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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 28.10.2008
Aktenzeichen: IX R 22/08
Rechtsgebiete: EStG, HGB, BGB


Vorschriften:

EStG § 2a Abs. 2
EStG § 17 Abs. 1
EStG § 17 Abs. 2 Satz 4 Buchst. b
HGB a.F. § 1 Abs. 2 Nr. 1
BGB § 90
Auf einem Datenträger verkörperte Standardsoftware ist "Ware" i.S. des § 2a Abs. 2 EStG.
Gründe:

I.

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) erwarb im Jahr 2000 mehr als 9 % der Anteile an einer in den USA ansässigen Kapitalgesellschaft, die bezweckte, eine Internet-Infrastruktursoftware (Reality Server) zur Nutzung und Ansicht von 3-D-Darstellungen zu entwickeln und zu vertreiben. Die Anschaffungskosten betrugen insgesamt 318 097,68 €. Der Kläger veräußerte die Anteile im Dezember des Streitjahres (2002) für 28 820,08 € und machte den Veräußerungsverlust, der unter Berücksichtigung des Halbeinkünfteverfahrens 144 638 € betrug, in seiner Einkommensteuererklärung für das Streitjahr geltend. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) erkannte diesen Verlust nach einer Außenprüfung im Hinblick auf § 2a Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 des Einkommensteuergesetzes i.d.F. des Streitjahres (EStG) nicht mehr an.

Mit seinem Einspruch machte der Kläger geltend, es handele sich um Verluste gemäß § 2a Abs. 2 Satz 2 i.V.m. Satz 1 EStG, die keiner Abzugsbeschränkung unterlägen. Zweck der in den USA gewerblich tätigen Gesellschaft sei es gewesen, Standardsoftware und damit eine "Ware" i.S. des § 2a Abs. 2 Satz 1 EStG herzustellen und zu vertreiben. Der Einspruch blieb ohne Erfolg. Die Klage war hingegen erfolgreich; das Finanzgericht (FG) setzte die Einkommensteuer für das Streitjahr unter Ansatz eines Verlustes in Höhe von 144 638 € fest. Zur Begründung führte es in seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte 2008, 1020 veröffentlichten Urteil aus, § 2a Abs. 2 Satz 2 EStG sei im Streitfall anwendbar, denn es handele sich bei der Software, welche die amerikanische Gesellschaft geplant habe und von der deutschen Erwerberin mittlerweile produziert werde, um eine Ware. Standardsoftware sei als bewegliche Sache anzusehen. Das FG habe sich davon überzeugt, dass tatsächlich eine Standardsoftware habe entwickelt und hergestellt werden sollen. Das Programm richte sich an eine Vielzahl von Nutzern. Zwar erfordere der Zugriff auf den Reality Server keine Installation des Programms auf dem Computer des Endnutzers; das Programm werde vielmehr durch die Server der Anbieter zur Verfügung gestellt.

Hiergegen richtet sich die Revision des FA, die es auf Verletzung von § 2a Abs. 2 Satz 2 EStG stützt. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) zur Investitionszulage sei Standardsoftware als immaterielles Wirtschaftsgut anzusehen, so dass es an einer Ware i.S. des § 2a Abs. 2 Satz 1 EStG, die nur bewegliche Sachen umfasse, fehle. Überdies verstoße die Vorentscheidung auch insoweit gegen Bundesrecht, als sie auf der positiven Annahme des Nachweises der Voraussetzungen des § 2a Abs. 2 Satz 2 EStG beruhe. Der Steuerpflichtige müsse nachweisen, dass die ausländische Gesellschaft die Herstellung oder Lieferung von Waren zum Gegenstand gemacht habe. Hier indes liege ein Vertrieb vor, der vergleichbar sei mit der "OEM"-Version und zur Folge habe, dass das entwickelte Programm Dritten als Lizenzrecht zur Nutzung überlassen werde.

Das FA beantragt sinngemäß,

das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

II.

Die Revision ist unbegründet und nach § 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zurückzuweisen. Zutreffend hat das FG die Verluste aus der Anteilsveräußerung berücksichtigt.

