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Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 27.09.2006
Aktenzeichen: IV R 7/06
Rechtsgebiete: EStG i.d.F. des StBereinG 1999
Vorschriften:
EStG i.d.F. des StBereinG 1999 § 4 Abs. 2 Satz 2 |
Entscheidung wurde am 11.01.2007 korrigiert: Stichworte wurden hinzugefügt
2. Beruhte die bisher fehlende Ausübung des Wahlrechts jedoch auf einem zumindest fahrlässigen Verhalten, z.B. dem Nichterfassen des bei der Veräußerung entstandenen Gewinns, so ist der Anwendungsbereich des § 4 Abs. 2 Satz 2 EStG grundsätzlich eröffnet.
3. Der Umfang der Bilanzänderung ist auf den Gewinnanteil beschränkt, der sich im jeweiligen Wirtschaftsjahr aus der Bilanzberichtigung nach § 4 Abs. 2 Satz 1 EStG ergibt.
Gründe:
I.
Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) ist bilanzierender Landwirt und erzielte in den Streitjahren (1995 und 1996) als solcher Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft. Er ermittelte seinen Gewinn für das Normalwirtschaftsjahr vom 1. Juli bis 30. Juni.
Mit notariellem Vertrag vom 25. April 1995 veräußerte der Kläger eine Restfläche seines landwirtschaftlichen Betriebes, deren Buchwert 44 816 DM betrug, zu einem Kaufpreis von 362 682 DM. Der Kaufpreis floss am 22. Mai 1995 auf ein privates Konto des Klägers. Der Vorgang wurde buchmäßig nicht erfasst. Der Kläger behauptete, die buchmäßige Nichterfassung beruhe allein auf einer unzutreffenden Sachbehandlung durch die Steuerberatung. Der veräußerte Grund und Boden wurde weiterhin aktiviert. Der Übergang von Besitz, Nutzen und Lasten erfolgte zum 1. Juli 1995. Im Wirtschaftsjahr 1995/96 erwarb der Kläger einen neuen land- und forstwirtschaftlichen Betrieb in S, Bundesland T.
Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) setzte die Einkommensteuer für die Streitjahre zunächst auf 22 042 DM (1995) und 36 600 DM (1996) fest. Die Einkommensteuerbescheide standen unter dem Vorbehalt der Nachprüfung.
Nach Durchführung einer Betriebsprüfung im Jahre 2000 änderte das FA die Einkommensteuerfestsetzung der Streitjahre und setzte die Einkommensteuer für 1995 auf 154 819 DM und für 1996 auf 144 490 DM fest. Dabei berücksichtigte das FA auch den laufenden Gewinn aus der Übertragung der Restfläche in Höhe von 317 866 DM. Einen im Verlauf der Betriebsprüfung gestellten Antrag auf Bildung einer Rücklage nach § 6b Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) für das Wirtschaftsjahr 1995/96 lehnte das FA unter Hinweis auf § 4 Abs. 2 Satz 2 EStG i.d.F. des Steuerbereinigungsgesetzes 1999 (StBereinG 1999) vom 22. Dezember 1999 (BGBl I 1999, 2601, BStBl I 2000, 13) ab. Die von der Betriebsprüfung vorgenommene Bilanzberichtigung durch die Ausbuchung des Buchwertes des Grund und Bodens löse isoliert betrachtet eine Gewinnminderung aus, so dass eine zusätzlich gewinnmindernde Bilanzänderung mangels einer gewinnerhöhenden Bilanzberichtigung nicht in Betracht komme.
Nach erfolglosem Einspruch gab das Finanzgericht (FG) der Klage mit den in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2006, 800 veröffentlichten Gründen statt.
Mit seiner dagegen gerichteten Revision rügt das FA die Verletzung materiellen Rechts.
Es beantragt,
das Urteil des FG Münster vom 14. September 2004 2 K 3424/02 E aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
II.
