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Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 15.04.1999
Aktenzeichen: IV R 68/98
Rechtsgebiete: AO 1977, EStG
Vorschriften:
FGO § 107 Abs. 1 | |
FGO § 121 | |
AO 1977 § 90 | |
AO 1977 § 162 | |
EStG § 4 Abs. 1 | |
EStG § 4 Abs. 3 |
Das FA kann den Gewinn auch dann nach den Richtsätzen der Finanzverwaltung schätzen, wenn der Landwirt eine Einnahmen-Überschußrechnung nach § 4 Abs. 3 EStG vorlegt, aber seine Betriebseinnahmen und Betriebsausgaben nicht nachweisen kann.
AO 1977 § 90, § 162 EStG § 4 Abs. 1 und 3
Urteil vom 15. April 1999 - IV R 68/98 -
Vorinstanz: Niedersächsisches FG (EFG 1999, 29)
Gründe
I.
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) wurde in den Streitjahren zusammen mit seiner Ehefrau zur Einkommensteuer veranlagt. Er erzielte u.a. Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft, die er gemäß § 4 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) ermittelte, nachdem die Voraussetzungen für die Gewinnermittlung nach Durchschnittssätzen entfallen waren. Gegenüber dem Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt --FA--) erklärte er für die Wirtschaftsjahre 1988/89 bis 1991/92 folgende Verluste:
Wirtschaftsjahr 1988/89 ./. 86 245 DM
Wirtschaftsjahr 1989/90 ./. 95 056 DM
Wirtschaftsjahr 1990/91 ./. 82 201 DM
Wirtschaftsjahr 1991/92 ./. 57 596 DM
Das FA erließ Einkommensteuerbescheide 1989 bis 1991 unter dem Vorbehalt der Nachprüfung. Es legte antragsgemäß folgende Verluste als Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft zugrunde:
1989: ./. 90 600 DM, 1990: ./. 88 628 DM, 1991: ./. 69 898 DM.
Bei einer Außenprüfung konnte der Kläger Aufzeichnungen über Bareinnahmen und Ausgaben, Bankauszüge betreffend die unbaren Betriebseinnahmen und Betriebsausgaben sowie Ausgabenbelege nicht oder nicht vollständig vorlegen. Das FA schätzte deshalb die Gewinne für die Wirtschaftsjahre 1988/89 bis 1991/92 entsprechend den von der Oberfinanzdirektion (OFD) Hannover aufgestellten Richtsätzen und legte diese den nach § 164 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) geänderten Einkommensteuerbescheiden 1989 bis 1991 zugrunde. Die Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft betrugen danach:
1989 1990 1991
26 150 DM 32 550 DM 29 700 DM
Der Einspruch blieb erfolglos. Die Klage hatte nur in einem heute nicht mehr strittigen Punkt Erfolg. Das Finanzgericht (FG) führte u.a. aus (Entscheidungen der Finanzgerichte 1999, 29), das FA habe die geltend gemachten Verluste nicht berücksichtigen können, weil es die angegebenen Betriebseinnahmen und Betriebsausgaben nicht anhand von Belegen habe überprüfen können. Es erklärte die Schätzung des FA als eine solche gemäß § 4 Abs. 1 EStG, die rechtens sei.
Mit der vom FG wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache zugelassenen Revision rügt der Kläger die Verletzung von § 4 Abs. 3 EStG.
II.
Die Revision ist unbegründet. Sie war daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Das FA durfte die Besteuerungsgrundlagen schätzen; die Höhe der Schätzung ist nicht zu beanstanden.