1. Nach § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG gehört zu den Einkünften aus Gewerbebetrieb auch der Gewinn aus der Veräußerung von Anteilen an einer Kapitalgesellschaft, wenn der Veräußerer innerhalb der letzten fünf Jahre am Kapital der Gesellschaft unmittelbar oder mittelbar zu mindestens 1 % beteiligt war. Anteile an einer Kapitalgesellschaft sind nach § 17 Abs. 1 Satz 3 EStG z.B. Aktien oder ähnliche Beteiligungen. Diese Voraussetzungen erfüllte der Kläger, indem er seine Anteile an der in den USA ansässigen Kapitalgesellschaft mit Verlust verkaufte. Hiervon gehen das FG und die Beteiligten übereinstimmend aus.

2. § 17 Abs. 2 Satz 4 Buchst. b EStG steht dem Verlustabzug nicht entgegen. Danach ist ein Veräußerungsverlust nicht zu berücksichtigen, soweit er auf Anteile entfällt, die entgeltlich erworben worden sind und nicht innerhalb der gesamten letzten fünf Jahre zu einer Beteiligung des Steuerpflichtigen i.S. von Abs. 1 Satz 1 gehört haben. Indes gehörte die vom Kläger im Jahr 2000 erworbene Beteiligung von über 9 % stets zu einer Beteiligung i.S. von § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG, nämlich zu einer solchen von mindestens 1 %. Dabei kommt es nicht darauf an, dass nach dem Einkommensteuergesetz für 2000 eine wesentliche Beteiligung von mindestens 10 % bestanden haben musste und der Kläger diesen Beteiligungsumfang möglicherweise nicht erreichte. Denn nach der hier maßgebenden Gesetzesfassung durch das Unternehmenssteuerfortentwicklungsgesetz vom 20. Dezember 2001 (BGBl 2001, 3858, BStBl I 2002, 35) verweist § 17 Abs. 2 Satz 4 Buchst. b EStG auf die "Beteiligung im Sinne von Abs. 1 Satz 1" und setzt anders als die früheren Fassungen des Gesetzes keine wesentliche Beteiligung innerhalb der gesamten letzten fünf Jahre voraus. War diese Voraussetzung zuvor veranlagungszeitraumbezogen auszulegen (BFH-Urteil vom 29. Mai 2008 IX R 62/05, BStBl II 2008, 856), so kommt es nach der gegenwärtigen Fassung auf eine veranlagungszeitraumbezogene Auslegung nicht mehr an: Es genügt vielmehr, wenn die Beteiligung --wie hier-- innerhalb der gesamten letzten fünf Jahre zu einer Beteiligung gehört hat, die mindestens 1 % betrug (vgl. eingehend dazu auch Blümich/Ebling, § 17 EStG Rz 241e, m.w.N.).

3. Auch § 2a Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 EStG steht dem Verlustabzug nicht entgegen. Danach dürfen in den Fällen des § 17 EStG bei einem Anteil an einer Kapitalgesellschaft, die weder ihre Geschäftsleitung noch ihren Sitz im Inland hat, negative Einkünfte zwar nur mit positiven Einkünften der jeweils selben Art aus demselben Staat ausgeglichen werden. Dies gilt indes nicht, wenn der Steuerpflichtige nachweist, dass die negativen Einkünfte aus einer gewerblichen Betriebsstätte der Körperschaft im Ausland stammen, die ausschließlich oder fast ausschließlich die Herstellung oder Lieferung von Waren zum Gegenstand hat (§ 2a Abs. 2 Sätze 1 und 2 EStG).

Das FG hat diese Voraussetzungen im Streitfall zutreffend bejaht. Denn bei der von der Kapitalgesellschaft entwickelten Standardsoftware handelt es sich um eine "Ware" im Sinne dieser Vorschrift.

a) Waren i.S. von § 2a Abs. 2 Satz 1 EStG sind entsprechend der früheren handelsrechtlichen Definition in § 1 Abs. 2 Nr. 1 des Handelsgesetzbuches a.F. jedenfalls körperliche Gegenstände (§ 90 des Bürgerlichen Gesetzbuches; so BFH-Urteil vom 18. Juli 2001 I R 70/00, BFHE 196, 248, BStBl II 2003, 48, und die h.M. im Schrifttum, vgl. Mössner, in: Kirchhof/Söhn/ Mellinghoff, EStG, § 2a Rz C 9; Probst in Herrmann/Heuer/ Raupach --HHR--, § 2a EStG Rz 166; Gosch in Kirchhof, EStG, 8. Aufl., § 2a Rz 62; zum Handelsrecht s. Karsten Schmidt, Handelsrecht, 5. Aufl., § 31 III. 1. c, m.w.N.).