Die Revision ist unbegründet und daher zurückzuweisen. Die Entscheidung des finanzgerichtlichen Urteils stellt sich im Ergebnis als richtig dar (§ 126 Abs. 4 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).
Die Voraussetzungen für eine Bilanzänderung gemäß §§ 4 Abs. 2 Satz 2, 52 Abs. 9 EStG i.d.F. des StBereinG 1999 liegen im Wirtschaftsjahr 1995/96 vor.
a) Auf den im Jahre 2000 während der Betriebsprüfung beim FA gestellten Antrag auf Bilanzänderung ist § 4 Abs. 2 Satz 2 EStG anwendbar (vgl. Urteile des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 12. Dezember 2000 VIII R 10/99, BFHE 194, 135, BStBl II 2001, 282, unter II.B.4. der Gründe, und vom 5. April 2006 I R 46/04, BStBl II 2006, 688, unter II.3.c der Gründe).
b) Der Wortlaut des § 4 Abs. 2 Satz 2 EStG setzt zwar eine Bilanzänderung voraus, die u.a. dann nicht vorliegt, wenn sich einem Steuerpflichtigen überhaupt erst nach Einreichung der Bilanz die Möglichkeit eröffnet hatte, erstmalig sein Wahlrecht i.S. des § 6b Abs. 1 oder Abs. 3 Satz 1 EStG auszuüben (Anschluss an Senatsbeschluss vom 25. Januar 2006 IV R 14/04, BFHE 212, 231, BStBl II 2006, 418; Fink, Neue Wirtschafts-Briefe --NWB-- Fach 17, 2019, 2025 f.; ähnlich Stapperfend in Herrmann/Heuer/Raupach --HHR--, § 4 EStG Anm. 462, der jedoch von einer verfassungskonformen Auslegung ausgeht). Ein Steuerpflichtiger ist daher --beispielsweise aufgrund eines sich im Rahmen einer Betriebsprüfung erstmalig oder erstmalig höher ergebenden Gewinns aus der Veräußerung eines Wirtschaftsgutes-- regelmäßig nicht gehindert, eine Reinvestitionsvergünstigung in Anspruch zu nehmen, da § 4 Abs. 2 Satz 2 EStG keine Anwendung findet. Jedoch beruht im Streitfall die unterlassene Verbuchung des Gewinns aus der Veräußerung des Grund und Bodens auf der privaten Vereinnahmung des Veräußerungserlöses. Folgt daher die fehlende Ausübung des persönlichen Wahlrechts aus der zumindest fahrlässigen Nichterfassung des Gewinns, so ist der Anwendungsbereich des § 4 Abs. 2 Satz 2 EStG eröffnet. Dabei kann im Streitfall dahingestellt bleiben, ob, wie der Kläger behauptet, die Nichtverbuchung von einer unzutreffenden sachlichen Behandlung durch den steuerlichen Berater oder von der Nichtunterrichtung des Steuerberaters über den Vorgang durch den Kläger herrührt. Im Falle der Nichtunterrichtung würde die Nichterfassung auf einem Verschulden des Klägers beruhen und im Falle der unzutreffenden sachlichen Behandlung müsste sich der Kläger das Verschulden des Steuerberaters gemäß § 278 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) zurechnen lassen (vgl. BFH-Beschluss vom 25. Juni 1997 VIII B 35/96, BFH/NV 1998, 8, unter 2. der Gründe).
c) Nach § 4 Abs. 2 Satz 2 EStG ist die von dem Kläger begehrte Änderung der Vermögensübersicht (Bilanz) nur zulässig, wenn sie in einem engen zeitlichen und sachlichen Zusammenhang mit einer Bilanzberichtigung i.S. des § 4 Abs. 2 Satz 1 EStG steht und soweit die Auswirkung der Änderung nach Satz 1 auf den Gewinn reicht. Diese Voraussetzungen sind im Streitfall erfüllt.