1. Nach § 4 Abs. 3 EStG können Steuerpflichtige, die nicht aufgrund gesetzlicher Vorschriften verpflichtet sind, Bücher zu führen und regelmäßig Abschlüsse zu machen, und die auch freiwillig keine Bücher führen und keine Abschlüsse machen, als Gewinn den Überschuß der Betriebseinnahmen über die Betriebsausgaben ansetzen. Der Kläger konnte in diesem Sinne zur Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG optieren (zum Wahlrecht vgl. Urteile des Bundesfinanzhofs vom 24. November 1959 I 47/58 U, BFHE 70, 499, BStBl III 1960, 188; vom 19. Januar 1967 IV 12/63, BFHE 88, 47, BStBl III 1967, 288, und vom 12. Oktober 1994 X R 192/93, BFH/NV 1995, 587). Da er mit seinem Betrieb den Ausgangswert nach § 13a Abs. 1 und 4 EStG überschritten hatte, konnte er seinen Gewinn nicht mehr nach § 13a EStG ermitteln. Andererseits war er weder nach § 141 AO 1977 verpflichtet, Bücher zu führen und Abschlüsse zu machen, noch tat er dies freiwillig. Das Recht, seinen Gewinn nach § 4 Abs. 3 EStG zu ermitteln, hat der Kläger --wie unter Nr. 2 noch näher zu begründen sein wird-- durch Abgabe entsprechender Erklärungen positiv ausgeübt. Dann aber war das FA an diese Entscheidung mit der Folge gebunden, daß auch eine in Betracht kommende Schätzung nur auf § 4 Abs. 3 EStG und nicht auf § 4 Abs. 1 EStG gestützt werden kann (vgl. BFH-Urteile vom 2. März 1982 VIII R 225/80, BFHE 136, 28, BStBl II 1984, 504, und vom 1. Oktober 1996 VIII R 40/94, BFH/NV 1997, 403; Leingärtner/ Kanzler, Besteuerung der Landwirte, 3. Aufl. 1998, Kap. 28 Rz. 2). Das FG ist zwar von einer anderen Rechtsauffassung ausgegangen. Dies wirkt sich jedoch auf die Entscheidung über die Revision im Ergebnis nicht aus.
2. Der Kläger hat sein Wahlrecht zugunsten einer Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG rechtswirksam ausgeübt. Dafür ist unerheblich, daß er keine geordnete Belegsammlung vorlegte. Allerdings reicht nach der Ansicht des X. Senats (Urteil in BFH/NV 1995, 587) eine ungeordnete Ablage von Belegen als Dokumentation der Wahl eines Gewerbetreibenden zugunsten der Einnahmen-Überschußrechnung nicht aus, weil sie nicht die Funktion von Grundaufzeichnungen übernehmen kann. Der Senat läßt offen, ob er dieser Rechtsauffassung folgt. Dagegen könnte sprechen, daß der Wortlaut des § 4 Abs. 3 EStG die Ausübung des Wahlrechts nicht von irgendwelchen Dokumentationen abhängig macht. Für den Streitfall ist jedoch entscheidend, daß der Kläger --wie unter Nr. 3 auszuführen sein wird-- nicht verpflichtet war, Grundaufzeichnungen zu führen. Zudem hatte er bereits in den Vorjahren seinen Gewinn nach § 4 Abs. 3 EStG ermittelt. Der Streitfall ist daher mit dem Sachverhalt unvergleichbar, über den der III. Senat des BFH im Urteil vom 13. Oktober 1989 III R 30-31/85 (BFHE 159, 123, BStBl II 1990, 287) zu entscheiden hatte. Dort ging es um das erste Jahr einer gewerblichen Betätigung. Der damalige Kläger bestritt seine Steuerpflicht nicht. Es war lediglich unklar, ob er eine Entscheidung zugunsten der Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG hinreichend klar getroffen hatte (vgl. BFH-Urteile vom 30. September 1980 VIII R 201/78, BFHE 132, 228, BStBl II 1981, 301; vom 8. März 1989 X R 9/86, BFHE 156, 443, BStBl II 1989, 714, und in BFH/NV 1997, 403). Das vom FG herangezogene Senatsurteil vom 2. Dezember 1982 IV R 93-94/82 (nicht veröffentlicht --NV--, JURIS-Dokument-Nr. 301930) ist nicht einschlägig; dort war nur die Schätzung der Betriebsausgaben strittig.
