte das FG Münster aufgrund dieser Verlustberechnung den verbleibenden Verlust zum 31. Dezember 1991 auf ... DM und den verbleibenden Verlust zum 31. Dezember 1992 auf ... DM fest.

Das Urteil des FG ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1999, 1116 veröffentlicht.

Hiergegen richtet sich die Revision des Klägers, mit der der Abzug der dem H gutgeschriebenen Schuldzinsen begehrt wird.

Der Kläger beantragt sinngemäß, das Urteil des FG Münster aufzuheben, den verbleibenden Verlustabzug zum 31. Dezember 1991 unter Einbeziehung der streitbefangenen Schuldzinsen auf ... DM und den verbleibenden Verlustabzug zum 31. Dezember 1992 auf ... DM festzustellen.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Die Revision ist unbegründet. Sie war daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).

1. Die Rüge mangelhafter Sachaufklärung ist nicht begründet.

Bei der Prüfung, ob ein Verfahrensmangel vorliegt, ist stets von dem materiell-rechtlichen Standpunkt der Vorinstanz auszugehen (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 4. Aufl., § 115 Rdnr. 24, m.w.N.). Das FG Münster ist --in Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH)-- davon ausgegangen, dass die Frage, ob eine Novation im überwiegenden Interesse des Gläubigers oder des Schuldners liegt, grundsätzlich nur dann entscheidungserheblich ist, wenn der Schuldner zum Zeitpunkt der Novation zahlungsfähig war. Es hat deshalb zu Recht von der beantragten Zeugenvernehmung des Zinsgläubigers H abgesehen, mit der der Kläger dessen alleiniges bzw. zumindest überwiegendes Interesse an der Novation darlegen wollte.

2. Zu Recht hat das FG die dem Zinsgläubiger H gutgeschriebenen Schuldzinsen nicht als Betriebsausgaben berücksichtigt, da diese nicht abgeflossen sind. Der Kläger ermittelte seinen Gewinn durch Einnahmen-Überschussrechnung nach § 4 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG). Deshalb sind Betriebsausgaben in sinngemäßer Anwendung des § 11 Abs. 2 Satz 1 EStG für das Kalenderjahr abzusetzen, in dem sie geleistet worden sind.

a) Der Begriff der Leistung in § 11 Abs. 2 EStG ist ebenso wie der Begriff des Zuflusses in § 11 Abs. 1 EStG wirtschaftlich auszulegen. Dabei entspricht der "Abfluss" beim Schuldner i.S. des § 11 Abs. 2 EStG spiegelbildlich dem Zufluss beim Gläubiger i.S. von § 11 Abs. 1 EStG. Entscheidend dafür, in welchem Veranlagungszeitraum Einnahmen anzusetzen und Ausgaben abzusetzen sind, ist jeweils die Erlangung oder der Verlust der wirtschaftlichen Verfügungsmacht über ein Wirtschaftsgut (BFH-Urteil vom 8. Oktober 1985 VIII R 284/83, BFHE 146, 108, BStBl II 1986, 481; Senatsurteil vom 6. März 1997 IV R 47/95, BFHE 183, 78, BStBl II 1997, 509). Deshalb kann die Rechtsprechung des BFH zum Zufluss von Einnahmen spiegelbildlich auf die Frage des Abflusses beim Gläubiger übertragen werden.

b) Eine Gutschrift in den Büchern des Verpflichteten kann demnach --in entsprechender Anwendung der ständigen Rechtsprechung des BFH zur Frage des Zuflusses-- dann einen Abfluss beim Schuldner bewirken, wenn in der Gutschrift nicht nur das buchmäßige Festhalten einer Schuldverpflichtung zu sehen ist, sondern darüber hinaus zum Ausdruck gebracht wird, dass der Betrag dem Berechtigten von nun an zur Verwendung zur Verfügung steht. Voraussetzung ist allerdings, dass der Gläubiger in der Lage ist, den Leistungserfolg ohne weiteres Zutun des im Übrigen leistungsbereiten und leistungsfähigen Schuldners herbeizuführen (vgl. BFH-Urteile vom 14. Februar 1984 VIII R 221/80, BFHE 140, 542, BStBl II 1984, 480; vom 22. Juli 1997 VIII R 57/95, BFHE 184, 21, BStBl II 1997, 755).

Ein Abfluss kann zudem durch eine gesonderte Vereinbarung zwischen Schuldner und Gläubiger darüber bewirkt werden, dass der Betrag fortan aus einem anderen Rechtsgrund geschuldet werden soll. In dieser Schuldumschaffung (Novation) kann eine Verfügung des Gläubigers über seine bisherige Forderung liegen, die einkommensteuerrechtlich so zu werten ist, als ob der Schuldner die Altschuld durch tatsächliche Zahlung beglichen (= Abfluss beim Schuldner) und der Gläubiger den vereinnahmten Betrag infolge des neu geschaffenen Verpflichtungsgrundes dem Schuldner sofort wieder zur Verfügung gestellt hätte. Der zuletzt beschriebene lange Leistungsweg wird durch die Novationsvereinbarung lediglich verkürzt, indem auf den überflüssigen Umweg der Aus- und Rückzahlung des Geldbetrages verzichtet wird. Von einem Abfluss der Altforderung i.S. von § 11 Abs. 2 EStG kann in derartigen Fällen der Schuldumschaffung --entsprechend der Rechtsprechung des BFH zum Zufluss-- allerdings nur dann ausgegangen werden, wenn sich die Novation als Folge der Ausübung der wirtschaftlichen Verfügungsmacht des Gläubigers über den Gegenstand der Altforderung darstellt, also auf einem freien Entschluss des Gläubigers beruht. Für die Beantwortung der Frage, ob dies zutrifft, kommt dem Umstand eine wichtige Bedeutung zu, in wessen Interesse die Novation lag. Lag sie im alleinigen oder überwiegenden Interesse des Gläubigers, indiziert dies dessen Verfügungsmacht über den Gegenstand der Altforderung (vgl. z.B. BFH-Urteile vom 14. Mai 1982 VI R 124/77, BFHE 135, 542, BStBl II 1982, 469; in BFHE 140, 542, BStBl II 1984, 480; in BFHE 184, 21, BStBl II 1997, 755).

