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Gericht: Bundesfinanzhof
Beschluss verkündet am 02.08.2004
Aktenzeichen: IX B 41/04
Rechtsgebiete: FGO, ZPO


Vorschriften:

FGO § 115 Abs. 2 Nr. 1
FGO § 115 Abs. 2 Nr. 2
FGO § 116 Abs. 3 Satz 3
ZPO § 444
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

Die Beschwerde, deren Verfahrensgegner das Finanzamt (FA) X nach der Zusammenlegung der Finanzämter A und B geworden ist, ist unbegründet.

1. Entgegen der Ansicht der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) erfordert die Rechtsfrage, ob die jahrelange Anerkennung eines steuermindernden Tatbestands durch das FA eine geänderte Beurteilung in einem späteren Veranlagungszeitraum zulässt, wenn der Steuerpflichtige im Vertrauen auf die Veranlagungspraxis Unterlagen zum Nachweis des steuermindernden Tatbestands nicht mehr aufbewahrt hat und deshalb das Vorliegen des Tatbestands nicht mehr nachweisen kann, keine Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO), weil diese Rechtsfrage geklärt ist.

a) So gebietet der Grundsatz der Abschnittsbesteuerung nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH), dass das FA in jedem Veranlagungszeitraum die einschlägigen Besteuerungsgrundlagen erneut prüft und rechtlich würdigt.

Eine als falsch erkannte Rechtsauffassung muss es zum frühest möglichen Zeitpunkt aufgeben, auch wenn der Steuerpflichtige auf diese Rechtsauffassung vertraut haben sollte (BFH-Urteil vom 5. September 1990 X R 100/89, BFH/NV 1991, 217, mit Nachweisen der BFH-Rechtsprechung). Dies gilt selbst dann, wenn die --fehlerhafte-- Auffassung im Prüfungsbericht niedergelegt worden ist (BFH-Urteil vom 16. Juli 1964 V 92/61 S, BFHE 80, 446, BStBl III 1964, 634), die Finanzbehörde über eine längere Zeitspanne eine rechtsirrige, für den Steuerpflichtigen günstige Auffassung vertreten hat (BFH-Urteil vom 22. Juni 1971 VIII 23/65, BFHE 103, 77, BStBl II 1971, 749) oder der Steuerpflichtige im Vertrauen darauf disponiert hat (BFH-Urteile vom 23. Mai 1989 X R 17/85, BFHE 157, 516, BStBl II 1989, 879; vom 25. Mai 1993 IX R 17/90, BFHE 171, 452, BStBl II 1993, 834).

b) Vertrauensschutz kommt nach dieser Rechtsprechung nur in Betracht, soweit der Vorsteher oder der zuständige Sachgebietsleiter dem Steuerpflichtigen eine bestimmte rechtliche Behandlung zugesagt oder das FA --anders als im Streitfall-- durch sein früheres Verhalten außerhalb einer Zusage einen Vertrauenstatbestand geschaffen hat (BFH-Urteil vom 21. Oktober 1992 X R 99/88, BFHE 170, 41, BStBl II 1993, 289, unter 5.b). Für die Annahme eines solchen Vertrauenstatbestandes genügt es nicht, dass das FA in den vorangegangenen Veranlagungszeiträumen einen streitigen Werbungskostenüberschuss berücksichtigt hat (BFH-Urteil vom 30. September 1997 IX R 80/94, BFHE 184, 406, BStBl II 1998, 771).

c) In der Rechtsprechung des BFH ist des Weiteren geklärt, dass die Regeln einer strengen Überzeugungsbildung (§ 96 Abs. 1 Satz 1 FGO) bei einer durch die langjährige Praxis des FA veranlassten Beweisnot des Steuerpflichtigen bei plötzlich geänderter tatsächlicher Würdigung durch das FA angemessen abzumildern sind, wenn die frühere Sachverhaltswürdigung tatsächlich möglich war und nicht --im Sinne der Ausführungen unter 1.a-- auf einem in der Folgezeit korrigierbaren Rechtsfehler beruht (vgl. BFH-Urteile vom 23. Februar 1999 IX R 19/98, BFHE 188, 264, BStBl II 1999, 407; vom 12. April 2000 XI R 36/99, BFH/NV 2000, 1196). Dies setzt allerdings voraus, dass der Steuerpflichtige bei der späteren erneuten Überprüfung alles ihm Zumutbare zur Aufklärung des Sachverhalts beiträgt (BFH-Urteil vom 11. Juni 2002 IX R 79/97, BFHE 199, 335, BStBl II 2003, 578).

d) Der Vortrag der Kläger weist keine in der vorbezeichneten Rechtsprechung unerörtert gebliebenen wesentlichen Gesichtspunkte aus, die eine erneute Befassung des BFH mit der Frage des Vertrauensschutzes aufgrund früherer rechtlicher oder tatsächlicher Würdigungen des FA aufwerfen könnten.

Insbesondere ergibt der Hinweis der Kläger auf § 444 der Zivilprozessordnung (ZPO) eine solche Notwendigkeit nicht. Die Vorschrift gehört zu den beweisrechtlichen Regelungen der ZPO, die der Gesetzgeber bewusst nicht in die FGO übernommen hat, um die richterliche Beweiswürdigung im finanzgerichtlichen Verfahren nicht einzuengen; sie können daher allenfalls beachtlich sein, soweit sie allgemeine Rechtsgrundsätze enthalten (vgl. dazu BFH-Urteile vom 7. Mai 1969 I R 68/67, BFHE 95, 395, BStBl II 1969, 444, vom 17. Oktober 1972 VIII R 36-37/69, BFHE 108, 141, BStBl II 1973, 271).

Dementsprechend kann § 444 ZPO für den Bereich der FGO allenfalls der allgemeine Rechtsgedanke entnommen werden, dass eine arglistige oder jedenfalls vorsätzliche Vereitelung der Urkundenvorlage im Rahmen freier Beweiswürdigung zugunsten des gegnerischen Vorbringens gewertet werden kann (Stöcker in Beermann, Steuerliches Verfahrensrecht, § 82 FGO Rz. 231).

Mit einer solchen Beweisvereitelung kann eine bestimmte rechtliche oder tatsächliche Würdigung durch das FA im Rahmen einer früheren Steuerveranlagung entgegen der Auffassung der Kläger offenkundig nicht gleichgesetzt werden. Diese ist regelmäßig ausschließlich auf das jeweilige Veranlagungsverfahren bezogen; die daraus vom Steuerpflichtigen gezogenen Schlüsse (ggf. auch hinsichtlich der Notwendigkeit einer Beweisvorsorge in künftigen Veranlagungszeiträumen) sind infolgedessen allein der Verantwortungssphäre des Steuerpflichtigen zuzurechnen (vgl. BFH-Urteil in 157, 516, BStBl II 1989, 879 zur grundsätzlich fehlenden Bindung des FA an seine in Vorjahren vertretene Auffassung zur einkommensteuerrechtlichen Behandlung von Sachspenden).

2. Die Revision ist auch nicht zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO zuzulassen. Insoweit fehlt es schon an der gemäß § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO und der dazu ergangenen Rechtsprechung notwendigen Darlegung, von welchen Entscheidungen anderer Gerichte das angefochtene Urteil abgewichen ist (vgl. dazu BFH-Beschluss vom 12. Februar 2003 X B 122/02, BFH/NV 2003, 803).

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