3. Das FA hat im Streitfall die Besteuerungsgrundlagen geschätzt. Die Schätzung ist gemäß § 162 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 AO 1977 rechtens, weil das FA die Besteuerungsgrundlagen nicht ermitteln oder berechnen konnte. Der Kläger hat über die von ihm erklärten Verluste i.S. von § 162 Abs. 2 AO 1977 keine ausreichenden Aufklärungen gegeben. Dem steht nicht entgegen, daß den Kläger keine Verpflichtung zur Aufzeichnung von Einnahmen und/oder Betriebsausgaben traf. § 4 Abs. 3 EStG enthält selbst keine solche Verpflichtung. Von der sich aus § 22 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) ergebenden Verpflichtung zur Aufzeichnung der vereinnahmten Entgelte, die nach § 140 AO 1977 unmittelbar auch für die Einkommensteuer wirkt, war der Kläger als Land- und Forstwirt, der seine Umsätze nach § 24 UStG versteuert, weitgehend befreit (§ 67 der Umsatzsteuer-Durchführungsverordnung). Er war auch nicht verpflichtet, seine Betriebsausgaben aufzuzeichnen (vgl. BFH-Beschluß vom 18. Mai 1988 X B 185/87, BFH/NV 1988, 731, sowie das BFH-Urteil vom 11. August 1992 VII R 90/91, BFH/NV 1993, 346). Das Fehlen einer Verpflichtung zur Aufzeichnung der Betriebseinnahmen oder -ausgaben bedeutet jedoch nicht, daß das FA die erklärten Gewinne oder Verluste stets ungeprüft übernehmen müßte. Auch wenn der Kläger nicht gezwungen war, seine Betriebseinnahmen und -ausgaben aufzuzeichnen und entsprechende Belege aufzubewahren, so trägt er doch wie jeder andere Steuerpflichtige die Gefahr, daß das FA die Besteuerungsgrundlagen nicht ermitteln oder berechnen kann und deshalb die Voraussetzungen für eine Schätzung nach § 162 Abs. 1 AO 1977 erfüllt sind. Es ist anerkannt, daß Betriebsausgaben nur insoweit berücksichtigt werden können, als sie der Steuerpflichtige auf Verlangen durch Vorlage von Belegen nachweist (Senatsurteile vom 2. Dezember 1982 IV R 93-94/82, NV, JURIS-Dokument-Nr. 301930; BFH in BFHE 159, 123, BStBl II 1990, 287; Bergkemper in Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz, § 4 EStG Anm. 551; Weber-Grellet in Kirchhof/Söhn, Einkommensteuergesetz, § 4 Rdnr. D 51; Leingärtner/Kanzler, a.a.O., 3. Aufl., Kap. 27 Rz. 5 ff.; Pape in Felsmann, Einkommensbesteuerung der Land- und Forstwirte, 3. Aufl., B 428; Kanzler, Finanz-Rundschau --FR-- 1998, 233 ff., 245; siehe auch BFH-Urteil in BFH/NV 1995, 587 sowie das Senatsurteil vom 18. März 1993 IV R 3/92, BFHE 171, 177, BStBl II 1993, 549 zu § 13a Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 EStG). Dies gilt auch dann, wenn der Steuerpflichtige die Betriebseinnahmen und -ausgaben nicht aufzeichnen muß. Er trägt dennoch die objektive Beweislast (Segebrecht, Die Einnahme-Überschuß-Rechnung nach § 4 Abs. 3 EStG, 9. Aufl. 1996, Rdnr. 132, 138; Hartmann, Die steuerliche Betriebsprüfung 1992, 139). Die (ggf. freiwillige und im eigenen Interesse liegende) Aufbewahrung aller Belege ist im Regelfall auch notwendige Voraussetzung für den Schluß, daß die Betriebseinnahmen vollständig erfaßt sind und die geltend gemachten Betriebsausgaben als durch den Betrieb veranlaßt angesehen werden können (Senatsurteil vom 10. März 1983 IV R 236/81, NV, JURIS-Dokument-Nr. 416399). Nur bei Vorlage geordneter und vollständiger Belege verdient eine Einnahmen-Überschußrechnung Vertrauen und kann für sich die Vermutung der Richtigkeit in Anspruch nehmen. Im Einzelfall kann etwas anderes gelten (vgl. Senatsurteil vom 10. März 1983 IV R 236/81, NV, JURIS-Dokument-Nr. 416399). Dies setzt jedoch die Überzeugung des FG voraus, daß die bestehenden Unsicherheitsrisiken gering sind und durch Zuschätzungen zutreffend erfaßt werden können. Daran fehlt es im Streitfall, wie unter Nr. 4 noch auszuführen sein wird. Die wiedergegebenen Grundsätze gelten auch für Land- und Forstwirte, die ihre Umsätze nach § 24 UStG versteuern. Auch für sie gilt, daß das bewußte Nichtaufbewahren von Unterlagen und Belegen zu ihrem Nachteil gewürdigt werden kann (vgl. BFH-Beschluß in BFH/NV 1988, 731). Ebensowenig gibt es einen Erfahrungssatz des Inhalts, daß Land- und Forstwirte keine oder so gut wie keine Bargeschäfte tätigten.