c) Entsprechend der zur Frage des Zuflusses ergangenen Rechtsprechung des BFH kann ein Abfluss i.S. des § 11 Abs. 2 EStG sowohl in den Fällen der bloßen Gutschrift des betreffenden Betrages in den Büchern des Schuldners als auch in Fällen der Novation grundsätzlich nur dann angenommen werden, wenn der Schuldner in dem betreffenden Zeitpunkt zur Zahlung des Betrages in der Lage gewesen wäre, also nicht zahlungsunfähig war. Als Zahlungsunfähigkeit in diesem Sinne ist das auf dem Mangel an Zahlungsmitteln beruhende dauernde Unvermögen des Schuldners anzusehen, seine sofort zu erfüllenden Geldschulden noch im Wesentlichen zu berichtigen (vgl. z.B. BFH-Urteile vom 22. Mai 1973 VIII R 97/70, BFHE 109, 573, BStBl II 1973, 815, 816; vom 21. Juli 1987 VIII R 211/82, BFH/NV 1988, 224, 225, und in BFHE 184, 21, BStBl II 1997, 755, 760).

Diese Einschränkung ergibt sich daraus, dass es grundsätzlich nur dann gerechtfertigt ist, eine Novation der Leistung gleichzustellen, wenn der Schuldner zu der Zahlung fähig gewesen wäre. In der Regel wird nur bei Zahlungsfähigkeit des Schuldners durch die Novation ein Umweg durch Aus- und Rückzahlung des Geldbetrages vermieden. Ist der Schuldner dagegen zahlungsunfähig, so liegt trotz Novation grundsätzlich kein Abfluss beim Schuldner und kein Zufluss beim Gläubiger vor.

aa) Nach den für den BFH bindenden tatsächlichen Feststellungen des FG (§ 118 FGO) war der Kläger in den Streitjahren zahlungsunfähig.

Der Begriff der tatsächlichen Feststellungen umfasst die sich aus dem angefochtenen FG-Urteil ergebenden Gesichtspunkte tatsächlicher Art, die nach den Ausführungen in dem angefochtenen Urteil erkennbar die rechtlichen Voraussetzungen erfüllen sollen, von denen das FG-Urteil abhängig gemacht worden ist (Beermann, Steuerliches Verfahrensrecht, Kommentar, § 118 FGO Rz. 48). Dabei ist es nicht erforderlich, dass die Feststellung im Tatbestand des Urteils enthalten ist. Vielmehr können sich tatsächliche Feststellungen auch in den Entscheidungsgründen finden (BFH-Urteil vom 8. Juli 1982 IV R 20/78, BFHE 136, 252, 260, BStBl II 1982, 700, 704; BFH-Beschluss vom 26. Oktober 1994 I R 91/93, BFH/NV 1995, 1063, 1064). Das FG Münster hat den Abfluss von Schuldzinsen verneint, weil der Kläger in den Streitjahren zahlungsunfähig gewesen sei. Da gegen diese Feststellung keine Revisionsgründe vorgebracht wurden, ist der BFH nach § 118 Abs. 2 FGO hieran gebunden.

bb) Unter welchen Voraussetzungen bei einer Gutschrift oder Novation im Einzelfall ausnahmsweise trotz Zahlungsunfähigkeit ein Abfluss i.S. des § 11 Abs. 2 EStG anzunehmen ist, bedarf im Streitfall keiner abschließenden Entscheidung.

Angesichts der gesetzgeberischen Entscheidung, Ausgaben zu dem Zeitpunkt zu berücksichtigen, in dem eine Leistung erfolgt (§ 11 Abs. 2 EStG), kann eine Gutschrift oder Novation jedenfalls nur dann einer tatsächlichen Leistung gleichgestellt werden, wenn trotz Zahlungsunfähigkeit des Schuldners eine Abkürzung des Zahlungsweges vorliegt. Im Streitfall überschritten die in den Streitjahren gutgeschriebenen Zinsbeträge bei weitem die finanziellen Möglichkeiten des Klägers, da sie jeweils etwa das Zehnfache der Betriebseinnahmen ausmachten und kein liquides Betriebsvermögen vorhanden war, aus dessen Veräußerung eine Entrichtung der Zinsen möglich gewesen wäre. Unter diesen Umständen kann die lediglich buchmäßige Novation nicht mit einer Abkürzung des Zahlungsweges gleichgestellt werden. Anderenfalls würde die Grundentscheidung des Gesetzgebers, Ausgaben steuerlich erst bei ihrem Abfluss zu berücksichtigen (§ 11 Abs. 2 EStG), in ihr Gegenteil verkehrt.



Ende der Entscheidung

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