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Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 26.10.2004
Aktenzeichen: IX R 23/04
Rechtsgebiete: AO 1977, BGB, EStG, FGO
Vorschriften:
AO 1977 § 357 Abs. 1 | |
AO 1977 § 357 Abs. 1 Satz 4 | |
AO 1977 § 363 | |
BGB § 133 | |
EStG § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 1 | |
EStG § 52 Abs. 39 Satz 1 | |
FGO § 74 | |
FGO § 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 |
Gründe:
I. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) erließ gegenüber der Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) am 5. Dezember 2002 den Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr (1999) und unterwarf darin den Gewinn aus der Veräußerung eines mehr als fünf Jahre vor der Veräußerung erworbenen Grundstücks in Höhe von 159 084 DM der Einkommensteuer.
Am 9. Dezember 2002 ging beim FA ein Schreiben des damaligen Steuerberaters der Klägerin vom 6. Dezember 2002 ein, mit dem er um Aussetzung des anhängigen Verfahrens und Ruhen des Verfahrens wegen Einkommensteuer 1999 bat, und zwar "das Verfahren gem. § 363 AO wegen der ernsthaften Zweifel an der Rechtmäßigkeit dieser Besteuerung auszusetzen". Er verwies auf das "beim BFH anhängige" Verfahren IX B 90/00.
Das FA lehnte die Anträge mit Schreiben vom 18. Dezember 2002 ab. Es wies darauf hin, dass die Steuer hinsichtlich der genannten Einkünfte vorläufig festgesetzt worden sei. Es vertrat ferner die Auffassung, ein Ruhen des Verfahrens sei nicht erforderlich und ein Einspruch wäre mangels Beschwer als unzulässig zu verwerfen. Der Bescheid sei in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht nicht fehlerhaft.
Mit Schreiben vom 21. Dezember 2002 bat die Klägerin durch ihren Steuerberater erneut um Aussetzung der Vollziehung (AdV). Unter dem 9. Januar 2003 wies das FA darauf hin, dass bisher kein Einspruch eingelegt worden sei. Die Klägerin bat mit Schreiben vom 13. Januar 2003 darum, ihre Schreiben vom 6. Dezember 2002 und 21. Dezember 2002 als Einsprüche anzusehen. Sie legte dann am 7. Februar 2003 Einspruch ein und beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.
Das FA verwarf den Einspruch als unzulässig, weil er verspätet eingelegt worden sei. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand komme nicht in Betracht.
Auch die Klage blieb erfolglos. Das Finanzgericht (FG) führte zur Begründung aus, die Schreiben vom 6. und 21. Dezember 2002 seien nicht als Einspruch auszulegen.
Hiergegen richtet sich die Revision der Klägerin, die sie auf die Verletzung von § 357 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) und § 133 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) stützt.
Die Klägerin beantragt sinngemäß, das angefochtene Urteil aufzuheben und den Rechtsstreit auszusetzen bis das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) über die Verfassungsmäßigkeit des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) i.d.F. des Steuerentlastungsgesetzes (StEntlG) 1999/2000/2002 vom 24. März 1999 (BGBl I 1999, 402) entschieden hat, hilfsweise, die Sache an das FG zurückzuverweisen.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
II. Die Revision ist begründet. Das angefochtene Urteil ist aufzuheben und die Sache nach § 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.
1. Die angefochtene Entscheidung verletzt § 133 BGB und § 357 Abs. 1 Satz 4 AO 1977 und ist deshalb aufzuheben.
Außerprozessuale Verfahrenserklärungen sind entsprechend § 133 BGB auszulegen. Dies gilt auch für Erklärungen rechtskundiger Personen. Entscheidend ist, wie das FA als Erklärungsempfänger den objektiven Erklärungswert des Schreibens verstehen musste (vgl. auch BFH-Urteil vom 28. Januar 1988 IV R 12/86, BFHE 152, 476, BStBl II 1988, 530). Dabei ist nach der ständigen Rechtsprechung bei auslegungsfähigen Rechtsbehelfen grundsätzlich davon auszugehen, der Steuerpflichtige habe denjenigen Rechtsbehelf einlegen wollen, der seinem materiell-rechtlichen Begehren am ehesten zum Erfolg verhilft (BFH-Urteil vom 31. Oktober 2000 VIII R 47/98, BFH/NV 2001, 589; BFH-Beschluss vom 1. Juli 2003 IX B 208/02, BFH/NV 2003, 1534). Die unrichtige Bezeichnung des Einspruchs allein schadet nach § 357 Abs. 1 Satz 4 AO 1977 nicht (vgl. dazu BFH-Beschluss vom 8. Dezember 2003 X R 15/02, nicht veröffentlicht, juris-Dokument STRE 200351611, zum Unterschied zur Auslegung von Revisionsschriftsätzen). Lässt deshalb die Äußerung eines Steuerpflichtigen ungewiss, ob er ein Rechtsmittel einlegen will, so ist im Allgemeinen die Erklärung als Rechtsmittel zu betrachten, um zugunsten des Steuerpflichtigen den Eintritt der Rechtskraft aufzuhalten (so BFH-Urteil vom 27. Februar 2003 V R 87/01, BFHE 201, 416, BStBl II 2003, 505).
Diese Grundsätze lässt das FG unbeachtet; denn nach seinem objektiven, auf den Empfängerhorizont bezogenen Erklärungsinhalt ist das Schreiben des Steuerberaters der Klägerin vom 6. Dezember 2002 als Einspruch und nicht (nur) als Antrag auf AdV zu verstehen. Die Klägerin hat lediglich den Ausdruck "Einspruch" nicht verwandt, im Übrigen aber deutlich zum Ausdruck gebracht, dass sie den Einkommensteuerbescheid für rechtswidrig hält. Sie wendet sich gegen die Rechtmäßigkeit der Besteuerung schlechthin. Sie hat --das verkennt das FG-- nicht nur AdV beantragt, sondern darüber hinaus begehrt "das Verfahren gem. § 363 AO wegen der ernsthaften Zweifel an der Rechtmäßigkeit dieser Besteuerung auszusetzen". Das Verfahren, um dessen Aussetzung und Ruhen es in § 363 AO 1977 geht, ist (allein) das Einspruchsverfahren. Damit hat die Klägerin mit Schreiben vom 6. Dezember 2002 zugleich Einspruch eingelegt.
2. Die Sache ist nicht spruchreif. Das FG hat noch nicht zur Sache entschieden. Es hat auch keine Tatsachen festgestellt, die den BFH in die Lage versetzten, selbst über die Sache zu entscheiden. Deshalb kann er das Verfahren auch nicht --wie von der Klägerin beantragt-- nach § 74 FGO aussetzen. Denn er kann nicht prüfen, ob § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 1 EStG i.V.m. § 52 Abs. 39 Satz 1 EStG i.d.F. des StEntlG 1999/2000/2002, dessen Verfassungsmäßigkeit aufgrund der Vorlage des BFH (Beschluss vom 16. Dezember 2003 IX R 46/02, BFHE 204, 228, BStBl II 2004, 284) Gegenstand eines Verfahrens vor dem BVerfG ist (Az.: 2 BvL 2/04) im Streitfall entscheidungserheblich ist. Die Sache ist deshalb nach § 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FGO an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.
Ende der Entscheidung
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