aa) Der Senat geht dabei mit dem Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen (BMF) vom 18. Mai 2000 IV C 2 -S 2141- 15/00 (BStBl I 2000, 587) davon aus, dass ein enger zeitlicher und sachlicher Zusammenhang zwischen einer Bilanzberichtigung und einer Bilanzänderung jedenfalls dann zu bejahen ist, wenn --wie im Streitfall-- sich die Maßnahmen auf dieselbe Bilanz beziehen und die Änderung der Bilanz unverzüglich nach einer Bilanzberichtigung begehrt wird.
bb) Der Senat teilt jedoch nicht die Rechtsauffassung des FG, dass der Umfang der Bilanzänderung nicht auf den Gewinnanteil beschränkt ist, der sich aus der Bilanzberichtigung ergibt. Eine solche Auslegung widerspricht dem Wortlaut des § 4 Abs. 2 Satz 2 EStG, wonach eine Bilanzänderung nur möglich ist, soweit die Auswirkung der Bilanzberichtigung nach § 4 Abs. 2 Satz 1 EStG auf den Gewinn reicht (ebenso HHR/Stapperfend, § 4 EStG Anm. 472; Schmidt/Heinicke, EStG, 25. Aufl., § 4 Rz 751).
cc) Gleichwohl stellt sich die Entscheidung des FG aus anderen Gründen als richtig dar, denn im Streitfall liegen die Voraussetzungen einer Bilanzberichtigung gemäß § 4 Abs. 2 Satz 1 EStG vor, die den Kläger zu einer Bilanzänderung in Höhe von 317 866 DM im Wege der Bildung einer Reinvestitionsrücklage gemäß § 6b Abs. 3 Satz 1 EStG berechtigen.
Anders als vom FA vertreten, ist der Nichtausweis der sonstigen Verbindlichkeit (dazu Adler/Düring/Schmaltz, Rechnungslegung und Prüfung der Unternehmen, 6. Aufl., HGB § 266 Tz. 223; Hoyos/M. Ring in Beck Bil-Komm. § 266 Anm. 224) aufgrund der Zahlung des Kaufpreises für den Grund und Boden am 22. Mai 1995 und die Minderung des Kapitals für das Wirtschaftsjahr 1994/95 (§ 4a Abs. 2 Nr. 1 EStG) in der Schlussbilanz zum 30. Juni 1995 erfolgsneutral zu berichtigen, denn eine Verbindlichkeit gehört auch dann zum Betriebsvermögen, wenn sie entgegen steuerrechtlicher Vorschriften nicht in der Buchführung und Bilanz ausgewiesen wurde. Die Verbindlichkeit ist im Streitfall, da sich die Nichtberücksichtigung noch nicht ausgewirkt hatte, unter Wahrung des Bilanzenzusammenhangs mit 362 682 DM in der Schlussbilanz zum 30. Juni 1995 zu passivieren (vgl. BFH-Urteile vom 27. März 1974 I R 44/73, BFHE 112, 265, BStBl II 1974, 488; vom 28. April 1998 VIII R 46/96, BFHE 185, 492, BStBl II 1998, 443, und vom 6. September 2000 XI R 18/00, BFHE 193, 279, BStBl II 2001, 106; aus jüngerer Zeit BFH-Beschluss vom 13. Juni 2006 I R 58/05, BFH/NV 2006, 1754). Ebenso ist wegen der Privatentnahme des Klägers (§ 4 Abs. 1 Satz 2 EStG) aufgrund der Vereinnahmung des Kaufpreises am 22. Mai 1995 auf einem Privatkonto das Kapital in Höhe von 362 682 DM zu mindern. Demgemäß ist entsprechend der Berichtigung der Schlussbilanz des Wirtschaftsjahres 1994/95 zum 30. Juni 1995 auch die Anfangsbilanz für das Wirtschaftsjahr 1995/96 zum 1. Juli 1995 zu berichtigen. Die Berichtigung in § 4 Abs. 2 Satz 1 EStG erfasst jede Steuerbilanz, die für die Besteuerung von Bedeutung ist (dazu HHR/Stapperfend, § 4 EStG Anm. 400). Mit Übergang von Besitz, Nutzen und Lasten am 1. Juli 1995 verminderte sich folglich der Bilanzposten sonstige Verbindlichkeiten um 362 682 DM. Ebenso verminderte sich der Bilanzposten Grund und Boden um den auszubuchenden Buchwert des veräußerten Betriebsgrundstückes in Höhe von 44 816 DM. In Höhe der Differenz der Beträge erzielte der Kläger im Wirtschaftsjahr 1995/96 einen Gewinn von 317 866 DM.