4. Das FG hat in tatsächlicher Hinsicht festgestellt, daß dem FA in Ermangelung einer vollständigen und geordneten Belegsammlung und auf Grund des Fehlens von Aufzeichnungen der Bareinnahmen und -ausgaben eine Ermittlung der Gewinne (Verluste) des Klägers aus Land- und Forstwirtschaft für die Streitjahre unmöglich war. Das FG hat den vorgelegten Gewinnermittlungen nach § 4 Abs. 3 EStG keine Aussagekraft und keinen Wert beigemessen. Auf der Grundlage dieser tatsächlichen Feststellungen, an die der erkennende Senat gebunden ist (§ 118 Abs. 2 FGO), konnte und mußte das FA eine sog. "Vollschätzung" durchführen. Es durfte sich nicht darauf beschränken, die erklärten Einnahmen um einen Sicherheitszuschlag zu erhöhen und die geltend gemachten Betriebsausgaben unter Wahrscheinlichkeitsgesichtspunkten zu kürzen. Das FA hat seine Vollschätzung auf der Grundlage der von der OFD Hannover aufgestellten Richtsätze (Hektarsätze) durchgeführt. Zwar basiert eine solche Schätzung auf § 4 Abs. 1 EStG (vgl. Senatsurteil vom 8. November 1984 IV R 33/82, BFHE 142, 366, BStBl II 1985, 352). Die den Richtsätzen zugrundeliegenden Hektarsätze werden aus den Ergebnissen buchführender Betriebe gewonnen. Die Richtsätze gehen jedoch lediglich von durchschnittlichen Hektarerträgen aus. Sie berücksichtigen dennoch die individuellen Verhältnisse der einzelnen Betriebe, insbesondere die Größe der Nutzflächen, den unterschiedlichen Ertrag der angebauten Feldfrüchte sowie zusätzliche Erträge durch Tierhaltung und Sonderkulturen. Damit gewährleisten sie, daß einerseits die durchschnittlich erzielbaren Betriebseinnahmen tatsächlich erfaßt werden und andererseits die dafür notwendigen Aufwendungen voll berücksichtigt werden. So gesehen führt die Schätzung des FA im Streitfall zu keinem anderen und höheren Gewinn als dem, der bei einer Vollschätzung nach § 4 Abs. 3 EStG zu ermitteln gewesen wäre. Das FA hat von Korrekturen abgesehen, die es an sich bei einem Wechsel in den Gewinnermittlungsarten hätte ansetzen müssen. Die beiden Formen der Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 1 und § 4 Abs. 3 EStG müssen im Regelfall --auf das Ganze und auf Dauer gesehen-- zu demselben Ergebnis führen (BFH-Urteil vom 17. Mai 1960 I 35/57 S, BFHE 71, 151, BStBl III 1960, 306). Dies gilt unbeschadet der Möglichkeit, gewillkürtes Betriebsvermögen zu bilden, und unbeschadet der Abweichungen auf Grund des bei der Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG anzuwendenden Zu- und Abflußprinzips (vgl. Kanzler, FR 1998, 233 ff., 240 ff.). Im Streitfall haben sich beide Gesichtspunkte auf die Schätzung erkennbar nicht ausgewirkt. Daher konnte das FA seine Schätzung auf die Richtsätze stützen, obwohl der Kläger seinen Gewinn für die Streitjahre nach § 4 Abs. 3 EStG ermittelte.
5. Schließlich greift auch der Vertrauensschutzgedanke des § 176 Abs. 2 AO 1977 nicht durch. Entgegen der Ansicht des Klägers hat sich weder die Rechtsprechung des BFH geändert, noch ist Abschnitt 127 Abs. 3 Satz 1 der Einkommensteuer-Richtlinien --EStR-- (R 127 Abs. 1 Satz 2 EStR 1997) durch die Rechtsprechung als nicht mit dem geltenden Recht in Einklang stehend bezeichnet worden.
6. Die Sache ist spruchreif (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 FGO). Auf der Grundlage der tatsächlichen Feststellungen des FG steht fest, daß das FA eine Vollschätzung durchführen durfte. Die durchgeführte Vollschätzung ist im Ergebnis revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Damit verletzt der Tenor der Vorentscheidung kein Bundesrecht. Die Revision war als unbegründet zurückzuweisen.
Ende der Entscheidung
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