b) Darunter fällt nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) auch die auf einem Datenträger verkörperte Standardsoftware (vgl. z.B. BGH-Urteile vom 15. November 2006 XII ZR 120/04, Neue Juristische Wochenschrift --NJW-- 2007, 2394, und vom 22. Dezember 1999 VIII ZR 299/98, BGHZ 143, 307, NJW 2000, 1415, jeweils m.w.N.; zum Verhältnis zum Urheberrecht BFH-Urteil vom 13. März 1997 V R 13/96, BFHE 182, 423, BStBl II 1997, 372).

Dieser Auslegung ist auch für das Steuerrecht zu folgen (so auch HHR/Probst, § 2a EStG Rz 166; a.A. Blümich/Wied, § 2a EStG Rz 98). Obschon bei dem Erwerb einer Standardsoftware das Programm als Werk mit geistigem Inhalt und damit ein immaterieller Wert im Vordergrund steht (in diese Richtung BFH-Urteil vom 3. Juli 1987 III R 7/86, BFHE 150, 259, BStBl II 1987, 728, unter 4. c a.E.), ist Gegenstand des Warenumschlags stets die verkörperte geistige Leistung, wobei es ohne Bedeutung ist, auf welchem Informationsträger das Computerprogramm verkörpert ist. Entscheidend ist vielmehr, dass es verkörpert und damit nutzbar ist. Vergleichbar mit dem elektronischen Datenträger ist das Buch. Auch ein Buch, dem unbestritten die Qualität als Sache zukommt, ist das Ergebnis einer schöpferischen Geistestätigkeit und wird ausschließlich wegen seines geistigen Inhalts und nicht wegen seines Informationsträgers --des Papiers-- gehandelt (vgl. dazu BGH-Urteil in NJW 2007, 2394, unter 2. b, m.w.N.).

c) Mit seiner Auslegung des Begriffs der Ware i.S. des § 2a Abs. 2 EStG weicht der erkennende Senat nicht von der Rechtsprechung des BFH zu den Investitionszulagengesetzen ab. Wenn der BFH in diesem Zusammenhang auch eine Standardsoftware als immaterielles Wirtschaftsgut behandelt, für dessen Anschaffung keine Investitionszulage gewährt wird (eingehend BFH-Urteil in BFHE 150, 259, BStBl II 1987, 728), so ist fraglich, ob diese Entscheidung vor dem (geänderten) zivilrechtlichen und wirtschaftlichen Hintergrund überhaupt noch zeitgemäß ist. Das kann der erkennende Senat aber unerörtert lassen; denn im vorliegenden Fall geht es allein um die Auslegung des Begriffs "Ware" und nicht darum, ob und inwieweit Computerprogramme zu immateriellen Wirtschaftsgütern im Sinne der Fördergesetze zählen. Insoweit hat bereits der BFH in seinem im Urteil in BFHE 150, 259, BStBl II 1987, 728 (unter 4. c a.E.) implizit dargelegt, dass der Begriff der Ware anders auszulegen sei.

4. Nach diesen Maßstäben konnte das FG zu dem Ergebnis gelangen, dass der Reality Server, um den es hier geht, eine verkörperte Standardsoftware ist, deren Produktion (Herstellung) die Kapitalgesellschaft zum Gegenstand hat. Er wird nach den Feststellungen des FG, die den Senat nach § 118 Abs. 2 FGO binden, kaufweise überlassen. Die Gegenleistung entgilt den Erwerb der auf einen Datenträger kopierten Software. Dabei hatte die Tätigkeit der Kapitalgesellschaft nach den Feststellungen des FG die Herstellung der Software "reality server" zum Gegenstand und nicht lediglich die Überlassung von Nutzungsrechten. Anders als die Revision vorträgt, liegt nach den tatrichterlichen Feststellungen kein Vertrieb nach der sog. "OEM"-Version vor (vgl. zu dieser Vertriebsform auch BGH-Urteil vom 6. Juli 2000 1 ZR 244/97, BGHZ 145, 7, NJW 2000, 3571). Denn die Kapitalgesellschaft selbst und nicht durch sie autorisierte andere Unternehmer sollte die Software produzieren.

Ende der Entscheidung

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