Soweit daher das FA die Ansicht vertritt, dass sich die Bilanzberichtigung im Wirtschaftsjahr 1995/96 nur auf die Ausbuchung des Grund und Bodens bezieht, der fälschlicherweise noch am 30. Juni 1996 in der Bilanz ausgewiesen war, trifft dies nicht zu. Vielmehr ist auch durch die Veränderung des Bilanzpostens sonstige Verbindlichkeiten im Wirtschaftsjahr 1995/96 ein Bilanzposten betroffen. Aus diesem Grunde ist eine Bilanzberichtigung mit einer Gewinnauswirkung von 317 866 DM bereits unter Zugrundelegung der im BMF-Schreiben in BStBl I 2000, 587 vertretenen Auffassung im Wirtschaftsjahr 1995/96 zu bejahen, da in der Anfangsbilanz zum 1. Juli 1995 des Wirtschaftjahres 1995/96 die sonstige Verbindlichkeit auszuweisen war, die in der Schlussbilanz zum 30. Juni 1996, ebenso wie der Buchwert des veräußerten Grund und Bodens, nicht mehr zu erfassen war. § 4 Abs. 2 Satz 1 EStG erfasst nicht nur die Berichtigung einer Schlussbilanz, sondern auch die erforderliche Berichtigung einer Anfangsbilanz (vgl. auch Senatsurteil vom 19. August 1999 IV R 73/98, BFHE 190, 5, BStBl II 2000, 18, unter 1. b der Gründe, wonach bei bestandskräftigen Folgeveranlagungen die Vorschrift des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 der Abgabenordnung --AO 1977-- anwendbar ist; Schmidt/Heinicke, a.a.O., § 4 Rz 688).
dd) Der Kläger war --entgegen der vom FA vertretenen Ansicht-- auch nicht verpflichtet, eine berichtigte bzw. geänderte Bilanz einzureichen. Lehnt das FA --wie im Streitfall-- die begehrte Bilanzänderung ab, so ist der Kläger nicht verpflichtet, gleichzeitig mit der Beantragung der Bilanzänderung auch eine geänderte bzw. berichtigte Bilanz einzureichen, wenn er Streitfragen die Voraussetzung der Bilanzberichtigung betreffend zunächst gerichtlich klären lässt (vgl. Senatsurteile vom 4. November 1999 IV R 70/98, BFHE 190, 404, BStBl II 2000, 129, und vom 26. Januar 1995 IV R 54/93, BFHE 177, 18, BStBl II 1995, 473; HHR/Stapperfend, § 4 EStG Anm. 466). Denn wird die Bilanzberichtigung durch das Urteil bestätigt, so bewirkt die gestaltende Wirkung des Urteils die Berichtigung der Bilanz. Gleiches gilt für die Bilanzänderung.
ee) Der Kläger war nach alledem berechtigt, die --ihren Voraussetzungen nach zwischen den Beteiligten unstreitige-- Reinvestitionsrücklage nach § 6b Abs. 3 Satz 1 EStG im Wirtschaftsjahr 1995/96 in Höhe von 317 866 DM zu bilden.
Ende der Entscheidung
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